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Dreizehntes Kapitel.

Berichtet den schrecklichen Kampf, der sich in der Lady Borby Brust zwischen der Liebe und dem Stolze erhob, nebst Dem, was sich nach der eben berichteten Entdeckung begab.


Die Lady setzte sich mit den Uebrigen zu Tisch, nahm aber keinen Bissen zu sich, und wartete nur das Dessert ab, um Pamela zuzuflüstern, sie fühle sich etwas unpäßlich, und bitte daher, ihre Stelle als Hausfrau zu vertreten. Hierauf zog sie sich in ihr Zimmer zurück, ließ die Slipslop rufen, und warf sich, von Liebe, Wuth und Verzweiflung bestürmt, auf ihr Bett. Sie mußte jetzt durchaus ihrem Herzen Luft machen, wenn dieses nicht bersten sollte. Als aber die Slipslop mit der Frage nach Ihrer Gnaden Befinden an ihr Bett trat, vermochte sie, statt, wie sie sich vorgenommen hatte, grade heraus zu beichten, nur einen langen Lobspruch von Joseph Andrews Schönheit und Tugenden anzustimmen; worauf sie erklärte, wie sehr sie bedaure, so viel Zärtlichkeit an ein so verächtliches Geschöpf, wie diese Fanny, vergeudet zu sehen. Die Slipslop, die schon wußte, wie die Krankheit ihrer Gebieterin zu behandeln sei, hatte nun nichts Besseres zu thun, als wo möglich noch mit Uebertreibungen Alles, was die Lady gesagt hatte, zu wiederholen, und schloß mit dem Wunsche, daß Joseph ein Mann von Stande gewesen, und ihr das Glück geworden sein möge, ihre gnädige Frau in den Armen eines solchen Gatten zu sehen. – Hier sprang die Lady von Bette auf, ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, und rief endlich mit einem tiefen Seufzer: »O gewiß, er würde jede Frau glücklich machen.« – »Euer Gnaden,« sprach die Zofe, »würde mit ihm die glücklichste Frau auf Erden sein. Was haben Sie übrigens nach Sitte und Brauch zu fragen? Was liegt daran, was die Leute schwatzen? Soll ich mich deßhalb scheuen, Defekt zu essen, damit die Leute nicht sagen, ich bin ein Leckermaul? Wäre mein Sinn einmal auf Einen gerichtet, ich ließe mich durch die ganze Welt nicht contumaciren. Euer Gnaden haben keine Eltern mehr, die Ihnen in Ihren Infektionen zuwider sein könnten; überdies gehört Joseph jetzt zu Ihrer Verwandtschaft, und ist so gut ein vornehmer Herr, wie irgend einer im Lande; und weßhalb soll denn ein Frauenzimmer nicht eben so gut seinen Willen haben wie eine Mannsperson? Warum sollten Euer Gnaden nicht eben so gut den Bruder heirathen, wie Ihr Neffe die Schwester geheirathet hat? So viel weiß ich, wäre es ein gar so flagrantes Verbrechen, ich würde Ihnen gewiß nicht dazu rathen.« – »Aber liebe gute Slipslop,« antwortete die Lady, »gesetzt auch, ich könnte es über mich gewinnen, eine solche Thorheit zu begehen, da steht mir ja die verwünschte Fanny im Wege, die der Pinsel – o wie ich ihn [hasse] und verachte!« – »Wie? das Gänschen, die häßliche kleine Mixe,« schrie die Slipslop, »o die überlassen Sie nur mir. Euer Gnaden haben wahrscheinlich schon gehört, daß Joseph ihretwegen mit einem von Herrn Dideppers Bedienten einen Schandal gehabt hat, und da hat denn dieser Herr seinen Leuten befohlen, sie heute Abend mit Gewalt zu entführen. Ich will schon dafür sorgen, daß ihnen nichts im Wege steht. Ich sprach eben mit Herrn Didepper darüber, als Euer Gnaden mich rufen ließen.« – »Dann geh' gleich wieder zu ihm,« sprach Lady Borby, »denn ich denke, er wird bald nach London zurückkehren wollen. Thue alles, was in deinen Kräften steht, denn so viel ist beschlossen, die Dirne soll und darf nicht in unsere Familie. Ich will indeß mich zu fassen suchen, damit ich wieder zur Gesellschaft gehen kann, aber laß mich's gleich wissen, sobald sie fortgeschafft ist.« – Die Slipslop ging, und ihre Gebieterin begann ihr eigenes Benehmen auf folgende Weise zu beleuchten: »Was will ich beginnen? – wie lasse ich diese Leidenschaft so unmerklich sich meiner bemeistern? – Hätte ich vor wenig Tagen noch mich entschließen können, auch nur diese Frage an mich selbst zu stellen? Einen Lakeien heirathen! – O der Thorheit! – wie sollte ich je wieder vor meinen Bekannten die Augen aufschlagen? – Doch ich kann mich von ihnen zurückziehen, mit ihm, durch den ich mir mehr Glück verspreche, als die ganze Welt ohne ihn mir darzubieten vermag! Nur mit ihm leben – fortwährend an Schönheiten mich weiden, von deren Anschauen meine entflammte Phantasie sich nicht losreißen kann, jeden Wunsch, jedes Verlangen, das in mir tobt, befriedigen. – Ha! und ein Lakei ist's, der mich so in Gluth setzt? Ich verachte, ich verabscheue meine Leidenschaft – doch weßhalb? Ist er nicht edelmüthig, sanft, liebevoll? – Aber gegen wen? – Gegen ein elendes Geschöpf, das ich keines Blickes würdigen mag. – Zieht er sie mir nicht vor? – Ja beim Himmel, so ist es! – Verwünscht sei seine Schönheit und sein niedrig gesinntes Herz, das sich zu einer gemeinen Kreatur hinablassen und auf das undankbarste gegen alle Ehre, die ich ihm erzeige, unempfindlich sein kann. Und dies Ungeheuer könnte ich lieben? – Nein, ich will sein Bild aus meinem Herzen reißen, ihn mit Füßen treten, von mir stoßen! – Jene verwünschten Reize, die ich jetzt verachte, sollen vor meinen Augen zerstört, verwüstet werden, denn ich will nicht dulden, daß die freche Dirne in dem Genusse schwelge, den ich verschmähen muß. Ja, so tief dieser Mensch unter mir steht, so gewiß ich ihn mit dem Fuß von mir schleudern wollte, wenn er auf den Knieen vor mir schmachtete, doch soll keine Andere sich des Glücks erfreuen, das mir nicht beschieden ist. – Aber weßhalb nenne ich es ein Glück? Für mich würde es ein Elend sein. – Meinen Ruf, meinen Namen, meinen Rang der Befriedigung einer niedrigen unwürdigen Leidenschaft aufzuopfern! – Wie verabscheue ich den Gedanken! – Wie sehr überwiegt die Freude, die uns das Bewußtsein der Tugend und die Erfüllung unserer Pflichten gegen die Welt gewährt, jeden flüchtigen Genuß, dessen Quelle Laster und Thorheit sind! – Wohin hätte diese unschickliche wahnsinnige Leidenschaft mich fast geführt, da ich die Vernunft zu Hülfe zu rufen unterließ? Diese Vernunft, die jetzt meine Begierden in ihrer wahren Farbe mir vor Augen gestellt, und unverzüglich mich von ihnen befreit hat. Ja, Dank sei es dem Himmel, und meinem zurückgekehrten Ehrgefühl, jetzt hab ich diese unwürdige Leidenschaft vollkommen besiegt, und stände ihr auch kein Hinderniß mehr im Wege, doch würde mein Stolz jeden Genuß verscheuchen, den ich um einer so niedrigen, gemeinen, pöbelhaften« – Hier stürmte die Slipslop in größter Eile herein, und rief: »O gnädige Frau, was bringe ich für Neuigkeiten! – Tom, der Bediente, kommt so eben aus dem George, wo Joseph und die Andern sich's wohl sein ließen, und er sagt, da sei ein fremder Mann, der entdeckt habe, Joseph und Fanny seien Bruder und Schwester.« – »Wie, Slipslop?« schrie die Lady. – »Ich hatte nicht Zeit, Ew. Gnaden,« fuhr Jene fort, »mich nach allen Partikeln zu erkundigen, aber Tom sagt, es sei bestimmt wahr.«

