Hans Dominik
Atomgewicht 500
Hans Dominik

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Das Geheul, mit dem die Sirenen in den Schiffswerften am Detroit River die Mittagsstunde ankündeten, war eben verklungen, als MacGan in das Zimmer von Dr. Wandel kam, um ihm eine Postmappe zu bringen.

»Na, Mac, sind die Herren draußen immer noch bei ihrem Versuch?« fragte der Doktor, während er die Mappe aufschlug.

»Nein, Herr Doktor, sie haben den Versuch abgebrochen, die Herren wollen nämlich . . .« der Ire konnte ein Lachen nicht unterdrücken ». . . ganz was Neues wollen die Herren jetzt machen.«

Dr. Wandel lehnte sich in seinen Stuhl zurück und blickte MacGan fragend an.

»Was Neues, Mac? Hoffentlich ist's auch etwas Gutes. Können Sie mir verraten, was Professor Melton vorhat?«

»Ja, Herr Doktor. Ich stand nahe dabei, als der Professor es mit Mr. Wilkin besprach. Sie wollen im Laboratorium eine Grube ausheben . . . Dammgrube nannte Mr. Wilkin das Ding . . . und den neuen Autoklav da hineinstecken. Die Herren scheinen Angst um ihr Leben zu haben und wollen sich auf die Manier schützen. Komisch, Herr Doktor, was?« schloß er seine Rede und lachte laut heraus.

Er stockte plötzlich, als er die veränderte Miene Dr. Wandels bemerkte. Der saß da, die Lippen zusammengepreßt, tiefe Falten auf der Stirn. Mechanisch spielte seine Rechte mit einem Bleistift, während die Finger seiner linken Hand auf der Postmappe trommelten. Ein Blick genügte MacGan, um zu erkennen, daß der Deutsche seine Mitteilung alles andere eher als spaßig fand. Und weil der Ire große Hochachtung von Dr. Wandel hegte und auch wußte, mit welcher Gegnerschaft der zu kämpfen hatte, und weil er schließlich den Professor ebensowenig leiden mochte wie dessen Ersten Assistenten, so bereute er die Wirkung seiner Mitteilung.

»Verzeihen Sie, Herr Doktor«, begann er etwas verlegen, »wenn meine Worte Ihnen nicht gefallen . . . aber ich habe die Wahrheit gesagt. Ich hab's ja mit meinen eigenen Ohren gehört. Morgen, spätestens übermorgen soll schon mit dem Ausheben der vertrackten Grube angefangen werden.«

»Morgen schon?«

Dr. Wandel streckte beide Hände weit von sich auf den Tisch und ließ den Kopf nach vorn sinken.

»Verzeihung, Herr Doktor, brauchen Sie mich noch?« Vergeblich wartete MacGan auf eine Antwort. Er schickte sich an, den Raum zu verlassen, als der Deutsche plötzlich den Kopf zurückwarf.

»Bleiben Sie hier, Mac. Setzen Sie sich bitte, ich habe mit Ihnen zu reden.«

Ein wenig verwundert zog sich MacGan einen Stuhl heran und nahm Platz. Erwartungsvoll schaute er den Doktor an, aber bald mußte er die Augen wieder senken. Forschend, scharf prüfend ruhte der Blick Dr. Wandels auf seinem Gesicht. Viele Sekunden verstrichen, bevor der zu sprechen begann.

»Kann ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen, Mac?«

»Jawohl, Herr Doktor. Was Sie mir sagen, ist bei mir begraben.«

»Ihre Hand darauf, Mac!«

Dr. Wandel streckte dem Laboratoriumsdiener die Rechte hin, ohne Zögern schlug der ein.

