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Seit acht Tagen war Karl an sein Bett gefesselt. Ein Fieber schwächte seinen Körper; es wurde nur durch zuweilen sehr heftige Anfälle unterbrochen, die in ihrer Art große Ähnlichkeit mit der Fallsucht hatten. In diesem Zustand heulte er oft auf, und die Gardesoldaten, die im Vorzimmer Wache hielten, hörten mit Schrecken die unheimlichen Laute. Sie widerhallten bis in die Tiefen des alten Louvre, der in letzter Zeit so oft durch düstere Geräusche beunruhigt worden war. Wenn dann die Anfälle vorüber waren, ließ er sich, gebrochen und mit erloschenen Augen, in die Arme seiner Amme fallen und hüllte sich in ein Stillschweigen, das Trotz und Angst zugleich zum Ausdruck bringen wollte.
Es hieße, das scheußliche Gewimmel malen zu wollen, das sich auf dem Grund eines Vipernnestes abspielt, wenn man beschreiben würde, wie sich jetzt Mutter und Sohn, statt sich zu suchen, statt sich die verblüffenden Begebenheiten mitzuteilen, flohen, wie Katharina von Medici und der Herzog von Alençon ihre dunklen Gefühle im Innersten ihres Herzens förmlich aufwühlten.
Heinrich von Navarra war in seinem Zimmer eingeschlossen worden und er selbst hatte Karl anempfohlen, jeden Besuch, selbst den Margaretes, zu verbieten. Alle mußten glauben, daß er vollkommen in Ungnade gefallen war. Katharina und Alençon atmeten erleichtert auf und hielten ihn für verloren, während Heinrich, in der angenehmen Hoffnung, vergessen worden zu sein, mit Ruhe und unbesorgt seine Mahlzeiten einnehmen konnte.
Bei Hof vermutete niemand die eigentliche Ursache der Erkrankung des Königs. Meister Ambrosius Paré und sein Berufsgenosse Mazille hatten wohl eine Magenentzündung festgestellt, hatten sich aber über Ursache und Folge vollständig getäuscht, und das war auch alles. Sie hatten daher eine Behandlung mit verschiedenen lindernden Mitteln vorgeschrieben, die schließlich dem besonderen, von René angeordneten Trank nur nachhelfen konnten. Diesen erhielt Karl durch seine Amme dreimal des Tages, und darin bestand auch die einzige Nahrungsaufnahme des Königs.
La Mole und Coconas befanden sich im strengsten Gewahrsam auf dem Schlosse zu Vincennes. Margarete und die Herzogin von Revers hatten es wohl an die zehn Male versucht, in ihre Nähe zu kommen oder ihnen wenigstens eine schriftliche Nachricht zubringen zu lassen, doch alles war vergeblich gewesen.
Eines Morgens, mitten zwischen den ewigen Schwankungen des Befindens, fühlte sich Karl ein wenig besser und wünschte, daß der ganze Hof seine Aufwartung bei ihm mache. Wie gewöhnlich hatten bisher die Höflinge an jedem Morgen vorgesprochen, obwohl keine Morgenaudienzen stattgefunden hatten, oder sie vielmehr nicht vorgelassen worden waren. An diesem Tage waren also alle Türen geöffnet und man konnte an den blassen Wangen, an der gelben, elfenbeinfarbenen Stirn und an dem fiebrigen Glanz der Augen, die hohl in schattendunklen Ringen eingebettet lagen, erkennen, was für Verheerungen die Krankheit, die den jungen Monarchen heimgesucht, bereits angerichtet hatte.
Das Zimmer des Königs war bald von neugierigen und wißbegierigen Höflingen überfüllt.
Katharina, Alençon und Margarete wurden verständigt, daß der König empfange.
Alle drei betraten in kurzen Abständen hintereinander das Krankenzimmer, Katharina gelassen, Alençon lächelnd, Margarete aber niedergeschlagen.
Katharina ließ sich beim Kopfende des Bettes ihres kranken Sohnes nieder und hatte den Blick nicht bemerkt, mit dem er ihr Näherkommen verfolgte.
Alençon stand aufrecht beim Fußende des Bettes.
