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Ein großes Ereignis. – »Blo–o–o–ow!« – In die Boote. – Der grimmige Steuermann. – Auf dem Rücken des Walfisches. – Eine tolle Fahrt – Mr. Johnson erscheint auf der Bildfläche. – Die tödliche Lanze. – Reiche Beute und schmutzige Arbeit. – Eigenartige Illuminierung. – Eine schwimmende Hölle.
Es war Sonntag, und zwar ein Sonntag nicht nur dem Namen nach, sondern auch ein Tag voll Licht und Sonnenschein, mit einem blauen Himmel, auf dem die weißen Wolken zogen. Seit mehreren Wochen hatte man an Bord des »Bowhead« der Menschlichkeit das Eingeständnis gemacht, uns an Sonntagen nur noch die unbedingt notwendigen Schiffsarbeiten verrichten zu lassen, so daß man wenigstens einmal in der Woche ein freies Stündchen hatte, um ungestört seinen Gedanken nachhängen zu können. Meine Phantasie beschäftigte sich gerade mit den Walfischen, und ich dachte mir, daß es doch eigentlich höchst fatal wäre, wenn wir nach all den Mühen zurück nach San Franzisko kämen, ohne auch nur einmal einer frischfröhlichen Walfischjagd beigewohnt zu haben.
An diesem Punkte wurden meine Betrachtungen unterbrochen durch einen höchst eigentümlichen, langgezogenen Ruf, der von oben aus dem Krähennest kam; »Blo–o–ow, ah, blo–o–o–o–ow!«
Ein Schauer der Erregung durchrieselte mich vom Kopf bis zu den Füßen. Obwohl ich noch nie zuvor diesen sonderbaren Ruf gehört hatte, so wußte ich doch instinktiv, was er zu bedeuten hatte: Aha, nun wurde es ernst. Walfisch in Sicht! Weiße und Eskimos zugleich ließen ihre augenblickliche Beschäftigung liegen, und alles blickte erwartungsvoll nach oben.
»Wo hinaus?« brüllte der Kapitän mit Donnerstimme, während er schon mit umgehängtem Fernglas nach dem Krähennest aufenterte.
»Großer Walfisch gerade voraus, etwa zwei Strich vom Leebug, Sir,« antwortete Mr. Johnsons Stimme, die sich aus solcher Höhe beinahe menschlich anhörte, »blo–o–o–o–ow, ah, blo–o–o–ow!«
»Herunter von oben!« sang der Kapitän aus, als er schon unter der Bramsahling angelangt war. Und dann mit dröhnender Seebärenstimme: »Alle Mann an Deck! Klar bei den Booten!«
Nun gab es ein heilloses Durcheinander. Englische und portugiesische Kommandoworte flogen hin und her, begleitet von den grausigsten Flüchen und Verwünschungen. Zwar hatte man uns schon lange vorher alle möglichen Verhaltungsmaßregeln für diesen Fall beigebracht, aber nun, da es galt, das Gelernte in die Tat umzusetzen, war diese graue Theorie verflogen wie ein Sommernachtstraum. Mit offenem Mund stand ich da, bis mich der lange Portugiese Sam beim Arm faßte und förmlich mit sich zog.
»Was stehst du hier und sperrst das Maul auf?« fuhr er mich an, »meinst du, daß Walfische gebratene Tauben sind?«
Ehe ich wußte, wie mir geschah, befand ich mich schon drunten im Wasser in einem der langen Walfischboote. Ein paar geschickte Manöver mit dem großen Steuerriemen brachten uns frei von der Schiffsseite, der »Stecken« wurde aufgerichtet, das Segel gesetzt, und fort ging es über die blaue Wasserfläche. – Es war ein ganz neuartiges und nicht wenig beängstigendes Erlebnis. Nur durch die dünne Bootswand von der Wasserfläche getrennt, inmitten des fernen Meeres mit vollem Segel dahinjagend zu einem blutigen Strauß mit dem größten aller Ungeheuer, die Land und Wasser dieser Erde kennen! Über uns wölbte sich der blaßblaue, nordische Himmel, und um uns her spielten die glitzernden Wellen der blauen Tiefe, über die die breiten Segel der fünf Boote wie weiße Möwen dahinglitten. Direkt über mir, an seinem Platz beim Tiller, thronte das unbewegliche, wetterbraune Gesicht Mr. Lees, unseres Steuermanns. Er war noch ein Yankee-Seemann von der alten Schule, die karg in Worten und verteufelt schnell in Taten sein konnten. Eine Persönlichkeit, der gegenüber man immer ein mehr oder minder böses Gewissen hatte. Vorn im Bug stand der lange Sam mit der Harpune. Ein Bild der personifizierten Mordlust.