Dr. Wandel sprach weiter. »Sie fragten, ob ich Sie noch brauche. Ja, Mac! Ich brauche Sie heute nacht noch . . . zu einer Sache, die nicht ganz einfach und nicht ganz ungefährlich ist. Überlegen Sie es sich. Sie können jetzt noch nein sagen. Ich werde Ihnen keinen Vorwurf machen.«

MacGan sprang auf. »Sie haben mein Wort. Herr Doktor. Der Ire steht zu seinem Wort. Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich werde es tun.«

»Auch wenn es gegen den Willen von Professor Melton geschieht?«

Das Lachen kehrte in die Züge MacGans zurück. »Dann gerade! Dann macht's mir erst recht Spaß, Herr Doktor.«

»Ich habe es nicht anders von Ihnen erwartet, Mac.«

Wieder griff Dr. Wandel nach der Rechten des andern und drückte sie kräftig. »Erwarten Sie mich heute abend um zehn Uhr an der Ecke der Woodward Avenue und der Lake Street, und noch einmal, Mac . . . kein Wort darüber zu irgendeinem anderen.«

»Kein Wort, Herr Doktor. Sie können sich auf mich verlassen.«

Eine kurze grüßende Handbewegung Dr. Wandels, MacGan griff nach den erledigten Mappen und ging. –

Scheinbar zufällig machte es sich, daß Wilkin und White nach Werkschluß dicht hintereinander durch das große Portal auf die Straße traten; dort blieb Phil Wilkin einen Augenblick stehen, so daß White dicht an ihm vorüber mußte. Im Vorbeigehen zog er den Hut und grüßte den Ersten Assistenten Professor Meltons mit der Ergebenheit, die ein einflußreicher Vorgesetzter wohl von einem Untergebenen erwarten durfte. Zu seiner Überraschung erwiderte Wilkin den Gruß in der vertraulich lässigen Form, die in vergangenen Zeiten zwischen den beiden einmal üblich war, und sprach ihn an.

»Hallo, White! Wo geht Ihr Weg lang, rechts oder links?«

»Nach links 'runter, Mr. Wilkin. Ich wohne in der Lake Street.«

»Da haben wir ja ein Stück Weg gemeinsam. Lassen Sie uns zusammengehen. Jetzt sind Sie schon eine Woche bei der United. Ich möchte mal hören, wie es Ihnen bei uns gefällt?«

»Gut, ganz vorzüglich«, beeilte sich White zu erwidern, während sie langsam die Straße weitergingen. »Ohne zu schmeicheln, Mr. Wilkin – es ist eine Freude für mich, unter der Leitung so hervorragender Wissenschaftler, wie Professor Melton und Sie es sind, wirken zu dürfen. Doppelt erfreulich ist es nach der unerquicklichen Arbeit in den Farbwerken.«

Während der nächsten Minuten erschöpfte Tom White sich in Danksagungen dafür, daß Wilkin ihm die Stellung bei der United verschafft hatte, bis der Assistent schließlich den Redefluß seines Schützlings unterbrach.

»Lassen Sie es gut sein, lieber White. Sie haben in der kurzen Zeit gezeigt, daß ich mich für keinen Unwürdigen eingesetzt habe. Seit heute haben Sie auch bei Professor Melton einen Stein im Brett. Ihre Mitteilung über die Arbeitsweise bei der Dupont Company war uns recht wertvoll.«

»Oh, eine Kleinigkeit, Mr. Wilkin! Durch einen reinen Zufall hörte ich es und hielt es für richtig, Sie davon in Kenntnis zu setzen.«

Tom White schwieg, aber seine Gedanken liefen weiter. Verflucht, wenn er mich jetzt fragte, woher ich die Nachricht habe! Während er sich anstrengte, eine glaubhafte Geschichte dafür auszudenken, verhielt Wilkin den Schritt.

»Wissen Sie, Mr. White«, sagte er unvermittelt, »ich bin Ihnen immer noch Revanche für unser neuliches Zusammensein schuldig. Haben Sie Zeit? Da drüben an der Ecke ist ein guter Salon.«

Tom White hatte Zeit. Aber während sie die Straße überquerten und auf den Ausschank zuschritten, strömte ihm eine Flut von Fragen und Gedanken durch den Kopf . . . Was bezweckte der Assistent mit dieser Einladung? . . . Hatte er etwa einen Verdacht gefaßt? . . . Vielleicht bei den Farbwerken nachgefragt und herausbekommen, daß ein Mann namens Tom White dort niemals in Stellung war? . . . Mit dem Gefühl, daß er jetzt jedes Wort auf die Goldwaage legen und äußerste Vorsicht walten lassen müsse, folgte er Wilkin in das Lokal, entschlossen, möglichst viel zu hören und selber möglichst wenig zu sagen.

