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Achtes Kapitel.

Eine Unterredung zwischen Herrn Adams, Mistreß Adams, Joseph und Fanny; so wie verschiedene Aeußerungen des erstern, welche einige wenige unserer Leser sehr gemein, abgeschmackt und unnatürlich nennen werden.


Der Pfarrer und seine Frau hatten eben, als die Liebenden das Haus erreichten, einen langen Streit beendigt. Die Wahrheit zu gestehen, das junge Pärchen selbst war der Gegenstand desselben gewesen, denn Mistreß Adams war eine von den klugen Personen, die nie etwas thun, das zum Nachtheil ihrer Familie sein könnte, oder vielleicht eine jener guten Mütter, die ihren Kindern zu Liebe ihrem Gewissen das Aeußerste zumuthen. Schon seit lange nährte sie die Hoffnung, ihre älteste Tochter als Nachfolgerin der Mistreß Slipslop, und ihren zweiten Sohn durch der Lady Borby Einfluß bei der Accise angestellt zu sehen. Unerträglich war ihr der Gedanke, diese Erwartungen aufgeben zu sollen, und sehr viele Sorge machte ihr daher ihres Mannes fester Entschluß, sich den Absichten der Lady in Beziehung auf Fanny zu wiedersetzen. Sie sagte ihm, es sei die Pflicht eines Mannes und Vaters, zuerst das Glück der Seinigen zu bedenken; er habe eine Frau und sechs Kinder, deren Erhaltung und Versorgung ihn hinlänglich beschäftigen könne, so daß er anderer Leute Angelegenheiten auf sich beruhen lassen möge; er habe jederzeit den Gehorsam gegen Höhere gepredigt, und es gezieme sich nicht, daß er selbst in seinem eigenen Benehmen ein Beispiel vom Gegentheil gebe; handle Lady Borby unrecht, so habe sie es selbst zu verantworten, und die Sünde würde ihnen nicht angerechnet werden; Fanny habe lange dort gedient, und sei in der Lady Hause aufgewachsen, folglich der Lady gewiß besser bekannt als ihnen, und es sei sehr unwahrscheinlich, wenn das Mädchen sich gut aufgeführt hätte, daß die Dame so heftig gegen sie aufgebracht sein solle; übrigens möge er auch vielleicht mehr als zu geneigt sein, nur Gutes von Fanny zu denken, weil sie schön sei, aber schöne Frauenzimmer seien nicht immer die tugendhaftesten; Gott habe häßliche eben so gut geschaffen, und wo Tugend vorhanden, da habe es weiter nichts zu sagen, ob Schönheit dabei sei oder nicht; aller dieser Gründe wegen schloß sie, solle er der Lady ihren Willen thun, und die fernere Verkündung des Aufgebots einstellen. Diese vortrefflichen Argumente verfehlten jedoch ihre Wirkung auf den Pfarrer, der darauf bestand, seine Pflicht, ohne Rücksicht auf die Folgen, die für seinen weltlichen Vortheil daraus sich ergeben könnten, zu erfüllen. Er suchte daher sie nach besten Kräften zu widerlegen, worauf sie eben ihre Erwiederung beendigt hatte (denn sie behielt immer und überall des letzten Wort, außer in der Kirche), als Joseph und Fanny in die Küche traten, wo der Pfarrer und seine Frau vor einem Gericht Kohl und Speck beim Frühstück saßen. Es lag eine Kälte in dem sonst höflichen Benehmen der Mistreß Adams, die einem scharfen Beobachter gewiß nicht entgangen wäre, von den eintretenden Gästen aber um so weniger bemerkt wurde, als des Pfarrers Herzlichkeit sie weniger auffallen ließ; denn er hörte kaum, Fanny habe diesen ganzen Morgen noch nichts gegessen und getrunken, so überreichte er ihr einen Schinkenknochen, woran er eben selbst genagt hatte, als das einzige Ueberbleibsel seines Mahls; dann eilte er zum Fasse, und zapfte einen Krug Halbbier ab, das er Ale nannte; übrigens war es das beste Getränk, das er in seinem Hause hatte. Joseph wendete sich an Herrn Adams, berichtete ihm von dem zwischen Herrn Borby, seiner Schwester und ihm in Beziehung auf Fanny stattgehabten Gespräch, so wie auch von den Gefahren, aus denen er letztere gerettet hatte, und