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Der nächste Morgen kam und mit ihm jener Versuch, von dessen Verlauf für die United sehr viel, für MacGan alles abhing. Der Ire, der noch vor kurzem von all den andern hin und her kommandiert wurde, hatte heute das Oberkommando in der Halle. Wilkin, Tom White und noch zwei andere Leute der Abteilung standen an den Maschinen bereit, jeden seiner Befehle auszuführen. Mit belegter Stimme gab er die ersten Kommandos. Pumpen sprangen an, Gas wurde in den Autoklav gepreßt. Er selber bewegte den elektrischen Schalter, die Zeiger der Strommesser wanderten über ihre Skalen, der Lichtbogen in der Stahlkugel hatte gezündet. Fast wie im Traum las er die nächsten Pumpenkommandos von der Niederschrift ab, die er mit Hilfe von Tom White verfaßt hatte.
»Jetzt brennt im Mittelpunkt der Kugel eine elektrische Sonne mit zehntausend Pferdestärken« – jene Worte, die Dr. Wandel damals in der Nacht sprach, kamen ihm wieder in die Erinnerung.
Weiter ging das Spiel der Maschinen, mit immer stärkerem Druck preßten die Pumpen Heliumgas in den stählernen Kerker, und immer heißer wurden dessen Wände durch die Strahlung des mächtigen elektrischen Flammenbogens. Schon wurde es nötig, flüssige Luft über die Kugel strömen zu lassen.
Verwirrt blickte MacGan auf die beschriebenen Blätter in seiner Hand. Jetzt schon flüssige Luft? Nach seinen Aufzeichnungen war es noch zu früh dafür, aber die starke Erhitzung der mächtigen Stahlkugel erforderte jetzt schon gebieterisch die Kühlung. Was ging in dem Autoklav vor? Welche Ursachen hatte diese bedrohliche Erwärmung?
MacGan wußte es nicht. Die stählerne Wand der Kugel verhüllte das, was sich in ihr abspielte, seinen Blicken. Er vermochte nur zu sehen, was die Thermometer anzeigten, und das zwang ihn, die flüssige Luft in immer stärkerem Schwall über den massigen Stahlkörper fließen zu lassen.
Weltraumkälte von außen, Sonnenglut von innen kämpften gegeneinander. Für eine kurze Weile blieb die Kälte Sieger in diesem Spiel der Kräfte, aber viele Kubikmeter flüssiger Luft mußten darüber verströmt werden. Schwächer floß es nun aus den Riesenrohren und Brausen. Jetzt nur noch ein Tröpfeln, ein letztes Verhauenen, die Tanks waren leer. Und in dem Augenblick, in dem die Kühlung aussetzte, kletterten die Zeiger der Thermometer auch wieder sprunghaft empor. Ratlos, unfähig, etwas zu tun, sah es MacGan. Hätte er den Grund dafür gekannt, er wäre wohl auf den Tod erschrocken.
Das aber war die Ursache der rätselhaften Erscheinung: die elektrische Sonne brannte nicht im Mittelpunkt der Kugel. Bei dem überhasteten Einsetzen des Autoklavdeckels hatte Tom White das Gestänge so stark verbogen, daß die Elektroden dicht neben der stählernen Wand standen. Auf die Stahlwand sprang die elektrische Energie über, und dort tobte sie sich bereits während der ganzen Zeit aus, Brand und Zerstörung um sich verbreitend. Immer tiefer fraß der Lichtbogen sich in den massiven Stahl ein, erst in Tropfen und nun schon in Rinnsalen floß das geschmolzene Metall von dieser Stelle fort, wurde die starke Wand hier schwächer und immer schwächer.
MacGan und seine Gehilfen konnten nichts davon bemerken, denn die Stelle, an der der Lichtbogen die Wand zernagte, lag auf der abgewendeten Seite des Autoklavs. Sie sahen auch nicht, wie diese Stelle nach dem Versiegen der flüssigen Luft rot aufglühte und sich nach außen wölbte.
Ihre Sinne erstarrten, als die ganze große Halle plötzlich von einem unbeschreiblichen Dröhnen und Donnern erfüllt war. Mit elementarer Gewalt schaffte das gepreßte Gas sich an der geschwächten Stelle freien Weg. Mit einem Überdruck von hunderttausend Atmosphären brach es heraus. Wie die Welle einer ungeheueren Explosion jagte es durch die Halle, alles vernebelnd, alles mit sich reißend.
Alle anderen Geräusche gingen in dem Höllenlärm unter, den das entfesselte Gas verursachte. MacGan hörte nichts von splitterndem Glas und brechenden Eisenteilen. Er sah nur, wie die hohen Fenster an den beiden Längsseiten der Halle, wie von einer unsichtbaren Riesenhand getroffen, nach außen geschleudert wurden. Dann traf der Luftdruck auch ihn und seine Gehilfen und warf sie zu Boden, wo sie gerade standen. – –
Die Zeit ging weiter. Ein leichter Wind strich durch die Halle und trieb die Nebelschwaden vor sich her ins Freie. Schwerfällig raffte sich der Ire auf. Noch benommen von der Katastrophe, machte er taumelnd ein paar Schritte, sah, daß der elektrische Strom noch auf den Autoklav geschaltet war, und riß instinktmäßig den Hebel heraus.
