Alexander Dumas
Königin Margot. Zweiter Band
Alexander Dumas

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Die Erhebungen

Das Schauspiel, das sich den zwei jungen Leuten beim Eintritt in jenen Kreis von Menschen darbot, war derartig, daß man es im Leben nie vergessen kann, und wenn man es auch nur ein einziges Mal und nur für einen Augenblick gesehen hätte.

Karl der Neunte hatte, wie schon berichtet, alle Edelleute, die in der Jägerhütte eingesperrt worden waren, bei sich vorbeiziehen lassen. Einer nach dem andern war von den Gardesoldaten herausgeführt worden.

Er und Alençon hatten den Vorgang mit gespannten Augen beobachtet, weil sie erwarteten, daß auch endlich der König von Navarra aus der Hütte herauskommen würde.

Ihre Erwartung war aber getäuscht worden.

Damit war die Sache jedoch noch nicht erledigt gewesen, man wollte auch wissen, was aus ihnen geworden war.

Als man aber am Ende der Allee die beiden jungen Gatten erscheinen sah, erbleichte Alençon, während der König sein Herz wie befreit fühlte. Triebmäßig hatte ihn schon längst der Wunsch erfüllt, daß alle Maßnahmen, die ihn sein Bruder zu treffen gezwungen hatte, diesem auch wieder zur Last fallen sollten.

»Sie werden uns noch einmal auskommen!« murmelte Franz erbleichend.

In diesem Augenblick wurde der König von so heftigen Bauchschmerzen ergriffen, daß er die Zügel fallen ließ, sich mit beiden Händen die Seiten hielt und wie ein tobsüchtiger Mensch aufschrie.

Mit großem Eifer trat Heinrich heran, doch in der Zeit, die er zum Zurücklegen der zweihundert Schritte, die ihn vom König trennten, brauchte, hatte sich Karl wieder erholt.

»Woher kommen Sie, mein Herr?« fragte der König mit so harter Stimme, daß Margarete betroffen war.

»Aber . . . von der Jagd, mein Bruder!« warf sie ein.

»Die Jagd fand am Flußufer und nicht im Wald statt!«

»Mein Falke hat sich auf einen Fasan gestürzt, Sire, gerade in dem Augenblick, als wir zurückgeblieben waren, um uns den Reiher anzusehen.«

»Und wo ist der Fasan?«

»Hier! Ein schöner Hahn, nicht wahr?«

Mit der unschuldigsten Miene der Welt reichte Heinrich seinen rot, blau und golden schillernden Vogel dem König hin.

»Ah, ah!« meinte Karl. »Und warum sind Sie mir nach Erbeutung dieses Fasans nicht gleich nachgekommen?«

»Weil er gegen die Hutweide hingeflogen war, Sire. Als wir dann zum Flußufer hinunter ritten, erblickten wir Sie schon etwa eine halbe Meile vor uns und schon im Begriff gegen den Wald hinaufzureiten. Wir sind Ihnen dann gleich nachgaloppiert, weil wir als Teilnehmer an der Jagd Eurer Majestät selbstverständlich die Jagd nicht verlieren wollten.«

»Und alle die Edelleute hier?« fragte Karl. »Waren die vielleicht auch eingeladen?«

»Was für Edelleute?« erkundigte sich Heinrich und warf einen prüfenden Blick im Kreis umher.

»Eh! Ihre Hugenotten, bei Gott!« erwiderte Karl. »Jedenfalls habe ich sie nicht eingeladen!«

»Nein, Sire,« antwortete Heinrich. »Vielleicht war es aber Herr von Alençon!«

»Alençon? Wieso?«

»Ich?« rief Alençon.