sprach noch einige Besorgnisse aus, die er um ihretwillen hegte. Er erklärte schließlich, er werde keinen ruhigen Augenblick haben, bis Fanny ganz die Seinige sei, und er bitte daher, um eine Dispensation einkommen zu dürfen, wozu er das nöthige Geld leicht geborgt zu erhalten hoffe. Der Pfarrer antwortete, über die Dispensation habe er bereits seine Meinung geäußert, und binnen wenig Tagen werde sie überdem unnöthig sein. »Joseph,« fuhr er fort, »ich wünsche, daß diese Eile weniger aus Ihrer Furcht als aus Ihrer Ungeduld entspringen möge; doch da eine dieser beiden Ursachen ihr ohne Zweifel zum Grunde liegt, so will ich beide untersuchen. Jede von ihnen soll daher an die Reihe kommen; und erstens, was die erste betrifft, nämlich die Ungeduld, so muß ich Ihnen sagen, daß, wenn Sie bei Ihrer beabsichtigten Eheverbindung mit diesem jungen Mädchen nichts anders im Sinne haben, als die Befriedigung Ihrer fleischlichen Lüste, Sie sich einer schweren Sünde schuldig machen. Das Sakrament der Ehe wurde zu edleren Zwecken eingesetzt, wie Sie aus dem Ihnen in kurzem vorzulesenden Trauungsformular entnehmen werden, wenn ich nicht gar (und führen Sie sich hübsch ordentlich auf, so dürfte das wohl geschehen) eine Predigt gratis hinzufüge, worin ich ausführlicher nachweise, wie wenig bei solchen Gelegenheiten das Fleischliche in Betracht zu ziehen ist. Der Text wird sein: Matthäus der fünfte und ein Theil des achtundzwanzigsten Verses: »Welcher ein Weib ansieht, und spüret Lust zu ihr in seinem Herzen u. s. w.« Fürwahr, allerlei solche viehische Lüste und Neigungen müssen größtentheils unterjocht, wo nicht gänzlich ausgerottet werden, ehe man sagen kann, das Gefäß sei der Ehre geweiht. In Absicht der Befriedigung fleischlicher Neigung heirathen, heißt die heilige Trauungsceremonie entweihen, und muß Jedem, der so leichtsinnig vor den Altar tritt, Fluch zuwege bringen. Entsteht daher Ihre Eile aus Ungeduld, so haben Sie dieser nicht nachzugeben, sondern vielmehr ihr zu steuern und zu wehren. Was nun den zweiten Punkt betrifft, den ich abhandeln wollte, nämlich die Furcht, so läßt diese auf ein höchst sündiges Mißtrauen gegen jene Macht schließen, auf die allein wir unsere Zuversicht setzen sollten, da wir sehen, daß sie nicht nur die Anschläge unserer Feinde zu vereiteln, sondern sogar die Herzen derselben uns zuzuwenden vermag. Statt daher irgend unzurechtfertigende oder verzweifelte Mittel zur Befreiung von dieser Furcht zu ergreifen, sollten wir in solchen Fällen zum Gebet unsere Zuflucht nehmen, da wir sodann sicher sein können, zu erlangen, was für uns das Beste ist. Droht uns ein Unglück, so dürfen wir nicht verzweifeln, bricht es über uns herein, uns nicht grämen; sondern wir müssen in allen Dingen uns dem Willen der Vorsehung unterwerfen, und unsere Neigungen dem Irdischen nicht so sehr zuwenden, daß wir ohne Widerstreben davon zu scheiden unfähig werden. Sie sind noch ein junger Mann, und können nur wenig von dieser Welt wissen; ich bin älter und habe schon vieles erlebt. Alle Leidenschaften sind in ihrem Uebermaß sündhaft; ja selbst die Liebe, wenn sie unserer Pflicht nicht untergeordnet wird, kann uns gegen diese verblenden. Hätte Abraham seinen Sohn Isaak so geliebt, daß er sich des verlangten Opfers geweigert, welcher von uns würde ihn dann nicht tadeln? Joseph, ich kenne Ihre vielen guten Eigenschaften, und schätze Sie deßhalb; da ich aber für Ihre Seele, die meiner Sorge anvertraut ist, dereinst Rechenschaft zu geben habe, so kann ich Ihre Fehler nicht ungerügt hingehen lassen. Sie sind gar zu leidenschaftlich, und haben Ihre Neigung so ausschließlich diesem jungen Mädchen zugewendet, daß ich fürchte, wenn Gott sie von ihren Händen forderte, Sie widerstrebend sich von ihr trennen würden. Nun aber glauben Sie mir, kein guter Christ darf sein Herz an irgend ein zeitliches Gut so hängen, daß er selbigem nicht, sobald der göttliche Wille auf irgend eine Weise es von ihm nehmen will oder wirklich nimmt, friedlich, ruhig, ja selbst mit Freudigkeit entsagen könne.