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Ein ungemütlicher Erdenwinkel. – Die zudringlichen Moskitos. – Mühsame Schiffahrt. – Wir erreichen die Baumgrenze. – Hungrige Tage. – Das gespensterhafte Elentier. – Am Ufer des Mackenzie. – Neue Gefahren. – Ankunft auf Fort Mac Pherson.
In der Hölle bin ich natürlich noch nie gewesen, dafür aber an Orten, die schon auf dieser Erde dem Begriff einer Hölle so nahe kommen wie irgend möglich. Ich bin in der salzigen Wüste Atakama gewesen, wo es nur einmal in jedem Schaltjahr regnet; ich habe mich in den höchsten Regionen der bolivianischen Anden aufgehalten, wo die grausame Bergkrankheit den Menschen alle Augenblicke zu ersticken droht; ich habe mich einmal im Roten Meer als Heizer betätigt, aber von allen diesen bösen Plätzen, an die mich im Laufe der Jahre ein wanderndes Geschick verschlagen hat, ist mir keiner in so böser Erinnerung geblieben wie das Delta des großen Mackenzie, von dem ich nunmehr erzählen will.
Weit ins Meer hinaus ist es der Mündung des gewaltigen Flusses vorgelagert in einer Breite von etwa sechzig englischen Meilen. Dieser ganze weite Komplex ist weder Wasser noch Land, sondern ein schier unentwirrbarer Irrgarten von Inseln, Sümpfen, Sandbänken und gewaltigen Schlammassen. Der festere Boden ist überwuchert von undurchdringlichen Weidenbüschen, und wo am Rande des Wassers ein schmaler Saumpfad zu sehen ist, da ist der Boden so weich, daß man ganz unbemerkt bis über die Ohren darin versinken kann. Fürwahr, des Teufels Paradies! Und an Teufeln ist kein Mangel! Milliarden und aber Milliarden von gierigen, kleinen Moskitoteufeln durchschwirren die dumpfe, muffige Atmosphäre. Als eine schwarze, summende, ruhelose Wolke schweben sie über dem stagnierenden Wasser der engen Kanäle, und wenn ein Mensch oder sonst ein lebendes Wesen sich blicken läßt, fallen die kleinen Peiniger über ihn her wie ein schwarzes Gespenst. Weithin ist dieses Mackenziedelta berüchtigt und wird deshalb von den Eingeborenen nur sehr selten besucht und dann nur zur Winterzeit, wenn die kleinen Teufel im Sumpf schlafen.
Anfangs, während wir von Shingle Point flußaufwärts segelten, machte die Gegend allerdings noch einen angenehmen Eindruck. Der Flußarm war breit, und eine frische Seebrise hielt das Wasser in lustiger Bewegung. Zwei- oder dreimal kamen wir auch an Zelten von Eskimos vorbei, die hier der Jagd oblagen. Neben jedem Zelt war ein Gerüst aus Treibholz zu sehen, an dem Tausende von Fischen zum Trocknen aufgehängt waren.
Bei günstiger Brise segelten wir während der Nacht flußaufwärts, bis wir gegen Morgen eine kleine Anhöhe erreichten, wo mehrere Nunatamafamilien ihre Iglus aufgeschlagen hatten. Dort machten wir Rast bis zum Abend. – Wie anders hier alles war als draußen an der Küste! Und wieviel schöner! Hier, wo die rauhen Winde nicht mehr so ungestüm das tolle Spiel ihrer Kräfte entfalten konnten, war die Natur schon viel weiter vorgeschritten.
Doch gegen Abend, als die Brise nachließ, wurde die Sache anders. Leise summend kamen einzelne Moskitos über das Wasser geflogen, und ehe ich mich's versah, waren es Tausende und aber Tausende. Man konnte sich ihrer kaum noch erwehren. Um vor ihrem Ansturm wenigstens einigermaßen geschützt zu sein, mußten wir das Lager mit Feuern umgeben, die beständig mit frischem Gras gefüttert wurden, um Rauchentwicklung hervorzubringen, denn Rauch ist das einzige Abwehrmittel, das diesen Quälgeistern einigermaßen imponiert.
