Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Gott lenkt

Im Louvre herrschte, wie es der Herzog den jungen Leuten gesagt hatte, abgrundtiefe Stille.

Margarete und die Herzogin hatten sich in die Straße Tizon begeben und Coconas und La Mole waren ihnen gefolgt. Der König und Heinrich durchstöberten die Stadt. Der Herzog von Alençon hielt sich in gespannter und ängstlicher Erwartung der Ereignisse, die ihm die Königin-Mutter prophezeit hatte, in seiner Wohnung auf. Katharina endlich hatte sich zu Bett begeben, und Frau von Sauve saß beim Fußende des Bettes und las gewisse italienische Schwänke vor, über die die gute Königin herzlich lachte.

Schon seit langer Zeit war Katharina nicht so guter Laune gewesen. Nachdem sie mit ihren Hofdamen mit bestem Appetit genachtmahlt hatte, nachdem sie ihren Arzt zu Rate gezogen und dann noch die täglichen Ausgaben ihres Haushaltes geordnet hatte, hatte sie anläßlich einer gewissen, bedeutungsvollen Unternehmung zum Segen ihrer Kinder, wie sie sagte, ein allgemeines Bittgebet angeordnet, das vom Himmel Erfolg herabflehen sollte. Das war so die Gewohnheit Katharinas, ein Rest ihrer florentinischen Eigenart und Erziehung. Bei gewissen Ereignissen, deren Ziel und Zweck nur Gott und ihr bekannt waren, ließ sie Gebete verrichten und Messen lesen.

Zum Schlusse hatte sie noch René empfangen und hatte aus seinen Riechkisten und sonstigem reichhaltigen Lager einige Neuheiten ausgewählt.

»Man sehe nach,« befahl dann Katharina, »ob meine Tochter, die Königin von Navarra zu Hause ist. Wenn sie da ist, wolle sie sich zu mir begeben, um mir Gesellschaft zu leisten.«

Ein Page, dem der Auftrag gegeben wurde, entfernte sich und kam dann nach wenigen Minuten mit Gillonne zurück.

»Nun,« fragte Katharina, »ich verlangte nach der Herrin und nicht nach der Dienerin?«

»Madame,« meldete Gillonne, »ich dachte selbst kommen zu müssen, um Eurer Majestät zu berichten, daß die Königin von Navarra mit ihrer Freundin, der Herzogin von Nevers, ausgegangen ist . . .«

»Um diese Zeit ausgegangen?« sagte Katharina und zog die Brauen zusammen, »und wohin können sie gegangen sein?«

»Zu einer alchimistischen Sitzung, die im Palast des Herzogs von Guise stattfinden soll, in dem von der Frau Herzogin bewohnten Teil . . .«

»Wann dürfte sie zurückkommen?«

»Diese Vorführung dürfte sich bis spät in die Nacht hineinziehen, und es ist wahrscheinlich, daß Ihre Majestät bis morgen früh bei ihrer Freundin bleiben wird.«

»Sie ist glücklich und zufrieden, die Königin von Navarra,« murmelte Katharina, »sie hat Freundinnen und sie ist Königin! Sie trägt eine Krone, man nennt sie Majestät und dabei hat sie keine Untertanen . . . sie ist wohl glücklich!«

Nach diesem Selbstgespräch, das die Zuhörer innerlich lachen machte, wandte sie sich wieder an Gillonne: »Also, wenn sie ausgegangen ist . . . denn sie ist schon ausgegangen, wie Sie sagen?«

»Seit einer halben Stunde ist die Königin fort, Madame.«

»Ja, dann ist alles gut . . . gehen Sie!«

Gillonne verbeugte sich und ging.

»Lesen Sie weiter!« sagte die Königin-Mutter zu Charlotte.

Frau von Sauve begann zu lesen.

Nach zehn Minuten unterbrach Katharina die Vorlesende.

