Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Buch.


Erstes Kapitel.

Der Lady Borby und der Uebrigen Ankunft zu Borbyhall.


Die Kutsche mit Sechsen, worin Lady Borby fuhr, holte die andern Reisenden am Eingang in das Dorf ein. Als die Lady Joseph erblickte, erglühten ihre Wangen in hohem Roth, welchem aber schnell eine Leichenblässe folgte. In der ersten Ueberraschung hätte sie fast den Kutscher halten lassen, doch besann sie sich noch bei Zeiten eines Besseren. Ihre Einfahrt ins Dorf wurde durch Glockengeläute und von den herbeilaufenden Armen begrüßt, die voll Freude waren, ihre Gönnerin nach einer so langen Abwesenheit zurückkehren zu sehen, indem während ihres Aufenthalts in London alle ihre Einkünfte dort hingeschickt, und ihnen kein Schilling gespendet worden war, was nicht wenig zu ihrer gänzlichen Verarmung beitrug; denn bedenkt man, wie sehr selbst eine Stadt wie London die Abwesenheit des Hofes empfinden müßte, so sieht man ein, um wie viel mehr die einer reichen Gutsherrschaft in einem kleinen Dorf, dessen Einwohner durch eine solche Familie fortwährend Arbeit und Unterstützung finden, und die mit den Brosamen, welche von ihrer Tafel fallen, gebrechliche Kinder und Greise reichlich speisen kann, ohne daß diese Großmuth den Wohltätern etwas Sonderliches entzieht – gefühlt werden muß.

Wenn aber die Aussicht auf ihren Vortheil diese armen Menschen so mit Freude erfüllte, wie viel mächtiger mußte auf sie die Liebe wirken, die sie zu ihrem guten Pfarrer hegten! Sobald sie ihn erblickten, drängten sie sich um ihn wie gute Kinder um einen zärtlichen Vater, und wetteiferten untereinander in Beweisen ihrer treuen herzlichen Ergebenheit. Der Pfarrer seinerseits schüttelte jedem traulich die Hand, erkundigte sich theilnehmend nach dem Befinden Aller, die nicht zugegen waren, ihrer Kinder und Angehörigen, und zeigte in seinem Antlitz ein Wohlwollen, wie nur ein edles durch die Gegenstände seiner Güte beglücktes Gemüth es empfinden kann.

Auch Joseph und Fanny vermißten von keinem, der sie sah, ein freundliches Willkommen; und nie konnten wohl drei Menschen liebevoller empfangen werden, noch einer so allgemeinen Theilnahme würdiger sein.

Adams nahm seine Reisegefährten mit zu sich ins Haus, wo er sie bat, mit ihm zu theilen, was seine Frau, die er, so wie seine Kinder, gesund und vergnügt fand, vorzusetzen vermochte. Hier lassen wir sie bei einem einfachen Mahl des vollkommensten Glückes genießen, und wenden uns zu viel glänzenderen aber minder freudenreichen Scenen.

Unsere einsichtsvolleren Leser werden ohne Zweifel in Folge dieser zweiten Erscheinung der Lady Borby auf dem Schauplatze schon errathen, daß mit Josephs Entlassung noch nicht Alles zwischen diesem und der Dame abgeschlossen war; auch wollen wir ihnen denn nicht verhehlen, daß sie sich nicht getäuscht haben; der Pfeil war wirklich tiefer eingedrungen als die Verwundete anfangs geglaubt hatte, und die Wunde war nicht so leicht zu heilen. Die Entfernung des Gegenstandes kühlte zwar bald ihre Wuth ab, nicht aber ihre Liebe; jene verschwand mit Josephs Person, diese hingegen blieb mit seinem Bilde in ihrem Herzen. Ein unruhiger abgebrochener Schlaf und verwirrte gräßliche Träume wurden ihr die erste Nacht zu Theil; und obgleich gegen Morgen ihr die Phantasie eine lieblichere Scene vormalte, so geschah es nur, um sie zu hintergehen, nicht zu beglücken, denn bevor ihr der erwartete Genuß wurde, verschwand die Vision, und ließ ihr nichts als den Verdruß über die Täuschung.