Nur allmählich wurden seine Bewegungen sicherer. Er sah sich nach seinen Gehilfen um, rüttelte sie, half ihnen auf die Füße und konnte bald feststellen, daß das Unglück noch glücklich verlaufen war. Von etlichen Beulen und blauen Flecken abgesehen, war niemand ernsthaft verletzt. Es war dem Umstand zuzuschreiben, daß der Gasausbruch aus der schmelzenden Autoklavwand nach der andern Seite hin gegangen war und die Explosionswelle infolgedessen den Maschinenstand und die Menschen bei ihm nicht unmittelbar zu treffen vermocht hatte.
Aber sie erblaßten noch nachträglich, als sie die Verwüstungen sahen, die das entfesselte Gas nach der andern Seite hin angerichtet hatte. Wie Kinderspielzeug waren die beiden schweren Krane zur Seite geschleudert und zertrümmert worden. Eine weite Lücke klaffte, wo noch vor kurzem eine massive Querwand die Halle abschloß. Splitterwerk lag an den Stellen, wo eben noch hohe Regale mit vielen hundert Gläsern und Retorten gestanden hatten.
Haarscharf war der Tod an MacGan und seinen Leuten vorbeigegangen. Nur einem glücklichen Zufall verdankten sie ihre Rettung aus der Katastrophe. Noch standen sie da und starrten auf die Verwüstung rings umher, als eine Tür aufgerissen wurde. Clayton stürzte in die Halle. Sanitätsmannschaften des Werkes kamen hinter ihm herein. Mit einem Blick überzeugte der Direktor sich, daß niemand zu Schaden gekommen war, und schickte die Sanitäter wieder fort.
Dann schritt er langsam auf MacGan zu. Der Ire wollte etwas sagen, hielt Claytons Blick nicht aus, schlug die Augen nieder und schwieg.
»Der Versuch ist mißlungen?« – Langsam und schwer kamen die Worte von Claytons Lippen. MacGan blieb stumm, an seiner Stelle antwortete Wilkin.
»Der Autoklav ist geborsten, Herr Direktor. Es war ein Fehler, daß er aus der Dammgrube genommen wurde. Ich habe dringend davon abgeraten. Aber . . .«
Clayton schnitt ihm mit einer kurzen Bewegung das Wort ab.
»Lassen Sie das jetzt, Wilkin! Es ist nebensächlich. Ich will wissen, ob der Versuch mißlungen ist?«
Wilkin war davon überzeugt, daß MacGan bei der United verspielt hatte, und hielt es nicht mehr für nötig, aus seiner Abneigung gegen den Iren ein Hehl zu machen.
»Natürlich ist der Versuch mißlungen«, platzte er heraus.
Eine andere Stimme klang dazwischen. »Ich glaube, Herr Direktor, das läßt sich erst entscheiden, wenn wir den Autoklav geöffnet und untersucht haben.«
Es war Tom White, der es sagte, und Clayton nickte zustimmend.
»Sie haben recht, Mr. White. Das ist das Nächstliegende. Können wir es sofort machen, oder wird der Stahl noch zu heiß sein?«
Es war schneller möglich, als sie erwarteten und als es unter normalen Verhältnissen der Fall gewesen wäre, denn die jähe Druckverminderung, welche die Katastrophe mit sich brachte, hatte die Kugel stark gekühlt. Schon war Tom White mit einem Gehilfen dabei, die Schrauben herauszudrehen. Dann gab es eine Stockung, denn es fehlten die Krane, um den schweren Deckel von dem Autoklav abzuheben. Aus einer andern Abteilung mußte erst ein Flaschenzug geholt werden.
Er wurde angesetzt. Tom White griff zu und ließ die Kette rasselnd über das Kettenrad laufen. Langsam stieg der schwere Haken empor, und die Drahtseile des Flaschenzuges strafften sich. Dann gab es einen Widerstand, den White allein nicht zu überwinden vermochte. Er rief die andern zur Unterstützung herbei.
Zu dritt, zu viert und schließlich zu fünft zerrten sie mit aller Kraft an der Zugkette. Da, plötzlich ein Geräusch. Wie Knistern, Knirschen und Brechen klang es aus dem Autoklav. Das Hindernis war überwunden, der Flaschenzug kam in Bewegung und nahm den schweren Deckel an seinem Haken mit empor.
Kopfschüttelnd betrachtete Clayton das Elektrodengestänge unter dem Deckel. Es war verbogen, geknickt und stark verändert. Traubenförmig hingen dunkle kristallinische Gebilde an den beiden Elektrodenstiften. Metallisch schimmerten die frischen Bruchstellen der Masse dort, wo sie eben durch den Flaschenzug mit grober Gewalt von der Autoklavwand losgerissen worden war.
Auf einen Blick erkannte Clayton, daß sich hier ein Stoff gebildet hatte, der jedenfalls einer genauen Untersuchung wert war, aber gleichzeitig sprang ihn ein anderer Gedanke an. Nur durch eine Einwirkung von außen konnte die Verbiegung des Elektrodengestänges zustande gekommen sein, die in ihren weiteren Auswirkungen zwangsläufig zu der Zerstörung des Autoklavs geführt hatte.
