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Gerichtliche Verhandlungen enthaltend; ein merkwürdiges Aktenstück und andere Gegenstände, deren Kenntniß allen Friedensrichtern und ihren Schreibern von großem Nutzen sein wird.
Der junge Squire und seine Gemahlin waren nicht sobald aus dem Wagen gestiegen, als ihre Bedienten Erkundigungen nach Herrn Joseph Andrews anzustellen begannen, von welchem, sagten sie, ihre Gebieterin, seit er der Lady Borby Dienste verlassen, zu ihrem Erstaunen kein Wort gehört habe. Hierauf erfuhren sie sogleich Alles, was sich in der letzten Zeit ereignet hatte, und benachrichtigten schnell ihren Herrn davon, der sich denn sofort entschloß, selbst hinzueilen, um wo möglich seiner Pamele ihren Bruder wieder zu geben, ehe sie von Dem, was ihm bevorstehe, etwas ahne.
Der Friedensrichter, vor den die Angeklagten geführt worden waren, und der nur eine kleine halbe Stunde von Borbyhall wohnte, war zum Glück ein Bekannter des Herrn Borby, in dessen Nachbarschaft er gleichfalls ein Gut besaß. Dieser befahl daher, die Pferde anzuspannen, kam aber doch nicht eher an Ort und Stelle, als da der Handel beinahe schon abgethan war. Man führte ihn in ein Zimmer, wo ihm gesagt wurde, Seine Gestrengen würden sogleich erscheinen, indem sie nur noch vorher einen jungen Menschen und ein Frauenzimmer nach Bridewell abzufertigen hätten. Eben hierdurch überzeugt, daß er keine Minute mehr zu verlieren habe, drang er darauf, sofort von dem Bedienten in das Zimmer geführt zu werden, worin der Friedensrichter, – wie er zu sagen pflegte, sein Amt exekutirte. Nach den ersten gegenseitigen Begrüßungen der beiden Herren fragte der Squire, welches Vergehens die beiden jungen Leute angeschuldigt seien. – »Nun, so gar viel haben sie grade nicht verbrochen,« antwortete der Friedensrichter, »auch schicke ich sie nur auf vier Wochen nach Bridewell.« – »Aber was ist denn ihr Verbrechen?« – wiederholte der Squire. – »Dieberei, mit Euer Gnaden Erlaubniß,« sagte Scout. – »Ja, ja,« fiel der Richter ein, »so was von Mausen und Stehlen. Ich glaube, ich werde ihnen als Zugabe noch eine kleine Züchtigung zuerkennen müssen, etwa so ein paar Dutzend Hiebe auf das bloße Fell. (Die arme Fanny, die bis jetzt mit dem Gedanken, daß Joseph bei ihr sei, alles ruhig ertragen hatte, zitterte bei dieser Rede, doch wirklich ohne Grund, denn Niemand als der Teufel selbst hätte wohl eine Strafe dieser Art an ihr vollziehen können.) – »Aber noch immer,« sagte der Squire, »weiß ich nicht, welches ihr Verbrechen ist.« – »Nun, da steht's schwarz auf weiß,« antwortete der Richter, und legte ihm dabei eine in der Abwesenheit des Schreibers von ihm selbst aufgenommene Aussage vor, von welcher wir uns mit vieler Mühe eine authentische Abschrift verschafft haben, die wir denn hier verbatim und literatim mittheilen:
» Aussage von Jacob Scout, Affekaten und Tomas Trotter Akersman, indekelekt vor mich, einen von Seiner Magesdät Fridensrigdern in Summersetshire.