»Ja, richtig,« sagte sie, »man kann jetzt die Wachtposten aus der Galerie einziehen lassen.«

Das war das vereinbarte Zeichen, auf das Maurevel wartete.

Man beeilte sich, den Befehl der Königin-Mutter vollziehen zu lassen, und Frau von Sauve fuhr fort aus ihrem Buche zu lesen.

Sie hatte fast eine Viertelstunde ohne Unterbrechung gelesen, als plötzlich ein langgezogener, furchtbarer Schrei erscholl und bis in das königliche Gemach drang, so daß allen Anwesenden die Haare fast zu Berge standen.

Gleich darauf wurde auch ein Pistolenschuß hörbar.

»Was soll das bedeuten?« fragte die Königin-Mutter, »und warum lesen Sie nicht weiter, Carlotta?«

»Madame,« erwiderte erbleichend die junge Frau, »haben Sie denn nichts gehört?«

»Was?«

»Den Schrei?«

»Und den Pistolenschuß!« fügte der Kapitän der Garde bei.

»Einen Schrei, einen Pistolenschuß . . .,« meinte Katharina, »ich habe gar nichts gehört, ich . . . übrigens, ist denn das etwas so Außergewöhnliches im Louvre? Lesen Sie nur weiter, lesen Sie, Carlotta!«

»So hören Sie doch, Madame,« erwiderte diese, während Herr von Nancey aufrecht, die Hand am Degengriff, bei der Tür stand, weil er sich ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht hinausbegeben durfte, »hören Sie, Madame, Schritte werden vernehmbar, Verwünschungen . . .«

»Soll ich mich erkundigen, Madame?« fragte der Kapitän.

»Keinesfalls, bleiben Sie nur hier!« befahl Katharina, indem sie sich auf eine Hand stützte und den Oberkörper hob, um ihrem Befehl auf diese Art mehr Nachdruck zu geben. »Wer würde im Falle eines Waffengebrauches mich dann schützen? Das werden betrunkene Schweizer sein, die miteinander raufen.«

Die Ruhe der Königin stand zu dem Schrecken, der sich der Anwesenden bemächtigt hatte, in solchem Gegensatz, daß Frau von Sauve, so bescheiden sie auch war, einen forschenden Blick auf die Königin-Mutter warf.

»Aber, Madame,« rief sie, »man möchte meinen, daß jemand getötet wird!«

»Wen soll man denn töten?«

»Aber den König von Navarra, Madame, der Lärm kommt aus der Richtung seiner Wohnung her.«

»Die dumme Gans,« murmelte die Königin vor sich hin, und trotz ihrer Selbstbeherrschung verzogen sich ihre Lippen ganz merkwürdig, weil sie ein Gebet vor sich hinstammelte, »die dumme Gans sieht ihren König von Navarra schon überall!«

»Mein Gott, mein Gott!« seufzte die junge Frau und fiel auf die Lehne ihres Stuhles zurück.

»Die Sache ist schon erledigt, ist beendet . . .,« sagte Katharina. »Kapitän, ich hoffe, daß Sie morgen, wenn ein Streit im Palast war, die Schuldigen strengstens zur Verantwortung ziehen lassen werden! Lesen Sie jetzt weiter, Carlotta!«

Katharina fiel nun selbst auf ihre Kopfkissen zurück, und zwar mit einer Steifheit, die einer Erschöpfung glich. Die Anwesenden bemerkten auch, daß ihr große Schweißtropfen über das Gesicht rannen.

Frau von Sauve gehorchte dem ausdrücklichen Befehl, doch nur ihre Augen und ihre Stimme widmeten sich ihrer Aufgabe. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit ganz anderen Dingen, und vor allem andern sah sie eine furchtbare Gefahr über einem geliebten Haupt schweben. Nach einigen Minuten fand sie sich durch diesen Seelenkampf und durch die Aufregung einerseits, wie durch den höfischen Zwang anderseits so bedrückt, daß ihre Stimme aufhörte verständlich zu sein. Das Buch entglitt ihren Händen, sie wurde ohnmächtig.