»Aber ja, natürlich!« erklärte jetzt der König. »Haben Sie nicht gestern verkünden lassen, daß Sie König von Navarra sind? Nun also, die Hugenotten, die sie zu ihrem König haben wollten, kommen, um Ihnen zu danken, daß Sie die Krone angenommen, dem König aber zu danken, daß er die Krone Ihnen gegeben hat. Ist es nicht so, meine Herrn?«

»Ja, ja!« schrien zwanzig Stimmen. »Es lebe der Herzog von Alençon, es lebe der König Karl!«

»Ich bin nicht der König der Hugenotten!« sagte Franz vor Zorn erbleichend, und während er auf Karl einen heimlichen Blick warf, fügte er noch hinzu: »Ich hoffe es auch niemals zu werden!«

»Ganz abgesehen davon,« meinte Karl, »wissen Sie, Heinrich, daß ich das alles sehr befremdlich finden muß?«

»Sire,« antwortete der König von Navarra mit einer gewissen Entschlossenheit, »man könnte meinen, Gott verzeihe es mir, daß ich hier einem Verhör unterzogen werde!«

»Und wenn ich Ihnen sagen möchte, daß ich Sie tatsächlich verhöre, was würden Sie mir darauf antworten?«

»Daß ich genau so König bin wie Sie, Sire,« entgegnete Heinrich stolz. »Denn nicht die Krone, sondern die Geburt macht uns zu Königen, und meinem Bruder und meinem Freund werde ich Rede stehen, nicht aber meinem Richter!«

»Ich würde indessen doch gerne wissen, auf was und auf wen ich mich in meinem Leben nur einmal verlassen könnte!« murmelte Karl.

»Befehlen Sie, daß man Herrn von Mouy vorführt,« sagte Alençon, »dann werden Sie es wissen! Herr von Mouy muß festgenommen worden sein!«

»Ist Herr von Mouy unter den Gefangenen?« fragte der König.

Heinrich fühlte sich einen Augenblick lang durch die Frage beunruhigt und wechselte einen Blick mit Margarete, doch selbst dieser Augenblick war von kürzester Dauer.

Keine Antwort erfolgte.

»Herr von Mouy ist nicht unter den Festgenommenen!« meldete dann nach einer kleinen Weile Herr von Nancey.

»Einige unserer Leute wollen ihn gesehen haben, doch keiner ist sich dessen ganz sicher bewußt.«

Alençon brummte eine Gotteslästerung vor sich hin.

»Eh!« unterbrach Margarete, indem sie auf La Mole und auf Coconas, die das ganze Zwiegespräch mitangehört hatten, zeigte, gleichzeitig aber auch auf ihre Schlagfertigkeit pochte. »Sire, da stehen zwei Edelleute des Herzogs von Alençon, verhören Sie diese, die werden schon Antwort geben können!«

Der Herzog fühlte den Hieb.

»Ich habe sie ja gerade deshalb festnehmen lassen, um zu erweisen, daß sie nicht zu mir gehören!« sagte er.

Der König sah die zwei Freunde an und stutzte, als er La Mole wiedererkannte.

»Oh, oh!« murmelte er, »schon wieder der Provenzale.«

Coconas grüßte auf verbindliche Art.

»Was machten Sie, als man Sie festnahm?« fragte der König.

»Sire, wir plauderten über Krieg und Liebe miteinander.«

»Zu Pferd, bewaffnet bis an die Zähne, fluchtbereit?«

»Nein, nein, Sire! Eure Majestät sind schlecht unterrichtet, denn wir lagerten im Schatten einer Buche . . . sub tegmine fagi

»Ah, also im Schatten einer Buche?«

»Und wir hätten sogar fliehen können, wenn wir gewußt hätten, daß wir uns irgendwie den Zorn Eurer Majestät zugezogen haben. Na, meine Herrn, auf Ihr Soldatenwort!« fügte Coconas bei, indem er sich an die Soldaten wandte, »glauben Sie, daß wir Ihnen, wenn wir es gewollt hätten, ausgekommen wären?«

»Tatsache ist, daß diese Herrn nicht den geringsten Versuch zur Flucht unternommen haben,« sagte der Leutnant.