Wer hatte das getan? . . . Sabotage? . . . Wer hatte ein Interesse daran, den Versuch zu vereiteln? Wilkin vielleicht? Daß er dem Iren nicht grün war, hatte er ja erst wieder vor kurzem gezeigt.
Wer konnte es sonst etwa noch sein? Clayton ließ in Gedanken Namen und Menschen vorüberziehen und konnte zu keinem Schluß kommen. Auch seine Fragen führten zu keinem Ergebnis. Gestern vormittag hatten MacGan und Tom White zusammen die Elektroden in das Gestänge eingefügt und den Autoklav geschlossen. Damals war alles in bester Ordnung, und danach war niemand mehr an den Apparat herangekommen.
Das war der Tatbestand, wie er sich übereinstimmend aus den Aussagen von MacGan und Tom White ergab. Clayton stand vor einem Rätsel und sah wenigstens im Augenblick keine Möglichkeit, es zu lösen. So wandte er sich der andern Aufgabe zu. Ein neuer, unbekannter Stoff hatte sich zweifellos in dem Autoklav gebildet und mußte untersucht werden. Wer sollte die Analyse machen? . . . Wilkin? . . . Aus einem unbestimmbaren Gefühl heraus trug Clayton Bedenken, den alten Assistenten Meltons damit zu betrauen. MacGan? . . . Clayton verwarf die Idee ebenso schnell, wie sie ihm kam. Für derartige sorgfältige Untersuchungen fehlten dem Iren doch wohl die Kenntnisse. Blieb noch Tom White. Aus den Personalakten wußte Clayton, daß er wissenschaftlich gut vorgebildet war, und nach kurzem Überlegen beauftragte er ihn damit, den neuen Stoff zu untersuchen und baldmöglichst Bericht zu erstatten.
Mit einer leichten Verbeugung quittierte White den Auftrag und versprach, sein Bestes zu tun. Die Art und Weise, in der er den Auftrag erledigen würde, konnte Clayton freilich nicht ahnen. Tom White überlegte bereits, während er noch Höflichkeitsphrasen drechselte: Mit dem Mittagsflugzeug eine Probe von dem Stoff an Dr. Wandel. Bis morgen früh kann der Doktor mit der Analyse fertig sein. Morgen nachmittag soll der Direktor seinen Bericht haben.
»Ich danke Ihnen, Mr. White«, erwiderte Clayton auf die Worte, die Tom White zu ihm sagte. »Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas haben.«
Damit verließ der Direktor die Halle und kehrte in das Verwaltungsgebäude zurück, wo bereits andere Arbeit auf ihn wartete.
Tom White machte sich, unterstützt von MacGan, daran, die Kristalltrauben von den Elektroden abzuschneiden.
»Warten Sie nur ab, mein lieber MacGan«, versuchte er den Iren zu trösten, während sie zusammen die Säge durch die harte Kristallmasse zogen. »Wer weiß, was die Analyse ergeben wird? Vielleicht haben Sie doch noch eine große Entdeckung gemacht, und die Dinge stehen viel besser, als Sie jetzt glauben.«
MacGan schöpfte neue Hoffnung aus diesen Worten und hätte am liebsten sofort mit der Untersuchung des Stoffes begonnen, aber Tom White zog es vor, die Angelegenheit auf den Nachmittag zu verschieben.
»Jetzt lohnt es sich nicht mehr, damit anzufangen, Mr. MacGan. In einer Viertelstunde wird es zu Mittag pfeifen«, meinte er und komplimentierte den Iren, der ihm die Kristallkörper in sein Arbeitszimmer getragen hatte, zur Tür hinaus. Dann hatte Mr. White dringend einen Brief zu schreiben. In höchster Eile glitt seine Feder über das Papier, während er ab und zu einen Blick auf die Wanduhr warf. Ein Hammer in seiner Rechten krachte auf einen der Kristallkörper nieder, daß ein gehöriger Zacken davon abbrach. In fliegender Hast machte er ein Päckchen, das den Brief und die Kristallprobe enthielt. Noch bevor die Sirenen die Mittagspause verkündeten, verließ er das Werk, bestieg an der nächsten Straßenecke ein Auto und versprach dem Chauffeur ein Extratrinkgeld für schnellste Fahrt zum Flugplatz.
Das Geräusch der Propeller verklang in der Ferne. Eine Weile noch schaute Tom White dem Flugzeug nach, bis es an dem dunstigen Südosthorizont verschwand. Dann schlug er gemächlich den Rückweg zur Stadt ein. Es hatte eben noch auf die letzte Sekunde geklappt. Seine Sendung war auf dem Wege nach Salisbury, und alles andere würde sich programmgemäß abwickeln.
Die Untersuchung des neuen Stoffes, die er MacGan für heute nachmittag in Aussicht gestellt hatte? Viel Lust hatte er nicht dazu . . . Der deutsche Doktor würde das viel schneller und besser erledigen. Und außerdem . . . sicherlich gab es heute nachmittag wieder wichtige Besprechungen zwischen Chelmesford und Clayton. Aber wenn er die abhören wollte, mußte er allein in seinem Zimmer sein und konnte nicht draußen im Laboratorium arbeiten.