»Blo–o–o–ow, ah, blo–o–o–ow,« murmelte er mit verhaltenem Atem, wenn draußen der buschige Dampfspaut aufschoß. »Ah, seht euch den Kopf an!« rief er, und seine schwarzen, funkelnden Augen hingen wohlgefällig an der scharfen Spitze der Harpune.
Ganz unerwartet bekam Mr. Lee eine Anwandlung von Beredsamkeit. »Seht ihr die Leine da unten?« sagte er, indem er auf die Tauleine zeigte, die um einen Poller im hinteren Teil durch die ganze Länge des Bootes lief, »wenn einer von euch fünfen Lust hat, auf dem schnellsten Weg zu »davy Jones« zu kommen, so braucht er nur seine Pfoten dazwischen zu stecken, wenn wir nachher ›fest‹ sind. Wer aber noch länger Biskuits essen will, der hör auf meinen Rat und bleib klar von dem Ding. Es ist nicht gesund, sich damit abzugeben.«
Alle fünf Boote lagen nun hart am Winde, schwerfällig schlingernd in der langen Dünung, während das dünne Tuch der leichten Segel leise murmelte, wenn die Brise damit spielte.
Vergebens suchte ich mir auszudenken, was wohl die nächste Nummer auf dem Programm sein mochte. Da holte Mr. Lee einen alten Reservetiller hervor und legte ihn neben sich auf den Sitz: »Seht ihr das Ding da?« sagte er mit grimmiger Miene. »Wer mir jetzt einen Ton redet oder gar mit dem Fuß scharrt, so daß der Fisch »gegallied«to gallie: bei den Walfischfängern gebräuchlicher Ausdruck für ängstigen, erschrecken des Walfisches. wird, den hau ich damit über den Kopf, daß er tot sein wird, ehe er Zeit hat, ein Vaterunser zu sagen.«
Und wahrhaftig, er sah nicht aus, als ob er sich durch irgend etwas behindert fühle, dem Wort gegebenenfalls auch die Tat folgen zu lassen. Regungslos saßen wir und lauschten auf das leise Plätschern des Wassers gegen die Bootseite, das Murmeln des Windes in dem Segel und das Krachen und Ächzen des Mastes in seinem Lager. Ich hatte sie mir anders vorgestellt, die frisch-fröhliche Walfischjagd.
Nachdem wir etwa eine Viertelstunde tatenlos am Winde gelegen hatten, ging plötzlich im Großtop des Schiffes, das etwa anderthalb Meilen entfernt in Luv von uns lag, eine mächtige rote Flagge hoch.
»Hol durch die Schot!« sagte der Steuermann, und im nächsten Augenblick holte das Boot weit über, und wir jagten wieder durch das Wasser. Zu gleicher Zeit schwenkten auch die anderen vier Boote, wie auf dem Exerzierplatz, und hielten ebenfalls in gleicher Richtung. Von der Höhe des Krähennests, das natürlich ein viel weiteres Gesichtsfeld bietet, leitete offenbar der »Generalstab« durch Flaggensignale die Schlacht.