»Weil ihre Pferde recht weit von ihnen standen,« fuhr der Herzog von Alençon dazwischen.

»Ich bitte ganz untertänigst um Entschuldigung, gnädigster Herr,« erwiderte Coconas, »aber ich hatte meines zwischen den Beinen und mein Freund, der Graf Lerac von La Mole, hielt seines am Zügel!«

»Ist das richtig, meine Herrn?« fragte der König.

»Es ist richtig, Sire,« meldete der Leutnant, »Herr von Coconas ist sogar abgesessen, als er uns erblickte.«

Coconas schnitt ein heiteres Gesicht, als ob er damit zum Ausdruck bringen wollte: Sehen Sie wohl, Sire?

»Aber diese Handpferde, diese Maulesel, diese Gepäckstücke! Was war denn in den Koffern eingepackt?« fragte der Herzog.

»Sind wir etwa Stallknechte?« lautete Coconas' Antwort. »Lassen Sie doch den Reitbursch suchen, der die Pferde zu betreuen hatte!«

»Es war keiner dabei!« sagte der Herzog wütend.

»Dann wird er also Angst bekommen haben und wird geflohen sein. Man kann von einem Lümmel nicht verlangen, daß er sich wie ein Edelmann zu beherrschen versteht!«

»Immer dieselben Winkelzüge!« sagte Alençon und knirschte mit den Zähnen. »Glücklicherweise, Sire, habe ich Sie vorher davon verständigt, daß diese zwei Herrn seit einigen Tagen nicht mehr in meinem Dienst stehen.«

»Ich,« sagte Coconas, »ich hätte das Unglück, Eurer Hoheit nicht mehr anzugehören?«

»Eh, Teufel! Sie wissen das besser, wie irgend jemand, mein Herr, denn Sie haben ja in einem Briefe um Ihre Verabschiedung angesucht, in einem Brief, der so unverschämt war, daß ich mir ihn aufgehoben habe. Gott sei Dank, glücklicherweise trage ich ihn ja bei mir!«

»Oh, ich hoffe, daß mir Eure Hoheit den Brief, den ich im Anfall einer schlechten Laune geschrieben habe, verzeihen werden. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß Eure Hoheit meinen Freund La Mole in einem Gang des Louvre erwürgen wollten!«

»Eh!« unterbrach der König. »Was sagt er da?«

»Ich dachte, daß Eure Hoheit damals allein gewesen wären,« setzte La Mole unbefangen fort, »aber seit ich in Erfahrung gebracht habe, daß drei Personen . . .«

»Ruhig,« rief Karl, »wir sind genügend aufgeklärt! Heinrich,« wandte er sich an den König von Navarra, »Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht fliehen werden?«

»Das gebe ich Eurer Majestät!«

»Dann kehren Sie mit Herrn von Nancey in den Louvre zurück und bleiben Sie in Ihrem Zimmer. Sie, meine Herren,« sagte der König zu den zwei Edelleuten, »übergeben Sie Ihre Degen!«

La Mole sah Margarete an. Sie lächelte.

Sofort übergab er seinen Degen dem Kapitän, der ihm am nächsten stand.

Coconas folgte seinem Beispiel.

»Und Herr von Mouy, hat man ihn gefunden?« fragte der König.

»Nein, Sire,« sagte Herr von Nancey, »entweder war er überhaupt nicht im Wald oder er hat sich gerettet.«

»Umso schlimmer!« meinte der König. »Kehren wir heim. Mich fröstelt und mir schwindelt.«

»Sire, das ist zweifellos eine Folge des Ärgers!« sagte Franz.