Mit einemmal war ein noch heftigerer Lärm zu vernehmen. Ein schwerer und eiliger Schritt erschütterte den Gang, zwei Schüsse ertönten, daß die Fensterscheiben erzitterten. Katharina, die nun doch über diesen außergewöhnlich langen Kampf erstaunt war, richtete sich nun ihrerseits auch auf, wurde bleich und machte große Augen. Doch in dem Augenblick, als sich der Kapitän hinausstürzen wollte, hielt sie ihn auf und sagte: »Alles hat hier zu bleiben, ich werde mich selbst hinausbegeben, um zu sehen, was sich ereignet hat.«

Folgendes war aber während dieser Zeit vor sich gegangen:

Am Morgen hatte Mouy aus den Händen Orthons den Schlüssel zu Heinrichs Wohnung übernommen. Dieser Schlüssel war hohl, in seinem Innern war ein zusammengerolltes Stück Papier zu bemerken. Mouy zog das Papier mit einer Nadel heraus.

Es enthielt das Losungswort zum Eintritt in den Louvre für die kommende Nacht.

Außerdem hatte Orthon dem Edelmann wörtlich die Worte Heinrichs wiederholt, nach denen Herr von Mouy eingeladen war, sich um zehn Uhr abends beim König einzufinden.

Um halb zehn Uhr hatte sich Mouy die Rüstung umgetan, deren Festigkeit er schon bei mehreren Gelegenheiten erprobt hatte. Über diese hatte er sein Samtwams geknöpft, hatte sich seinen Degen umgeschnallt und zwei Pistolen in den Gürtel gesteckt. Dann hatte er den berüchtigten kirschroten Mantel umgenommen.

Es ist noch erinnerlich, wie Heinrich, bevor er nach Hause gegangen, Margarete einen Besuch abzustatten sich entschlossen hatte, wie er dann über die geheime Stiege gerade zur rechten Zeit das Schlafzimmer Margaretes betreten hatte, um La Mole hineinzustoßen und seinen Platz an der Seite Margaretes vor den Augen des Königs einzunehmen. Das war im gleichen Augenblick geschehen, als Mouy vermöge des gegebenen Losungswortes und des kirschroten Mantels anstandslos durch das Tor des Louvre gekommen war.

Der junge Mann ging geradeswegs in die Wohnung des Königs von Navarra und versuchte hierbei, so gut wie möglich, den Gang La Moles nachzumachen. Im Vorzimmer traf er Orthon an, der auf ihn gewartet hatte.

»Herr von Mouy,« sagte der Bergbewohner, »der König ist ausgegangen, doch hat er mir befohlen, Sie einzulassen, damit Sie in seiner Wohnung auf ihn warten könnten. Falls er sich sehr verspäten sollte, sind Sie, wie gesagt, eingeladen, sich auch auf sein Bett zu werfen.«

Mouy trat ein, ohne weitere Aufklärungen zu verlangen, denn was er gehört hatte, war nur eine Wiederholung dessen, was ihm Orthon schon in der Frühe gemeldet hatte.

Um seine Zeit zu nützen, nahm Mouy Feder und Tinte, näherte sich einer vorzüglichen Wandkarte von Frankreich und begann die Tagmärsche von Pau bis Paris auszumessen und einzuteilen.

Diese Arbeit dauerte aber nur eine Viertelstunde, und als er sie beendigt hatte, wußte Mouy nicht, womit er sich noch beschäftigen könnte.

