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Auf der Piazza della Signoria, auf die die erblühte Frühlingssonne ihre gelben Rosen streute, schlug es Mittag. Die Glockenschläge zerstreuten die Menge der ländlichen Korn- und Pastenhändler, die sich zum Markttag dort versammelt hatten. Zu Füßen der Loggia dei Lanzi mit ihren Statuen hatten fliegende Eishändler über rotbezogenen Tischen ihre Stände aufgeschlagen mit der Inschrift: »Bibite ghiacciate!« Leichte Freude war vom Himmel auf die Erde niedergestiegen.
Thérèse und Jacques kamen von einem Morgenspaziergang durch die Boboli-Gärten zurück und gingen an der berühmten Loggia vorbei. Sie betrachtete die Sabinerin von Giovanni da Bologna mit der lebhaften Neugier, die eine Frau für jede andere Frau empfindet. Aber Dechartre sah nur auf Thérèse und sagte:
»Es ist wunderbar, wie das helle Tageslicht Ihrer Schönheit günstig ist und wie es den zarten Schimmer Ihrer Wangen erhöht.«
»Ja«, sagte sie, »bei künstlichem Licht bekommen meine Züge etwas Hartes; ich habe es bemerkt. Ich bin leider keine ›femme de soir‹ – und die Frauen finden gerade am Abend Gelegenheit, sich zu zeigen und zu gefallen. Die Prinzessin Seniavine hat bei Licht den schönsten mattgoldenen Teint, aber im Sonnenschein sieht sie gelb aus wie eine Zitrone. Das muß man ihr freilich lassen, sie macht sich wenig daraus. Sie ist nicht eitel.«
»Aber Sie sind es?«
»O ja. Früher war ich es für mich selbst, jetzt bin ich es für Sie.«
Sie sah immer noch die Sabinerin an, diese hochgewachsene, kräftige Gestalt, die mit Armen und Beinen sich der Umarmung des Römers zu entwinden sucht.
»Muß eine Frau diese trockenen Formen und langen Glieder haben, um schön zu sein? Bei mir ist das nicht der Fall.«
Er gab sich Mühe, sie darüber zu beruhigen. Aber in Wirklichkeit machte es ihr keine Sorge. Sie erblickte jetzt den Stand eines Eishändlers, dessen kupfernes Gerät auf einem scharlachroten Tuch leuchtete. Und nun bekam sie plötzlich Lust, im Stehen eine Portion Eis zu essen, wie sie es eben bei den Arbeiterinnen aus der Stadt gesehen hatte.
»Warten Sie einen Augenblick«, sagte er, und damit eilte er auf die Straße zu, die links der Loggia dei Lanzi abgeht, und verschwand. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und brachte ihr einen kleinen Löffel. Die Vergoldung war im Laufe der Zeit zum Teil verlorengegangen, den Stiel bildete die florentinische Lilie mit rotemailliertem Kelch.
»Damit sollen Sie Ihr Eis essen, denn Löffel gibt es nicht dazu. Sie hätten sonst die Zunge ausstrecken müssen. Das wäre zwar sehr hübsch gewesen, aber Sie sind es doch nicht gewohnt.«
Sie erkannte den Löffel wieder. Sie hatte ihn gestern im Laden eines in der Nähe wohnenden Antiquitätenhändlers gesehen.
Sie fühlten sich glücklich, und ihre einfache, volle Freude strömte über in leichten Worten, in die sie keine tiefere Bedeutung hineinzulegen versuchten. Und sie lachten, als der Florentiner mit seinem sparsamen und ausdrucksvollen Mienenspiel in den Redewendungen der alten italienischen Erzähler zu ihnen sprach. Thérèse amüsierte sich über die vollendete Mimik auf diesem lustigen Gesicht mit den antiken Zügen. Aber die Worte konnte sie nicht immer verstehen, und so fragte sie Jacques: »Was hat er eben gesagt?«
»Wollen Sie es wirklich wissen?«
Ja, sie bestand darauf.
»Nun, er hat gesagt, es würde ihn sehr glücklich machen, wenn die Flöhe in seinem Bett so schön wären wie Sie.«
Als sie ihr Eis gegessen hatte, drang er in sie, noch einmal Or San Michele zu besuchen. Es war ja ganz nah; sie brauchten nur schräg über den Platz zu gehen, und schon würden sie das steinerne Kleinod erblicken. So machten sie sich auf den Weg. Sie betrachteten die Bronzestatuen Sankt Georgs und des heiligen Markus. Dechartre sah an der rissigen Mauer den Briefkasten wieder, und mit quälender Deutlichkeit sah er die kleine behandschuhte Hand vor sich, wie sie den Brief hineingleiten ließ. Und er kam ihm so abscheulich vor, dieser blecherne Rachen, der ihr Geheimnis verschlungen hatte. Er konnte seine Blicke nicht wieder davon losreißen, und seine ganze Fröhlichkeit war mit einemmal verflogen. Thérèse gab sich währenddem alle Mühe, sich mit der schwerfällig ernsten Statue des Evangelisten zu befreunden.
»Es ist wahr, er hat einen geraden, offenen Ausdruck; wenn er sprechen könnte, würde kein unwahres Wort aus seinem Munde kommen.«
»Ja, es ist kein Frauenmund«, erwiderte Jacques bitter.
Sie verstand, was er meinte, und sagte in sehr sanftem Ton:
»Warum sprechen Sie so zu mir? Ich bin wirklich wahr und aufrichtig.«
»Was nennen Sie wahr sein? Sie wissen selbst, daß eine Frau lügen muß.«
Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Eine Frau ist wahr, wenn sie keine unnützen Lügen spricht.«