Er überlegte hin und her, wie er es machen könne, und hatte darüber bereits die Warren Avenue erreicht, in deren Nähe die Werke der United lagen, als er seinen Namen hörte. Er blieb stehen und sah Phil Wilkin auf sich zukommen.
Das Verhältnis der beiden hatte in der letzten Zeit eine Wandlung erfahren. White war es gelungen, sich durch seine Leistungen eine derartige Stellung bei der United zu schaffen, daß er die Gönnerschaft von Wilkin nicht mehr unbedingt nötig hatte. Andererseits war Wilkins Stellung durch den Fortgang von Professor Melton etwas unsicher geworden. Zwar hütete sich White, offen mit Wilkin zu brechen, denn die gefährliche Doppelrolle, die er in der United spielte, nötigte ihn zu größter Vorsicht, aber die Art und Weise, in der er jetzt den Gruß des andern erwiderte, stach merklich von seiner früheren Unterwürfigkeit ab.
»Ein schöner Tag heute, White. Ich sehe, Sie haben die Mittagspause auch zu einem Spaziergang benutzt«, eröffnete Wilkin die Unterhaltung.
»Stimmt, Wilkin. Ich habe einen Bummel durch den River Park gemacht«, erwiderte White gleichmütig, während sein Hirn die Frage wälzte: Hat er mich auf dem Flugplatz gesehen oder nicht?
»Ein angenehmer Ort, der Park. Eine grüne Oase in unserm Steinmeer, mein lieber White. Aber auch der Weg nach der andern Seite zum Flugplatz hin ist recht hübsch«, meinte Wilkin und vermehrte durch seine Bemerkung die innere Unsicherheit des andern. Verstohlen betrachtete Tom White den Assistenten von der Seite, während er sich dessen letzte Worte durch den Sinn gehen ließ.
Die nächste Bemerkung von Wilkin warf ihn in neue Unruhe.
»Sagen Sie mal, White«, begann er unvermittelt, »bei der Geschichte mit dem Autoklav stimmt doch etwas nicht.«
Unwillkürlich verhielt White seinen Schritt.
»Wie meinen Sie das, Mr. Wilkin?« fragte er. Auch Wilkin blieb stehen und blickte ihm, während er die Frage beantwortete, voll ins Gesicht.
»Sie sagten zu Direktor Clayton, daß seit gestern vormittag niemand an den Apparat gekommen wäre, aber Sie selbst haben ihn ja gestern über Mittag noch einmal geöffnet.«
White fühlte seinen Herzschlag stocken. »Ich . . . ich . . . Mr. Wilkin? Das ist wohl ein Irrtum.«
Wilkin schüttelte den Kopf. »Ich würde es nicht sagen, White, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte. Ich kam während der Mittagspause durch die hintere Halle, als Sie eben dabei waren, den Deckel wieder einzuhängen. An sich ist es bedeutungslos. Ich wundere mich nur, daß Sie es Clayton gegenüber verschwiegen haben.«
Tom White sah ein, daß jedes Leugnen zwecklos war. »Den Letzten beißen die Hunde«, sagte er mit einem gezwungenen Lachen. »Hätte ich Clayton gesagt, daß ich zuletzt an dem Autoklav war, dann hätte er mir sicher die Schuld an dem Unfall in die Schuhe geschoben.«
Wilkin nickte. »Das kann ich begreifen, Mr. White. Aber ich verstehe nicht, was Sie überhaupt noch an dem Apparat zu schaffen hatten.«
»Geben Sie mir Ihr Wort, daß die Sache unter uns bleibt, dann will ich es Ihnen sagen. Ihre Hand darauf, Wilkin!«
Wilkin schlug in die Rechte von Tom White ein. »Sie haben mein Wort. Ich glaube, mein lieber White, es ist für uns beide vorteilhafter, wenn wir keine Heimlichkeiten voreinander haben, sondern wieder wie früher Hand in Hand zusammenarbeiten. Alles, was Sie mir sagen, ist sicher bei mir verwahrt.«
Während Wilkin sprach, fand Tom White Zeit, sich eine Ausrede zurechtzulegen.
»Sie wissen, Mr. Wilkin«, begann er seine Erklärung, »daß wir über das Elektromaterial im Zweifel waren. Wir hatten den Autoklav schon gestern geschlossen, als ich in dem alten Zimmer Doktor Wandels ein paar Elektrostifte entdeckte, die von seinen früheren Versuchen übriggeblieben sein mußten. Sie werden verstehen, daß ich mir diesen Glücksfund nicht entgehen ließ, sondern die Stifte sofort einsetzte. Das ist alles.«
Sie waren während des Gesprächs weitergegangen und näherten sich bereits dem Werktor.
»Ich glaube es Ihnen, White«, sagte Wilkin, während sie an dem Pförtner vorbeigingen. »Aber dann muß sich nach Ihnen noch jemand anders an dem Autoklav zu schaffen gemacht haben. Jemand, der ein Interesse daran hat, das Gelingen des Versuchs zu vereiteln. Wer ihn ausfindig macht, würde bei Direktor Clayton und auch beim Präsidenten gut angeschrieben sein. Man müßte es versuchen, White«, beendete er seine Auseinandersetzung, als sie sich auf dem Flur in der Abteilung Melton trennten.