Er ging drei- oder viermal um das Zimmer herum, rieb sich die Augen, gähnte, setzte sich nieder, stand wieder auf, um sich abermals niederzulassen. Schließlich beschloß er, der Einladung Heinrichs zu folgen, die dem vertrauten Umgang zwischen den Prinzen und ihren Edelleuten, wie er damals üblich war, vollkommen entsprach. Er stellte die Lampe auf den Nachttisch, legte seine Pistolen dazu, dann warf er sich lang auf das breite Bett hin, das mit seinen dunklen Vorhängen im Hintergrund des Zimmers stand. Den entblößten Degen legte er an seine Seite und wiegte sich in Sicherheit, nicht überrascht werden zu können, weil ein Diener im Vorzimmer wachte. Bald fiel er in einen tiefen Schlaf, dessen Lautäußerungen unter dem breiten Betthimmel einen Widerhall fanden. Er schnarchte wie ein alter Kriegsknecht und hätte sich in dieser Beziehung sehr gut mit dem König selbst messen können.

Um diese Zeit war es, als sechs Männer, mit dem Degen in der Hand und den Dolch im Gürtel, vorsichtig durch den Gang schlichen, der durch eine kleine Tür mit der Wohnung Katharinas, durch eine größere mit den Gemächern des Königs von Navarra verbunden war.

Einer von den sechs Männern war der Führer. Außer seinem blanken Degen und einem Dolch, der stark wie ein Jagdmesser war, hatte er noch seine verläßlichen kleinen Pistolen mittels silbernen Spangen am Gürtel befestigt.

Der Mann war Maurevel.

An der Tür der Wohnung des Königs von Navarra angekommen, blieb er stehen.

»Sie haben sich doch gut davon überzeugt, daß die Wachtposten vom Gang verschwunden sind?« fragte er den, der die kleine Abteilung zu befehligen schien.

»Nicht ein einziger steht auf seinem Platz!« antwortete der Leutnant.

»Gut,« sagte Maurevel, »jetzt brauchen wir uns nur noch um eine Sache zu sorgen, und die ist, ob der, den wir suchen, auch in seiner Wohnung ist?«

»Aber,« erwiderte der Leutnant und hielt Maurevels Hand zurück, die den Türklopfer ergriffen hatte, »aber, Kapitän, die Wohnung hier ist die des Königs von Navarra!«

»Wer behauptet das Gegenteil?« antwortete Maurevel.

Die Mordgesellen sahen sich erstaunt an, und der Leutnant wich einen Schritt zurück.

»Hm,« meinte der Leutnant, »jemand um diese Zeit festnehmen? Im Louvre, noch dazu in der Wohnung des Königs von Navarra?«

»Was würden Sie mir denn antworten, wenn ich Ihnen sagen möchte, daß der, den Sie verhaften sollen, der König selbst ist?«

»Ich müßte Ihnen antworten, Kapitän, daß diese Angelegenheit sehr ernst ist und daß ohne einen schriftlichen und eigenhändig unterfertigten Befehl König Karl des Neunten . . .«

»Lesen Sie!« sagte Maurevel.

Er zog den Befehl aus seinem Wams, den ihm Katharina eingehändigt hatte und überreichte ihn dem Leutnant.

»Es ist gut!« sagte dieser, nachdem er ihn gelesen hatte. »Ich habe Ihnen jetzt nichts mehr zu sagen.«

»Sind Sie dazu bereit?«

»Ich bin es!«

»Und Sie?« fragte Maurevel die anderen Häscher.

Die verbeugten sich mit dem Zeichen der Ergebenheit.

»Hören Sie mich also an, meine Herren, unser Plan ist folgender: zwei von Ihnen werden bei dieser Tür bleiben, zwei bei der Tür des Schlafzimmers, zwei werden mit mir in das Schlafzimmer eintreten.«

»Hernach?« fragte der Leutnant.

»Beachten Sie nun folgendes: Es ist uns befohlen, den Verhafteten unbedingt daran zu verhindern, Hilfe herbeizurufen, zu schreien oder sich zu widersetzen. Irgendwelche Nichtbeachtung oder Übertretung dieses Befehles soll mit dem Tod bestraft werden.«

»Vorwärts, vorwärts!« sagte der Leutnant zu dem Mann, der bestimmt war, mit ihm und Maurevel zum König hineinzugehen, »er hat freies Spiel!«

»Vollständig!« erklärte Maurevel.

