Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Orestes und Pylades

Es schien, als ob nach der Abreise Heinrichs von Anjou Friede und Glück in den Louvre, in diese Heimstätte einer Atridenfamilie, eingezogen wären.

Karl hatte seinen Gram vergessen, hatte die volle Gesundheit wiedererlangt und jagte fleißig mit Heinrich. Wenn zur Jagd keine Gelegenheit war, dann sprach er wenigstens von der Jagd und warf ihm hierbei nur vor, daß er der Beize kein Vergnügen abgewinnen könne. Er hielt Heinrich vor, daß er ihn als vollkommenen Prinzen schätzen müßte, wenn er ebenso gut, wie er Leithunde und Hetzrüden abrichten konnte, Falken, Sperber und Rüttelweihen zu schulen verstünde.

Katharina war eine ganz gute Mutter geworden, zärtlich mit Karl und Alençon, artig mit Heinrich und Margarete, gnädig mit der Herzogin von Nevers und Frau von Sauve. Unter dem Vorwand, daß er in Ausführung ihres Auftrages so schwer verwundet worden wäre, hatte sie sogar ihre Güte soweit getrieben, den genesenden Maurevel zweimal in der Straße de la Cerisaie zu besuchen.

Margarete setzte ihre Liebschaft nach spanischer Art fort.

An jedem Abend öffnete sie ihr Fenster und verständigte sich mit La Mole durch Zeichen und durch Briefe. In allen seinen Antworten erinnerte der junge Mann seine schöne Königin immer daran, daß sie ihm in Entschädigung seiner Verbannung einige glückliche Augenblicke in der Straße Cloche-Percée versprochen hatte.

Ein einziger Mensch fühlte sich in diesem so ruhig und friedliebend gewordenen Louvre einsam und von aller Welt verlassen.

Dieser Mensch war unser Freund, der Graf Hannibal von Coconas.

Ganz sicherlich war es schon ein Vorteil, La Mole wenigstens am Leben zu wissen. Gewiß war es auch gut und schön, der Bevorzugte der Herzogin von Nevers zu sein, der heitersten und wunderlichsten Frau am ganzen Hofe. Doch alle von der schönen Herzogin gewährten reizenden Zusammenkünfte, alle geistreichen Beruhigungen Margaretes über das Los des gemeinsamen Freundes wogen dem Piemontesen nicht eine Stunde auf, die er mit La Mole beim Freunde La Hurière vor einem Krug süßen Weines hätte verbringen können. Sie wogen auch nicht einen einzigen der tollen Ausflüge auf, die er mit La Mole in und um ganz Paris unternommen hatte und bei denen ein ehrlicher Edelmann sehr leicht mit Rissen in der Haut, in der Geldbörse oder an den Kleidern davonkommen konnte.

Die Herzogin von Nevers – das muß zum Schaden der Menschlichkeit eingestanden werden – ertrug die Nebenbuhlerschaft La Moles nur mit großer Ungeduld. Nicht weil sie den Provenzalen haßte, sondern ganz im Gegenteil. Beeinflußt von dem unbezwingbaren Drang, der jeder eitlen Frau eigen ist und sie veranlaßt, unter Umständen sogar mit dem Liebhaber ihrer besten Freundin zu liebäugeln, hatte die Herzogin La Mole manchen Blick ihrer smaragdgrünen Augen zugeworfen. Coconas hätte zuweilen seinen Freund während der launigen Zeit, in der der Stern des Piemontesen am Himmel seiner schönen Geliebten zu erblassen begann, um die herzlichen ihm zugedachten Händedrücke und um den Aufwand an Liebenswürdigkeiten seitens der Herzogin beneiden können. Doch Coconas, der imstande gewesen wäre, wegen eines einzigen Augenzwinkerns seiner Dame gleich fünfzehn Männer umzubringen, war auf La Mole so wenig eifersüchtig, daß er ihm mit Rücksicht auf das unüberlegte Betragen der Herzogin öfters ein gewisses Anerbieten ins Ohr geflüstert hatte, das den Provenzalen erröten ließ.