Margarete lehnte sich an einen Tisch an und konnte einen Seufzer und eine Träne nicht zurückhalten, als sie die Blässe, das abgemagerte Gesicht und die eingefallenen Augen des Bruders bemerkte.
Karl, dem nichts entging, sah diese Träne und hörte den Seufzer und machte Margarete mit dem Kopf ein unmerkliches Zeichen.
Wenn dieses Zeichen auch noch so unscheinbar war, es erhellte trotzdem das Antlitz der armen Königin von Navarra, der Heinrich wegen Zeitmangels nichts mehr hatte sagen können oder vielleicht gar auch nichts sagen hatte wollen.
Sie war in Sorge wegen ihres Gatten, sie zitterte aber um den Geliebten.
Für ihre Person befürchtete sie nichts, denn sie kannte La Mole zu gut und wußte, daß sie auf ihn rechnen könnte.
»Nun, lieber Sohn,« fragte Katharina, »wie fühlen Sie sich?«
»Besser, meine Mutter, besser!«
»Und was sagen die Ärzte?«
»Meine Ärzte? . . . ah! das sind große Heilkundige, liebe Mutter,« sagte Karl und brach in Lachen aus, »und ich muß gestehen: es ist mir ein Hochgenuß, wenn ich sie über meine Krankheit ihre Meinung austauschen höre. Amme, gib mir meinen Trank!«
Die Amme brachte Karl eine Schale seines gewöhnlichen Getränkes.
»Was sollen Sie nach ihrer Anordnung einnehmen, mein Sohn?«
»Oh, Madame, wer kennt denn etwas von ihrem Gebräu!« antwortete der König und trank gierig die Schale aus.
»Meinem Bruder würde es sicherlich gut tun, aufzustehen und die schöne Sonne zu genießen. Die Jagd, die er so gerne hat, wäre ihm von großem Vorteil!« sagte Franz von Alençon.
»Ja,« erwiderte Karl mit einem Lächeln, das der Herzog unmöglich enträtseln konnte, »immerhin hat mir die letzte Jagd nicht sehr wohlgetan.«
Karl hatte diese letzten Worte mit einer so merkwürdigen Betonung gesprochen, daß das Zwiegespräch, in das sich die Anwesenden nicht hineingemengt hatten, einen Augenblick stockte. Dann machte er ein kleines Zeichen mit dem Kopfe. Die Höflinge merkten, daß der Empfang zu Ende war, und zogen sich einer nach dem andern zurück.
Alençon machte eine Bewegung, wie um sich seinem Bruder zu nähern, doch irgendein inneres Gefühl hielt ihn davon zurück. Er grüßte und entfernte sich gleichfalls.
Margarete stürzte sich auf die abgemagerte Hand, die ihr der Bruder entgegenhielt, drückte und küßte sie, dann ging auch sie hinaus.
»Gute Margot!« murmelte Karl.
Katharina blieb allein zurück und behielt ihren Platz beim Kopfende des Bettes. Als Karl sich ihr allein gegenüber sah, wich er in seinem Bett gegen die Wand zurück, und zwar mit der gleichen Schreckensempfindung, mit der man etwa vor einer Schlange zurückweicht.
Durch die Bemerkungen Renés in Kenntnis gesetzt, mehr noch aber durch die Ruhe und Überlegung zu einem bestimmten Schluß gelangt, hatte Karl nicht einmal mehr das Glück, sich einem Zweifel hingeben zu können.
Er wußte sehr genau, welcher Person und welchem Umstand er seinen Tod zuzuschreiben hatte.
Daher schauderte er, als Katharina ihre Hand, die genau so kalt war wie ihr Blick, gegen ihn ausstreckte, hatte Angst empfunden, als sie sich bei ihrem Eintritt seinem Bett genähert hatte.
»Sie bleiben hier, Madame?« fragte er.
»Ja, mein Sohn,« antwortete sie, »ich habe wichtige Sachen mit Ihnen zu besprechen.«
»Sprechen Sie, Madame,« sagte Karl und wich noch mehr zurück.