»Blo–o–o–ow,« summte Sam wieder leise vor sich hin. Etwa eine halbe Meile gerade voraus war der Walfisch wieder aufgetaucht. Für meine schlechten Augen war der Spaut auf diese Entfernung nicht zu sehen; aber hören konnte ich ihn! Ein dröhnendes Geräusch, gleich einem gewaltigen, übernatürlichen Schnarchen, das mir das Blut in den Adern gerinnen ließ. In fliegender Eile näherten wir uns dem ahnungslosen Ungeheuer. Schon konnte man deutlich über dem Wasser den gewölbten Rücken sehen, dessen nasse, schwarze Haut glitzerte wie polierter Marmor. Still und unbeweglich lag er da, wie die runde Kuppe eines aus dem Wasser hervorragenden Felsens. Nach allem, was ich bisher an Bildern von Walfischjagden gesehen, hatte ich mir etwas anderes vorgestellt als dieses Stückchen des Rückens, das kaum drei Fuß aus dem Wasser ragte.
Doch es blieb mir wenig Zeit zu diesen Betrachtungen – in Gedankenschnelle befanden wir uns schon direkt über dem Walfisch. Auf der einen Seite hatten wir die mächtige, schwarzblau schillernde Masse des breiten Rückens, auf der anderen das Spautloch, dem mit Donnergetöse eine Wolke von Wasserdampf entfuhr, die der Wind über unsere Köpfe wehte. Vor Schrecken und Staunen standen in diesem Augenblick meine Lebensgeister still.
»Give it to him!« schrie der Steuermann mit gellender Stimme. Gib's ihm!
Mit der ganzen Wucht seiner Riesenkräfte schleuderte Sam die Harpune. Mit Gedankenschnelle ergriff er ein zweites Eisen, das er ebenfalls dem versinkenden Körper nachsandte. Fast in einem Atemzuge vernahm man das »Bum, bum!« der beiden explodierenden Bomben.
Was nun folgte, das war eine Szene der tollsten Aufregung, der wildesten Verwirrung. Das schwerverwundete Tier geriet gänzlich in Ekstase, was bei einem Ungeheuer von der Größe des Walfisches nicht wenig besagen will. Der gewaltige Körper bewegte sich in krampfhaften Zuckungen und peitschte das Wasser mit betäubenden Schlägen seines riesigen Schwanzes.
Aus verhältnismäßig sicherer Entfernung konnten wir dieses Schauspiel beobachten, denn unser Anlauf hatte uns ein gutes Stück über den Walfisch hinweggeführt. Zunächst mußten nun Mast und Segel heruntergeholt und im Achterteil verstaut werden, damit wir bei den weiteren Vorgängen dadurch nicht behindert waren. Zu gleicher Zeit ist dies auch ein Hilfesignal für die anderen Boote, die dann sofort wissen, daß das betreffende Boot »fest« ist.
Nach einer Weile verschwand der Walfisch mit einem besonders boshaften Schlage seiner Fluke von der Bildfläche, und die Leine begann erst langsam und dann schneller und schneller um den Poller im Achterend zu laufen, während die Spitze des Bootes sich tiefer und tiefer senkte, bis das Wasser in Strömen hereinbrach und wir alle nach dem hochaufragenden Hinterteil flüchten mußten. Mit schneller Fahrt flogen wir durch das Wasser, aber schneller noch war unser Walfisch mitsamt der Leine, die zum größten Mißvergnügen des Steuermanns in immer schnelleren Schlangenwindungen aus dem Behälter im Boden des Bootes hervorgeschossen kam.
Ganz plötzlich ließ der Druck auf die Leine nach, und die Spitze des Bootes richtete sich unversehens wieder auf. »Haul line, haul line! Holt an der Leine!« rief der Steuermann, der inzwischen mit Sam den Platz gewechselt hatte. Hand über Hand kam die lose herunterhängende Leine wieder herein und wurde in großen Buchten im Achterende aufgeschossen. Schon hatten wir sie zu zwei Dritteln wieder an Bord, ein Zeichen dafür, daß unser Freund, der Walfisch, bald wieder auftauchen mußte.
Und er kam!
Kaum zehn Faden vor dem Bug unseres Bootes tauchte der schwarze Kopf des Ungeheuers auf. Höher und höher hob sich die unförmige Masse wie ein Gespenst aus der Tiefe.