Die Folge davon war, daß Henriette, die durch die Abwesenheit La Moles aller gesellschaftlichen Vorzüge Coconas, zum Beispiel seiner unversiegbaren Scherzfreude oder seiner launigen Schalkhaftigkeit, beraubt war, eines Tages Margarete aufsuchte und sie bat, diesen unerläßlichen Dritten, ohne den Coconas Herz und Seele von Tag zu Tag mehr verdorrte, zurückzuverschaffen.

Von Mitleid ergriffen, gleichzeitig aber auch von La Mole bestürmt und dem eigenen Herzenswunsch nachgebend, bestellte Margarete Henriette für den nächsten Tag in das Haus mit den zwei Eingängen, um mit ihr dort ungestört und ohne Zeugen verhandeln zu können.

Coconas erhielt, ohne sich darüber besonders zu freuen, den Brief Henriettes, der ihn für halb zehn Uhr abends in die Straße Tizon berief. Nichtsdestoweniger machte er sich auf den Weg zum Stelldichein und fand Henriette im Hause vor, die erzürnt war, schon als erste angekommen zu sein.

»Pfui, mein Herr,« rief sie ihm entgegen, »das ist recht roh von Ihnen, einen da warten zu lassen . . . ich will nicht gerade sagen, eine Prinzessin warten zu lassen, doch überhaupt eine Dame warten zu lassen!«

»Oh, warten lassen!« meinte Coconas. »Das ist zum Beispiel eines Ihrer Lieblingsworte! Ich aber wette im Gegenteil, daß unser Kommen verfrüht ist!«

»Ich bin zu früh daran, das ist richtig!«

»Bah, ich ebenfalls, es ist jetzt höchstens zehn Uhr, dafür kann ich einstehen!«

»Gut, aber in meinem Brief ist von halb neun Uhr die Rede.«

»Ich bin um neun Uhr vom Louvre weggegangen, sozusagen nur nebenbei, weil ich Dienst beim Herrn Herzog von Alençon habe. Darum werde ich Sie auch schon in einer Stunde verlassen müssen.«

»Was Sie natürlich sehr freut?«

»Meiner Treu, nein! Schon darum nicht, weil der Herzog ein sehr verdrießlicher und launischer Herr ist. Es ist mir aber immer noch lieber von so hübschen Lippen, wie die Ihrigen, als von seinem schiefgezogenen Mund ausgescholten zu werden.«

»Also,« meinte die Herzogin, »das klingt immerhin schon ein wenig besser . . . Sie sagten doch, daß Sie sich bereits um neun Uhr auf den Weg machten?«

»Ach ja, mein Gott! In der Absicht geradenwegs hierher zu gehen, sah ich an der Ecke der Straße de Grenelle einen Mann, der La Mole ähnlich sah.«

»Gut, schon wieder einmal dieser La Mole!«

»Ja, schon wieder, mit und ohne Erlaubnis!«

»Rohling!«

»Auch gut, dann werden wir wieder mit Höflichkeiten beginnen!«

»Nein, aber beendigen Sie Ihren Bericht!«

»Ich habe gar keine Lust zu berichten, sondern Sie fragten mich, warum ich mich verspätet hätte.«

»Zweifellos, ist es jedoch etwa meine Pflicht, zuerst zu kommen?«

»Eh! Sie haben ja niemand zu suchen!«

»Sie sind heute unerträglich, mein Lieber! Doch setzen Sie fort . . . also an der Ecke der Straße de Grenelle haben Sie einen Mann gesehen, der La Mole glich . . . aber was haben Sie denn da an Ihrem Wams? Blut?«

»Recht so! Da hat mich also noch einer im Niederfallen bespritzt!«

»Was? Sie haben sich geschlagen?«

»Das will ich glauben!«

»Für Ihren La Mole?«

»Für wen soll ich mich denn schlagen? Für eine Frau etwa?«

»Danke!«

»Ich bin also dem Manne, der die Unverschämtheit hatte, die Art meines Freundes nachzuahmen, gefolgt. In der Straße Coquillière habe ich ihn eingeholt, bin ihm dann vorgegangen und habe ihm beim Lichtschein eines Kramladens unter die Nase geschaut. La Mole war es nicht.«