Dann standen ein paar Gläser schäumenden Bieres vor ihnen, und nach einem kurzen Zutrunk rückte Wilkin mit dem heraus, was er auf dem Herzen hatte . . . Die Geheimnistuerei bei der Company . . . die vergeblichen Versuche, über die dortigen Arbeiten etwas zu erfahren . . . und dann kam die lang erwartete Frage, woher der andere seine Kenntnis habe.

Tom White hatte genügend Zeit gehabt, sich auf die Antwort vorzubereiten, und merkwürdigerweise entsprach sie bis auf einige Kleinigkeiten sogar der Wahrheit.

Von einem alten, schon etwas senilen Onkel, einem gewissen Joshua Higgins, wollte White die Nachricht bekommen haben. Wenn man berücksichtigt, daß Mr. Spinner seine weitschweifigen Familienbriefe mit Onkel Joshua zu unterzeichnen pflegte, war die Eröffnung Whites kaum eine Lüge zu nennen. Und wenn er den Assistenten Professor Meltons weiter wissen ließ, daß dieser Onkel eine etwas dunkle Stellung bei der Company innehatte und in den Briefen an seinen Neffen bisweilen Dinge vorbrachte, die ihm wohl infolge dieser Stellung zu Ohren gekommen waren, so ließ sich auch das noch als ziemlich wahrheitsgemäß vertreten. Daß alle diese Mitteilungen außerdem noch einen fetten Köder enthielten und daß Phil Wilkin sofort darauf anbiß, war von White wohlüberlegt und beabsichtigt.

»Hören Sie, lieber White, das ist ja großartig!« rief er und bestellte inzwischen eine neue Lage. »So einen alten Onkel . . . Sie sagen selber, daß er etwas senil, wohl schon ein bißchen vertrottelt ist . . . so einen Mann mitten im feindlichen Lager . . . wenn Sie das richtig ausnutzen, White . . . den Alten ordentlich ausholen, natürlich, ohne daß er merken darf, was gespielt wird . . . da könnten Sie Ihr Glück bei der United machen, mein lieber White.«

Während der nächsten Viertelstunde führte Wilkin die Unterhaltung in der Hauptsache allein. Nur selten, daß ihm White hin und wieder einmal ein Stichwort zuwarf, wie man den alten Mann am besten auspumpen könnte.

Die Stunden verrannen während ihrer Besprechung. Die Zeit für das Abendbrot war längst gekommen. Auf einen Ruf von Wilkin baute der Barkeeper eine stattliche Platte mit Sandwiches auf ihrem Tisch auf, und während sie zugriffen und frisches Bier bekamen, floß die Unterhaltung fort.

Wilkin legte die Richtlinien für das weitere Vorgehen fest. Erst mal eine etwas lebhaftere Korrespondenz mit dem guten alten Onkel Joshua. Recht vorsichtig natürlich, damit der nicht etwa doch bei aller Ahnungslosigkeit etwas witterte. Die Fragen, die dabei zu stellen wären, wollte Wilkin selber zu Papier bringen und Tom White in den nächsten Tagen übergeben. Und dann . . . das hatte sich Wilkin als den Schlußstein des ganzen Unternehmens ausgedacht . . . ein Besuch des braven Neffen White bei dem Onkel in Salisbury, wobei er ihn noch einmal persönlich ganz gründlich ausholen sollte.

Es ging schon stark auf die zehnte Stunde, als die beiden zum Aufbruch rüsteten, und obwohl White zu widersprechen versuchte, ließ es sich Wilkin nicht nehmen, diesmal die ganze Zeche zu begleichen. Vor dem Lokal trennten sie sich. Wilkin ging nach dem Innern der Stadt zu, Tom White schlenderte weiter die Lake Street hinab und überschlug dabei das Ergebnis des Abends.