»Ja, schon möglich. Es flimmert mir vor den Augen. Wo sind denn die Gefangenen? Ich sehe nichts mehr . . . ist es schon Nacht geworden? . . . Oh, Erbarmen, ich verbrenne! . . . Zu Hilfe; zu Hilfe!«

Und der unglückliche König ließ die Zügel aus der Hand fallen, breitete die Arme aus und fiel nach rückwärts, gestützt von herbeigeeilten Höflingen, die über diesen zweiten Anfall ganz erschreckt waren.

Alençon, der abseits stand, trocknete sich den Schweiß von der Stirne, er allein kannte die Ursache der Qualen des Königs.

Von der anderen Seite betrachtete der König von Navarra, der schon unter der Aufsicht des Herrn von Nancey stand, diesen Vorgang mit wachsendem Staunen.

»Eh, eh!« murmelte er mit dieser wunderbaren Eingebung, die manchmal aus ihm sozusagen einen erleuchteten Menschen machte. »Sollte ich mich am Ende gar noch glücklich schätzen, bei meinem Fluchtversuch aufgehalten worden zu sein?«

Er sah zu Margot hinüber, deren große, vor Überraschung erweiterte Augen bald auf den König, bald wieder auf ihn gerichtet waren.

Diesmal hatte der König das Bewußtsein verloren. Man ließ eine Tragbahre bringen und legte ihn darauf. Man bedeckte ihn mit einem Mantel, den ein Reiter von den Schultern genommen hatte, und dann setzte sich der Zug langsam gegen Paris in Bewegung, gegen die Stadt, aus der am frühen Morgen die Verschwörer so munter und der König so lustig herausgeritten waren, gegen die Stadt, in die jetzt ein sterbender König, umgeben von gefangenen Aufwieglern, einzog.

Margarete, die bei dem ganzen Vorgang weder die Freiheit ihrer Person, noch die Freiheit ihres Geistes eingebüßt hatte, gab ihrem Gatten noch ein letztes Verständigungszeichen und ritt dann so nahe bei La Mole vorüber, daß dieser die zwei griechischen Worte aufschnappen konnte, die sie hierbei fallen ließ: »Me deidé!«

Das bedeutete: »Fürchte nichts!«

»Was hat sie dir gesagt?« fragte Coconas.

»Sie sagte mir, daß wir nichts zu fürchten brauchen.«

»Umso schlimmer,« brummte der Piemontese, »umso schlimmer; denn das will sagen, daß für uns hier nichts Gutes herausschaut. Jedesmal, wenn mir diese Worte in ermutigender Art zugerufen wurden, habe ich stets im nächsten Augenblick entweder eine Kugel in irgendeinen Körperteil oder einen Degenhieb oder einen Blumentopf auf den Schädel bekommen. Fürchte nichts, sei es auf hebräisch, sei es auf griechisch, sei es auf lateinisch oder französisch, es hat für mich immer nur soviel bedeutet, als: sei auf der Hut!«

»Vorwärts, meine Herrn!« rief der Leutnant der leichten Reiter.

»Eh, ohne unbescheiden sein zu wollen, mein Herr, wohin bringt man uns?« fragte Coconas.

»Ich glaube, nach Vincennes!« sagte der Leutnant.

»Ich würde lieber anderswohin gehen; aber schließlich, man kann nicht immer dorthin gehen, wohin man möchte.«

Während des Marsches war der König zu sich gekommen und hatte sich auch ein wenig erholt.

In Nanterre wollte er sogar sein Pferd besteigen, man hatte ihn aber daran zu hindern verstanden.

»Man lasse Meister Ambrosius Paré verständigen!« hatte er befohlen, als man im Louvre angekommen war.

Er stieg von der Bahre herunter und kroch, auf den Arm von Tavannes gestützt, die Stiege hinauf, erreichte endlich seine Wohnung und verbot jedermann, ihm zu folgen.

Alle Welt hatte bemerkt, daß er sehr ernst geworden war. Während des ganzen Marsches hatte er anscheinend tief nachgedacht, hatte an niemand ein Wort gerichtet und hatte sich weder um die Verschwörung, noch um die Verschwörer gekümmert. Es war klar, daß ihn jetzt nur seine Krankheit beschäftigte.