Diese Zeichenden sagen, und zuerst sagt Tomas Trotter vor sig selber, das er am zwelyden Ocdober, alß an einem Sabad, swischen den Stunden von 2 biß 4 Nachmidachs, den Josef Andrews und die Franciska Gudwil hat sehen kehen über ein gewises Velt, dem Affekaten kehehrich, undt aus dem Vat 'raus, der durch pesagtes Velt führt, und dort hat er sehen besagten Josefs Andrews mit einem Messer einen Haselnenzweig abschneiten am Werde, meind er, drei halb Pence oder trum rum; undt er sagt, das besagte Franciska Gudwil kleigfalls uf das Kraß kegangen auß besagtem Vat 'raus in besagtem Velt, undt thät mit ihrer eichenen Hand besagten Zweig annähmen und emvangen, undt so mid besagtem Joseph älften undt tzurähden. Und besagter Jakob Scut von sich selber sagd, das er werglig klaubt, wi besagter Zwaig sein eichener Zwaig say ec. « »Himmel,« rief der Squire, »wären Sie im Stande, um eines Haselstocks willen zwei Menschen nach Bridewell zu schicken?« – »Warum nicht?« sagte der Advokat, »und das ist noch sehr gelinde, denn hätten wir den Stock einen jungen Baum genannt, so wären Beide an den Galgen gekommen.« – »Hören Sie,« sagte der Richter, indem er den Squire bei Seite zog, »ich wäre in der Sache nicht so strenge verfahren, aber Lady Borby will die Leute aus dem Dorfe schaffen; Scout wird daher dem Constable zu verstehen geben, daß er sie laufen läßt, wenn sie Lust dazu haben. Sie wollen sich nämlich einander heirathen, wie ich merke, und da sie den Gesetzen nach dort ansässig sind, so steht ihr kein anderes Mittel zu Gebot, das Dorf von der Last zu befreien.« – »Schon gut,« entgegnete der Squire, »ich werde Sorge tragen, meine Tante hierin zufrieden zu stellen, auch kann ich Ihnen versprechen, daß Joseph ihr nie irgends zur Last fallen soll. Sie werden mich daher sehr verpflichten, wenn Sie die Angeklagten meiner Obhut anvertrauen, statt sie nach Bridewell zu schicken.« – »O gewiß, Sir, wenn Sie es wünschen,« antwortete der Richter; und ohne weitere Umstände wurden Joseph und Fanny dem Squire Borby überliefert, welchen Joseph recht gut kannte, ohne jedoch zu ahnen, wie nahe er ihm jetzt verwandt sei. Der Richter zündete an seinem Verhaftsbefehl die Pfeife an; der Advokat klagte weiter nicht über verweigerte Gerechtigkeit, und die Gefangenen dankten mit frohlockendem Herzen tausendmal seiner Gnaden, dem Herrn Borby, der indeß nicht gesonnen war, es bei dieser Gefälligkeit bewenden zu lassen; denn nachdem er seinem Bedienten befohlen, einen Mantelsack zu bringen, den er von Borbyhall mitgenommen hatte, bat er den Friedensrichter, er möge ihm erlauben, mit Joseph in eins seiner Zimmer zu treten, wo er durch den Bedienten einen vollständigen Anzug mit Wäsche und allem andern dazu Gehörigen auspacken ließ, den er Joseph anzulegen nöthigte. Dieser, dem der Beweggrund aller dieser Höflichkeiten noch unbekannt war, weigerte sich bescheiden, eine solche Gunst anzunehmen, so lange er es schicklicher Weise thun konnte. Während er sich nun anzog, kehrte der Squire zum Richter zurück, den er im Gespräch mit Fanny fand. Diese hatte während des Verhörs ihren breitrandigen Hut tief über die Augen gezogen, die ihr voll Thränen standen, und dadurch war Seiner Gestrengen ein Anblick entzogen worden, der vielleicht die Fürsprache des Herrn Borby, in Beziehung auf ihre eigene Person wenigstens, überflüssig gemacht haben würde. Der Richter sah kaum dies holde Gesichtchen in seiner ganzen Schönheit, und die hellen funkelnden Augen durch die Thränen schimmern, als er sich heimlich selbst verwünschte, daß er je daran hatte denken können, sie nach Bridewell zu schicken, wohin er jetzt gern seine eigene Frau abgefertigt haben würde, um Fanny an deren Stelle zu setzen. Da er nun fast in demselben Augenblick Begierden empfand, und auch Plane entwarf, dieselben zu befriedigen, wendete er die paar Minuten, die der Squire bei Joseph zubrachte, zu Versicherungen an, wie leid es ihm thue, sie so rauh behandelt zu haben, bevor er ihren ganzen Werth erkannt; und fügte hinzu, da Lady Borby sich der Niederlassung in ihrem Dorfe so sehr widersetze, so wolle er sie herzlich gern in dem seinigen aufnehmen, wo er ihr seinen Schutz zusage, ja sie könne, wenn es ihr sonst anstehe, mit Joseph in seine Dienste treten, wobei er ihr sehr freundlich die Hand drückte. Fanny sagte ihm verbindlichen Dank, und fügte hinzu, sie wolle Joseph diesen Vorschlag mittheilen, den er gewiß gern annehmen würde, denn Lady Borby habe auf sie Beide einen heftigen Groll geworfen, obgleich ihres Wissens sie nichts gethan hätten, was sie habe kränken oder beleidigen können, und sie müsse es nur der Mistreß Slipslop zuschreiben, die nimmer ihre Freundin gewesen sei.