»Sire, ich hörte vor kurzem Ihre Versicherung, daß Ihre behandelnden Ärzte große Heilkundige seien . . .«
»Und ich erkläre es nochmals, Madame.«
»Was taten sie demnach, seit Sie krank sind?«
»Nichts, das ist richtig . . . doch wenn Sie gehört hätten, was sie gesprochen haben . . . wahrhaftig, Madame, man möchte oft nur darum krank werden, um so gelehrte Abhandlungen zu vernehmen!«
»Nun gut, ich, mein Sohn . . . wollen Sie, daß ich Ihnen etwas sage?«
»Wie denn? Reden Sie nur, meine Mutter!«
»Also: ich habe diese berühmten Doktoren im Verdacht, daß sie von der Art Ihrer Krankheit nicht die geringste Ahnung haben!«
»Wahrhaftig, Madame?«
»Daß sie vielleicht Folgeerscheinungen beurteilen können, niemals aber die Ursache der Krankheit ergründen können.«
»Das ist schon möglich!« sagte Karl und wußte nicht, wo seine Mutter eigentlich hinauswollte.
»Daß sie demnach die Krankheitserscheinungen, nicht aber das wahre Übel behandeln.«
»Bei meiner Seele!« rief Karl erstaunt, »ich glaube, Sie haben recht, liebe Mutter.«
»Ich also, mein Sohn,« so erklärte Katharina, »habe, da es weder meinem Herzen, noch dem allgemeinen Staatswohl zuträglich sein kann, Sie so lange krank zu wissen, habe in Erwägung dessen, daß sich Ihr Mut dadurch schließlich neu beleben könnte, eine Anzahl der weisesten Ärzte um mich versammelt.«
»Ärzte der Heilkunde?«
»Nein, Gelehrte einer viel tiefgründigeren Wissenschaft, die sich nicht nur mit der Erforschung des Körpers, sondern auch mit der Ergründung der Seele beschäftigt.«
»Ah, was für eine schöne Kunst!« sagte Karl. »Und gut, daß man sie nicht Königen beibringt! Und haben Ihre Bemühungen einen Erfolg gehabt, Madame?«
»Ja.«
»Den, den ich erhoffte, und ich bringe Eurer Majestät das Mittel, das Ihren Körper und Ihren Geist der Heilung zuführen wird.«
Karl schauderte. Er glaubte, daß seine Mutter, der er noch immer zu lange am Leben war, jetzt den Entschluß gefaßt habe, wissentlich das auszuführen, was sie ohne Wissen begonnen hatte.
»Wo ist dieses Heilmittel?« fragte Karl, stützte sich auf einen Ellbogen und sah seine Mutter an.
»Das Mittel liegt in der Krankheit selbst!«
»Worin besteht also die Krankheit?«
»Hören Sie, mein Sohn,« sagte Katharina, »haben Sie schon jemals davon reden gehört, daß es geheime Feinde gibt, deren Rache darin besteht, ihre Opfer auch auf weite Entfernung zu töten?«
»Durch Eisen oder durch Gift?« fragte Karl, ohne einen Augenblick das unbewegte Antlitz seiner Mutter aus den Augen zu verlieren.
»Nein, sondern durch andere sehr sichere und sehr schreckliche Mittel,« sagte Katharina.
»Erklären Sie sich deutlicher!«
»Mein Sohn,« fragte die Florentinerin, »haben Sie zu den Erfahrungen in der Zauberlehre und Weissagekunst Vertrauen?«
Karl unterdrückte ein verächtliches und ungläubiges Lächeln.
»Viel Vertrauen!« sagte er.
»Nun also,« sagte Katharina lebhaft, »dort ist der Grund Ihres Leidens zu suchen. Ein Feind Eurer Majestät, der es nicht gewagt hat, Sie offen anzugreifen, hat sich im Dunkeln verschworen. Er hat gegen das Leben Eurer Majestät einen Anschlag vorbereitet, der umso schrecklicher ist, als er keine Mitverschworenen hatte und weil die Fäden dieser geheimen Verschwörung nicht greifbar waren.«
»Meiner Treu, das ist ja gar nicht möglich!« rief Karl, der über eine derartige Verschlagenheit entrüstet war.
