Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Der König ist tot: Es lebe der König!

Einige Minuten später traten Katharina und der Herzog von Alençon, beide bleich vor Erregung und zitternd vor Wut, in das Sterbezimmer des Königs. Wie Heinrich es erraten hatte, wußte Katharina bereits alles und hatte Franz mit wenigen Worten aufgeklärt. Sie traten einige Schritte vor und blieben dann abwartend stehen.

Heinrich stand aufrecht neben dem Kopfende des Bettes.

Der König gab seinen letzten Willen kund.

»Madame,« sagte er zu seiner Mutter, »wenn ich einen Sohn hätte, wären Sie die Regentin oder in Ermanglung Ihrer Person der König von Polen oder in Ermanglung des Königs von Polen mein Bruder Franz. Ich habe aber keinen Sohn und nach mir gehört der Thron meinem Bruder, dem abwesenden Herzog von Anjou. Da er eines Tages kommen wird, um den Thron für sich zu beanspruchen, möchte ich nicht, daß er einen Mann auf diesem vorfindet, der ihm auf Grund fast gleichartiger Rechte den Thron streitig machen könnte, dadurch aber das Reich einem Erbfolgekrieg aussetzen würde. Darum ernenne ich Sie nicht zur Regentin, Madame, denn Sie müßten zwischen Ihren beiden Söhnen wählen, was doch für ein Mutterherz eine peinliche Sache wäre. Darum auch bestimme ich nicht meinen Bruder Franz für die Regentschaft, denn mein Bruder Franz könnte seinem älteren Bruder vorhalten: Sie hatten einen Thron, warum haben Sie ihn im Stich gelassen? – Nein, ich habe einen Regenten gewählt, der die Krone aufbewahren kann, der sie mit schützender Hand für unsere Häupter vorbehält. Dieser Regent – grüßen Sie ihn, meine Mutter, grüßen Sie ihn, mein Bruder – dieser Regent ist der König von Navarra!«

Und mit einem letzten Zeichen seiner Herrschergewalt grüßte der König Heinrich von Navarra mit der Hand.

Katharina und der Herzog von Alençon machten eine Bewegung, die zwischen erregtem Zittern und einem Gruß die Mitte hielt.

»Hier, Herr Regent,« sagte Karl dem König von Navarra, »hier ist die Urkunde, die Ihnen bis zur Rückkehr des Königs von Polen den Oberbefehl über die Armee, die Schlüssel zum Staatsschatz und königliche Rechte und Macht verleiht.«

Katharina verschlang Heinrich förmlich mit ihren Blicken, der Herzog von Alençon wankte und konnte sich kaum auf den Beinen erhalten. Die Schwäche des einen und die Festigkeit des anderen verriet Heinrich, statt ihn zu beruhigen, die Nähe einer drohenden Gefahr.

Auch Heinrich mußte sich zusammennehmen, doch erhaben über alle Angst nahm er die Rolle aus der Hand des Königs, richtete sich dann in seiner ganzen Größe auf und warf Katharina und Franz einen Blick zu, der deutlich sagen wollte: »Hütet euch, jetzt bin ich der Herr!«

Katharina verstand diesen Blick.

»Nein, nein,« sagte sie, »niemals wird mein Stamm sein Haupt vor einem fremden Stamm beugen, niemals wird, solange ein Valois noch am Leben ist, ein Bourbon in Frankreich regieren!«

»Meine Mutter, meine Mutter!« schrie Karl der Neunte und richtete sich, schrecklicher anzusehen, denn je, in seinem blutbenetzten Bett auf, »nehmen Sie sich in acht, noch bin ich König! Nicht für lange mehr, ich weiß es wohl. Doch für einen Befehl braucht man nicht lange Zeit, er ist bald gegeben, wenn es sich um die Bestrafung von Mördern und Giftmischern handelt!«

»Gut, geben Sie also Ihre Befehle, wenn Sie es wagen; ich werde die meinigen geben. Kommen Sie, Franz, kommen Sie!«

Sie entfernte sich rasch aus dem Zimmer und zog den Herzog von Alençon mit sich fort.

»Nancey!« rief Karl, »Nancey, zu mir, zu mir! Ich befehle es, ich will es, Nancey, verhaften Sie meine Mutter, verhaften Sie meinen Bruder, verhaften Sie . . .«

Ein Blutsturz unterbrach die Worte Karls in dem Augenblick, als der Kapitän der Garde die Tür öffnete, und der König in einem Erstickungsanfall auf seinem Bett röchelte.

Nancey hatte nur seinen Namen rufen hören. Der Befehl der gefolgt war und der mit wenig deutlicher Stimme abgegeben worden war, war verhallt.

»Bewachen Sie die Tür und lassen Sie niemand herein!« sagte Heinrich.

Nancey grüßte und ging.

Heinrich betrachtete den leblosen Körper des Königs, den man schon für eine Leiche hätte halten können, wenn nicht ein leiser Atem die Schaumwelle bewegt hätte, die auf dem Rand der Lippen lag.