In seinem Zimmer ließ sich Wilkin in einen Sessel fallen. Seine Augen waren geschlossen, während seine Lippen sich im Selbstgespräch bewegten.
»Der Mensch lügt, wenn er den Mund auftut. Auf dem Flugplatz ist er heute gewesen und nicht im Park . . . Die Geschichte von den gefundenen Stiften . . . für wie dumm muß er mich halten, daß er mir solche Märchen erzählt . . .« Ein säuerliches Lächeln umspielte Wilkins Lippen bei dem Gedanken daran. Sofort nach dem Weggang des Doktors hatte er selber jeden Winkel in dessen Räumen durchstöbert, in der Hoffnung, irgend etwas für ihn Nützliches zu entdecken, und nicht das geringste gefunden. Dr. Wandel hatte gründlich reinen Tisch gemacht, bevor er die United verließ.
Er hat mich auch noch belogen, als ich ihm Vertrauen gegen Vertrauen anbot, gingen die Gedanken Wilkins weiter. Was für ein törichter Schwindel war das mit den Stiften! Mit Leichtigkeit ist ihm die Unwahrheit nachzuweisen, aber . . . das genügt nicht, man müßte ihn überführen können, daß er das Gestänge absichtlich verbogen . . . den Versuch wirklich sabotiert hat . . .
Länger als eine Stunde brütete Wilkin vor sich hin und suchte nach Möglichkeiten. Gelang es ihm, Tom White der Sabotage und . . . ein neuer Gedanke kam ihm dabei . . . vielleicht sogar der Werkspionage zu überführen, dann war seine eigene Stellung wieder für lange Zeit gefestigt. Doch wie konnte das geschehen? Was er bis jetzt vorbringen konnte, waren Verdachtsgründe, vielleicht schwerwiegende Verdachtsgründe, aber keine Beweise.
Er kam in seinen Überlegungen zu dem Entschluß, Tom White während der nächsten Zeit scharf zu beobachten und weiter Material gegen ihn zu sammeln. – –
»Mein lieber MacGan«, sagte ungefähr zur selben Zeit Tom White zu dem Iren, »ich habe Ihnen hier den Gang der Untersuchungen aufgeschrieben, die für die Feststellung des Atomgewichts erforderlich sind. Es wäre mir lieb, wenn Sie das ohne meine Hilfe machen könnten. Ich habe noch ein paar dringende Sachen in meinem Zimmer zu erledigen.«
»Gewiß, Mr. White«, beeilte sich MacGan zu erwidern, »ich weiß Bescheid damit. Ich habe ja schon mit Doktor Wandel Atomgewichte bestimmt.«
»Um so besser, mein Lieber«, White schob ihm ein paar beschriebene Seiten hin, »halten Sie sich an den Arbeitsgang, wie ich ihn hier aufgestellt habe, dann ist die Sache ziemlich einfach. In zwei bis drei Stunden können Sie damit fertig sein. Dann wollen wir zusammen weitersehen.«
White ließ den Iren zwischen seinen Retorten und Gläsern zurück. Mit dem angenehmen Gefühl, die nächsten Stunden ungestört für sich zu haben, kehrte er in sein Zimmer zurück und schaltete die Geheimanlage ein.
Chelmesford war in seinem Raum. White konnte es aus dem Umblättern von Aktenseiten und gelegentlichen anderen Wahrnehmungen feststellen, aber der Präsident war vorläufig noch allein. Nachdem Tom White einige Minuten vergeblich gelauscht hatte, schaltete er die Anlage wieder aus, ließ den Kopfhörer im Tischkasten verschwinden und nahm sich ein Protokollbuch vor. Vorläufig hieß es sich gedulden. Ab und zu würde er die Anlage wieder einschalten, denn daß es heute nachmittag noch eine Besprechung zwischen Chelmesford und Clayton geben würde, davon war White überzeugt, und auf keinen Fall wollte er sie sich entgehen lassen. – –
Mr. Stackpool, dem die elektrischen Anlagen des Werkes unterstanden, machte sich mit zweien seiner Leute im Verwaltungsgebäude zu schaffen.
»Das waren die Meßpriester«, raunte es hinter ihnen her, wenn sie einen Raum wieder verließen, nachdem sie mit allerlei elektrischen Meßinstrumenten an den Leitungen herumgewirtschaftet hatten. Die Bezeichnung war nicht ganz unberechtigt, denn ihre langen weißen Kittel und die Art und Weise, wie sie bisweilen bedeutungsvolle Blicke tauschten, Zahlen flüsterten und unter gelegentlichem Kopfschütteln in ihre Bücher einschrieben, verlieh ihrem Auftreten etwas Eigenartiges und Würdevolles.