« – Bei diesen Worten trat Jemand hastig ein, und sagte Herrn Adams, sein jüngster Sohn sei ertrunken. Einen Augenblick stand er betäubt und schweigend da; dann stampfte er mit Ungestüm auf den Boden, lief verzweiflungsvoll im Zimmer umher, und beweinte seinen Verlust im bittersten Schmerz. Joseph, der die innigste Theilnahme fühlte, versuchte dem Pfarrer Trost zuzusprechen, wobei er viele Argumente anbrachte, deren er sich aus dessen eigenen sowohl öffentlichen als Privatäußerungen erinnerte (denn Herr Adams war ein großer Feind der Leidenschaften, und empfahl nichts mehr, als die Besiegung derselben durch Vernunft und Glauben). Doch er fand ihn jetzt nicht geneigt, auf derartige Vorstellungen zu hören. – »Lieber Sohn,« sagte der Pfarrer, »verlangen Sie nur keine Unmöglichkeiten. Wäre es ein anderes meiner Kinder gewesen, ich hätte mich mit Geduld darin ergeben können; aber mein kleiner Liebling, der Trost und die Wonne meiner alten Tage. – Bei seinem Eintritt ins Leben muß ich ihn mir schon wieder entrissen sehen. Es war der lieblichste, gutartigste Knabe, der mich nie mit einer Mine kränkte. Erst heute Morgen gab ich ihm seine erste Lektion in Quae genus. Dies war das erste Buch, in welchem er lernte; armes Kind, Du brauchst nun keins mehr. Er wäre einer der größten Gelehrten, eine Zierde der Kirche geworden – solche Talente, so viel Herzensgüte sah man noch in keinem Kinde vereinigt.« – »Und so viel Schönheit dazu,« sagte Mistreß Adams, die eben in Fanny's Armen aus einer Ohnmacht wieder zu sich kam. – »Mein armer Jacky, soll ich Dich denn nimmer wiedersehen?« schluchzte der Pfarrer. – »O gewißlich,« sprach Joseph, »und an einem bessern Orte; dort werden Sie ihn wiederfinden, um sich nie mehr von ihm zu trennen.« –

Ich glaube, der Pfarrer hörte diese Worte nicht, denn er beachtete sie wenig, sondern jammerte fort, während die Thränen ihm die Wangen hinabrollten. Endlich schrie er: »Wo ist mein kleiner Liebling?« und wollte zum Hause hinaus, als zu seiner unbeschreiblichen Verwunderung und Freude, die der Leser hoffentlich mitfühlt, sein Söhnchen zwar wirklich vom Wasser triefend, aber gesund und frisch ihm entgegensprang. Der Unglücksbote war nämlich, nach der Weise mancher Menschen, welcher, wie ich fürchte, kein sehr guter Trieb zum Grunde liegt, ein wenig zu eilig gewesen, und da er gesehen hatte, wie der Knabe in den Fluß fiel, statt Hülfe zu leisten, sogleich zu dem Vater gelaufen, um diesem ein Unglück zu berichten, das ihm selbst unvermeidlich scheinen mochte, vor welchem aber derselbe arme Hausirer, der früher den Pfarrer aus einer kleinen Noth erlöst hatte, nun auch das Söhnchen desselben rettete. Der Jubel des Herrn Adams war jetzt so ausschweifend, als es zuvor sein Schmerz gewesen war; tausendmal küßte und herzte er den Knaben, und sprang wie wahnsinnig im Zimmer umher, als er aber vollends das Gesicht seines alten Freundes, des Hausirers, erkannte und vernahm, welchen neuen Dank er ihm schuldig sei, welches waren da seine Gefühle? Nicht jene, die zwei Hofleute in ihren Umarmungen empfinden, noch die, mit denen ein reicher Mann die nichtswürdigen, verrätherischen Werkzeuge seiner bösartigen Anschläge empfängt; noch jene, mit denen ein armer jüngerer Bruder seinem ältern zur Geburt eines Stammerben Glück wünscht, oder irgend Jemand seinem Nebenbuhler zu dem Besitz einer Geliebten, einer Stelle, einer Würde – mein Leser, er empfand das Aufwallen, das Ueberfließen eines redlichen, biedern offenen Herzens gegen Den, dem er sein höchstes, ja ein solches Glück verdankte, von welchem Dir einen Begriff zu machen ich mich nicht vergebens bemühen will, wenn Du selbst es nicht vermögen solltest. Sobald dieser Tumult sich gelegt hatte, zog der Pfarrer Joseph wieder bei Seite, und fuhr also fort: »Nein, Joseph, hüten Sie sich, Ihren Leidenschaften zu viel Gewalt einzuräumen, wenn Ihnen an Ihrer Seeligkeit gelegen ist.