Lange Zeit stand er so. Dann sprach er zu sich selbst: »Jetzt ist der letzte Augenblick eingetreten . . . soll man herrschen, soll man leben?«

Plötzlich hob sich ein Vorhang hinter dem Bett in die Höhe, ein blasser Kopf wurde sichtbar, und mitten in der Totenstille des königlichen Gemaches ertönte eine bebende Stimme: »Leben Sie!«

»René!« rief Heinrich aus.

»Ja, Sire!«

»Deine Prophezeiung war also falsch: ich werde nicht König sein!«

»Sie werden es sein, Sire, aber die Stunde ist noch nicht gekommen!«

»Wieso weißt du das? Sprich, damit ich weiß, ob ich dir glauben darf!«

»So hören Sie.«

»Ich höre!«

»Neigen Sie sich ein wenig vor!«

Heinrich beugte sich über den Körper Karls, und René kam ihm entgegen. Nur die Breite des Bettes trennte sie voneinander und ihre Entfernung verringerte sich noch durch das beiderseitige Vorneigen. Und zwischen ihnen lag noch immer stumm und unbeweglich der Körper des sterbenden Königs.

»Hören Sie,« wiederholte René, »ich bin hier von der Königin-Mutter herbestellt worden, um Sie zu vernichten. Ich möchte Ihnen jedoch lieber dienlich sein, da ich großes Vertrauen zu Ihrer Gestirnung habe. Indem ich Ihnen diene, finde ich alles das, was meiner körperlichen und was meiner geistigen Person zugleich zuträglich ist.«

»Hat Sie die Königin-Mutter beauftragt, mir auch das zu sagen?« fragte Heinrich zweifelnd und voll ängstlichen Mißtrauens.

»Nein,« erwiderte René, »doch vernehmen Sie folgendes Geheimnis.«

Und er beugte sich noch weiter vor. Heinrich tat dasselbe, so daß sich ihre Köpfe fast berühren.

»Erfahren Sie das Geheimnis, das ich allein kenne und das ich Ihnen enthüllen will, wenn Sie hier bei diesem Sterbenden schwören, mir den Tod Ihrer Mutter zu verzeihen!«

»Ich habe es Ihnen schon einmal versprochen!« sagte Heinrich mit finsterer Miene.

»Versprochen, aber nicht geschworen!« sagte René und wich ein wenig zurück.

»Ich schwöre es!« Heinrich streckte seine rechte Hand über das Haupt des Königs aus.

»Gut, Sire!« sagte der Florentiner jetzt rasch. »Der König von Polen trifft ein.«

»Nein, der Eilbote wurde durch König Karl aufgehalten.«

»Der König Karl hat nur einen auf der Straße nach Chateau-Thierry aufhalten lassen, die Königin-Mutter hat aber in weiser Voraussicht drei Boten auf verschiedenen Wegen entsendet.«

»Oh, ein Unglück für mich!«

»Ein Bote ist heute früh aus Warschau angekommen. Der König folgte ihm auf dem Fuße, ohne daß sich jemand seiner Abreise widersetzte, da in Warschau noch nichts von der Krankheit des Königs bekannt war. Der Bote hat nur ein paar Stunden Vorsprung vor Heinrich von Anjou.«

»Oh, wenn ich nur acht Tage für mich hätte!« sagte Heinrich.

»Ja, aber Ihnen stehen höchstens acht Stunden zur Verfügung. Haben Sie nicht den Waffenlärm vernommen?«

»Ja.«

»Diese Waffen werden Ihretwegen bereitgehalten. Man wird hereinkommen, um Sie zu töten, bis in das Zimmer des Königs herein!«

»Der König ist noch nicht tot!«

René nahm den König scharf ins Auge.

»In zehn Minuten wird er es sein. Sie haben daher noch zehn Minuten zu leben, vielleicht sogar weniger!«

»Was also tun?«

»Fliehen, ohne eine Minute, ohne eine Sekunde zu verlieren!«

»Welchen Weg soll ich aber nehmen? Wenn ich durch das Vorzimmer flüchte, werden sie mich töten, sobald ich die Schwelle überschritten habe.«

»Hören Sie: ich werde alles für Sie auf das Spiel setzen, aber vergessen Sie es niemals!«

»Sei unbesorgt.«

»Folgen Sie mir durch diesen geheimen Gang, ich bringe Sie bis an das Ausfallstor. Erst dann werde ich, um Ihnen genügend Zeit zu lassen, Ihrer Schwiegermutter melden, daß Sie sich hinunterbegeben. Man wird glauben, daß Sie diesen geheimen Ausgang entdeckt und zur Flucht benützt haben. Kommen Sie, kommen Sie!«

Heinrich beugte sich zu Karl nieder und küßte seine Stirne.