Der nun folgende zweite Reisetag im Delta des Mackenzie wird bis an das Ende meiner Tage in meiner Erinnerung fortleben als ein Spießrutenlaufen in des Wortes verwegenster Bedeutung. Mit vermummten Gesichtern und Händen saßen wir im Boot und hörten dem unheimlichen Summen zu, das allmählich auch die stählernen Eskimonerven anzugreifen begann. Jeder hatte vor sich ein Blechgefäß mit einem Rest der glimmenden Kohlen des Lagerfeuers nebst einem Haufen von Gras und Moos, womit er die kleinen Quälgeister fernzuhalten versuchte. Dies gelang nur teilweise, denn sobald ein gelegentlicher Luftzug den Rauch zur Seite wehte, brach sofort eine ganze Wolke in die Bresche.
Da es vollkommen windstill war, konnte man die Segel nicht gebrauchen, aber Riemen und Paddels nahm man aus Bequemlichkeit nicht zur Hand. Wozu hatte man denn die Hunde und die Wahinis!! Mochten die sich für unser Vorwärtskommen abmühen! An einer langen Leine schleppten die Hunde vom Lande aus das Boot, und die Wahini mußte, wie bei den Schlittenreisen, vor den Hunden herlaufen, um ihnen den Weg zu zeigen. Das war keine leichte Arbeit. Bald waren die Ufer steil und unzugänglich, und die arme Wahini mußte durch tiefes Wasser waten, um sie zu umgehen, bald mußte sie durch undurchdringliches Weidengebüsch mühsam ihren Weg bahnen. Meist aber war es flacher, schlammiger Boden mit einer ganz dünnen Erdkruste, in der selbst die Hunde einbrachen. Und die Wahini hat es fertig gebracht, sich stundenlang über Wasser zu halten auf einem Terrain, in dem jeder andere im Schlamm versunken wäre. Die breiten, geflochtenen Schneeschuhe, die sie an den Füßen trug, waren zu großen Lehmklumpen geworden, aber unverdrossen wanderte sie weiter und balancierte das Gewicht des Körpers kunstvoll von einem Bein auf das andere.
Je weiter landeinwärts wir gelangten, desto enger wurde der Flußarm, desto träger floß das schlammige Wasser. Die Moskitos aber wurden womöglich noch zahlreicher und noch zudringlicher wie zuvor.
Gegen Morgen gelangten wir wieder zur Mündung eines Baches, dessen kristallklares Wasser direkt von den Bergen kam. An dieser Stelle hatte Roxy schon öfters gerastet und wußte viel Schönes zu erzählen von den köstlichen Fischen, die den Bach bevölkerten, und von den Hasen, die an seinen Ufern hausten.
Das war gerade der Lagerplatz, den wir suchten.
Aber ach, von Hasen war nirgendwo etwas zu sehen, und so oft wir auch das Fischnetz einholten – es blieb leer. Wir hielten also mit dem wenigen, was uns noch übrig geblieben war von Kapitän Amundsens Kaukau, eine karge Mahlzeit und setzten dann unsere Reise flußaufwärts fort, und zwar unter denselben widrigen Verhältnissen, nur noch etwas müder und hungriger und um eine Hoffnung ärmer als zuvor.
Glücklicherweise frischte am Abend der Wind etwas auf, so daß die Moskitos sich nicht mehr gar so lästig bemerkbar machten. In der Nacht setzte sogar eine ordentliche Brise ein, die wir mit dem Bootssegel nach Möglichkeit ausnutzten. Bei jeder der vielen Windungen des Flußarms trafen wir allerdings eine tote Ecke, wodurch viel Zeit verloren ging, aber trotzdem kamen wir ein gutes Stück vorwärts. Das war deutlich an der umgebenden Landschaft zu erkennen, die zusehends einen festeren Eindruck machte. Entlang der Ufer war fast überall an Stelle des durchlässigen Schlammes ein haltbarer Untergrund von festem Erdboden getreten, der mit dichtem Weidengestrüpp bestanden war.
Und noch ehe wir am nächsten Morgen unser Lager bezogen, trat ein anderes Ereignis ein, das uns aufs deutlichste zu Gemüte führte, daß wir uns allmählich wieder der zivilisierten oder wenigstens der lebendigen Welt zu nähern begannen. Ganz ohne vorherige Warnung ging plötzlich eine große Bewegung durch die Gesellschaft, und sie improvisierten eine Art Hula Hula, über dem das Boot beinahe zum Kentern kam. Sprachlos vor Erstaunen schaute ich dem Beginnen zu und fürchtete ernstlich für ihren Verstand. »Kannst du nicht sehen? Hast du keine Augen? Große Bäume!« fragte Roxy, indem er mich am Arm faßte.