»Gut, das war so recht gemacht!«

»Ja, aber er hat es übelgenommen. Mein Herr, sagte ich ihm, Sie sind ein Laffe, weil Sie sich erlauben, von weitem meinem Freund, Herrn von La Mole, ähnlich sehen zu wollen, meinem Freund, der ein vollendeter Edelmann ist! In der Nähe kann man allerdings feststellen, daß Sie ein Landstreicher sind! Auf das hin hat er den Degen gezogen, ich natürlich auch. Beim dritten Gang – sehen Sie sich diesen Ungeschickten an – ist er gestürzt und hat mich hierbei beschmutzt!«

»Haben Sie ihm dann wenigstens Hilfe geleistet?«

»Ich war gerade im Begriffe es zu tun, als ein Reiter vorbeikam. Ah! Diesmal, Herzogin, war ich ganz sicher, La Mole vor mir zu haben! Unglückseligerweise ritt er im Galopp. Ich lief dem Pferde nach und die Leute, die sich, um mir beim Kampf zuzusehen, um mich versammelt hatten, liefen hinter mir her. Da man mich hätte für einen Dieb halten können, weil mir doch das brüllende Gesindel auf den Fersen folgte, mußte ich mich umdrehen, um sie davonzujagen und verlor hierbei eine gewisse Zeit. Der Reiter war auch schon verschwunden. Ich machte mich auf die weitere Verfolgung auf, erkundigte mich, fragte herum und gab die Farbe des Pferdes an . . . doch basta, alles war umsonst! Niemand wollte ihn gesehen haben. Schließlich, des Krieges müde, bin ich hierhergekommen.«

»Des Krieges müde!« sagte die Herzogin, »wie verbindlich!«

»Hören Sie, liebe Freundin,« erwiderte Coconas und warf sich nachlässig in seinen Stuhl zurück, »Sie werden mich wegen dieses armen La Mole noch gar verfolgen! Nun, da tun Sie sehr unrecht daran, denn die Freundschaft schließlich . . . Ich hätte gern ein wenig von seinem Verstand und von der Bildung des armen Freundes, denn dann würde ich ein Gleichnis finden, das Ihnen meine Gedanken übermitteln würde . . . die Freundschaft, sehen Sie zum Beispiel, ist ein Stern, während die Liebe . . ., die Liebe . . . halt, jetzt habe ich den Vergleich! . . . die Liebe eben nur eine Kerze ist. Sie werden mir entgegenhalten, daß es ja mehrere Arten gibt . . .«

»Der Liebe?«

»Nein, mehrere Arten von Kerzen, und daß unter diesen einige vorzuziehen sind: die rosenroten zum Beispiel . . . meinetwegen, also die rosenroten, das sind die besten! Doch trotzdem, so rosenrot auch die Kerze ist, sie nützt sich allmählich ab, während der Stern ewig leuchtet. Auf diese Behauptung könnten Sie antworten, daß man, wenn eine Kerze verbraucht ist, eine zweite in den Leuchter steckt..«

»Herr von Coconas, Sie sind albern!«

»So?«

»Herr von Coconas, Sie sind ungezogen!«

»So, so?«

»Herr von Coconas, Sie sind durchtrieben!«

»Madame, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich gleich den Verlust La Moles dreifach bedauern werde.«

»Sie lieben mich nicht mehr!«

»Im Gegenteil, Herzogin, Sie erkennen das gar nicht mehr, ich vergöttere Sie! Aber ich kann Sie lieben, kann die zärtlichsten Empfindungen für Sie hegen, Sie vergöttern . . . und in einer verlorenen Stimmung kann ich meinem Freund ein Loblied singen.«

»Sie nennen also Ihre Stimmung immer nur dann verloren, wenn Sie sich bei mir befinden?

»Was wollen Sie denn nur? Der arme La Mole liegt mir ununterbrochen im Kopf.«

»Sie ziehen ihn mir also vor . . . das ist empörend! Warten Sie nur, Hannibal, ich hasse Sie! Wagen Sie es aufrichtig zu sein und sagen Sie mir, daß Sie ihn mir vorziehen . . . Hannibal, ich versichere Ihnen . . . wenn Sie nur irgendetwas auf dieser Welt mir vorziehen . . .«

»Henriette, schönste aller Herzoginnen! Ihrem eigenen Frieden zuliebe . . . bitte, stellen Sie keine rücksichtslosen Fragen an mich! Ich liebe Sie mehr als alle andern Frauen, doch ich liebe La Mole auch mehr als alle andern Männer!«

»Gut geantwortet!« rief plötzlich eine fremde Stimme.