»Adieu, mein Bruder,« sagte er, »ich werde niemals vergessen, daß es dein letzter Wunsch gewesen, mich als deinen Nachfolger zu wissen. Ich werde nie vergessen, daß dein letzter Wille mich zum König bestimmte. Stirb in Frieden, im Namen unserer Brüder verzeihe ich dir das vergossene Blut!«

»Geschwind, geschwind,« sagte René, »er kommt zu sich, fliehen Sie, bevor er noch die Augen öffnet, fliehen Sie!«

»Amme,« murmelte Karl, »Amme!«

Heinrich ergriff den Degen, der beim Kopfende des Bettes stand und der dem sterbenden König hinfort nichts mehr nützen konnte, barg die Regentschaftsurkunde an seiner Brust und küßte zum letztenmal die Stirne des Königs. Dann ging er um das Bett herum und schlüpfte durch eine Öffnung, die sich gleich wieder hinter ihm verschloß.

»Amme,« rief der König mit stärkerer Stimme, »Amme!«

Die brave Frau lief herbei.

»Was gibt es, mein Charlot?« fragte sie.

»Amme,« seufzte der König und schlug die Lider über den Augen auf, die schon in unheimlicher Todesstarre verglasten, »es muß sich, während ich schlief, etwas zugetragen haben. Ich sehe ein großes Licht, ich sehe Gott, unsern Herrn. Ich sehe Jesus, unsern Erlöser und die gebenedeite Jungfrau Maria. Sie beten ihn an, sie flehen für mich . . . der allmächtige Herr und Gott verzeiht mir . . . er ruft mich . . . O mein Gott, mein Gott! Nimm mich auf und erbarme dich meiner . . . mein Gott, vergiß, daß ich ein König war, denn ohne Zepter und Krone komme ich zu dir . . . mein Gott, vergiß die Sünden eines Königs und erinnere dich nur an die Leiden eines Menschen . . . o mein Gott, hier bin ich!«

Und Karl der Neunte, der sich in dem Maß, als er sein Gebet sprach, immer mehr und mehr erhoben hatte, als ob er der Stimme, die ihn rief, entgegenkommen wollte, Karl der Neunte stieß nach den letzten Worten einen tiefen Seufzer aus und fiel dann bewegungslos und starr in die Arme seiner Amme zurück.

Mittlerweile, während sich die von Katharina befehligten Soldaten an alle bekannten Ausgänge, durch die Heinrich kommen mußte, aufstellten, kam Heinrich, von René durch den geheimen Gang geleitet, bis an das Ausfallstor der Festung, schwang sich auf ein bereitgestelltes Pferd und galoppierte in die Richtung hin, in der er Mouy zu finden erwartete.

Plötzlich, als der Hufschlag des galoppierenden Pferdes auf dem Pflaster verhallte, drehten sich einige Wachtposten um und schrien: »Er flieht, er flieht!«

»Wer flieht?« rief die Königin-Mutter und eilte an ein Fenster.

»Der König Heinrich, der König von Navarra!« erwiderten die Posten.

»Gebt Feuer,« befahl Katharina, »feuert auf ihn!«

Die Posten schlugen an, doch Heinrich war schon zu weit.

»Er flieht,« sagte die Königin-Mutter, »demnach ist er besiegt!«

»Er flieht,« murmelte der Herzog von Alençon, »demnach bin ich König!«

Doch im nächsten Augenblick, während Franz und seine Mutter noch beim Fenster standen, erdröhnte die Zugbrücke unter den Tritten von Pferden, und unter Waffenklirren und großem Getöse galoppierte ein junger Mann mit dem Hut in der Hand in den Schloßhof herein und rief: »Frankreich!« Ihm folgten vier Edelleute, die genau so wie er mit Schweiß, Staub und Schaum bedeckt waren.

»Mein Sohn!« rief Katharina und breitete ihre Arme zum Fenster hinaus.

»Meine Mutter!« rief der junge Mann zurück und sprang vom Pferde ab.

»Mein Bruder Anjou!« sagte Franz erschrocken und warf sich nach rückwärts.

»Komme ich zu spät?« fragte Heinrich von Anjou seine Mutter.

»Nein, im Gegenteil, gerade zur rechten Zeit! Und wenn dich Gott an der Hand geführt hätte, hätte er dich nicht in einem günstigeren Augenblick an dein Ziel bringen können! Denn sieh und höre!«

In der Tat betrat Herr von Nancey, Kapitän der Garde, den Balkon des Schlafzimmers des Königs.

Alle Blicke richteten sich eben auf ihn.

Er zerbrach einen Stab in zwei Teile und mit ausgebreiteten Armen, indem er in jeder Hand einen Bruchteil des Stabes hielt, rief er aus: »König Karl der Neunte ist tot! König Karl der Neunte ist tot! König Karl der Neunte ist tot!«

Dann ließ er die zwei Bruchstücke des Stabes auf die Erde fallen.

»Es lebe König Heinrich der Dritte!« rief darauf Katharina und bekreuzte sich in frommer Dankbarkeit. »Es lebe König Heinrich der Dritte!«

Alles erwiderte den Ruf mit Ausnahme des Herzogs von Alençon.

»Ah, sie hat mir einen Streich gespielt!« murmelte er und zerriß sich mit den Nägeln die Brust.

»Ich trage den Sieg davon,« rief Katharina, »und dieser verhaßte Bearner wird nicht regieren!«

 


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