Die Krankheit war so plötzlich, so merkwürdig und so heftig und einige Anzeichen waren dieselben, wie man sie schon bei seinem Bruder Franz dem Zweiten, einige Zeit vor seinem Tode, bemerkt hatte.

Auch das allgemeine Verbot eines Besuches, das nur für Meister Paré nicht galt, überraschte niemand. Daß Karl im Grunde seines Herzens ein Menschenfeind war, war jedermann bekannt.

Karl trat in sein Schlafzimmer ein, ließ sich auf eine Art Ruhebett nieder und lehnte sein Haupt an einige aufgestapelte Polster. Er dachte daran, daß Meister Ambrosius Paré nicht zu Hause sein könnte, daß er sich verspäten könnte, und wollte daher die Zeit ausnützen.

Darum klatschte er in die Hände. Ein Gardesoldat erschien.

»Benachrichtigen Sie den König von Navarra, daß ich ihn zu sprechen wünsche!«

Der Gardesoldat verbeugte sich und ging den Befehl zu befolgen.

Karl legte seinen Kopf nach rückwärts, das Gehirn schien ihm bleischwer zu sein, kaum brachte er die Kraft auf, die Gedanken aneinander zu reihen, und eine Art blutigen Schleiers schwebte vor seinen Augen. Sein Mund war trocken und er hatte bereits, ohne den Durst löschen zu können, eine ganze Wasserflasche leergetrunken.

Mitten in seiner Schlaftrunkenheit schreckte ihn die Tür auf, die sich öffnete, um Heinrich Einlaß zu gewähren. Herr von Nancey war ihm gefolgt, blieb aber jetzt im Vorzimmer stehen.

Der König von Navarra wartete, bis sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte.

Dann erst trat er vor.

»Sire,« sagte er, »Sie haben mich rufen lassen, hier stehe ich!«

Der König fuhr bei dieser Stimme zusammen und machte eine unbewußte Bewegung, um seinem Schwager die Hand zu reichen.

»Sire,« sagte Heinrich und ließ seine beiden Hände nach unten hängen, »Eure Majestät vergessen, daß ich nicht mehr Ihr Bruder bin, sondern ein Gefangener.«

»Ah, das ist wahr!« sagte Karl. »Ich danke sehr, mich daran erinnert zu haben. Doch ich erwarte mir noch mehr. Ich erinnere mich, daß Sie mir versprochen haben, mir bei unserem ersten Zusammentreffen unter vier Augen aufrichtig Rede und Antwort zu stehen.«

»Ich bin bereit, mein Versprechen zu halten. Fragen Sie mich, Sire.«

Der König goß kaltes Wasser in seine hohle Hand und legte die Hand dann an seine Stirne.

»Was ist Wahres an der Anschuldigung des Herzogs von Alençon? Nun, antworten Sie, Heinrich!«

»Nur die Hälfte davon ist wahr: denn Alençon war es, der fliehen sollte und ich sollte ihn nur begleiten.«

»Und warum sollten Sie sein Begleiter sein?« fragte Karl. »Sind Sie denn unzufrieden mit mir, Heinrich?«

»Nein, Sire, ganz im Gegenteil, ich kann in der Nähe Eurer Majestät nur glücklich und zufrieden sein. Gott, der in die Herzen schaut, sieht in dem meinigen die tiefe Verehrung, die ich für meinen Bruder und König empfinde.«

»Es scheint mir nicht folgerichtig zu sein, daß man die Menschen, die man liebt und von denen man geliebt wird, verläßt,« meinte Karl.