Ein Damastvorhang, hob sich in die Höhe. Eine Verbindungstür schob sich in die Mauer und ließ in ihrem Ausschnitt La Mole sehen. Man glaubte ein schönes Gemälde von Tizian in einem vergoldeten Rahmen vor sich zu haben.

»La Mole!« rief Coconas, ohne auf Margarete zu achten, ohne sich bei ihr für die zugedachte Überraschung zu bedanken, »La Mole, mein Freund, mein lieber La Mole!«

Er warf den Sessel um, auf dem er gesessen, er rannte einen Tisch, der ihm im Wege stand, über den Haufen und stürzte sich in die Arme seines Freundes.

Mit großer Herzlichkeit erwiderte La Mole seine Umarmung.

»Verzeihen Sie, Madame,« rief er der Herzogin von Nevers zu, »daß die Nennung meines Namens vielleicht manchmal Ihr schönes Einvernehmen gestört hat! Doch sicherlich,« und dabei sah er Margarete mit unsäglicher Zärtlichkeit an, »lag es nicht an mir, Sie früher sehen zu dürfen.«

»Du siehst,« sagte jetzt Margarete, »du siehst, daß ich Wort gehalten habe: hier steht er!«

»Verdanke ich mein Glück also einzig und allein den Bitten der Frau Herzogin?« fragte La Mole.

»Einzig und allein ihren Bitten!« antwortete Margarete.

Dann aber flüsterte sie ihrem Freund zu: »La Mole, ich erlaube Ihnen kein Wort von dem zu glauben, was ich Ihnen sage.«

Unterdessen hatte Coconas seinen Freund zehnmal an sein Herz gedrückt, hatte sich mindestens zwanzigmal um ihn herumgedreht und hielt ihm schließlich einen Armleuchter unter das Gesicht, um ihn recht nach Herzenslust betrachten zu können. Dann kniete er vor Margarete nieder und küßte den Saum ihres Kleides.

»Ah! Nun ist alles gut abgelaufen,« sagte die Herzogin, »jetzt werden Sie auch mich erträglich finden.«

»Verdammt,« rief Coconas, »ich werde Sie wie immer anbetungswürdig finden! Aus vollem Herzen will ich es Ihnen sagen und könnte ich hierzu nur einige dreißig Polen, Sarmaten oder sonstige nordische Barbaren zur Verfügung haben, ich würde sie zum Bekenntnis zwingen, daß Sie die Königin aller Schönsten sind!«

»Eh, langsam, Coconas, nur langsam,« meinte La Mole, »was wäre denn dann Margarete?«

»Oh, ich widerrufe nichts!« rief Coconas in dem possierlichen Ton, der nur ihm eigen war, »Henriette ist die Königin der Schönsten und Frau Margarete ist die Schönste der Königinnen.«

Coconas konnte aber tun und sagen, was er nur wollte: seine frohe Laune galt bloß dem Glück, seinen lieben La Mole wiedergefunden zu haben, er hatte nur Augen für ihn.

»Lassen wir die besten Freunde der Welt eine Stunde miteinander plaudern, schöne Königin, sie werden sich tausend Sachen zu sagen haben, die unserer Unterredung zuwiderlaufen könnten,« meinte die Herzogin. »Lassen wir sie allein und, wenn wir dabei auch zu kurz kommen, so halte ich dies für das einzige Mittel, Herrn Hannibal wieder die volle Gesundheit zu verschaffen. Tun Sie es mir zuliebe, meine Königin, da ich nun einmal schon so dumm bin, diesen abscheulichen Menschen, wie ihn sein Freund La Mole nennt, zu lieben.«

Margarete flüsterte La Mole etwas zu, der, so froh er darüber war, den Freund wiederzusehen, doch lieber eine anspruchslosere Zärtlichkeit hätte über sich ergehen lassen wollen. Mittlerweile versuchte Coconas, indem er gegen diesen Vorschlag Einspruch erhob, ein wohlwollendes Lächeln und ein freundliches Wort auf Henriettes Lippen heraufzubeschwören, was ihm auch leicht gelang.