»Armer Teufel, der König von Navarra!« meinte einer der Männer. »Es scheint da oben geschrieben zu stehen, daß er der Gefahr nicht auskommen wird.«

»Und hier unten,« sagte Maurevel und nahm dem Leutnant den Befehl Katharinas wieder aus der Hand, »daß er in sein Nichts zurückkehren wird.«

Maurevel steckte nun den Schlüssel, den ihm Katharina übergeben hatte, in das Schlüsselloch, und während er, wie besprochen, zwei Mann bei der Eingangstür stehen ließ, trat er mit den vier anderen in das Vorzimmer ein.

»Ah, ah!« sagte er, als er den lauten Atem des Schlafenden, der bis an sein Ohr drang, hörte. »Es scheint, daß wir das, was wir suchen, hier auch richtig finden werden.«

Gleichzeitig ging Orthon, der der Meinung war, daß sein Herr heimkehre, diesem entgegen und stand plötzlich den fünf bewaffneten Männern gegenüber, die das erste Zimmer besetzt hielten.

Als er das düstere Antlitz Maurevels erblickte, des Mannes, den man Töter des Königs nannte, wich der treue Diener zurück und stellte sich vor die zweite Tür.

»Wer sind Sie, was wollen Sie?« fragte er.

»Ich Namen des Königs,« erwiderte Maureoel, »wo befindet sich dein Herr?«

»Mein Herr?«

»Ja, der König von Navarra!«

»Der König ist nicht in seiner Wohnung,« sagte Orthon und verstellte die Tür, so gut er es nur konnte, »daher können Sie auch nicht eintreten.

»Vorwand und Lüge!« sagte Maurevel. »Also zurück!«

Die Bearner sind eigensinnig. Der hier knurrte wie ein Hund aus seinen Bergen und sagte, ohne sich einschüchtern zu lassen: »Sie werden nicht eintreten, der König ist abwesend!«

Er klammerte sich an die Tür.

Maurevel gab ein Zeichen. Die vier Männer ergriffen den Widerspenstigen, rissen ihn von der Türverkleidung weg, an der er sich festgehalten, und als er den Mund öffnete, um zu schreien, preßte ihm Maurevel die Hand auf die Lippen.

Orthon biß wütend dem Mörder in die Hand. Der zog die Hand mit einem dumpfen Schmerzenslaut weg und schlug dem Diener mit seinem Degenknauf auf den Kopf. Orthon wankte, fiel nieder und schrie: »Zu den Waffen, zu den Waffen!«

Bald versagte seine Stimme, er wurde ohnmächtig.

Die Mörder gingen über seinen Leib hinweg. Zwei blieben dann bei der Tür stehen und die zwei letzten gingen mit Maurevel in das Schlafzimmer des Königs.

Beim Schein der Lampe, die auf dem Nachttisch stand, erblickten sie das Bett.

Die Bettvorhänge waren geschlossen.

»Oh, oh!« flüsterte der Leutnant, »mir scheint, jetzt schnarcht er nicht mehr.«

»Vorwärts, los!« sagte Maurevel.

Auf diese Worte hin ertönte hinter den Vorhängen ein heiserer Schrei, der mehr dem Gebrüll eines Löwen, als einer menschlichen Stimme ähnelte. Sie teilten sich plötzlich und ein Mann im Panzer erschien. Auf seinem Haupt saß ein Helm, der das ganze Gesicht mit Ausnahme der Augen bedeckte. Der Mann saß auf dem Bett, hatte zwei Pistolen in den Händen, sein Degen lag auf den Knien.

