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Elftes Kapitel.

Wie Pfarrer Adams seinen Freund im Unglück ermahnt, dem Leser zur Lehre und Besserung.


Als Joseph, wieder zur Besinnung gekommen, seine Geliebte vermißte, beklagte er ihren Verlust so bitterlich, daß er jedes Herz hätte erweichen müssen, es wäre denn, wie bei gewissen Menschen, von einer an Härte und andern Eigenschaften den Feuersteinen ähnlichen Komposition gewesen, denn aus solchen Herzen lassen sich zwar Funken schlagen, die durch die Augen sprühen, aber sie vermögen nie aus denselben Augen auch nur einen einzigen Tropfen Wasser zu locken. Sein eigenes, des armen Joseph Herz, war von weicherer Natur, und bei den Worten: »O meine Fanny! O meine Geliebte! soll ich nie, nie Dich wiedersehen?« flossen seine Augen von Thränen über, deren sich außer einem Helden kein Mensch hätte schämen dürfen. Mit einem Wort, seine Verzweiflung läßt sich leichter denken als beschreiben.

Herr Adams begann, den Rücken gegen Joseph gewandt, nach vielem Stöhnen in betrübtem Ton also: »Glauben Sie nicht, mein guter Joseph, daß ich diese ersten Aufwallungen Ihres Grams durchaus tadele; denn überrascht uns das Unglück, so gehört viel mehr Gelehrsamkeit, als Ihnen zu Theil wurde, dazu, selbigem mit Erfolg Widerstand zu leisten; aber dem Manne sowohl als dem Christen ziemt es, die Vernunft so schnell als möglich zu Hülfe zu rufen, und sogleich wird sie ihn dann Geduld und Unterwerfung lehren. Getrost also, mein Sohn, getrost, sage ich! Wahr ist's, Sie haben das lieblichste, holdeste, schönste, sanfteste Mädchen auf der Welt verloren, ein Mädchen, an dessen Seite Sie ein höchst glückliches, unschuldiges, tugendhaftes Leben zu führen hoffen, von der Sie sich viele kleine Lieblinge versprechen konnten, welche die Freude Ihrer Jugend und der Trost Ihres Alters gewesen sein würden. Dies Mädchen haben Sie nun nicht allein verloren, sondern auch Grund zu fürchten, daß ihr die äußerste Gewaltthat widerfahre, welche Macht und Wollust über sie verhängen können. Das möchte denn allerdings entsetzliche Gedanken in Ihnen erregen, die Sie wohl zur Verzweiflung bringen könnten.« – »O ich werde wahnsinnig,« schrie Joseph. »Hätte ich nur die Hände frei, daß ich mir die Augen ausreißen, daß ich in meinem eigenen Fleisch wüthen könnte!« – »Wenn Sie Ihre Hände zu solchen Zwecken sich bedienen wollen,« antwortete Adams, »so freut es mich, daß sie Ihnen gebunden sind. Ich habe Ihr Unglück in so helles Licht gestellt, als möglich; auf der andern Seite müssen Sie aber bedenken, daß Sie ein Christ sind, daß ohne den Willen der göttlichen Vorsehung kein Haar auf unserm Haupte gekrümmt wird, daß es endlich eines Mannes und eines Christen Pflicht ist, uns diesem höheren Willen zu unterwerfen. Wir haben uns nicht selbst geschaffen, dieselbe Macht, die uns schuf, waltet über uns, gebietet über uns unumschränkt; was sie auch über uns verhängen möge, wir haben kein Recht, uns zu beklagen. Ein zweiter Grund gegen dieses Unterfangen ist unsere Unwissenheit; denn da wir nicht in die Zukunft blicken können, so vermögen wir auch nicht vorher zu sehen, zu welchem Zwecke irgend ein Ereigniß dient, und was uns anfangs mit Gefahr droht, mag sich am Ende zu unserm wahren Besten erweisen. Eigentlich hätte ich sagen sollen, unsere Unwissenheit sei zwiefach (ich habe aber gegenwärtig nicht Zeit, gehörig einzutheilen); denn so wenig wir einsehen, welchen letzten Zweck jedes Ereigniß hat, so wenig können wir auch angeben, welcher Ursache es ursprünglich angehört. Sie sind ein Mensch und folglich ein Sünder, und was Ihnen jetzt widerfährt, ist vielleicht eine Strafe der Sünde, in welchem Sinn es dann nicht allein etwas Gutes überhaupt, sondern noch dazu das größte Gut wäre, weil es des Himmels Zorn besänftigt, und jene Züchtigung ableitet, die nur unser gänzliches Verderben herbeiführen kann. Drittens geht aus dem Unvermögen, uns selbst zu helfen, hervor, wie albern und thöricht unsere Klagen sind; denn wem widersetzen wir uns, gegen wen klagen wir, wenn es nicht jene Macht ist, gegen deren Geschoß keine Rüstung uns schützen, vor der keine Flucht uns retten kann, eine Macht, die uns keine andere Hoffnung läßt, als in der Unterwerfung.