Im Auftrage des Präsidenten waren sie dabei, die Telephonleitungen des Werkes auf etwaige Nebenanschlüsse, Zapfstellen und ähnliche Unregelmäßigkeiten nachzuprüfen, aber bisher war die Untersuchung negativ ausgefallen. Zu jeder andern Zeit hätte sich Mr. Stackpool darüber gefreut, daß die Leitungen so tadellos in Ordnung waren, doch heute bereitete es ihm ein leises Unbehagen. Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte Chelmesford melden können: »Sie hatten recht, Herr Präsident, Ihr Verdacht war begründet. Wir haben dies und jenes entdeckt.« Auf dem Flur vor Claytons Zimmer ließ er die Kästen mit den Meßinstrumenten absetzen, um mit seinen beiden Gehilfen den weiteren Gang der Untersuchung zu besprechen. – –
Tom White hielt es an der Zeit, seine Anlage wieder einmal einzuschalten, lauschte und preßte den Hörer fester. Seine Vermutung war richtig, zwei verschiedene Stimmen drangen jetzt an sein Ohr. Clayton war beim Präsidenten; er hörte, wie sie zusammen die Ereignisse des Vormittags besprachen, und griff zu Block und Bleistift, um sich alles Wichtige zu notieren. – –
»Bis jetzt haben wir nicht das geringste entdecken können. Ich glaube, daß wir auch weiterhin nichts finden werden«, sagte Stackpool mißmutig zu seinen beiden Gehilfen, Hamilton und Brookman. Hamilton nickte zustimmend, Brookman hörte ihm nur zerstreut zu. Dessen Blick haftete an einer Lichtleitung, die unmittelbar über der Scheuerleiste lag. Das Kabel war offensichtlich erst nachträglich verlegt worden und daher nicht wie die anderen Leitungen unter den Wandverputz gekommen. Der Anblick des blanken Bleimantels schien den Gedanken Brookmans eine bestimmte Richtung zu geben.
»Entschuldigen Sie einen Augenblick«, unterbrach er die Ausführungen Stackpools, beugte sich nieder und schob einen der Instrumentenkästen dicht an die Leitung heran. Mit schnellem Griff zog er zwei Leitungsschnüre aus dem Kasten und klemmte sie in einiger Entfernung an das Kabel, neigte sich noch tiefer über das Meßinstrument, sah den Zeiger zucken und um ein geringes ausschlagen.
»Was wollen Sie denn da, Brookman« fragte Stackpool ungeduldig, »das ist doch eine Lichtleitung.«
»Weiß ich, aber der Kabelmantel führt Strom.«
Stackpool zuckte die Achseln. »Soll natürlich nicht sein, kann aber vorkommen, Brookman. Irgendein kleiner Isolationsfehler, eine schadhafte Lampenfassung irgendwo kann die Ursache dafür sein. Heute kümmern uns nur die Telephonleitungen.«
Brookman ließ sich durch die Worte Stackpools nicht stören. Er zerrte einen andern, größeren Kasten heran und brachte ihn durch zwei Leitungsschnüre mit zwei Punkten des Kabelmantels in Verbindung, bewegte ein paar Schalterhebel . . . und dann standen alle drei, lauschten und starrten, als ob sie ein Wunder erlebten.
Deutlich erklangen aus dem Kasten Stimmen auf. Eben deutlich und unverkennbar die Stimme Chelmesfords und dann wieder die Claytons, die auf Fragen und Einwände des Präsidenten antwortete.
Rein technisch betrachtet war es gar kein Wunder, denn der Kasten enthielt einen kräftigen Verstärker und außerdem einen Lautsprecher, der zu dem Zweck gebaut war, die Ströme des Verstärkers hörbar wiederzugeben. Wunderbar war es nur, daß die Stimmen Chelmesfords und Claytons in den Strömen steckten, die in dem Kabelmantel vagabundierten.
Mr. Stackpool und seine Leute hörten die Worte des Präsidenten und des Direktors und faßten kaum ihren Sinn, denn alle drei bewegte ausschließlich der eine Gedanke: Wie kommt der Sprechstrom in den Kabelmantel? Als erster brach Stackpool das Schweigen.
»Aus der Telephonleitung kann es nicht kommen«, sagte er. »Wir haben eben erst alles nachgemessen. Es ist keine Verbindung zwischen Sprechnetz und Lichtnetz vorhanden.«
Kurzentschlossen klopfte er an Claytons Tür, öffnete sie und wunderte sich von neuem. Das Zimmer war leer. Das Telephon stand unbenutzt auf dem Schreibtisch, während aus dem Lautsprecher vom Flur her nach wie vor die Stimme des Direktors ertönte.
Stackpool winkte seine Gehilfen heran, und ein eifriger Austausch von Meinungen über das wunderliche Vorkommnis hub an, bis Brookman eine Erklärung vorbrachte, die Stackpool wie ein Keulenschlag traf.
»Die Herren benutzen das Telephon gar nicht«, sagte Brookman mit Entschiedenheit, »sie sind im Zimmer des Präsidenten und sprechen da miteinander. Also gibt es nur eine Möglichkeit: im Zimmer von Mr. Chelmesford muß ein Lauschmikrophon vorhanden sein.«
»Ein Lauschmikrophon, Brookman?« Heiser vor Erregung stieß Stackpool die Worte heraus.