Wie Maurevel diese Gestalt erblickte, hatte er auch gleich Mouy erkannt und er fühlte, daß sich seine Haare sträubten. Er wurde furchtbar blaß, vor seinem Mund stand Schaum. Wie vor einer Geistererscheinung wich er zurück.

Sofort erhob sich die bewaffnete Gestalt und machte einen Schritt nach vorwärts, wie ihn Maurevel nach rückwärts gemacht hatte, so daß es aussah, als ob nun der Bedrohte der Verfolger geworden wäre, der ursprüngliche Angreifer aber sein Heil in der Flucht suchen müßte.

»Ah, du Verbrecher!« sagte Mouy mit hohler Stimme, »du kommst, um mich zu morden, wie du meinen Vater ermordet hast!«

Nur die zwei von Maurevels Spießgesellen, die mit ihm in das Zimmer des Königs getreten waren, konnten diese furchtbare Anklage vernehmen. Aber zugleich mit diesen Worten senkte sich auch schon eine der erhobenen Pistolen in die Höhe der Stirne Maurevels. Rasch warf sich der in dem Augenblick auf die Knie, als der Finger Mouys den Abzug berührte. Der Schuß krachte, und einer der Begleiter Maurevels, der gerade hinter diesem gestanden war und nun die Deckung verloren hatte, stürzte mitten ins Herz getroffen nieder. Gleich darauf feuerte auch Maurevel, doch seine Kugel plattete sich wirkungslos auf dem Panzer Mouys ab.

Mit gewaltigem Anlauf und die Entfernung richtig abschätzend, spaltete jetzt Mouy mit dem Rücken seiner breiten Degenklinge dem zweiten Häscher den Schädel. Dann kehrte er sich schnell um und kreuzte seinen Degen mit Maurevel.

Der Kampf war furchtbar, doch von kurzer Dauer. Beim vierten Gange schon fühlte Maurevel das kalte Eisen in der Kehle. Er gab einen gurgelnden Laut von sich, fiel nach rückwärts und warf hierbei die Lampe um, die sofort verlöschte.

Im Schutz der Dunkelheit sprang jetzt Mouy, stark und flink, wie ein homerischer Held, mit gesenktem Haupt in das Vorzimmer, warf hier den einen Wächter um, stieß den anderen auf die Seite und fuhr dann wie ein Blitz durch die zwei Mordgesellen durch, die die äußere Tür bewacht hatten. Er entkam den zwei Pistolenkugeln, die ihm nachgeschickt wurden und die nur die Wand des Ganges aufrissen. Nun war er gerettet, denn es blieb ihm noch außer dem Degen, der so furchtbare Hiebe austeilen konnte, eine geladene Pistole übrig.

Einen Augenblick zögerte noch Mouy, um zu überlegen, ob er zum Herzog von Alençon, dessen Wohnungstür scheinbar aufgegangen war, fliehen sollte oder ob er den Versuch wagen sollte, aus dem Louvre herauszukommen. Er entschied sich für das letztere, setzte seine Flucht zuerst etwas langsamer fort, sprang dann aber wieder über zehn Stufen der Stiege auf einmal, erreichte das Ausgangstor, nannte das Losungswort und stürzte mit dem Ruf hinaus: »Vorwärts hinauf! Man tötet dort oben im Auftrag des Königs!«

Indem er sich die Verblüffung, die seine Worte und die Pistolenschüsse auf die Wache verursacht hatten, zunutze machte, gewann er Raum und Zeit und verschwand, ohne die Haut geritzt zu haben, in der Straße de Coq.

Das war in jenem Augenblick, als Katharina dem Kapitän befohlen hatte: »Bleiben Sie hier, ich werde selbst nachsehen, was vorgefallen ist.«

»Aber, Madame,« erwiderte der Kapitän, »die Gefahr, die Eurer Majestät begegnen könnte, macht es mir zur Pflicht, Eurer Majestät zu folgen!«

»Bleiben Sie, mein Herr!« sagte Katharina in noch befehlenderem Tone als früher, »bleiben Sie! Könige stehen unter einem mächtigeren Schutz, als ihn ein Degen gewähren kann!«

Der Kapitän blieb.