»Darum verließ ich auch nicht diejenigen, die mich lieben, ich floh nur diejenigen, die mich hassen. Erlauben mir Eure Majestät, aus offenem Herzen zu sprechen?«

»Sprechen Sie, mein Herr!«

»Die, die mich hier hassen, Sire, sind der Herzog von Alençon und die Königin-Mutter.«

»Von Alençon will ich nicht weiter reden, aber die Königin-Mutter überhäuft Sie mit Aufmerksamkeiten.«

»Gerade deshalb mißtraue ich ihr, Sire. Und viel hat mich dazu bewogen, mißtrauisch zu werden!«

»Gegen sie?«

»Gegen sie und gegen ihre Umgebung. Sie wissen ja, Sire, daß das Unglück der Könige auch darin besteht, nicht immer zu schlecht, aber zu gut bedient zu werden.«

»Erklären Sie sich deutlicher. Sie haben sich verpflichtet, mir alles zu sagen!«

»Eure Majestät sehen, daß ich mich der Verpflichtung bereits entledige.«

»Fahren Sie fort!«

»Eure Majestät lieben mich, wie Sie vorhin sagten?«

»Das heißt, ich liebte Sie vor Ihrem Verrat, Henriot.«

»Nehmen Sie an, daß Sie mich noch immer lieben, Sire.«

»Gut!«

»Wenn Sie mich lieben, müssen Sie auch wünschen, daß ich am Leben bleibe, nicht wahr?«

»Ich wäre verzweifelt gewesen, wenn dich ein Unglück getroffen hätte.«

»Zweimal waren Eure Majestät nahe daran, in diese Verzweiflung zu geraten.«

»Wieso?«

»Ja, denn zweimal hat mir die Vorsehung allein das Leben gerettet. Allerdings hat beim zweitenmal die Vorsehung die Gestalt Eurer Majestät angenommen.«

»Und in welcher Art hat die Vorsehung beim erstenmal gewirkt?«

»Ebenfalls in der Gestalt eines Menschen, der aber sehr erstaunt darüber sein würde, mit ihr in Zusammenhang gebracht zu werden. Der Mann war René. Ja, Sie, Sire, haben mich vom totbringenden Eisen errettet.«

Karl runzelte die Brauen, denn er erinnerte sich an die Nacht, in der er Henriot in die Straße des Barres gebracht hatte.

»Und René?« fragte er.

»René hat mich vor Gift bewahrt.«

»Teufel! Du hast Glück gehabt, Henriot,« meinte der König und wollte ein Lächeln aufbringen, das aber der starken Schmerzen wegen nur als überreizte Gesichtsverzerrung zum Ausdruck kam, »großes Glück, denn gerade darin besteht die Lebensaufgabe Renés nicht!«

»Zwei Wunder haben mich demnach gerettet, Sire. Das Wunder, daß den Florentiner Reue ergriffen hat und das Wunder des Wohlwollens, das Sie mir bewiesen haben. Nun also, ich muß Eurer Majestät gestehen, daß ich Angst hatte, der Himmel könnte der Wunder endlich überdrüssig werden, und daß ich darum in Berücksichtigung der Vernunft und der Grundwahrheit: Hilf dir selbst, dann wird dir auch der Himmel helfen! . . . fliehen wollte.«

»Warum hast du mir das alles nicht schon früher gesagt, Henriot?«

»Gestern wäre ich mit solchen Behauptungen noch ein Angeber gewesen.«

»Und heute?«

»Heute steht die Sache anders: ich bin angeklagt und muß mich verteidigen.«

»Bist du des ersten Anschlages auf dein Leben ganz sicher, Henriot?«

»Genau so sicher, wie des zweiten.«

»Man hat versucht, dich zu vergiften?«

»Ja, das hat man versucht.«

»Mit was für Mitteln?«

»Mit einer Salbe.«

»Wie vergiftet man mit einer Salbe?«

»Teufel! Sire, da müssen Sie René darüber befragen! Man vergiftet zum Beispiel sehr gut mit Handschuhen . . .«

Karl legte die Stirne in Falten, allmählich glättete sich aber wieder sein Gesicht.