Bäume! Es dauerte lange, ehe meine schlechten Kabeluna-Augen den Gegenstand der Freude entdeckt hatten, aber dann gab es keinen im ganzen Boot, der über den Anblick begeisterter gewesen wäre als ich. Ja, wahrhaftig! Es waren wirkliche Bäume, die sich dort am südlichen Horizont schwarz und gespensterhaft vom nächtlichen Himmel abhoben. Lang und dürr, wie Hopfenstangen, sahen sie aus, die jemand wahl- und ziellos zwischen die Büsche hineingesteckt hatte. Wilde, zerzauste Gesellen, eine Feldwache trotziger, kampfgewohnter Vorposten im Reiche der Pflanzen, über deren lange, dünne Reihe der rauhe Eismeerwind tagtäglich die Parade abhält. Nein, schön sahen sie nicht aus, aber es waren doch immerhin Bäume! Wie lange war es doch her, seit ich zum letztenmal einen Baum gesehen hatte? Drei und ein halbes Jahr!
Vergessen war alle Not, der Hunger, die Müdigkeit und beinahe selbst die Moskitos, denn dort drüben unter den Bäumen winkte das Schlaraffenland! Dort brauchte man nicht mehr mit dem Brennmaterial zu geizen und aus nassem Treibholz und zähen Weidenzweigen ein mühsames Feuer unterhalten. Erst gegen Mittag erreichten wir die Baumgrenze und schlugen unter dem Schatten eines knorrigen Fichtenbaumes, der von einer hohen Uferbank weithin ins Land ragte, unser Lager auf. Er war ein wilder, wetterzerzauster Geselle, dieser Fichtenbaum. Die Baumkrone fehlte vollständig, und nur an der dem Eismeer abgewandten Seite des Stammes waren kümmerliche Astansätze zu bemerken. Die dicken, silberglänzenden Moosbärte, die ihn bekleideten, gaben ihm ein altehrwürdiges, patriarchalisches Aussehen.
Unser Lagerplatz schien gut gewählt, denn das sandige Ufer war bedeckt mit Spuren von Großwild, die von dem Busch nach dem Wasser führten. Allenthalben waren Elentierspuren zu sehen, untermischt mit den Abdrücken der breiten, ungeschlachten Bärentatzen. Aber Roxy und Naipoktuna, die mit großen Hoffnungen in den Busch gezogen waren, kehrten zurück mit langen Gesichtern und der traurigen Kunde: »Kaukau pischak«. Offenbar hatte sich das Wild aus Furcht vor den Moskitos vom Wasser weg in den Busch zurückgezogen. Wie sehr die Tiere unter dieser Plage leiden mußten, das ließ sich deutlich aus den Spuren lesen, die wohl hundertmal ins Wasser führten und von dort wieder ans Land.
Während die anderen der Jagd oblagen, hatte ich es vorgezogen, im Lager zurückzubleiben. Dafür machte ich mich nützlich am Fischnetz, ein Geschäft, für das ich durch meine dreijährige Walfischfängerzeit besonders qualifiziert schien. Oh, welch wichtige, erwartungsvolle Augenblicke es waren, wenn ich das Netz einholte, um nach dem Fang zu sehen! Wie dann alle zitternd vor Erwartung umher standen und die triefenden Maschen des Netzes mit gierigen Augen verschlangen! Werden Fische darin sein? Werden wir ein Nachtessen bekommen oder werden wir wieder hungrig schlafen gehen müssen? Wohl zwanzig Mal wiederholte sich der Auftritt an diesem Tage, aber immer mit dem gleichen Erfolg – pischak! Da saßen wir nun in der Wildnis, eine Gesellschaft von fünf Köpfen und nicht so viel als ein einziger kleiner Fisch zwischen ihnen.
Ich will es mir und dem Leser ersparen, auf die Leiden der nun folgenden Hungertage im einzelnen einzugehen. Wurzeln und Renntiersehnen bildeten fortan unsere Hauptnahrung, und nur zuweilen sorgten eine einsame Schnee-Eule, eine Moschusratte oder ein gelegentlicher Fisch für etwas Abwechslung. Unsagbar traurig waren diese Tage. Zollweises Sterben! Beinahe mit mathematischer Sicherheit ließ sich der Zeitpunkt ausrechnen, bis zu welchem Mensch und Tier unter diesen Umständen überhaupt noch auszuhalten vermochten. Und dann – – ein Grauen überkam mich zuweilen, wenn ich daran dachte, was uns dann bevorstand; das traurigste Geschick, das den Wanderer überfallen kann: verhungern am Wege!