« – »O Sir,« rief Joseph, »alles das ist sehr wahr und sehr schön, und ich könnte Ihnen Tage lang zuhören, wenn ich nur nicht so tief bekümmert im Herzen wäre, wie ich es jetzt bin.« – »Würden Sie wohl Arznei einnehmen,« fragte Adams, »wenn Sie gesund sind, in der Krankheit dagegen sie zurückweisen? Der Trost ist für den Betrübten bestimmt, aber nicht für den Fröhlichen und Zufriedenen.« – »O, Sie haben mir bis jetzt noch nicht ein einziges Wort des Trostes gesagt,« versetzte Joseph. – »Nicht?« rief Adams, »ei, was thue ich denn sonst? Wie kann ich Sie auf andere Weise trösten?« – »O sagen Sie mir,« entgegnete Joseph, »daß Fanny in meine Arme zurückkehren wird, daß ich das holde Geschöpf in aller ihrer Lieblichkeit und unbefleckten Unschuld wieder mein nennen werde.« – »Nun, vielleicht geschieht das,« sprach Adams, »aber wie kann ich für die Zukunft bürgen? Sie müssen in vollkommener Ergebung das Ende abwarten; wird Fanny wieder ganz die Ihrige, so ist Dankbarkeit Ihre Pflicht, aber eben so, wenn es nicht geschehen sollte. Joseph, sind Sie vernünftig, und kennen Sie Ihren eigenen Vortheil, so werden Sie sich gelassen und geduldig allen Segnungen der Vorsehung unterwerfen, in der festen Zuversicht, daß alles Unglück, so groß es auch sein möge, welches dem Tugendhaften widerfährt, ihm zum Besten gereicht. Doch nicht allein Ihr Vortheil, nein, auch Ihre Pflicht ist es, sich einer übermäßigen Betrübniß zu enthalten; denn dieser sich hingeben, heißt des Namens eines Christen sich unwürdig machen.« – Er sprach diese letztem Worte in einem etwas strengeren Ton als gewöhnlich; worauf Joseph ihn bat, ihm nur nicht zu zürnen, denn er verkenne ihn, wenn er glaube, daß er, was ihm empfohlen worden, nicht für seine Pflicht halte; er habe dies im Gegentheil längst gewußt. – »Was hilft's, daß Sie Ihre Pflicht kennen,« antwortete Adams, »wenn Sie nicht danach handeln? Ihre Erkenntniß vergrößert nur Ihre Schuld. O Joseph, für so verstockt hätte ich Sie nimmermehr gehalten.« – Joseph erwiederte, hier müsse ein Mißverständniß obwalten, »denn darin,« fügte er hinzu, »sind Sie ganz auf unrechtem Wege, wenn Sie glauben, ich nehme mir ordentlich vor, mich zu härmen; bei meiner Seele, das thue ich nicht!« – Adams machte ihm Vorwürfe wegen seines Schwörens, und ließ sich dann noch ausführlicher über die Thorheit des Grämens und Härmens aus; er sagte, alle weise Männer und Philosophen, selbst unter den Heiden, hätten dagegen geschrieben, führte mehrere Stellen aus dem Seneka, und die consolatio an, welche, seinem Ausspruche nach, wenn auch fälschlich dem Cicero beigelegt, fast so gut sei, als sonst eins von dessen Werken, und schloß mit einem Winke, daß ungebührliches Klagen und Jammern im gegenwärtigen Falle jene Macht erzürnen dürfte, die allein Joseph seine Fanny wieder zuführen könne. Dieses Argument, oder vielmehr die dadurch erweckte Vorstellung von der Wiedervereinigung mit seiner Geliebten wirkte mächtiger auf ihn als Alles, was der Pfarrer zuvor gesagt hatte, und milderte auf einen Augenblick seinen bittern Schmerz; als aber seine Besorgnisse zurückkehrten, und ihm die Phantasie die Gefahr ganz ausmalte, worin die Aermste schwebte, überließ er sich seiner Verzweiflung abermals mit solcher Heftigkeit, daß Adams nicht das mindeste dagegen vermochte, wenn wir auch schon zu des Letztern Ehre zweifeln können, ob es dem Sokrates selbst besser als ihm gelungen sein möchte.

Einige Zeit verstummten sie, und seufzten und stöhnten nur um die Wette, bis endlich Joseph in folgenden Monolog ausbrach:

»Ja männlich will ich meinen Kummer tragen,
Doch muß ich ihn auch fühlen als ein Mann.
Gedenken muß ich, daß so etwas war
So werth mir über Alles.« –

Adams fragte ihn, was das für Zeug sei? worauf die Antwort von Seiten Josephs erfolgte: Es seien einige Verse aus einem Schauspiel, die er auswendig behalten habe. – »Ei, aus Schauspielen ist nichts als Heidenthum zu lernen,« eiferte Adams. »In meinem Leben habe ich von keinen Schauspielen gehört, die sich für einen Christen zu lesen geziemten, außer dem Cato und den ›treuen Liebenden,‹ in welchem letztern Stück, ich muß es gestehen, sich einige Stellen finden, die fast feierlich genug für eine Predigt sind.« – Doch wir wollen die Beiden hier ein wenig verlassen, um uns nach dem Gegenstand ihrer Unterredung umzusehen.


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