Sie fuhr aus dem Schlummer empor, ihre Phantasie war noch in Gluth, da fielen ihre Blicke zufällig auf die Stelle, wo den Tag vorher der wirkliche Joseph gestanden hatte, und dieser geringfügige Umstand ließ sein Bild in den lebhaftesten Farben in ihrer Seele wieder erwachen. Jeder seiner Blicke, jedes Wort, jede Bewegung drang mit einem Zauber, den selbst die Kälte, die der keusche Jüngling gezeigt, nicht zerstören konnte, auf sie ein; ja sie schrieb diese Kälte seiner Jugend, Albernheit und Blödigkeit zu, nur nicht dem, was sofort ihre Verachtung aufgeregt haben würde, nämlich einem Mangel an Gefühl für ihr Geschlecht, oder dem, was sie zum Haß hätte antreiben müssen, einem Mangel an Gefühl für sie selbst.

Das Nachdenken führte sie nun weiter und sagte ihr, sie müsse diesen schönen Jüngling nicht wieder sehen; ja sie begann zu fühlen, sie habe ihm um keines andern Vergehens als einer zu tiefen Ehrerbietung gegen sie willen den Abschied gegeben; dies nun hätte sie ja, schloß sie weiter, als ein Verdienst an dem jungen Manne ehren sollen, um so mehr, da die Wirkungen davon so leicht und sicher abzuwenden gewesen seien. Nun verwünschte sie ihr unüberlegtes Benehmen, ließ ihre ganze Wuth an sich selbst aus, und Joseph erschien unschuldig in ihren Augen. Ihre Leidenschaft stieg wieder zu einer solchen Höhe, daß sie sich Linderung zu suchen beschloß und schon daran dachte, ihn zurückzurufen; doch dies untersagte der Stolz, der bald alle sanfteren Gefühle aus ihrer Seele verbannte, und sie an die niedrige Herkunft des geliebten Gegenstandes erinnerte. Dieser Gedanke begann bald Josephs Schönheit zu verdunkeln; jetzt folgte Verachtung, dann verschmähender Unmuth, endlich Haß gegen das Geschöpf, das ihr so viel Unruhe machte. Kaum hatten diese Feinde Josephs sich ihres Gemüths bemächtigt, so flüsterten sie ihr auch tausend Dinge zu seinem Nachtheil zu – ja Alles, was sich nur denken läßt, Abneigung gegen ihre Person ausgenommen; ein Gedanke, der ihr so unleidlich war, daß sie ihn jedesmal gleich im ersten Keim erstickte. Nun eilte Rachsucht ihr zu Hülfe und die Erinnerung, daß sie ihn ohne Kleidung und schriftliches Zeugniß entlassen, erfüllte sie mit Freude. Sie labte sich an der Einbildung von alle dem Elend und Ungemach, das, wie sie meinte, seiner nunmehro warte, und mit einem aus Zorn, Vergnügen und Hohn zusammengesetzten Lächeln sah sie ihn in den Lumpen, die ihre Phantasie ihm umwarf.