Katharina nahm eine Lampe, schlüpfte mit ihren nackten Füßen in Plüschpantoffel hinein und ging aus dem Zimmer. Sie begab sich durch den Gang, in dem noch der Pulverdampf lag, unempfindlich und wie ein kalter Schatten, zu den Gemächern des Königs von Navarra hin.

Überall war wieder Ruhe eingetreten.

Katharina gelangte zur Eingangstür, überschritt deren Schwelle und sah zuerst im Vorzimmer den bewußtlosen Orthon liegen.

»Ah!« staunte sie, »da liegt schon immerhin der Diener, zweifellos wird weiter rückwärts auch der Herr zu finden sein!« Und sie durchschritt die zweite Tür.

Hier stieß ihr Fuß an einen Menschenkörper an. Sie senkte die Lampe. Das war der Gardesoldat mit dem gespaltenen Schädel, er war tot.

Drei Schritte weiter lag der Leutnant, der die Kugel in die Brust bekommen hatte, er hauchte seine letzten Seufzer aus.

Vor dem Bett endlich versuchte sich ein Mann vom Boden zu erheben. Sein Gesicht war bleich, wie das eines Toten, aus einer zweifachen Wunde, die sich quer über den Hals zog, floß Blut, er versuchte die Muskeln seiner verkrümmten Hände zu spannen.

Das war Maurevel.

Ein Schauer ging Katharina durch die Glieder. Sie sah das leere Bett, sie blickte im Zimmer suchend umher, ohne unter den drei im Blut liegenden Männern den zu finden, den sie tot zu sehen erhofft hatte.

Maurevel erkannte die Königin-Mutter, seine Augen erweiterten sich auf erschreckende Art, er machte eine verzweifelnde Bewegung gegen sie hin.

»Nun?« fragte sie halblaut. »Wo ist er? Was ist aus ihm geworden? Unglücklicher, haben Sie ihn entwischen lassen?«

Maurevel versuchte einige Worte hervorzubringen, doch nur ein unverständliches Pfeifen drang aus seinem wunden Hals, ein rötlicher Schaum kräuselte sich auf seinen Lippen, er ließ den Kopf sinken zum Zeichen seiner Ohnmacht und seiner Schmerzen.

»So sprich doch!« rief Katharina. »Sprich, und wenn du mir auch nur ein Wort zu sagen imstande wärest!«

Maurevel deutete auf seine Wunde und ließ wieder einige undeutliche Laute hören, dann nahm er seine ganze Kraft zusammen, brachte aber nicht mehr als ein heiseres Geröchel hervor und fiel bewußtlos zurück.

Katharina blickte sich abermals um, sie war nur von Sterbenden und von Leichen umgeben, Blut floß im Zimmer umher und Totenstille herrschte im ganzen Raum.

Noch einmal rief sie Maurevel an, doch der war nicht zu erwecken und diesmal blieb er stumm und unbeweglich liegen. Ein Stück Papier sah aus seinem Wams hervor, es war der schriftliche Befehl des Königs zur Verhaftung des Königs von Navarra. Katharina nahm ihn an sich und verbarg ihn an ihrer Brust.

In dem Augenblick vernahm Katharina ein leichtes Streifen am Fußboden, sie kehrte sich um und sah den Herzog von Alençon aufrecht bei der Zimmertür stehen. Der Lärm hatte ihn unwillkürlich angezogen, und das schreckliche Bild, das er vor Augen hatte, nahm ihn gefangen.

»Sie hier?« fragte Katharina.