»Suchen Sie gut in Ihrem Gedächtnis nach, mein Sohn, erinnern Sie sich an gewisse Fluchtpläne, die den Mörder in Sicherheit wiegen sollten.«
»Den Mörder? Den Mörder, sagen Sie? Man hat mich also zu töten versucht, liebe Mutter?«
Die schillernden Augen Katharinas rollten heuchlerisch unter ihren gesenkten Lidern.
»Ja, mein Sohn, Sie zweifeln vielleicht daran, ich habe mir aber Gewißheit verschafft.«
»Ich zweifle nie an Ihren Behauptungen,« antwortete der König bitter. »Wie hat man mich also zu töten versucht? Darauf bin ich wirklich neugierig!«
»Mittels Zauberei, mein Sohn.«
»Erklären Sie sich, Madame!« sagte Karl, der aus Abscheu wieder seine beobachtende Haltung einnahm.
»Wenn dieser Verschwörer, den ich bezeichnen will . . . und den Eure Majestät im innersten Herzen schon erkannt haben . . . wenn der Verschwörer, der seinen Anschlag gut vorbereitet hatte und eines Erfolges sicher war, glücklich entronnen wäre, hätte niemand vielleicht die Ursache des Leidens Eurer Majestät herausgebracht. Doch glücklicherweise hat Ihr Bruder über Sie gewacht, Sire!«
»Welcher Bruder?«
»Ihr Bruder Alençon!«
»Ah, ja, das ist wahr! Ich vergesse immer, daß ich einen Bruder habe,« sagte Karl mit Bitterkeit, »und Sie sagen also, Madame . . .?«
»Daß er glücklicherweise wenigstens die wesentliche Seite der Verschwörung Eurer Majestät enthüllt hat. Während aber er, das unerfahrene Kind, der Verschwörung an und für sich auf die Spur zu kommen trachtete, einen jugendlichen Streich zu verhindern suchte, habe ich nach den Beweismitteln einer schwerwiegenden und bedeutenden Angriffstätigkeit gesucht. Ich kenne ja die Tragweite des Verstandes, über die der Schuldige verfügt.«
»Aber, aber, liebe Mutter, man könnte glauben, daß Sie vom König von Navarra sprechen wollen?« meinte Karl, der doch wissen wollte, wie weit diese florentinische Verstellungskunst noch gehen würde.
Katharina senkte ihren falschen Blick zu Boden.
»Ich ließ ihn doch gefangennehmen, wie mir scheint, und wegen dieses fraglichen Jugendstreiches nach Vincennes abführen,« sagte der König. »Sollte er eine noch größere Schuld auf sich geladen haben, als ich annehme?«
»Fühlen Sie das Fieber, das Sie verzehrt?« fragte Katharina.
»Ja, ganz gewiß, Madame!« erwiderte Karl stirnrunzelnd.
»Fühlen Sie die Glut, die Ihr Herz und Ihre Eingeweide versengt?«
»Ja, Madame!« Die Miene des Königs verfinsterte sich zusehends.
»Und die bohrenden Schmerzen im Kopf, die über die Augen bis in das Gehirn dringen, das Schlagen der Flanken?«
»Oh, ja, Madame, das fühle ich alles genau so. Wie gut Sie meine Schmerzen beschreiben können!«
»Nun also, das ist sehr einfach,« sagte die Florentinerin, »sehen Sie . . .«
Sie zog einen Gegenstand unter ihrem Mantel hervor und reichte ihn dem König.
Es war eine gelbliche Wachsfigur von ungefähr sechs Zoll Höhe. Diese Figur war zunächst mit einem mit goldenen Sternen bestecktem Gewand bekleidet, das ebenso aus Wachs bestand. Darüber hing ein Königsmantel aus dem gleichen Stoff.
»Was soll diese kleine Figur bedeuten?« fragte Karl.