Ihrem eigenen Urtheil nach ihrer Leidenschaft jetzt vollkommene Meisterin, klingelte sie der Slipslop, und fragte diese beim Ankleiden, ob Joseph ihren Befehlen gemäß fortgejagt worden sei. Jene erwiederte, sie habe Ihrer Gnaden schon darüber Bericht erstattet (wie es in der That geschehen war). – »Und wie benahm er sich dabei?« – fragte die Dame weiter. – »Wahrhaftig, gnädige Frau,« rief die Slipslop, »auf so eine Weise, daß er Jeden infizirte, der ihn sah. Der arme Junge, der seinen Eltern beständig die Hälfte seiner ganzen Einnahme zuschickte, hatte wenig Lohn mehr zu gut, so daß, als er Euer Gnaden Livree ausziehen mußte, ihm nicht so viel blieb, einen Rock zu kaufen, und er hätte in seiner Blöße davon gehen müssen, wenn nicht einer der Bedienten ihn mit einem inkommodirt hätte; und wie er so im Hemde dastand (recht amorös sah er aus, das muß wahr sein) und hörte, Euer Gnaden wollten ihm kein Zeugniß ausfertigen lassen, da sagte er mit Seufzen, er sei sich keines Vergehens bewußt, und er seines Orts werde doch Euer Gnaden überall ein gutes Zeugniß geben; und dazu betete er, Gott möchte Euer Gnaden segnen, denn Sie wären doch die beste Dame von der Welt, wenn gleich seine Feinde Sie gegen ihn eingenommen hätten. Ach, hätten Sie ihn doch nicht fortgeschickt, gnädige Frau, ich glaube, Sie haben noch keinen treueren Menschen in Ihren Diensten gehabt.« – »Wie kam es denn,« versetzte die Lady, »daß Du selbst mir den Rath gabst, ihn fortzuschicken?« – »Ich, gnädige Frau?« entgegnete die Slipslop, »ich denke, Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zuzugeben, daß ich Alles, was in meinen Kräften stand, gethan habe, um es zu verhindern. Aber ich sah Euer Gnaden so aufgebracht, und mir, als Oberaufseherin des Gesindes, steht's nicht zu, bei solchen Gelegenheiten zu hinterferiren.« – »Und wer anders als Du freches Geschöpf,« rief die Lady, »war es, der mich gegen ihn aufbrachte? Reizte mich nicht Dein Geschwätz, womit Du den armen Menschen nur verleumden wolltest, mich zum Zorn gegen ihn? Dir hat er Alles, was vorgefallen ist, zu danken, so wie ich meinerseits den Verlust eines so treuen Dieners, der vermuthlich mehr werth war, als Ihr Alle zusammen. – Der arme Mensch! wie rührt mich die kindliche Liebe gegen seine Eltern! – Warum sagtest Du mir nichts davon, warum gabst Du es zu, daß ich einen so braven Jungen so schmählich fortjagte? Aber ich sehe nun, was Dich zu diesem Benehmen, zu dieser Anklage antrieb; Du warst eifersüchtig auf die andern Mädchen in meinem Dienste.« – »Ich eifersüchtig?« schrie die Slipslop, »das können Sie mir glauben, für den halte ich mich doch noch zu gut; ich bin kein Bissen für einen Lakeien, will ich hoffen.« – Diese Worte brachten die Dame so außer sich, daß sie die Zofe sich entfernen hieß, welche die Nase rümpfend im Abgehen noch murmelte: »Ei seht doch! ich glaube, es giebt Leute, die mehr von der Eifersucht geplagt werden wie ich.« – Die Lady stellte sich, als habe sie diese Worte nicht gehört, die sie gleichwohl recht gut vernommen und auch verstanden hatte. Jetzt stand ihr ein zweiter innerer Kampf bevor, doch dem ersten so ähnlich, daß wir uns wiederholen würden, wenn wir ihn ausführlicher schildern wollten. Es genüge zu berichten, daß Lady Borby entdeckte, sie sei über ihre Leidenschaft denn doch wohl nicht so völlig Meisterin geworden als sie gewähnt hatte; um sie nun aber gänzlich zu besiegen, faßte sie den mehr gewöhnlichen als weisen Entschluß, sich sofort auf das Land zurückzuziehen. Der Leser hat längst die Ankunft der Mistreß Slipslop, von welcher sich zu trennen ihre Gebieterin trotz aller Unverschämtheit der Zofe sich nicht entschließen konnte, dann die des Herrn Pounce, als ihrer Vorläufer, endlich die der Dame selbst mit angesehen. Am nächsten Morgen wohnte sie, da es Sonntag war, zur ungemeinen Verwunderung der Gemeinde, der sie sich bisher aber nicht im Lichte einer allzu fleißigen Kirchengängerin gezeigt hatte, dem Gottesdienst bei. Auch Joseph war anwesend, und oft habe ich hören müssen, sie solle ihre Augen viel mehr auf diesen als auf den Pfarrer geworfen haben, was ich indeß nur für ein boshaftes Gerücht halte. Am Schlusse des Kirchengebets erhob sich Herr Adams, und verlas mit lauter Stimme das Aufgebot von Joseph Andrews und Franziska Goodwill, Beide aus diesem Kirchspiel u. s. w. – Ob dies auf Lady Borby, die sich in ihre Kirchenloge zurückgezogen hatte, so daß Niemand aus der Gemeinde sie sehen konnte, einigen Eindruck machte oder nicht, habe ich nie erfahren können; gewiß aber ist's, daß sie ungefähr nach einer Viertelstunde sich erhob, und ihre Augen jenem Theil der Kirche zuwendete, wo die Frauenzimmer saßen, wohin sie während der Predigt ihre Blicke so unverwandt, spähend und zornig richtete, daß die meisten Frauenzimmer in Besorgniß geriethen, ihren Unwillen durch irgend etwas auf sich gezogen zu haben. Sobald sie nach Hause zurückgekehrt war, ließ sie die Slipslop in ihr Zimmer rufen, und sagte ihr, sie begreife nicht, was der unverschämte Bursche, der Joseph, noch in dem Dorf zu thun habe, wogegen ihr Jene denn über ihr Zusammentreffen mit Adams unterwegs, so wie auch über das Abenteuer mit Fanny ausführlichen Bericht erstattete, während dessen die Dame oft ihre Farbe wechselte. Als sie Alles vernommen hatte, befahl sie, Herrn Adams zu rufen, gegen den sie sich benahm, wie der Leser aus dem folgenden Kapitel entnehmen wird.


 << zurück weiter >>