Dieser unerwartete Bericht gab allen jenen scharfsinnigen Erwägungen, welche die allgebietende Vernunft noch eben so weise hervorgerufen hatte, plötzlich eine ganz andere Richtung. Sobald die Verzweiflung, die freilich mehr Antheil an dem Hervorrufen der Entschlüsse, den früher geliebten Gegenstand zu hassen, haben mochte, als die Vernunft, sich zurückzuziehen begann, sandte die Lady nach einem kleinen Zögern die Zofe, ohne des obigen Monologs und seiner Schlußfolgerungen weiter zu gedenken, mit dem Befehle fort, Tom zu ihr ins Visitenzimmer zu schicken, wohin sie selbst eilte, um Pamela die Neuigkeit mitzutheilen. Diese sagte, sie könne von der ganzen Sache nichts glauben, indem sie nie gehört, daß ihre Mutter ein Kind verloren, oder je außer ihr und Joseph ein anderes gehabt habe. Lady Borby gerieth über diese Aeußerung in die heftigste Wuth, und sprach von »aufgeschossenen Pilzen,« die nichts von Verwandten wissen wollten, deren Gleichen sie noch vor kurzem gewesen seien. Pamela schwieg dazu, ihr Mann aber nahm sich ihrer an, und machte seiner Tante wegen dieses Betragens gegen seine Frau harte Vorwürfe; er sagte ihr, wenn es noch früher am Abend sei, würde er keinen Augenblick länger unter ihrem Dache verweilen, und er sei überzeugt, Pamela werde, sobald sich's beweisen lasse, daß jenes junge Mädchen ihre Schwester sei, sie mit Freuden als solche anerkennen, und er selbst wolle ein Gleiches thun. Darauf verlangte er, der fremde Mann und Fanny möchten gerufen werden, wozu Lady Borby sogleich Befehl ertheilte, und da sie es für schicklich hielt, wegen ihrer Aeußerungen gegen Pamela einige Entschuldigungen vorzubringen, so wurden diese so freundlich aufgenommen, daß bald das gute Einverständniß wieder hergestellt war.