»Betrachten Sie einmal, was sie auf dem Kopf trägt.«
»Eine Krone!«
»Und am Herzen?«
»Nun, Sire, erkennen Sie sich?«
»Ich, mich?«
»Ja, Sie haben Ihre Krone und haben Ihren Mantel?«
»Und wer hat denn diese Figur so hergerichtet?« fragte Karl, den dieses Gaukelspiel schon zu langweilen begann. »Zweifellos der König von Navarra, nicht wahr?«
»Nein, nein, Sire!«
»Nein? . . . Dann verstehe ich Sie nicht mehr!«
»Ich sagte: nein, weil Eure Majestät gleich eine vollendete Tatsache im Auge haben könnten. Ich würde mit ›ja‹ geantwortet haben, wenn mir Eure Majestät die Frage auf andere Art gestellt hätten.«
Karl antwortete nicht mehr. Er versuchte die Gedanken und Absichten dieser Dämmerseele zu durchschauen, die sich stets in dem Augenblick vor ihm verschloß, als er klaren Einblick in ihren Grund zu erlangen glaubte.
»Sire,« setzte Katharina fort, »diese Statue wurde durch die Umsicht Ihres obersten Staatsanwaltes Laguesle gefunden, und zwar in der Wohnung jenes Mannes, der am Tage der Beizjagd ein für den König von Navarra bestimmtes Handpferd im Walde bereithielt.«
»Bei Herrn von La Mole?«
»Ja, bei ihm! Betrachten Sie freundlichst noch einmal diese Stahlnadel, die der Figur in die Herzgegend eingestochen wurde und lesen Sie den Buchstaben, der sich auf dem darangefügten Blatt Papier befindet!«
»Ich lese ein M.«
»Das heißt: mors, der Tod! Das ist das übliche Zeichen der Magie für den Tod, Sire. Der Erfinder schreibt so seinen Wunsch auf die Wunde, die er der Figur beibringt. Wenn er zum Beispiel wollte, daß die betreffende Person vom Wahnsinn befallen werden sollte, wie es der Herzog der Bretagne für Karl den Sechsten wünschte, dann hätte er einfach die Nadel in den Kopf gestochen und hätte den entsprechenden Anfangsbuchstaben auf das Papier geschrieben.«
»Demnach,« meinte Karl, »ist nach Ihrer Ansicht, Madame, Herr von La Mole derjenige, der mir nach dem Leben trachtet?«
»Ja, wie der Dolch, der in das Herz dringen soll; doch hinter dem Dolch befindet sich eine Hand, die den Dolch stößt!«
»Und darin liegt also die Ursache meiner ganzen Krankheit? An dem Tag, an dem der Zauber zerstört sein wird, wird also auch mein Leiden sein Ende gefunden haben? Wie soll man aber dem Übel beikommen?« fragte Karl. »Sie werden das wissen, meine liebe Mutter, aber ich, der ich mich im Gegensatz zu Ihnen und Ihrer Lebensaufgabe nie um Zauberlehren und um magische Künste gekümmert habe, bin ein Stümper in diesen Dingen.«
»Der Tod des Urhebers bricht auch den Zauber, das ist alles! Der Tag, an dem der Zauber aufgehoben sein wird, wird auch Befreiung von dem Leiden bringen.«
»Wirklich?« rief Karl erstaunt aus.
»Wie, das wußten Sie nicht?«
»Teufel, ich bin doch nicht eine alte Hexe!« sagte der König.
»Nun, jetzt ist aber Eure Majestät überzeugt davon, nicht wahr?«
»Aber natürlich!«
»Und diese Überzeugung wird die Sorgen verscheuchen?«
»Ganz und gar!«
»Sagen Sie das nur aus Gefälligkeit?«
»Nein, liebe Mutter, ich meine es ganz aufrichtig.«
Das Antlitz Katharinas hellte sich auf.
»Gott sei gelobt!« rief sie, als ob sie Gottes Hilfe beansprucht hätte.
