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Ein Handweber, der ein Stück Sammet oder Seide fertiggebracht hat, streicht sachte mit prüfenden Fingern darüber hin und hat seine Freude daran. Jetzt lehnt er sich für eine kurze Spanne Zeit auf seinem Webersitz zurück, legt die Hände in den Schoß und blickt ausruhend vor sich hin, »Es gibt andere Stoffe,« spricht er, »von anderer Art und mit anderen Musterungen, aber dieser hier ist ganz mein eigen. Es ist meine Marke und meine Zeichnung, ich habe alles in meinem Kopfe ausgedacht und mit meinem Fleiß zu Ende geführt. Prüfe jeder, so gut er mag, und wenn er kann, so freu' er sich mit mir! Denn es ist ein gutes Stück Arbeit gewesen.«
Meine lieben Freunde! Ich spreche heute so zu euch, indem ich die Feder aus der Hand lege und mich in meinem Schreibsessel zurücklehne. Denn mit diesem Bande bringe ich ein Werk zum Abschluß, das mich länger als fünf Jahre hindurch beschäftigt hat, und das jetzt vollendet vor euch liegt. Dieses Werk, welches zwar nicht äußerlich, wohl aber dem Gedanken nach eine festgefügte, in sich abgeschlossene Einheit bildet, die kein Einsichtiger mit willkürlichen Fortsetzungen oder Anstückelungen verwechseln wird, besteht aus den drei Romanen: »Die Leute vom Blauen Guguckshaus«, »Freiheit die ich meine« und »Auf der Wegwacht«, die in ihrer Gesamtheit hundert Jahre Österreich darstellen, vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bis in unsere Tage.
Hundert Jahre Österreich, sag' ich, und damit meine ich Österreich – nicht in seinen einzelnen Gliedern und Nationen, sondern als ein Ganzes, von Wien aus gesehen, von seinem geistigen Mittelpunkt, vom Herzen des Reiches. Österreich – nicht in jedem gleichgültigen Augenblicke vorübergehender Stockungen und Wirren, sondern an entscheidenden Wendepunkten, in bedeutsamen Schicksalsstunden, während der Franzosenzeit von 1809, im Sturmjahr 1848Vielleicht ist es heute, wo die »Franzosenzeit« und überhaupt »Alt-Wien« schon fast zur abgegriffenen Mode zu werden drohen, nicht ganz überflüssig, daran zu erinnern, daß der Roman vom Guguckshaus 1905 und der von der Freiheit 1908 erschienen ist. und in der Umgestaltung, die mit 1866 anhebt. Österreich endlich, wo es am ausgeprägtesten österreichisch ist, nicht das Österreich politischer und nationaler Dissidenten, auch nicht jenes der internationalen Salons und Arbeiterviertel, die halb heimatlos einander überall gleichen – sondern das Österreich des deutsch-österreichischen Volkes, insbesondere des arbeitenden Bürgerstandes.
Dieses Österreich, das wir lieben, und an dessen Zukunft wir glauben, will euch meine Roman-Trilogie in seinem Werden und Wesen anschaulich machen, indem sie es aus den verwirrenden Einzelheiten einer flüchtigen Wirklichkeit ins Licht dauernder künstlerischer Gestaltung rückt.
Meine lieben Freunde! Die freudige Zustimmung, mit der ihr die beiden früher ausgegebenen Bände aufgenommen habt, läßt mich hoffen, daß es mir auch in diesem letzten Bande gelungen sein möge, zu euren Herzen zu sprechen. Es drängt mich jetzt, am Ende meiner Arbeit, euch allen, Bekannten und Unbekannten aus nah und fern, an dieser Stelle herzlich für den warmen Anteil zu danken, durch den ihr mich wiederholt erfreut und in meinem weit ausgreifenden Unternehmen ermutigt und gefördert habt! Wie ihr mir gerne durch das alte Wien gefolgt seid, so werdet ihr mich diesmal, hoff' ich, auch willig durch das neue begleitet haben und von da hinaus, an die gefährdeten Sprachgrenzen des Reiches. Und überall, in alten und in jungen Tagen, werdet ihr weittragende Entscheidungen haben fallen sehen, überall werdet ihr eine Wahlstatt betteten haben, und überall wird es Deutsch-Österreich gewesen sein, das ihr auf seinem Posten fandet.
So erzählen diese Geschichten von uns selbst, von unseren Vätern und von unseren Söhnen.
Denn ihr wißt, daß wir im Kampfe stehen. Im friedlichen Kampf um unser Volkstum und um das Vaterland der Zukunft. Und stehen wir darum nicht auch, gerade so wie der von stiller Liebe zu seinem Volk erfüllte schlichte Held dieses Buches, ein jeder von uns in seiner Art und ein jeder innerhalb seines Wirkungskreises – auf der Wegwacht?
Laßt uns standhaft sein, meine lieben Freunde, arbeitsam und gelassen, treu und gütig, kraftvoll und milde! Es kommt eine Zeit, wo man der zwecklos hadernden Worte überdrüssig geworden sein wird wie vergifteter Waffen. Nur was an fruchtbarer Arbeit geleistet ist, zählt im Kampfe der Völker, und nur die Aussaat der Liebe behält Wert vor der Zukunft und verspricht eine reiche Ernte!
Emil Ertl.