»Stern all, stern all!« rief der Steuermann. »Zurück! Zurück!«, und wahrlich, wir bedurften dieser Ermunterung nicht, sondern arbeiteten wie die Titanen, um aus dem Bereich des wütenden Tieres zu gelangen. Aus achtungsvollem Abstande beobachteten wir die weitere Entwicklung der Dinge, denn da wir bereits »fest« waren, war es nun an einem der anderen Boote, dem Walfisch den Rest zu geben, sofern er dessen noch bedurfte.
In diesem Augenblick kam denn auch das Boot des allgegenwärtigen Mr. Johnson herangeschossen, und ehe ich mich versah, hatte der Harpunier schon die Eisen geschleudert. Deutlich hörte man das Explodieren der Bomben. Einmal nur peitschte der Walfisch das Wasser mit der gewaltigen Fluke und verschwand in der Tiefe. Auf seiner Flucht setzte er wieder in einem ansehnlichen Tempo ein, und die beiden Boote flogen nun hinter ihm her, als ob sie von einem Kometen ins Schlepptau genommen wären.
Diese ungewohnte Zähigkeit war mehr, als Mr. Lee ertragen konnte. Seine stoische Ruhe hatte ihn ganz verlassen. Er zitterte förmlich vor Mordlust und machte sich der greulichsten Blasphemien schuldig.
»Haul away! holt an der Leine! ich will dem Kerl einen Yankeetrick zeigen! Blut will ich sehen!«
Und wir holten aus Leibeskräften an der Leine. Vorn im Steven hatte sich der Steuermann in Kampfhaltung gestellt, und wie er so dastand mit den langen, fliegenden Haaren, in der Hand die tödliche Lanze, war er ein Abbild des leibhaftigen Teufels.
Mit einem fühlbaren Ruck rannte das Boot gegen den mächtigen Körper an, und mit einem Grunzen der Befriedigung stieß der Steuermann den zitternden Stahl bis ans Heft in die schwarze Masse.
Nun begann ein erbitterter Kampf zwischen dem rasenden Ungeheuer und dem zerbrechlichen Gebilde der Menschen. Wieder und wieder wich das Boot um Haaresbreite den Angriffen aus, aber bei jeder sich bietenden Öffnung schoß es wieder heran wie ein geschickter Fechter. »Starn, starn! pull ahead!« (»Vorwärts! vorwärts! alles zurück!«) Wie ein Hagel flogen die Kommandos, und dazwischen immer das Indianergeheul des Steuermanns, mit dem er jeden Stoß der Lanze begleitete.
Plötzlich war der Spaut rot von Blut. Die »flurry« hatte begonnen, der Todeskampf des Walfisches. Ein gräßlicher Anblick! Mit der letzten Kraft eines verlöschenden Lebens jagte das Tier im Kreise herum, wobei es oftmals in seiner halben Länge aus dem Wasser sprang. Ströme von Blut, oft in dicken, schwarzen Klumpen, entfuhren dem Spautloch. Blut und Schaum war das Meer rings um den sterbenden Riesen.
Bald trieb der gewaltige Körper als leblose Masse auf dem Wasser. Nachdem noch mit Hilfe eines langstieligen Spatens ein Loch durch die Fluke geschnitten war und die Leine daran befestigt, war das große Werk getan. Der Steuermann wischte sich den Schweiß von der Stirn: »Herrgott, war das ein Stück Arbeit!«
»Santissima Virgina,« antwortete Sam, »Spaß beiseite, aber ich glaube, es ist der Teufel selber gewesen, den wir da gefangen haben. Nie habe ich einen »bowhead« gesehen, der solche Umstände gemacht hat.«
Das hörte ich gern, denn bei aller Begeisterung für das aufregende Abenteuer war mir dabei doch gruselig zumute geworden, und ich hatte mir schon gesagt, daß es bei gleich ungebärdigem Benehmen aller kommenden Walfische schlimm aussehen würde mit der Aussicht, einmal wieder mit heiler Haut nach San Franzisko zurückzukehren.