»Ja, Gott sei gelobt!« wiederholte Karl spöttisch. »Jetzt weiß ich wie Sie, wem ich meinen Zustand zu verdanken habe und wen ich daher zu bestrafen habe!«
»Und wir werden bestrafen . . .«
»Herrn von La Mole! Sagten Sie nicht, daß er der Schuldige sei?«
»Ich sagte, daß er das Mittel des Schuldigen gewesen ist.«
»Gut also, zuerst Herr von La Mole!« erwiderte Karl. »Das ist jedenfalls das Wichtigste! Die Leiden, denen ich zum Opfer gefallen bin, können gefährliche Verdächtigungen unserer Umgebung zeitigen. Es ist dringend notwendig, daß es um uns herum licht wird, daß sich unter dem Schein des Lichtes aber auch die ganze Wahrheit enthüllt.«
»Also, Herr von La Mole . . .«
»Paßt mir als Schuldtragender ganz ausgezeichnet: ich bin daher einverstanden! Fangen wir mit ihm an, und wenn er einen Mitverschworenen hat, wird er ihn eben nennen müssen!«
»Ja,« murmelte Katharina, »wenn er nicht sprechen will, wird man ihn dazu zwingen. Wir haben ja die unfehlbarsten Mittel hierzu!«
Dann sagte sie, indem sie sich von ihrem Stuhle erhob, ganz laut: »Sie erlauben also, Sire, daß die Untersuchung beginnt?«
»Ich wünsche es sogar, Madame,« antwortete Karl, »und je früher, desto besser!«
Katharina drückte die Hand ihres Sohnes, ohne daß sie die zitternde Erregung, die sich der ergriffenen Hand mitteilte, verstand, und sie schritt aus dem Zimmer, ohne daß sie das gallige Lachen Karls hörte, ohne daß sie auch die dumpfen und schrecklichen Verwünschungen vernahm, die diesem Lachen folgten.
Der König fragte sich, ob es nicht gefährlich sei, diese Frau in dieser Stimmung fortzulassen, weil sie schon in wenigen Stunden etwas anrichten könnte, was nie wieder gutzumachen wäre.
In dem Augenblick, als er noch den Vorhang betrachtete, der hinter Katharina zugefallen war, hörte er hinter sich ein leichtes Geräusch, und als er sich umwandte, erblickte er Margarete, die den Türvorhang vor dem Gang, der zu der Wohnung der Amme führte, emporhob.
Ihre Blässe, ihr scheuer Blick und ihre Beklommenheit verrieten die heftigste Erregung.
»Oh, Sire, Sire!« rief die junge Frau und stürzte zum Bett ihres Bruders hin. »Sie wissen doch zu gut, daß sie lügt!«
»Wer ist ›sie‹?«
»Hören Sie, Karl, es ist gewiß schrecklich, seine Mutter anklagen zu müssen, aber ich vermutete, daß sie bei Ihnen bleiben würde, um ihre Verfolgungen wieder fortzusetzen. Bei meinem Leben, bei Ihrem Leben, bei unserer Seele . . . ich sage Ihnen, daß sie lügt!«
»Ihre Verfolgungen? Wen verfolgt sie denn?«
Beide sprachen ganz leise, ohne sich dessen bewußt zu sein, man hätte glauben können, daß sie Angst hätten, ihre eigene Stimme zu hören.
»Heinrich in erster Linie Ihren Henriot, der Sie liebt und der Ihnen so ergeben ist, wie niemand auf der Welt!«
»Glaubst du es, Margot?« sagte Karl.
»Oh, Sire, ich bin dessen sicher!«
»Nun . . . ich auch, Margot!«
»Wenn Sie es so bestimmt wissen, mein Bruder,« so fragte Margarete jetzt erstaunt, »warum haben Sie ihn dann festnehmen und nach Vincennes abführen lassen?«
»Weil er das selbst von mir verlangt hat!«
»Er hat es von Ihnen verlangt?«
»Ja . . . Henriot hat wohl oft seltsame Gedanken! Vielleicht irrt er sich, vielleicht hat er sehr recht. Schließlich, einer seiner Gedanken war eben der, daß ihm meine Ungnade größere Sicherheit verschaffen würde, als meine Gunst, daß er weit weg von mir sicherer wäre als in meiner Nähe, in Vincennes sicherer als im Louvre.«
»Ah, ich verstehe alles!« sagte Margarete. »Er befindet sich jetzt also in Sicherheit?«
»Teufel! So sicher wie nur einer, für dessen Kopf mir Beaulieu bürgt.«
»Oh, tausend Dank, mein Bruder, für Heinrich! Aber . . .«
»Aber was?« fragte der König.