In einer Hinsicht konnte er zufrieden sein. Die neue Verbindung mit Wilkin würde ihm die Möglichkeit geben, die weiteren Arbeiten in der Abteilung Melton durch zweckmäßig fabrizierte Nachrichten im Sinne seiner Auftraggeber zu beeinflussen. Auf der andern Seite aber war es ihm immer noch nicht gelungen, an Dr. Wandel heranzukommen. Jene theoretischen Arbeiten des Doktors, von denen ihm MacGan gesprochen hatte, gingen ihm stark im Kopfe herum. Daß es seine nächste Aufgabe sein müsse, sich Kenntnis davon zu verschaffen, stand bei ihm fest. Nur über das Wie und das Wo war er sich noch nicht klar.

Im Weiterschreiten näherte er sich der Stelle, wo die Lake Street von der Woodward Avenue gekreuzt wird. Die Straßen waren um diese Zeit schon ziemlich menschenleer. In einiger Entfernung bemerkte er eine einsame Gestalt, die ihm irgendwie bekannt schien, unter der Ecklaterne. Beim Näherkommen sah er, daß es der Laboratoriumsdiener MacGan war.

Einen Augenblick blieb Tom White überlegend stehen. Ein angerissener Abend war es heut nun doch einmal. Eigentlich eine ganz gute Idee, mit MacGan noch in einen anderen Salon zu gehen. Vielleicht ließ sich auch dabei noch allerlei Wissenswertes in Erfahrung bringen. Ja, so wollte er's machen.

Er näherte sich dem Iren. Der wandte ihm jetzt den Rücken zu und blickte wie suchend in die Woodward Avenue. Tom White wollte ihn anrufen, als aus der andern Straße ein Hupensignal ertönte. Im nächsten Augenblick hielt ein Kraftwagen an der Straßenecke.

MacGan wurde von einem der Insassen angerufen. Tom White blickte schärfer hin; die Stimme hatte ihn nicht getäuscht. Es war Dr. Wandel, der neben dem Fahrer des Wagens saß.

Auf den Ruf sprang MacGan zu dem Wagen heran. Der Doktor sprach ein paar Worte mit ihm, die White aus der Entfernung nicht verstehen konnte; dann stieg der Ire ein, und der Wagen rollte weiter. Kopfschüttelnd blickte ihm White nach. Was hatte es mit diesem merkwürdigen Zusammentreffen des deutschen Doktors und dieses Laboratoriumsdieners auf sich? Offensichtlich lag eine Verabredung vor. White hatte ja selbst beobachtet, wie MacGan wartend an der Ecke stand. Was führte die beiden zusammen? Was hatten sie zu so später Abendstunde gemeinsam vor?

White vermochte sich keine Antwort auf diese Fragen zu geben, aber er hatte das Gefühl, einem Geheimnis auf der Spur zu sein, das vielleicht wichtiger und viel schwerwiegender war als alles andere, was er bisher im Betrieb der United in Erfahrung gebracht hatte.

Gern wäre er dem Wagen Dr. Wandels gefolgt, doch weit und breit war kein anderes Auto zu sehen, und als er endlich doch eins entdeckte, lohnte es sich nicht mehr; da war der Wagen des Doktors längst über alle Berge. – –

Von der Woodward Avenue bog das Fahrzeug in eine Seitenstraße ein, fuhr aus dieser in eine dritte und nahm den Weg auf das Werk der United Chemical zu.

»Wie weit können wir fahren, Doktor?« fragte der Mann am Steuer, als in einiger Entfernung die Umrisse der großen Fabrikhallen sichtbar wurden.

»Haben Sie Ihren Werkausweis bei sich, Mac?« wandte Dr. Wandel sich an MacGan. Der bejahte. Der Doktor fuhr fort:

»Ich auch. Drei Mann und zwei Ausweise, das wird wohl genügen, um mit der Karre ins Werk zu kommen. Jedenfalls wollen wir's versuchen, mein lieber Schillinger. Der Brocken ist verdammt schwer. Je weiter wir ihn fahren können, desto weniger Umstände haben wir damit.«

»All right, Doc!« nickte Joe Schillinger und hielt auf das Portal zu.

Der Nachtportier kam aus seiner Bude. Nach einem Blick auf die beiden Ausweise riß er das Tor auf und ließ den Wagen passieren. Ein kurzes Stück Fahrt noch, und das Auto hielt vor dem Laboratorium.