Das Schiff kam nun heran, und die Leinen wurden an Bord gebracht. Taue und Ketten, deren gewaltigen Dimensionen man ihre Bestimmung wohl ansah, wurden aus dem Schiffsraum hervorgeholt und der gewaltige Körper des Tieres damit in sachgemäßer Weise längsseit festgemacht.
Dann trat die »cutting stage« in Tätigkeit; eine Vorrichtung, die ich schon während der ganzen Reise mit abergläubischen Blicken gemustert hatte. Nun sollte sich an diesem Tage der Enthüllungen auch dieses Geheimnis entschleiern. Das mit einem Geländer versehene Stelling wurde an starken Tauen heruntergefiert, so daß es außenbords über dem Walfisch schwebte. Dann stellten sich drei Steuerleute dort auf und bearbeiteten den unter ihnen liegenden Körper mit scharfen, langstieligen Spaten, während dieser durch ständiges Hieven an dem klappernden Gangspill höher und höher aus dem Wasser gehoben wurde, bis er halb aus dem Wasser lag, und die mächtigen Tauen und Talljen ächzten und stöhnten unter der gewaltigen Last, die an ihnen zerrte. Zunächst wurde der Nacken bloßgelegt und dann einer der Bootsteurer an einem Tauende heruntergelassen, um die Wirbelsäule zu durchschlagen. Das war keine leichte Arbeit. Eine halbe Stunde lang flogen unter den dröhnenden Axtschlägen die Spähne umher! Dann kam der große Moment – der größte im Leben des Walfischfängers.
»Heave high!« (»Hebt – an!«) singt der Kapitän aus. Langsam löst sich der gewaltige, rundgeformte Oberteil des Kopfes von dem übrigen Körper. Höher und höher steigt er. In beängstigender Weise zerrt die riesige Masse an den Tauen und Talljen. Endlich schwebt er zwischen Fock und Großmast über der Großluke. Die langen Barten glänzen in der Sonne: 2000 Pfund Fischbein im Werte von weit über 40 000 Mark!
Langsam wird die reiche Beute an Deck gefiert; raschelnd setzt sich das Fischbein auf der Großluke fest. Ein Grönlandwal besitzt etwa 350 solcher Barten, von denen die größte eine wellenförmige Scheibe von drei Meter Länge und etwa 50 Zentimeter Breite darstellt, die nach unten spitz zuläuft und schließlich in viele seidenartige Fäden zerfasert. Der Stoff ist blank wie Stahl und biegsam, wie eben nur Fischbein sein kann. Ein Pfund Fischbein wird in San Franzisko mit 5-6, nicht selten auch mit 7 Dollars bezahlt. Man sieht – ein einträgliches Geschäft – aber nur für Kapitän und Steuerleute. –
Gegenüber diesen großen Werten ist der des aus dem Körper zu gewinnenden Tran nur gering. Die meisten Schiffe begnügen sich daher mit dem Kopf und überlassen den Rest den Seemöven und all den anderen hungrigen Mäulern, an denen das Meer so reich ist. Aber Johnny Cook ließ nichts umkommen. Bis unsere Tanks voll waren, nahmen wir Tran von jedem Walfisch, und darum muß ich, selbst auf die Gefahr hin, durch allzuviel Belehrung und Gelehrsamkeit das Mißfallen des geneigten Lesers zu erwecken, auch noch das schwere und wenig appetitliche, aber nicht minder fesselnde Geschäft des Auskochens beschreiben.
Wie jeder Schuljunge weiß, wird der Tran aus der Fettschicht gewonnen, die den Körper des Tieres rings umkleidet. Um diese Fettschicht abzuschälen, wird der längsseit liegende Walfisch durch abwechselndes Hieven und Fieren an den beiden Gangspills beständig um sich selbst gedreht, während die Steuerleute mit ihren Spaten das Fett abstechen, worauf es an Deck geheißt wird. Die großen Stücke der weißen, rötlich schimmernden Fettschicht werden alsdann noch einmal in kleinere Stücke zerschnitten und diese den beiden als »mincers« abkommandierten Leuten in Arbeit gegeben. Dieser »mincer« hantiert mit vieler Geschicklichkeit ein großes Metzgermesser, mit dem er jedes Stück mehrmals anschneidet, so daß die einzelnen Teile wie die Blätter eines Buches von der Haut abstehen. »A whalers bible« nennt man sie. Des Walfischfängers Bibel!