»Aber es handelt sich noch um eine andere Person . . . und es ist von mir vielleicht unrichtig, daß ich mich ihrer annehme . . . aber, ich nehme mich ihrer doch nun einmal an!«
»Und wer ist das?«
»Sire, schonen Sie mich . . . ich könnte sie nicht einmal meinem Bruder nennen, geschweige denn meinem König!«
»Herr von La Mole, nicht wahr?« sagte Karl.
»Ach,« seufzte Margarete, »Sie wollten ihn schon einmal töten, Sire, und er ist nur wie durch ein Wunder dem Zorn seines Königs entgangen.«
»Und das, Margarete, als er nur eines Verbrechens bezichtigt war. Doch jetzt, da er zwei auf sein schuldiges Haupt geladen hat . . .«
»Sire, er ist nicht am zweiten Verbrechen schuld.«
»Aber hast du denn nicht gehört, was unsere liebe Mutter behauptet hat, meine arme Margot?«
»Oh, ich sagte Ihnen schon, Karl,« erwiderte Margarete und minderte ihre Stimme zu einem Flüstern herab, »ich sagte Ihnen schon, daß sie gelogen hat!«
»Vielleicht wissen Sie aber nicht, daß da eine Wachsfigur eine Rolle spielt, die bei Herrn von La Mole beschlagnahmt wurde?«
»Gewiß, mein Bruder, ich weiß es!«
»Daß dieser Figur eine Nadel in das Herz gestochen wurde und daß die Nadel ein Papierfähnchen trägt, auf dem der Buchstabe M vermerkt ist?«
»Auch das weiß ich.«
»Daß die Figur einen Königsmantel auf den Schultern und eine Königskrone auf dem Haupte trägt?«
»Alles weiß ich!«
»Nun, was haben Sie darauf zu sagen?«
»Ich sage, daß diese kleine Figur mit dem Königsmantel und mit der Königskrone keinen Mann, sondern eine Frau darstellen soll!«
»Bah! Und die Nadel, die im Herzen steckt?«
»Das war eine Zauberei, um sich von einer gewissen Frau lieben zu lassen und hatte nicht den bösen Zweck, den Tod eines Mannes herbeizuführen.«
»Und der Buchstabe M?«
»Bedeutet nicht: Tod, wie die Königin-Mutter sagte.«
»Was soll der Buchstabe aber bedeuten?«
»Er soll der Anfangsbuchstabe . . . der soll den Namen vorstellen, den Namen der Frau, die Herr von La Mole liebte.«
»Und wie heißt diese Frau?«
»Diese Frau heißt: Margarete, mein Bruder,« sagte die Königin von Navarra und fiel vor dem Bett des Königs auf die Knie. Und dann nahm sie seine Hand in ihre beiden Hände und neigte ihr tränenüberströmtes Antlitz auf diese Hand.
»Ruhe, liebe Schwester!« sagte Karl und warf unter seinen zusammengezogenen Brauen einen funkelnden Blick im Zimmer umher. »Denn gerade so, wie Sie alles gehört haben, könnte jetzt auch ein anderer Sie hören.«
»Ach, meinetwegen!« sagte Margarete und hob den Kopf. »Sollte auch die ganze Welt anwesend sein, um mich anzuhören, vor der ganzen Welt würde ich erklären, daß es ruchlos ist, der Liebe eines Edelmannes den Verdacht eines Mordes zu unterschieben und seine Ehre auf diese Art zu beschmutzen!«
»Margot, wenn ich dir nun sagen würde, daß ich genau so wie du weiß, was wahr ist und was nicht wahr ist?«
»Ach, mein Bruder!«
»Wenn ich dir sagen würde, daß Herr von La Mole unschuldig ist?«
»Sie wissen es?«
»Wenn ich dir sagen würde, daß ich den wahren Schuldigen kenne?«
»Den wahren Schuldigen?« rief Margarete. »Ja, ist denn ein Verbrechen wirklich begangen worden?«
»Ja, wissentlich oder unwissentlich, ein Verbrechen ist begangen worden!«
»An Ihnen?«
»An mir!«
»Unmöglich!«
»Unmöglich? . . . So sieh mich doch an, Margot!«
Die junge Frau sah ihren Bruder an und schrak zusammen, als sie ihn so blaß vor sich liegen sah.