Die zwei Damen begaben sich hierauf in das Nebenzimmer, wo sie ein gedeckter Tisch erwartete.

Die Freunde blieben allein.

Wie erklärlich, erkundigte sich Coconas zuerst über alle Einzelheiten jenes denkwürdigen Abends, der seinem Freunde bald das Leben gekostet hätte. In dem Maße, als La Mole in seiner Erzählung vorwärts kam, steigerte sich auch die Erregung des Piemontesen und, obwohl er in dieser Beziehung bekanntlich viel vertrug, zitterte er trotzdem vor Grimm und Sorge.

»Warum,« fragte er, »hast du dich nicht, anstatt sofort das Weite zu suchen und mich in meiner Besorgnis zurückzulassen, zu unserem Dienstherrn geflüchtet? Der Herzog, der dich verteidigt hatte, hätte dich auch versteckt. Ich wäre bei dir geblieben, und meine erheuchelte Traurigkeit hätte die Tröpfe bei Hof genügend getäuscht.«

»Unser Dienstherr?« sagte La Mole mit dumpfer Stimme. »Der Herzog von Alençon?«

»Nun ja! Nach seiner Aussage muß ich glauben, daß du nur ihm dein Leben verdankst.«

»Ich verdanke mein Leben dem König von Navarra!«

»Oh, oh!« rief Coconas. »Bist du dessen sicher?«

»Nicht daran zu zweifeln!«

»Oh, der gute, beste König! Was tat aber der Herzog von Alençon in dieser Angelegenheit?«

»Er hielt den Strick in der Hand, mit dem ich erwürgt werden sollte.«

»Verdammt!« brüllte Coconas. »Weißt du das ganz bestimmt, La Mole? Was, dieser blasse Prinz, dieser Bastardmops, dieser jämmerliche Kerl, wollte mir meinen Freund ermorden? Ah, verdammt! Morgen werde ich ihm sagen, was ich von ihm und seiner Handlungsweise halte!«

»Bist du verrückt?«

»Du hast recht, er würde wieder von vorne anfangen, Ränke zu schmieden . . . doch hole es der Teufel, das wird nicht so weiter gehen!«

»Aber, aber, Coconas, beruhige dich und vergiß nicht, daß es gerade halb zwölf Uhr geschlagen hat und daß du heute abend noch Dienst hast.«

»Ich werde mich schon um seine Dienste kümmern! Gut, daß er auf meine Dienste rechnet . . . Meine Dienste! Ich soll einem Menschen Dienste leisten, der einen Strick in den Händen gehalten hat! . . . Du scherzest wohl? . . . Niemals! . . . Es wurde von der Vorsehung bestimmt, daß ich dich finden mußte, um dich niemals mehr zu verlassen! Ich bleibe hier!«

»Unglücklicher, überlege doch, du bist ja nicht betrunken!«

»Glücklicherweise! Denn wenn ich das wäre, würde ich den Louvre anzünden.«

»Also, Hannibal,« begann wieder La Mole, »sei doch vernünftig. Kehre in den Louvre zurück. Der Dienst ist eine heilige Sache.«

»Kommst du mit mir?«

»Das ist unmöglich!«

»Würde man dich dort noch immer töten wollen?«

»Ich glaube nicht. Ich bin eine viel zu wenig wichtige Persönlichkeit, als daß man einen in Geltung bleibenden Haftbefehl gegen mich erlassen oder einen endgültigen Entschluß gefaßt hätte. In einer augenblicklichen Laune hatte man meinen Tod beschlossen, das war alles. Die Prinzen waren an diesem Abend einfach sehr unternehmungslustig.«

»Was gedenkst du also zu tun?«

»Ich? Gar nichts! Ich irre herum, ich gehe spazieren . . .«

»Gut! Ich werde demnach mit dir spazieren gehen, werde mit dir herumirren. Das ist ja ein reizender Zustand. Sollte dich jemand angreifen, dann sind wir zwei und werden ihnen eine Nuß zu knacken geben. Ah, er soll nur kommen, dein erbärmlicher Herzog! Wie einen Schmetterling werde ich ihn an der Wand aufspießen.«