Der Hausirer ließ nicht lange auf sich warten, und mit ihm kamen Fanny und Joseph, welcher Letztere diese nicht verlassen wollte; auch der Pfarrer wurde nicht nur durch Neugierde, deren ihm nicht wenig zu Theil geworden war, sondern auch durch seine Pflicht, wie er voraussetzte, bewogen, sich anzuschließen, und er ermahnte den ganzen Weg über das junge Paar, dem das Herz brechen wollte, ein Loblied anzustimmen und sich dankbar über eine so wunderbare Fügung zu bezeigen.

Als sie in Borbyhall ankamen, wurden sie gleich in das Visitenzimmer gerufen, wo der Hausirer dieselbe Geschichte wiederholte, die er schon im George erzählt hatte, und die Wahrheit jedes Umstandes betheuerte, so daß fast wenige seiner Zuhörer noch Zweifel hegten, nämlich nur Pamela, welche ein Ereigniß dieser Art, weil ihre Eltern dessen nie erwähnt hatten, für augenscheinliche Erdichtung hielt. – Die Lady Borby, die in die Sache ein Mißtrauen setzte, eben weil sie zu sehnlichst wünschte, daß Alles wahr sein möge – und Joseph, der die Bestätigung fürchtete, weil er zu sehnlichst wünschte, daß alles unwahr sein möge.

Herr Borby bat jetzt Alle, ihre Neugier und das unbedingte Glauben oder Leugnen bis zum nächsten Morgen auszusetzen, indem er dann seine Schwiegereltern, den alten Herrn Andrews und dessen Frau erwarte, die ihn und Pamela in seinem Wagen abholen sollten, dann, sagte er, werde bestimmt die Wahrheit oder Unwahrheit dieses Bereichs zu erörtern sein, welchem Glauben zu schenken übrigens mehrere wesentliche Umstände ihn selbst veranlaßten; auch könne er nicht errathen, aus welchem Grunde der Hausirer die Geschichte rein erfunden haben solle, indem für diesen dabei durchaus kein Vortheil abzusehen sei.

Lady Borby, so wenig sie auch an solche Gesellschaft gewöhnt war, lud alle Anwesende, nämlich ihren Neffen und dessen Frau, Joseph und Fanny, den Stutzer und den Pfarrer freundlichst zum Abendessen ein; den Hausirer aber empfahl sie auf's beste der Fürsorge ihrer Bedienten. Sämmtliche Tischgenossen, außer Joseph und Fanny, die schweigend und höchst niedergeschlagen dasaßen, waren sehr munter und aufgeräumt; denn Herr Borby hatte Joseph vermocht, Didepper um Verzeihung zu bitten, eine Genugthuung, die Letzteren vollkommen zufriedenstellte. Zwischen dem Stutzer und dem Pfarrer fielen allerlei kleine Neckereien vor, besonders über Beider Anzug, was den Uebrigen zu ungemeinen Ergötzen gereichte. Pamela machte ihrem Bruder Joseph Vorwürfe, daß er so wenig Freude darüber bezeige, eine neue Schwester entdeckt zu haben. Sie sagte, wenn er Fanny mit einer reinen Neigung liebe, wie es sich gebühre, so habe er ja keinen Grund, wegen seiner geschwisterlichen Verwandtschaft mit ihr sich unglücklich zu fühlen; – worauf Adams über die platonische Liebe zu reden begann, von wo er schnell zu den Freuden der Ewigkeit hinübersprang, und mit der nachdrücklichen Behauptung schloß, wie in diesem Leben Alles eitel sei, wobei jedoch Pamela und ihr Gatte sich einander lächelnd anblickten.

Da dieses glückliche Paar sich zur Ruhe zu begeben vorschlug (denn keinem von den Andern kam ein solcher Gedanke ein), so suchte Jeder von der Gesellschaft das ihm durch die gastfreundliche Wirthin bestimmte Schlafgemach auf, und selbst Adams durfte nicht hingehen, indem es eine sehr stürmische Nacht war. Fanny bat zwar mehr als einmal, sich mit dem Pfarrer zu Hause begeben zu dürfen, aber hiervon wollte man nichts hören, so daß sie denn endlich, besonders auf Josephs Zureden, nachgab.


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