»Margot, ich habe keine drei Monate mehr zu leben!« sagte Karl.
»Sie, mein Bruder? Du, mein Karl?« schrie Margarete auf.
»Margot, ich bin vergiftet!«
Margarete stieß einen Schrei aus.
»Still doch, still!« sagte Karl. »Man soll ja doch glauben, daß ich infolge eines bösen Zaubers den Tod erleide.«
»Sie kennen den Schuldigen?«
»Ich kenne ihn.«
»Sie sagten, daß es nicht La Mole ist?«
»Nein, er ist es nicht.«
»Heinrich ist es auch nicht, selbstverständlich nicht . . . Großer Gott! wäre es . . .?«
»Wer?«
»Mein Bruder . . . Alençon?« murmelte Margarete.
»Vielleicht.«
»Oder . . . oder . . .« Margarete sprach so leise, als ob sie ihre eigenen Worte fürchte, »oder . . . unsere Mutter?«
Karl schwieg.
Margarete sah ihn an, las alles, was sie wissen wollte, aus seinen Blicken und fiel aus der knienden Stellung nach rückwärts gegen einen Stuhl.
»Ach, mein Gott, ach, mein Gott, das ist ja unmöglich!« stöhnte sie.
»Unmöglich!« wiederholte Karl mit gellendem Lachen. »Ärgerlich, daß nicht René zur Stelle ist, er könnte dir meine ganze Geschichte erzählen.«
»Er, dieser René?«
»Ja. Er würde dir zum Beispiel erzählen, daß eine Frau, der er sich nicht widersetzen darf, von ihm ein Jagdbuch verlangt habe, das in seiner Bibliothek vergraben lag. Daß ein feines Gift auf jede Seite dieses Buches übertragen worden sei, daß jenes Gift, das irgend jemandem, ich weiß nicht wem, bestimmt gewesen, durch eine Laune des Zufalls oder durch eine Strafe des Himmels einem unrechten Menschen in die Hände gefallen sei. Wenn du aber, da René nun einmal nicht anwesend ist, das gewisse Buch sehen willst, es ist hier, hier in meinem Waffenzimmer. Aus der Handschrift des Florentiners wirst du sehen, daß dieses Buch, das in seinen Seiten noch Gift genug enthält, um zwanzig Personen zu töten, daß dieses Buch aus seiner Hand in die Hände seiner Landsmännin gelangt ist.«
»Still, Karl, jetzt mußt du still sein!« sagte Margarete.
»Du siehst also ein, daß man glauben muß, ich sei ein Opfer der Zauberei geworden.«
»Aber das ist ja ungerecht, das ist furchtbar! Gnade, Gnade! Sie wissen doch, daß er unschuldig ist!«
»Ja, das weiß ich, aber man muß glauben, daß nur er allein der Schuldige wäre. Ertrage demnach den Tod deines Geliebten . . . das ist nur ein kleines Opfer für die Rettung der Ehre des Königshauses von Frankreich! Ich muß wohl den Tod erleiden, damit dieses Geheimnis mit mir zu Grabe geht!«
Margarete senkte das Haupt, denn jetzt begriff sie, daß La Mole durch Vermittlung des Königs nicht gerettet werden konnte. Weinend zog sie sich zurück und hatte keine andere Hoffnung mehr, als sich auf ihre eigenen Hilfsmittel zu verlassen.
Unterdessen hatte Katharina, genau so, wie es Karl vorhergesehen, keine Minute verloren. Sie schrieb an den Generalstaatsanwalt Laguesle einen Brief, der uns bis auf das kleinste Wort erhalten geblieben ist und der auf dieses ganze Ereignis ein blutiges Licht wirft.
»Herr Staatsanwalt! Heute abend meldete man mir als sicher, daß La Mole Gottesfrevel begangen hat. In seiner Wohnung zu Paris hat man genügend schlimme Sachen gefunden, so Bücher und Papiere. Ich ersuche Sie, sich an den ersten Präsidenten zu wenden und so schnell als möglich einen Prozeß in der Angelegenheit mit der Wachsfigur einleiten zu lassen, der man einen Stich in das Herz, und zwar zu Schaden des Königs, versetzt hat.
Katharina«.Historischer Text.