»Ein Lauschmikrophon, Mr. Stackpool. Der Mann, der es dort hingebracht hat, sitzt an irgendeiner andern Stelle der Lichtleitung und hört jedes Wort mit, das die Herren sprechen.«
»Sie haben recht, Brookman.« Stackpool raffte sich aus seiner Erstarrung auf. »Ich muß es dem Präsidenten sofort melden, es darf dort nicht weitergesprochen werden. Wer weiß, was für ein Schaden dem Konzern dadurch entsteht!«
Er wollte zu Chelmesfords Tür eilen, Brookman hielt ihn zurück.
»Wäre es nicht richtiger, Mr. Stackpool, wenn wir der Lichtleitung nachgingen, den Mann zu finden versuchten, der mithört?«
Stackpool blieb stehen, zögerte und fragte:
»Wie wollen Sie das machen? Sie müßten die ganze Lichtleitung absuchen. Es ist unmöglich. Es würde tagelang dauern.«
Er ging auf die Tür von Chelmesford zu und klopfte.
»Jetzt hat er alles verdorben!« Brookman flüsterte es Hamilton zu, während Stackpool in das Zimmer des Präsidenten eintrat. »Jetzt ist der fremde Vogel gewarnt.« –
Tom White war eifrig dabei, mitzuschreiben, was Präsident Chelmesford und Clayton sich zu sagen hatten. Öfter als einmal war in der Unterhaltung der beiden bereits der Name des deutschen Doktors gefallen. Immer klarer leuchtete aus den Worten des Präsidenten die Absicht heraus, einen Husarenstreich zu wagen und sich der Person des Doktors mit Gewalt zu versichern, obwohl er es bisher noch nicht unzweideutig ausgesprochen hatte. Jetzt schien das aber zu kommen.
»Es bleibt die einzige Möglichkeit«, meinte er zu Clayton. »Ich werde übermorgen Smith mit vier Mann und dem großen Wagen unserer Sicherheitsabteilung nach Salisbury schicken.« Chelmesford schwieg plötzlich. In seinem Telephon vernahm Tom White, daß an die Tür geklopft wurde, und er hörte den Präsidenten sagen.-
»Sehen Sie mal nach, Clayton, wer draußen ist. Wir wollen jetzt nicht gestört werden.«
Er hörte danach Clayton fragen: »Was wünschen Sie, Mr. Stackpool? Wir haben jetzt keine Zeit für Sie.«
Dann kam die Stimme des Präsidenten wieder. »Ach so, Stackpool ist da. Na, haben Sie an den Leitungen etwas gefunden? . . . Was fehlt Ihnen, Mann? Sind Sie übergeschnappt?« – –
Als er den Namen »Stackpool« hörte, zuckte Tom White zusammen, und die nächsten Worte Chelmesfords bestätigten seine Vermutung. Stackpool war also dabei, die Leitungen zu untersuchen. Die Gefahr, daß die Geheimanlage entdeckt würde, war in unmittelbare Nähe gerückt.
Aber warum hatte Chelmesford Mr. Stackpool gefragt, ob er übergeschnappt sei, und warum richtete er jetzt die gleiche Frage an Clayton? Tom White wußte es nicht, denn er konnte ja nicht sehen, was auf der Schwelle von Claytons Zimmer vor sich ging. Da stand Stackpool, hielt zwei Finger seiner Rechten an die Lippen und winkte mit der Linken dem Präsidenten, herauszukommen, und Clayton, dem Stackpool die Worte ins Ohr geflüstert hatte: »Es ist ein Lauschmikrophon im Zimmer!« stand neben ihm und vollführte die gleichen Gesten!
»Dummheiten! Ist mir unverständlich, was Sie wollen«, hörte Tom White den Präsidenten sagen, hörte ihn seinen Stuhl rücken und Schritte im Raum, und dann wurde es still. Offenbar war das Zimmer leer. – –
»Zum Teufel, was soll das bedeuten?« brummte Tom White vor sich hin. Je länger er sich die Sache überlegte, desto verdächtiger kam sie ihm vor. Sollten die drei Leutchen da drüben im Verwaltungsgebäude seine Geheimanlage schon entdeckt haben, und gingen sie jetzt etwa der Spur nach? Stackpool brauchte mit seinen Instrumenten ja nur dem Mikrophonstrom im Kabelmantel zu folgen, dann mußte er über kurz oder lang bei ihm landen.
Ein einfaches Mittel gab es dagegen: White brauchte nur seine Anlage auszuschalten. Dadurch wurde der Kabelmantel stromlos, und die Spur war verwischt. Schon wollte er nach dem Schalter greifen, als er wieder Schritte vernahm. Chelmesford und Clayton kehrten ins Zimmer zurück. Daß auch Stackpool und Brookman geräuschlos auf Zehenspitzen mitkamen, konnte er nicht sehen und auch nicht wahrnehmen, was diese beiden im Zimmer trieben, während der Präsident mit Clayton ein belangloses Gespräch über die Prüfung der Telephonleitungen führte. Hätte er es sehen können, er hätte wohl weniger ruhig auf seinem Stuhl gesessen und weiter gelauscht.