»So bitte ihn wenigstens um Urlaub!«

»Ja, um einen dauernden!«

»Benachrichtige ihn in dem Fall, daß du aus seinem Dienst scheidest.«

»Nichts ist richtiger, ich stimme zu, ich werde ihm schreiben!«

»Ihm schreiben? Das ist zu ungebührlich, Coconas, gegenüber einem Prinzen von königlichem Blut!«

»Ja, von Blut, aber vom Blut meines Freundes! Gib nur acht!« schrie Coconas und rollte unheilvoll seine großen Augen, »gib acht, wie ich mich über die höfischen Sitten lustig machen werde!«

»Eigentlich,« sagte sich La Mole, »wird er in einigen Tagen weder einen Prinzen, noch sonst jemand brauchen, denn wir werden ihn ganz einfach mit uns mitnehmen.«

Coconas ergriff, ohne daß sein Freund noch Einspruch erhob, eine Feder und verfaßte ganz geläufig folgendes Kunststück seiner Schriftgelehrsamkeit:

Mein gnädigster Herr!

Es ist nicht anzunehmen, daß Eure Hoheit, bewandert in Sagen und Schriften des Altertums, die rührende Geschichte von Orestes und Pylades nicht kennen sollten, die Geschichte der zwei Helden, die durch ihr Unglück und durch ihre Freundschaft berühmt geworden sind. Mein Freund La Mole ist nicht weniger unglücklich als Orestes, und ich bin nicht weniger liebevoll als Pylades. Gegenwärtig sind Umstände eingetreten, die meine Hilfeleistung beanspruchen. Darum wird es mir unmöglich, mich von meinem Freund zu trennen. Daraus folgt, daß ich mir mit Genehmigung Eurer Hoheit einen kleinen Urlaub nehme, entschlossen, mein Schicksal an das seine zu ketten, wohin es mich auch immer führen möge. Eure Hoheit wollen aus allem ersehen, wie zwingend der Grund ist, der mich dem Dienste Eurer Hoheit raubt, aus welchem Grunde ich die Hoffnung nicht aufgebe, Verzeihung zu erhalten und mich weiter betrachten darf als Eurer königlichen Hoheit, seinem gnädigsten Herrn, ehrerbietigst ergebener, treu gehorsamster

Hannibal Graf von Coconas
(der unzertrennliche Freund des Herrn von La Mole).

Als er sein Meisterstück beendigt hatte, las es Coconas mit lauter Stimme La Mole vor, der aber nur seine Achseln zuckte.

»Nun, was sagst du dazu?« fragte der Piemontese, der diese Bewegung entweder nicht bemerkt hatte oder sie nicht bemerken wollte.

»Ich behaupte, daß der Herzog uns auslachen wird.«

»Uns?«

»Uns beide zusammen!«

»Das ist noch immer vorteilhafter, als wenn er uns beide, getrennt voneinander, erwürgt.«

»Bah!« meinte La Mole lachend. »Das eine wird das andere vielleicht nicht verhindern.«

»Gut, soll geschehen, was geschehen muß! Ich werde den Brief morgen früh abschicken. Wo werden wir heute schlafen, wenn wir von hier fortgegangen sind?«

»Bei Meister La Hurière. In dem kleinen Zimmer, weißt du, in dem du mich erdolchen wolltest, als wir noch nicht Orestes und Pylades waren!«

»Einverstanden! Ich werde den Brief von unserem Wirt in den Louvre bringen lassen.«

In dem Augenblick öffnete sich die Schiebetür.

»Nun?« fragten beide Prinzessinnen gleichzeitig, »wo sind Orestes und Pylades?«

»Verdammt, Madame,« erwiderte Coconas, »Pylades und Orestes sterben vor Hunger und vor Liebe!«

Es war tatsächlich Meister La Hurière, der am nächsten Morgen um neun Uhr die ehrerbietige Botschaft des Herrn Hannibal von Coconas im Louvre abgab.

 


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