Der Squire trat jetzt wieder ein, wodurch eine fernere Fortsetzung dieses Gesprächs verhindert wurde, und der Richter hieß Fanny unter dem Vorwande der seinem Gast gebührenden Achtung, im Grunde aber aus Furcht, einem Nebenbuhler in diesem zu finden (denn er wußte von dessen Vermählung noch nichts) in die Küche gehen, was sie gern that, und wogegen auch der Squire, der es für zu weitläuftig hielt, Alles jetzt schon auseinander zu setzen, weiter keine Einrede that.
Es wäre überflüssig, die Unterredung der beiden Herren zu wiederholen, selbst wenn es mir, was doch nicht der Fall ist, möglich wäre, da sie, wie ich höre, sich gänzlich auf einen gegenseitigen Austausch ihrer Ansichten über Pferderennen beschränkte. Joseph hatte sich bald in einen recht anständigen Anzug geworfen, bestehend aus einem blauen Ueberrock und Beinkleidern von derselben Farbe mit einer goldgewirkten Naht, und einer eben so bordirten rothen Weste; und da diese Kleidungsstücke, die für den Squire etwas zu weit gerathen waren, ihm genau paßten, so standen sie ihm so gut, daß kein Mensch gezweifelt haben wurde, sie wären so wohl für seinen Stand als für seinen Körper berechnet gewesen. Gewiß, es würde hier Niemanden, wie bei Lord A – oder Sir B – oder Herrn C –, wenn sie in gold gewirkten Stoffen und Seide erscheinen, der Verdacht in den Sinn gekommen sein, der Schneiderbursche trage die Kleider am eigenen Leibe, die er eigentlich unterm Arm hätte tragen sollen, um sie einem Kunden zu überbringen.
Der Squire empfahl sich jetzt dem Friedensrichter, und indem er Fanny rief, nöthigte er sie und Joseph, trotz ihres Sträubens, mit ihm in den Wagen steigen, und gab Befehl, sogleich zur Lady Borby zurückzufahren. Kaum hatten sie eine kleine Strecke zurückgelegt, als der Squire Joseph fragte, ob er den Mann kenne, der dort über das Feld gehe; denn, setzte er hinzu, »so habe ich noch im Leben keinen Menschen zuschreiten sehen.« – Joseph erwiederte sogleich: »O Sir, das ist der Pfarrer Adams.« – »Ja, ja, er ist's,« sagte Fanny, »der gute Herr, er ist gewiß gekommen, um uns nach seinen besten Kräften zu helfen. Hat man je einen so braven menschenfreundlichen Mann gesehen.« – »Ja,« sagte Joseph, »Gott segne ihn, seines Gleichen giebt's in der ganzen Welt nicht.« – »Gewiß und wahrhaftig,« fiel Fanny ein, »der beste Mann auf Erden!« – »Ist er das?« rief der Squire, »nun dann muß ich den besten Mann auf Erden in meinem Wagen haben,« und sogleich ließ er halten, indeß Joseph auf seine Bitte aus allen Kräften dem Pfarrer zurief, der die Stimme zu gut kannte, um nicht so schnell als möglich herbeizueilen. Der Squire, der beim Anblick einer solchen Figur kaum ein Lächeln unterdrücken konnte, bat Herrn Adams in den Wagen zu steigen, doch dieser lehnte es mit vielen Danksagungen ab, indem er sagte, er könne an der Seite des Wagens gehen, und werde schon gleichen Schritt mit den Pferden halten; endlich aber gab er doch den dringenden Aufforderungen nach. Joseph wurde jetzt durch den Squire von dessen Vermählung in Kenntniß gesetzt, doch letzterer hätte sich diese Mittheilung ersparen können, da sein Bedienter während des Ankleidens Jenen schon von allem unterrichtet hatte. Der Squire betheuerte, wie glücklich ihn die Verbindung mit Josephs Schwester mache, und welche Achtung er zu allen ihren Angehörigen hege. Joseph bezeugte seinen Dank durch viele Verbeugungen, zwischen denen er einige Höflichkeitsformeln stammelte; Pfarrer Adams aber, der erst jetzt Josephs neuen Anzug bemerkte, brach in Freudenthränen aus, und begann sich die Hände zu reiben und mit den Fingern zu schnippen, als sei er von Sinnen. Nun waren sie in Borbyhall angekommen, wo der Squire, der seine Begleiter bat, einen Augenblick im Hof zu verweilen, hierauf zu seiner Tante ging, sie allein herausrufen ließ, und ihr Josephs Ankunft mit den