Eines Tages, nachdem wir etwa eine Woche lang in unserer mühseligen Weise immer flußaufwärts gereist waren, wurde jedoch unsere Geduld aufs glänzendste belohnt. Es gab wieder Fische! Nur zur Beruhigung des Gewissens hatten wir an jedem Lagerplatz das Netz ausgesetzt, denn an Fische wagten wir im Ernst nicht mehr zu glauben. Als ich aber an jenem Morgen nach alter Gewohnheit das Netz hereinholen wollte, da zerrte und riß es gewaltig an den Maschen. Doch nicht um ein Königreich hätte ich losgelassen, ehe das Netz mit der ganzen Beute – ein Dutzend stattlicher Weißfische – neben mir im Sande lag. Zur selben Zeit kamen auch Roxy und Naipoktuna jeder mit einem Bündel Moschusratten aus dem Busch zurück, und nun war alle Not vergessen. Selbst für die Hunde fiel einmal wieder eine Mahlzeit ab. Ein lustiges Freudenfeuer wurde entzündet, und jeder machte es sich darum bequem, in der einen Hand einen gekochten Fisch, in der anderen eine dampfende Moschusratte.
Das war der Lagerplatz, von dem wir schon lange geträumt hatten. Hier wollten wir uns am Rande des klaren Baches für die Leiden der vorangegangenen Hungertage schadlos halten. Vielleicht winkte sogar noch größere Beute. Das Ufer war nämlich bedeckt mit frischen Spuren, die auf die Anwesenheit von Großwild hindeuteten.
Es war etwa um Mitternacht. Ich war gerade dabei, nach dem Netze zu sehen, das etwa zehn Minuten von unserem Zelte entfernt ausgesetzt war, als ich vor mir im Sande deutliche Elentierspuren wahrnahm, von denen bei meiner letzten Anwesenheit noch nichts zu sehen war. Da überkam mich ein Gruseln: »Wenn jetzt ein Elentier käme« – Noch hatte ich den Gedanken nicht ausgedacht, als ich hinter mir ein gewaltiges Platschen und Schnauben vernahm. Nichts Gutes ahnend, drehte ich mich um und sah vor mir ein gewaltiges Elentier, das sich mühsam aus den Fluten heraufarbeitete. So also sah es aus! Nicht wie ein irdisches Wesen, sondern wie eines jener unheimlichen Gespenstertiere aus grauer Vorzeit erschien es mir in jenem Augenblick. Die langen, stelzenartigen Beine, der kistenartige Körper, der darauf ruhte, der unförmige Kopf mit dem semitischen Gesichtsausdruck und vor allem das gewaltige Geweih, dessen scharfe Kanten unheildrohend vom nächtlichen Himmel abstanden – das alles ließ nichts Gutes vermuten. Meine Lage war in der Tat äußerst gefährlich, denn ich hatte keinerlei Waffen bei mir.
Wie lange ich in dieser peinlichen Lage verharrt habe, weiß ich nicht; wahrscheinlich sind es bloß Sekunden gewesen, aber in meinen Gedanken verzerrten sie sich zu Ewigkeiten. Und während dieser für mich langen Zeit verwandte dieses Ungeheuer keinen Blick seiner stieren, blutunterlaufenen Augen. Möglich, daß in seinem dumpfen Gehirn etwas wie Respekt vor den Herren der Schöpfung oder Mitleid mit meiner hilflosen Persönlichkeit aufgekommen war. – Tatsache ist, daß es sich Schritt für Schritt rückwärts zu konzentrieren begann. Ich brauche wohl nicht erst zu erwähnen, daß mir bei jedem dieser Schritte ein Stein vom Herzen gefallen ist. Schon war es hart am Rande des Buschwaldes angelangt, als der dumpfe Knall aus Roxys schwerer Büchse die Stille der Wildnis durchdröhnte. Einen Augenblick stand das Tier wie angewurzelt; dann senkte es den Kopf zum wütenden Angriff, aber mitten im rasenden Lauf hielt es inne und warf den Kopf zurück mit einem gellenden, übernatürlichen Schrei, der in den Buschwäldern am jenseitigen Ufer ein schauriges Echo fand. Dann ging ein fröstelndes Zittern durch den Körper, und die gewaltige Masse sank leblos in sich zusammen.