Auf einen Wink Dr. Wandels sprang MacGan vom Wagen und öffnete eine weite Schiebetür. Der Wagen konnte in die Halle hinein und bis unter einen Deckenkran fahren. MacGan beeilte sich, das Schiebetor wieder zu schließen und ein paar schwache Lampen einzuschalten. Inzwischen machte sich Dr. Wandel bereits an den Steuerhebeln eines Deckenkrans zu schaffen. Klirrend begann sich eine Kette zu bewegen, und der schwere Kranhaken schwebte herab, bis er im Inneren des offenen Wagenkastens verschwand.

Joe Schillinger war von seinem Platz aus in den Wagenkasten geklettert und betätigte sich dort. Es klang, wie wenn Eisen an Eisen klirrt, danach ein Ruf von ihm zu Dr. Wandel hin. Der Kran zog wieder an, an seinem Haken hing ein stählernes Schmiedestück, das schätzungsweise seine vier bis fünf Tonnen Gewicht haben mochte.

Es war das Ersatzstück, das Dr. Wandel damals bei seinem Besuch in Schillingers Werk am Saint-Clair-See bestellt hatte. Bis dicht an den Autoklav heran ließ der Doktor den Kran damit fahren, dann setzte er ihn still und begann zusammen mit MacGan auf dem Oberteil der gewaltigen Autoklavkugel zu arbeiten.

Mit Schlüsseln, die wie Riesenspielzeuge aussahen, lösten sie mächtige Schraubenmuttern, der zweite Kran wurde in Betrieb genommen, griff zu und hob das alte Verschlußstück von dem Autoklav ab. Der Kranhaken mußte ein gutes Stück damit in die Höhe gehen, um den Deckel völlig freizubekommen, denn an seiner unteren Seite hing noch ein eigenartiges, undefinierbares Gebilde, jener Heizwiderstand, den Phil Wilkin konstruiert hatte.

Dr. Wandel konnte beim Anblick dieses Monstrums ein Kopfschütteln nicht unterdrücken, während der zweite Kran mit dem alten Deckel sich entfernte. Dafür kam jetzt der erste Kran mit dem neuen Verschlußstück heran. Schon hing es senkrecht über dem Autoklav. Jetzt war auch an seiner Unterseite eine elektrische Einrichtung zu bemerken, die sich recht bedeutend von dem Machwerk Phil Wilkins unterschied.

Sie bestand aus zwei Metallstangen, die ziemlich genau bis in die Mitte der Autoklavkugel reichen mochten, wenn das Verschlußstück richtig aufgesetzt war.

Vorläufig fingerte der Doktor noch an ihnen herum. Er griff in die Brusttasche, brachte zwei kurze Zylinder aus einem fremdartigen, dunkel schimmernden Metall zum Vorschein und fügte sie in die Enden der beiden Stangen ein, wie man etwa Kohlen in eine Bogenlampe einsetzt.

Noch einmal prüfte und regelte er die Entfernung der beiden Stücke voneinander. Danach ein Wink zu Schillinger, der die Kranbedienung übernommen hatte. Das neue Verschlußstück senkte sich, glitt über den Bolzen der Befestigungsschrauben und legte sich fest auf. Schon waren der Doktor und MacGan wieder bei der Arbeit, die Schraubenmuttern aufzusetzen und mit den Riesenschlüsseln festzuziehen.

»Saubere Arbeit, Sir!« rief Dr. Wandel Joe Schillinger anerkennend zu. »Das neue Stück paßt haargenau.«

»Wird sich auch so gehören«, rief der vergnügt zurück.

Es herrschte nur ein schwaches Licht in der großen Laboratoriumshalle. Nur wenige kleine Lampen in der nächsten Nähe des Autoklavs brannten. Dr. Wandel legte keinen Wert darauf, durch eine Festbeleuchtung etwa die Aufmerksamkeit der nächtlichen Werkkontrollen zu erregen. In der Stille wollte er den Versuch durchführen, von dem so unendlich viel abhing. Die Entscheidung sollte er ihm ja bringen, ob seine Voraussetzungen und Theorien richtig . . . oder ob er vielleicht doch in die Irre gegangen und alle bisherigen Arbeiten vergeblich waren. Eigenartige Helfer hatte er sich notgedrungen dafür wählen müssen, den einfachen Laboratoriumsdiener und seinen Freund Schillinger, der zwar mit Automobilen und allerlei Maschinen umzugehen verstand, aber von den chemischen Atomen und all den andern Dingen, um die es bei diesem Versuch gehen würde, nur wenig Ahnung hatte.