Worten meldete: »Da mir ein tugendhaftes und treffliches Weib zu Theil geworden ist, so bin ich entschlossen, ihre Verwandten anzuerkennen, und ihnen alle gebührende Achtung zu bezeigen; ich werde daher jedem der Meinigen, der dasselbe thut, dafür den größten Dank wissen. Zwar ist Pamelens Bruder Ihr Bedienter gewesen, liebe Tante, jetzt ist er aber mein Schwager geworden, und es freut mich sehr, daß weder sein Charakter, noch seine Aufführung, noch sein Benehmen, mir irgend Ursache geben, mich seiner zu schämen. Er ist jetzt unten, wie ein anständiger Mann gekleidet, in welcher Qualität ich ihn fernerhin zu behaupten und anerkannt zu sehen wünsche, und Sie würden mich ungemein verpflichten, wenn Sie ihn zu unserer Gesellschaft hier zuließen, denn ich weiß, es wird meiner Frau sehr angenehm sein, wenn sie auch ihren Wunsch nicht äußern sollte.« – Dies war ein Streich von Seiten Fortunens, der über alle Hoffnungen oder Erwartungen der Lady Borby hinaus ging. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, antwortete sie: »Liebster Neffe, Sie wissen, wie leicht ich zu allem zu bewegen bin, was Joseph Andrews wünscht – wie komme ich doch darauf? – ich meine, was Sie wünschen, und da er jetzt Ihr Verwandter ist, wie könnte ich mich weigern, ihn als einen solchen aufzunehmen?« – Der Squire sagte, er fühle, welchen Anspruch auf seine Dankbarkeit sie durch dies gefällige Bezeigen sich erwerbe; ging dann auf die Thüre zu, kehrte aber wieder um, und sagte, er habe sie noch um eine Gunst zu bitten, an deren Gewährung er nicht zweifle, da sie ihm schon die erste zugesagt. – »Unten ist auch ein junges Mädchen« – begann er. – »Neffe,« unterbrach ihn die Lady, »lassen Sie sich durch meine Gutmüthigkeit nicht, wie nur zu häufig geschieht, zu übertriebenen Anforderungen verleiten, und glauben Sie nicht etwa, weil ich Ihrem Schwager so bereitwillig erlaubt habe, an meiner Tafel Platz zu nehmen, ich werde mir die Gesellschaft meines sämmtlichen Gesindes, oder gar eines so schmutzigen Geschöpfs, wie jenes ist, gefallen lassen.« – »Liebe Tante,« antwortete der Squire, »Sie können wohl dieses junge Mädchen nie gesehen haben. Nie sah' ich so viel Lieblichkeit und Unschuld mit so seltener Schönheit und mit einem so bescheidenen einnehmenden Wesen vereinigt.« – »Ich wiederhole es, ich will nichts von ihr wissen,« versetzte die Lady entrüstet; »die ganze Welt soll mich nicht dazu bringen; schon der Wunsch gilt in meinen Augen für Beleidigung, und –« Der Squire, der ihre Unbeugsamkeit kannte, unterbrach sie, indem er um Verzeihung bat, und ihr versprach, der Sache nicht wieder zu erwähnen. Hierauf kehrte er zu Joseph und seine Tante zu Pamela zurück. Er zog Joseph bei Seite und sagte ihm, er wolle ihn hinauf zu seiner Schwester führen; was Fanny betreffe, so habe er seine Tante nicht bewegen können, diese ebenfalls in ihre Gesellschaft zu ziehen. Joseph bat, ihn seine Schwester allein sprechen und dann zu seiner Fanny zurückkehren zu lassen; davon wollte aber der Squire, da er wußte, wie angenehm seiner Frau die Gesellschaft ihres Bruders sein würde, nichts hören, und er erwiederte Jenem, er könne sich ja wohl eine so kurze Abwesenheit von Fanny, für deren Sicherheit er jetzt unbesorgt sein dürfe, gefallen lassen, wobei er noch hinzufügte, er hoffe, daß er nicht so leichten Herzens von einer Schwester scheiden werde, die er so lange nicht gesehen habe, und die ihn so zärtlich liebe. – Jetzt ließ sich Joseph nicht länger zureden; denn kein Bruder konnte seine Schwester mehr lieben, und indem er Fanny, die sehr froh war, des Erscheinens vor der Lady Borby überhoben zu sein, der Fürsorge des Herrn Adams empfohlen hatte, begleitete er den Squire die Treppen hinauf, während Fanny sich mit dem Pfarrer in dessen Haus begab, wo sie sich einer freundlichen Aufnahme überzeugt hielt.