« – Die Geduld Josephs konnte nicht länger ertragen, was vielleicht selbst Hiobs Geduld ermüdet haben würde; er unterbrach daher den Pfarrer mit den Worten: »Es ist leichter Rath zu ertheilen, als ihn zu befolgen; auch habe ich eben nicht bemerkt, daß Sie sich, als Sie fürchteten, Ihren Sohn verloren zu haben, oder als Sie ihn gerettet wieder fanden, in Ihrem Schmerz oder Ihrer Freude so sehr mäßigen konnten. – »Junger Mann,« versetzte Adams, indem er die Stimme erhob, »es ziemet keinem Milchbart graue Haare zu hofmeistern. Was wissen Sie von der Zärtlichkeit natürlicher Liebe; erst wenn Sie selbst Vater sind, werden Sie erfahren, wie ein Vater fühlt. Kein Mensch ist zu Unmöglichkeiten verpflichtet; und der Verlust eines Kindes ist eine jener schweren Prüfungen, in denen unser Schmerz wohl die strenge Grenzlinie der Mäßigung überschreiten darf.« – »Aber, Sir,« rief Joseph, »wenn ich nun mein Mädchen so zärtlich liebe, wie Sie ihr Kind, dann muß mich doch wohl ihr Verlust auch eben so schmerzen.« – »Ja, aber solch' eine Liebe ist Thorheit, an sich selbst Unrecht, und sollte unterjocht werden, antwortete Adams, »sie schmeckt zu sehr nach dem Fleische.« – »Fürwahr, Sir,« sprach Joseph, »sein Weib zu lieben, ja über alle Maßen zu lieben, das kann doch keine Sünde sein!« – »Allerdings ist es sündlich,« entgegnete Adams, »Jeder muß sein Weib lieben; so ist es geboten; aber dies darf nur mit Mäßigung und Einschränkung geschehen.« – »Dann fürchte ich,« sagte Joseph, »trotz alles meines Widerstrebens eine Sünde auf mich zu laden, denn ich weiß gewiß, daß ich ohne Maß und Einschränkung lieben werde.« – »Das sind alberne und kindische Redensarten,« rief Adams. – »Nun fürwahr,« fiel hier Mistreß Adams ein, die den letzten Theil des Gesprächs mit angehört hatte – »Du sprichst noch alberner. Ich hoffe, mein Schatz, Du wirst nie eine Lehre der Art verkünden, als könnten die Männer ihre Frauen zu sehr lieben. Wüßte ich, daß Du eine solche Predigt im Hause hättest, sie müßte mir noch heut ins Feuer; ja, das schwöre ich, wäre ich nicht überzeugt gewesen, daß Du mich so sehr als Du nur gekonnt, geliebt hättest, gehaßt und verachtet hätte ich Dich! Ei seht doch! das wäre mir eine schöne Lehre! Eine Frau hat das Recht, darauf zu bestehen, daß ihr Mann sie nach seinen besten Kräften liebt, und wenn er's nicht thut, ist er ein elender Sünder. Verspricht er nicht, sie zu lieben und ihr beizustehen und was dergleichen mehr ist? O, das weiß ich noch so gut, als wär's mir gestern erst vorgelesen worden, und ich werde es nie vergessen. Warum solltest Du überdies anders predigen, als Du selbst handelst? denn Du bist mir immer ein liebender zärtlicher Gatte gewesen, das kann ich nicht anders sagen; und wozu Du dem jungen Mann da so albernes Zeug in den Kopf setzen willst, sehe ich nicht ein. Hören Sie nicht auf ihn, Herr Joseph; werden Sie ein so guter Ehemann als es Ihnen nur immer möglich ist, und lieben Sie Ihre Frau mit Leib und Seele.« – Hier machte ein heftiges Klopfen an der Thür ihrem Gespräch ein Ende, und veranlaßte einen Auftritt, über den der Leser das Nähere in dem folgenden Kapitel erfahren wird.


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