Jetzt stand er zusammen mit ihnen vor dem Autoklav und gab ihnen mit gedämpfter Stimme die letzten Anweisungen. MacGan sollte die Höchstdruckpumpen bedienen, die Heliumgas in den Autoklav zu pressen hatten. Der Doktor selbst übernahm die Steuerung der elektrischen Energie, deren Spannung sich nach dem Druck in der Autoklavkugel richten mußte.

Schillinger hatte die Aufgabe, später mit den Kältemaschinen einzusetzen. Er nickte und ließ seine weißen Zahnreihen sehen.

»Weiß Bescheid damit, Doktor! Kenne den Kram, Gott sei Dank, aus dem Effeff. Sie brauchen nur zu winken, und das stählerne Biest da drüben kriegt eine gehörige Dusche flüssiger Luft auf den Bauch.«

In seine letzten Worte klang der Ton einer Werkuhr. Zwölf lange Schläge.

»Huhu, wie schaurig!« lachte Schillinger. »Gerade in der Geisterstunde fangen wir an. Na, abergläubisch ist ja wohl keiner von uns. Wenn's spuken sollte, gibt's kalte Luft aus den Linde-Maschinen. Das beruhigt die wildesten Gespenster.«

»Schon recht, Schillinger!« winkte Dr. Wandel ab. »Zwölf Uhr, das heißt für mich, ein neuer Tag beginnt . . . und ein neues Werk. Hallo, Mac, lassen Sie die Druckpumpen laufen!«

Elektrische Schalter bewegten sich in den Händen des Iren, und die Pumpen gingen an. Mit jedem Kolbenspiel saugten sie Heliumgas aus den großen Vorratsbehältern und warfen es unter Druck in die Autoklavkugel. Fast gleichzeitig blinkten Schalter in den Händen des Doktors, Transformatorbrummen dröhnte auf, zuckend schlug ein Stromzeiger aus.

»Der Lichtbogen hat gezündet, gebe Gott, daß er nicht abreißt«, murmelte Dr. Wandel vor sich hin. Wie gebannt hingen seine Blicke an den Skalen der Strom- und Druckmesser, fest lag seine Hand an dem Griff des Regelschalters, durch den er die Spannung der elektrischen Energie dem steigenden Gasdruck in der großen Stahlkugel anpaßte. Starr stand er so lange, lange Zeit. Hätte sich nicht hin und wieder seine Hand am Regelschalter leicht bewegt, man hätte ihn für eine Statue halten können.

Unablässig ging das Spiel der Gaspumpen weiter. Klingend mischten sich die Schläge ihrer Ventile in das tiefe Summen des großen Transformators. Immer höher krochen die Zeiger der Druckmesser auf ihren Skalen.

Schon stand das Heliumgas in der Autoklavkugel unter einem Druck von fünfzigtausend Atmosphären. Schon jagte der Transformator die elektrische Energie mit einer Spannung von zwanzigtausend Volt in den stählernen Kerker hinein. Was sonst noch in seinem Innern vorgehen mochte, verbargen seine Wände den Augen der Außenstehenden.

Im Geiste aber blickte Dr. Wandel durch den meterstarken Stahl wie durch klares Glas hindurch. Vor seinen geistiger Augen brannte im Mittelpunkt der Autoklavkugel eine elektrische Sonne, tobten sich dort auf einem Raum nicht größer als die Faust eines Kindes tausend elektrische Pferdekräfte aus und schmiedeten unter dem gigantischen Druck – nicht anders konnte es sein, so forderten es ja seine Theorie und seine Berechnung – die Atome des Heliumgases mit denen der stromführenden Metallstifte in Sonnenglut und unter Sonnendruck zu einem neuen Stoff zusammen.