Ich muß gestehen, daß dieses Elentier mich tüchtig in Schrecken versetzt hatte, und erst als seine Seele längst in den glücklichen Jagdgründen angelangt war und sein mächtiger Körper sich unter den Händen der Wahinis in zarte Beefsteaks und saftige Braten verwandelte, hatte ich den Schrecken wieder einigermaßen überwunden. Hier war endlich »Kaukau angenini«! Wer dachte jetzt noch an die hinter uns liegende lange Fastenzeit! Tag und Nacht wurde gebraten und geschmaust, wie nur Menschen schmausen können, die seit Wochen an Wurzeln und Renntiersehnen ihr Leben gefristet haben.
Wenige Tage später kamen wir aus dem Gewirr von Kanälen im Delta heraus, und vor uns breitete sich der Mackenzie in seiner ganzen, gewaltigen Größe. Es war ein erhabener Anblick. Wohl die wunderbarste Szenerie, die mir je vor Augen gekommen ist. So weit das Auge reichte, konnte man die gelben Fluten sehen, wie sie sich in eilendem Lauf zu Tal wälzten und sich brüllend an den hohen Uferbanken brachen. Ringsum nichts als die gelben, rauschenden Fluten und nur weit, weit in der Ferne, dicht unter dem Horizont, entlang der beiden Ufer die schwarze zackige Linie der Fichtenwälder, die sich scharf von dem düsteren Grau des Himmels abhob.
Nach drei Tagen etwa erreichten wir die Mündung des Peel River, dessen Lauf wir nun flußaufwärts folgen mußten, um nach Fort Mac Pherson zu gelangen. Sobald wir in die Mündung eingelaufen waren, war es mit der Brise vorbei, und die Reise mußte in der altgewohnten Weise mit Hunden, Wahini und Schleppleine fortgesetzt werden. Das war wieder eine harte Geduldsprobe, so nahe am Ziel. – Hier waren wenigstens die Ufer nicht mehr so schlammig wie drunten im Delta. Dafür aber waren sie bis hart ans Wasser mit dichtem Buschwerk bedeckt, in dem sich überall der Schrei der Schneeadler vernehmen ließ, der sich wie klägliches Kinderweinen anhörte. Manch einer, der über dem Fluß seine Kreise zog, ist in unseren Kochtopf gewandert.
Endlich tauchten auf einer hohen Uferbank die Blockhütten von Fort Mac Pherson auf. Fast konnte ich das Glück nicht fassen. War es denn möglich, daß ich doch noch angelangt war in dem Mekka aller meiner Träume? Es war ja allerdings kein überwältigender Anblick, dieses »Fort«. Etwa ein Dutzend kleiner Blockhäuser in einer Waldlichtung und mitten drin eine mächtige Fahnenstange, von der die rote Flagge Englands im Winde wehte.
Ein Haufen neugieriger Indianer hatte sich auf der Sandbank am Fuße des steilen Ufers versammelt. Als wir auf das sandige Ufer auffuhren, kamen vier weiße Soldaten, die, wie sich nachher herausstellte, zur kanadischen »North West Mounted Police«Berittene Nordwest-Polizei. Hervorragende Truppe, die übrigens ein Vierteljahrhundert später am Großen Sklavensee die Leiche des Verfassers Kurt Faber geborgen hat. D. H. gehörten, auf uns zu. Sie schienen sehr erstaunt, einen Kabeluna zu sehen.
»Englishman?« fragten sie wie aus einem Munde.
»No, Sir, German,« antwortete ich lakonisch.
Bei dieser Antwort flog zwar ein Schatten der Enttäuschung über ihre Gesichter, aber der Sergeant fand sofort wieder den richtigen Ton.
»Alles in Ordnung, alter Junge!« sagte er treuherzig und gab mir die Hand, »verflucht will ich sein, wenn mir jemals schon so etwas vorgekommen ist.«
Dann nahmen sie mich mit nach ihrem Blockhaus, das noch sehr primitiv eingerichtet war, denn sie selbst waren erst vor wenigen Monaten dahin versetzt worden. Kabelunaspeise wurde aufgetragen und Whisky mit Soda dazu getrunken. Aus dem Hintergrund des Raumes ließ sich sogar die Stimme eines Phonographen vernehmen. Der war made in Germany; er konnte die Stimme des Hauptmanns von Köpenick nachahmen, die »Lustige Witwe« konnte er herunterrasseln, und mit seiner knarrenden Stimme konnte er singen: »Trink' mer noch e Tröppchen!«
Die zivilisierte Welt begann schon ihre Schatten vorauszuwerfen . . .