»Ja, Madame: aber was geht denn hier vor? Um Gottes Willen!«

»Begeben Sie sich wieder in Ihre Wohnung zurück, Franz, denn Sie werden alles noch rechtzeitig genug erfahren!«

Der Herzog von Alençon wußte von dem ganzen Vorfall mehr, als es Katharina vermuten konnte. Seit dem ersten Schritt, der im Gange gehallt hatte, hatte er aufmerksam gelauscht. Als er bemerkt hatte, wie die Männer in die Wohnung des Königs von Navarra eintraten, war ihm in Erinnerung der Worte Katharinas klar geworden, um was es sich handeln sollte. Er konnte sich nur beglückwünschen, daß eine Hand, die stärker war als die seinige, die Vernichtung eines so gefährlichen Freundes besorgen wollte.

Bald hatten die Schüsse, die raschen Schritte des Flüchtigen, seine Aufmerksamkeit ganz in Anspruch genommen, und in einem Lichtschein, der durch die Türspalte drang, hatte er den gewissen kirschroten Mantel in der Wendung der Stiege verschwinden gesehen, dessen Anblick ihm zu vertraut war, um nicht seinen Besitzer zu erkennen.

»Mouy!« rief er, »Mouy bei meinem Schwager Navarra! Aber das ist doch ganz unmöglich! Sollte es am Ende La Mole gewesen sein?«

Hierauf ergriff ihn eine gewisse Unruhe. Er erinnerte sich, daß ihm dieser junge Mann von Margarete selbst anempfohlen worden war, und um sich zu überzeugen, ob er es tatsächlich gewesen, den er flüchten gesehen, stieg er rasch zum Zimmer der zwei jungen Leute hinauf. Es war leer. In einer Ecke hing aber der berüchtigte rote Mantel. Sein Zweifel war also behoben: es war nicht La Mole gewesen, sondern Herr von Mouy.

Bleich und aufgeregt darüber, daß der Hugenotte gefangen werden und mit ihm die Verschwörung aufgedeckt werden könnte, war er zur Eingangspforte des Louvre geeilt und hatte hier erfahren, daß der rote Mantel heil und glücklich davongekommen war und daß der Flüchtige gerufen hatte, daß man im Louvre auf Geheiß des Königs morde.

»Er hat sich geirrt,« murmelte der Herzog, »es geschah auf Befehl der Königin-Mutter.«

Als er zum Schauplatz des Überfalles zurückgekehrt war, hatte er Katharina gesehen, die wie eine Hyäne zwischen den Leichen herumstreifte.

Der Befehl seiner Mutter hatte ihn bestimmt, Ruhe und Gehorsam zu heucheln und in seine Wohnung zurückzukehren, obwohl ihn die unglaublichsten Gedanken beschäftigten.

Katharina war arg enttäuscht, ihren neuerlichen Versuch gescheitert zu sehen. Sie rief ihren Kapitän herbei, ließ die Leichen wegschaffen, befahl, daß Maurevel, der nur verwundet war, in seine Wohnung geschafft würde, und ordnete an, daß man den König nicht aus seinem Schlaf wecken sollte.

»Oh!« sagte sie sich, als sie gesenkten Hauptes in ihre Gemächer zurückkehrte, »er ist noch einmal entwischt. Die Hand Gottes ruht auf diesem Menschen, er wird zur Regierung gelangen, er wird herrschen!«

Als sie die Tür ihres Zimmers öffnete, legte sie die Hand an ihre Stirne und heuchelte ein gleichgültiges Lächeln.

»Was gab es, Madame?« fragten alle Anwesenden mit Ausnahme von Frau von Sauve, die noch zu erregt war, um eine Frage zu stellen.

»Nichts!« antwortete Katharina. »Lärm, das war alles!«

»Oh!« rief plötzlich Frau von Sauve und deutete auf den Fußboden, über den Katharina gegangen war, »Eure Majestät behaupten, daß nichts los war, und jeder Ihrer Schritte läßt eine Spur auf dem Teppich zurück!«

 


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