Schwerer ging das Spiel der Pumpen, ächzend und keuchend trieben ihre Kolben immer neues Gas in den Autoklav . . . siebzigtausend . . . achtzigtausend . . . neunzigtausend Atmosphären . . . da hörten die Zeiger der Druckmesser auf, noch höher zu steigen. Als ob der mächtige Stahlpanzer nur ein Sieb wäre, drang jetzt ebensoviel Gas durch ihn hindurch ins Freie hinaus, wie die Pumpen unter diesem unvorstellbar hohen Druck in ihn hineinpreßten.

Die Druckmesser hielten ein in ihrem Lauf, um so stärker stiegen die Zeiger der Wärmemesser, welche die Temperatur an der Innenseite der Stahlwand angaben. Der Doktor wandte den Kopf zu Schillinger. Ihre Blicke trafen sich, ohne ein Wort verstand ihn der und griff in die Schalthebel einer Marmortafel. Ein dritter Maschinensatz begann zu arbeiten. Kolben und Kurbeln huben an zu spielen, wie Reif und Rauhfrost legte es sich um starke Rohrleitungen. Und dann ergoß es sich plötzlich aus vielen Brausen wie ein Platzregen über die Autoklavkugel, zischte auf und nebelte.

In dichten Wolken verschwanden der Autoklav und seine Umgebung. Im milchigen Dunst der verdampfenden flüssigen Luft stand Dr. Wandel mit seinen beiden Helfern. So stark wurde der eisige Nebel, daß keiner den andern mehr sehen konnte, daß auch das Licht der wenigen Lampen den Nebel nicht mehr zu durchdringen vermochte.

Der Doktor schloß die Augen und erblickte doch wie in einer Vision alles, was da im wirbelnden Dampf und Gischt geschah. Flüssige Luft, fast zweihundert Grad kalt, traf auf den heißen Stahl der Autoklavwand, und während sie im Augenblick versprühte und vernebelte, drang der grimmige Frost in den Stahl ein. In Weltraumkälte erstarrten dessen Moleküle, der Autoklav wurde wieder gasdicht, während in seinem Mittelpunkt Sonnenglut strahlte.

Ein scharfes Zischen riß Dr. Wandel aus seinem Sinnen. Die Sicherheitsventile der Gaspumpen fingen an abzublasen, ein Zeichen, daß der Höchstdruck von einhunderttausend Atmosphären erreicht war. Durch den dichten Nebel tastete er dem Geräusch nach und stieß auf eine Gestalt. Es war Schillinger.

»Kältemaschinen stillsetzen!« rief er ihm ins Ohr. Der griff nach einem Schalter. Die Linde-Maschinen kamen zur Ruhe, der prasselnde Regen der flüssigen Luft hörte auf.

Langsam verzogen sich die Nebelschwaden. Erst unsicher, dann klarer und deutlicher wurden die Lampen wieder sichtbar. Sie beleuchteten ein verändertes Bild. Nicht mehr düster schimmernd, sondern schlohweiß wie frisch gefallener Schnee stand der Autoklav da, und auch größer war er geworden. Ein schwerer Eispanzer umgab die Stahlkugel. Immer noch herrschte der Riesendruck von hunderttausend Atmosphären in ihr, immer noch arbeiteten tausend elektrische Pferde in ihrem Zentrum.

Wie lange würde es noch dauern, bis sie das letzte Atom jener rätselhaften Metallkiste gefressen und umgewandelt hatten? Wann würde der Sonnenlichtbogen abreißen und der Versuch zu Ende sein?

Die Werkuhr holte zu neuem Schlagen aus. Drei Stunden waren sie nun schon am Werk, doch wie im Traum, wie im Flug war ihnen die Zeit verstrichen. In glänzenden Streifen begann es jetzt von dem Autoklav zu tropfen, zu rieseln und zu fließen. Zusehends schmolz der Eismantel ab, schon schimmerte hier und dort wieder der dunkle Stahl hindurch. Da plötzlich eine hellere Note im tiefen Brummen des Transformators. Der Lichtbogen riß ab, der Stromzeiger fiel auf Null. Das Experiment war beendet. War es geglückt? War es mißlungen? Das mußte sich nun bald erweisen.

*


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