»Ja, ja,« meinte er, als ob er zu sich selbst spräche, »es liegt in der Natur aller erschaffenen Wesen, den Tod zu meiden. Warum sollte also der Verstand nicht umso mehr das gleiche tun, was schon der Naturtrieb besorgt?«

»Nun,« sagte Heinrich, »sind Eure Majestät mit meiner Aufrichtigkeit zufrieden und glauben Eure Majestät, daß ich alles gesagt habe?«

»Ja, Henriot, ja, du bist ein braver Kerl! Und du glaubst also, daß die, die dir schon ans Leben wollten, auch jetzt nicht müßig sind und neue Anschläge vorbereiten?«

»Sire, an jedem Abend wundere ich mich, daß ich noch am Leben bin.«

»Weil sie wissen, daß ich dich liebe, weißt du, Henriot, darum wollen sie dich töten. Doch sei nur ruhig, ihr böser Wille wird gestraft werden und unterdessen wirst du frei sein.«

»Frei, um Paris zu verlassen, Sire?« fragte Heinrich.

»Nein, nein, du weißt doch sehr gut, daß ich ohne dich nicht sein kann! Eh! In tausend Teufels Namen, ich muß jemand bei mir haben, der mich gerne hat!«

»Dann also, wenn Eure Majestät mich bei sich behalten wollen, wollen Eure Majestät mir auch eine Gnade gewähren . . .«

»Welche?«

»Mich nicht in der Art eines Freundes, sondern in der Art eines Gefangenen bei sich zu behalten.«

»Wieso eines Gefangenen?«

»Nun ja! Sehen Eure Majestät denn nicht, daß mich Ihre Freundschaft ins Unglück bringt?«

»Und du möchtest darum lieber, daß ich dich hassen soll?«

»Ein scheinbarer Haß wäre günstig, Sire. Dieser Haß würde mich retten. Je mehr man mich in Ungnade fallen sehen wird, je länger wird man es sich auch überlegen, mich zu töten.«

»Henriot,« sagte Karl, »ich verstehe deinen Wunsch nicht und ich weiß auch nicht recht, wo du hinaus willst. Wenn sich aber deine Wünsche nicht erfüllen, wenn deine Vorschläge fehlgehen, würde ich mich allerdings sehr wundern.«

»Ich kann also mit der Strenge des Königs rechnen?«

»Ja!«

»Dann bin ich beruhigt . . . Was befehlen nun Eure Majestät?«

»Geh nach Hause, Henriot. Ich bin leidend, ich will erst noch meine Hunde aufsuchen und werde mich dann niederlegen.«

»Sire,« meinte Heinrich, »Eure Majestät sollten doch einen Arzt kommen lassen. Das Unwohlsein Eurer Majestät ist heute vielleicht doch ernster, als Eure Majestät glauben?«

»Ich habe Meister Ambrosius Paré rufen lassen, Henriot.«

»Dann kann ich mich also beruhigter entfernen.«

»Bei meiner Seele,« sagte der König, »ich glaube, du bist der einzige in meiner ganzen Familie, der mich wahrhaft liebt!«

»Ist das Ihre Überzeugung, Sire?«

»Beim Worte eines Edelmanns!«

»Nun gut, dann empfehlen Sie mich Herrn von Nancey an, Sire, und zwar so, wie einen Mann, dem Ihr Zorn kein monatelanges Leben mehr schenkt. Dadurch wird mir die Möglichkeit gegeben werden, Sie noch recht lange zu lieben!«

»Herr von Nancey!« rief Karl.

Der Kapitän der Garde trat ein.

»Ich übergebe hiermit den größten Schuldigen meines Königreiches in Ihre Hände!« erklärte der König. »Sie haften mir für ihn mit Ihrem eigenen Leben!«

Mit verstörtem Antlitz entfernte sich Heinrich hinter Herrn von Nancey aus dem Zimmer.

 


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