Ein großer, viereckiger Kasten wird mit diesen Bibelbüchern gefüllt und über das Verdeck nach vorn geschoben und neben dem Kochapparat festgelascht. Diese letztgenannte Einrichtung, die ich schon während der ganzen Reise mit wachsendem Schütteln des Kopfes betrachtet hatte, besteht aus zwei umfangreichen, in Backsteine eingemauerten Kupferkesseln, in denen über dem lodernden Feuer eine brodelnde, zischende Ölmasse schwimmt. Sam und der dritte Steuermann standen davor und überwachten das Auskochen. Den überschüssigen Tran schöpften sie in einen großen, eisernen Behälter, den sogenannten Kühler, von wo er nach genügender Abkühlung in ein Tank im Boden des Schiffes abgelassen wurde. Genügend ausgekocht, werden die Fettstücke als braune, wunderbar appetitlich aussehende Kuchen herausgefischt. Da sie förmlich mit Tran getränkt sind, liefern sie ein ausgezeichnetes Brennmaterial, mit dem man das Feuer unter den Kesseln füttert, so daß der Walfisch buchstäblich in seinem eigenen Fett gebraten wird.
Auch nach Einbruch der Dunkelheit ruhte die Arbeit nicht. Die ausgekochten Speckstücke – »cressets« nennt sie der Walfischfänger – wurden in eisernen Behältern in brennendem Zustand an Deck und in der Takelage aufgestellt. Sie brannten mit dunkelroter Flamme, und wenn der Nachtwind sie zuweilen flackernd aufleuchten ließ, dann zog eine lange Fahne von dickem, schwarzem Rauch hinter ihnen her. Das gab eine wilde, phantastische Illumination. An vielen Stellen zugleich loderten die qualmenden Fackeln auf und warfen einen blutroten Schein auf die hohen Masten und Rahen, die sich gespensterhaft vom dunklen Nachthimmel abhoben. Auf dem Verdeck türmte sich der gewaltige Speckhaufen, und die Menschen huschten mit Messern und Haken wie die leibhaftigen Teufel darum herum, indes die beutegierigen Seemöven kreischend umherflatterten. Fürwahr – eine schwimmende Hölle! Schwimmend nicht nur im Wasser, sondern auch in Tran, der hier ein souveränes Regiment führte. Auf dem Verdeck schwamm er in Strömen und hatte es glatt gemacht wie eine Schlittschuhbahn. Mehr als einmal, wenn das Schiff überholte und dabei die Kiste mit den »geminzten« Speckstücken auf ihrem Weg nach den Kochapparaten gegen die Reeling warf, war ich nahe daran, auf eine erbärmliche Weise zu Brei zermalmt zu werden. Aber nicht nur das Verdeck, sondern auch die Decksaufbauten, das Tauwerk, die Segel, die Haut, kurzum alles war zu Tran geworden. Sogar das Essen schmeckte nach Tran. In jedem andern Klima wäre der Zustand unerträglich gewesen, aber in jenen kalten Gewässern verliert sich der Widerwille. Sobald der Trankessel in Tätigkeit war, hatten wir sogar nichts Eiligeres zu tun, als uns ein Stück Brot darin zu braten und mit Hochgenuß zu verspeisen.
Während der ganzen Nacht arbeiteten wir so und kümmerten uns wenig um die Schiffahrt. Erst am nächsten Morgen wurden die Rahen wieder angebraßt und der Kurs gesetzt.
Bald kam im Westen die flache Küste von Sibirien in Sicht. Wohl selten hat ein Mensch jener wilden Küste mit größerer Andacht entgegengesehen wie ich damals. Hier wollte ich mich nicht wieder ins Bockshorn jagen lassen wie drunten in Unalaska. Hier wollte ich mein Glück versuchen, und wenn es tausendmal das verrufene Sibirien war!