»Es freut mich doch, Clayton, daß ich die Anlage nachsehen ließ«, sagte Chelmesford, »jetzt sind wir sicher, daß unsere Gespräche nicht mitgehört werden können . . .«
»Bildest du dir ein, mein Lieber!« flüsterte Tom White vor sich hin.
»Besser zuviel Vorsicht als zuwenig«, antwortete Clayton auf die Ausführung Chelmesfords, »jetzt wissen wir, daß die Sache in Ordnung ist.«
Während die beiden so hin und her redeten, verfolgten sie mit Aufmerksamkeit die Arbeiten von Stackpool und Brookman.
Die hatten einen feinen Kupferdraht entdeckt, der von dem Lichtkabel abzweigte und hinter der Scheuerleiste nach einem Bücherregal hin verlief. Schon kniete Brookman vor dem Regal. Während er noch einmal den Finger warnend auf die Lippen legte, begann er vorsichtig die einzelnen Bücher herauszuräumen, und dann . . . die Überraschung war zu groß . . . dann beging er selbst eine Unvorsichtigkeit. – –
Tom White vernahm in seinem Telephon plötzlich ein starkes Rascheln und Rauschen und dann so laut, daß es ihn fast schmerzte, die Worte: »Da ist es!« Er wußte genug. Sie hatten das Mikrophon hinter den Büchern entdeckt. Jetzt hieß es für ihn schleunigst handeln. Er riß die Schubladen seines Schreibtisches auf und drehte an einem kleinen Schalter, der frei darin lag.
So, das wäre getan! Der Strom zu dem Lauschmikrophon, über das die da drüben sich die Köpfe zerbrachen, war unterbrochen.
Jetzt konnten sie erst mal lange suchen, bis sie das zu dem Mikrophon gehörige Telephon fanden . . . aber trotzdem . . . die Sache war und blieb höchst brenzlig. Wenn sie der Lichtleitung nachgingen, mußten sie schließlich einmal auch zu ihm kommen, und wenn sie hier den Anschluß entdeckten, war er geliefert.
Er griff nach einer Schere. Ein feiner Draht, den er vor Tagen einmal mit dem Mantel der Lichtleitung verbunden hatte, wurde abgeschnitten und ebenso ein zweiter, den er damals an ein Wasserleitungsrohr gelötet hatte. Sorgfältig bearbeitete er die Schnittstellen mit seinem Taschenmesser und schwärzte sie mit Tinte, bis sie nicht mehr zu erkennen waren.
Die beiden Drähte liefen unter dem Teppich zu seinem Schreibtisch. Er zog sie hervor, rollte sie zusammen und kam danach zu der Einsicht, daß die Lage für ihn nach wie vor bedenklich war.
Auch so, wie diese Dinge . . . der Kopfhörer, der Schalter und die Trockenbatterie . . . jetzt friedlich in seinem Tischkasten lagen, würden sie ihn doch schwer belasten, wenn man sie bei ihm entdeckte. Aber wohin damit? Ins Feuer? Dazu hätte er erst in eins der Laboratorien gehen und ein Feuer anzünden müssen . . . Die Sachen nach Werkschluß mit in seine Wohnung nehmen? Auch dort konnten sie noch gefährlich werden, wenn Direktor Clayton etwa auf die Idee kam, bei ihm Haussuchung halten zu lassen. Sie auf dem Wege zu seiner Wohnung verlieren, irgendwo fortwerfen? Auch das konnte bemerkt werden. Tom White mußte die Entdeckung machen, daß es unter Umständen recht schwierig ist, sich unbequemer Dinge zu entledigen.
Während er noch überlegte, wie er es anstellen könnte, hörte er eine Tür klappen und Schritte auf dem Flur. Mit einem Ruck schloß er seinen Tischkasten und schaute in das Protokollbuch, bis die Schritte draußen schwächer wurden. Vorsichtig öffnete er seine Zimmertür, stellte fest, daß es Wilkin war, der nach der großen Halle ging, und sah im gleichen Moment auch einen Ausweg aus seinen Schwierigkeiten.
Kurzentschlossen raffte er die Sachen aus seinem Schreibtischkasten zusammen und eilte damit nach Wilkins Zimmer. Die Tür war verschlossen. Desto besser! Um so weniger würde man auf die Vermutung kommen, daß er etwa darin gewesen wäre. Ein oft erprobter Sperrhaken öffnete sie in einer Sekunde.
Du bist ein Narr, mein lieber Wilkin, dachte White, als er auch den Kleiderschrank verschlossen fand. Auch hier war es nur Augenblickssache, die Tür zu öffnen. Ein paar Laboratoriumskittel hingen in dem Schrank, allerhand Kram stand auf dem oberen, eigentlich für die Aufbewahrung von Hüten bestimmten Schrankbrett. »Ist ja einfach großartig«, lachte White vor sich hin, als er zwischen den Sachen auf dem Brett auch ein paar ausgediente elektrische Instrumente entdeckte. Hier fällt das Zeug bestimmt nicht auf! Schnell schob er die Teile seiner Geheimanlage zwischen die andern Geräte, verschloß die Türen hinter sich und machte, daß er wieder in sein Zimmer kam. Jetzt konnte ihm kein Teufel mehr etwas nachweisen.
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