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Mit raschem Griff warf George Larry den Sauerstoffapparat über, griff nach einem Ventil und drehte daran. Zischend drang reiner Sauerstoff aus dem stählernen Tornister auf Larrys Rücken in die luftdichte Gesichtsmaske. Er tat ein paar tiefe Atemzüge, um sich zu überzeugen, daß das Gerät richtig arbeitete, und eilte dann auf die Halle zu. Mochte das Teufelsgas da drinnen sein, von welcher Art es wollte, im Schutz der Sauerstoffmaske fühlte er sich sicher. Nur darauf war sein Sinnen gerichtet, die Verunglückten schnell aus der vergifteten Atmosphäre herauszubringen, denn Sekunden konnten über Leben oder Tod entscheiden.
Noch lagen dichte weißlich-gelbe Schwaden in dem Raum, als er die Halle betrat; nur undeutlich vermochte er die Gestalten der Gesuchten zu erkennen. Hingesunken, wie leblos lagen sie bei der Dammgrube. Er griff nach dem ersten, nächsten – es war der Assistent Grimshaw – und trug ihn ins Freie. Traf dabei auf zwei andere Leute, die sich ebenfalls mit Sauerstoffapparaten ausgerüstet hatten. Einem von ihnen drückte er den hilflosen Körper Grimshaws in die Arme und lief mit dem andern in die Halle zurück. Gleich danach waren auch Slawter und Tamblyn geborgen.
Schon kamen Sanitätsmannschaften des Werkes mit Tragbahren heran. Die Verunglückten wurden darauf gebettet. An vielen Stellen zugleich griffen die geübten Hände der Samariter zu. Die Gasmasken wurden den Regungslosen abgenommen. Hier wurde nach dem Puls gegriffen, dort künstliche Atmung eingeleitet, und nach langen, bangen Minuten machten sich die ersten Lebenszeichen bemerkbar, ein schwacher Pulsschlag bei dem einen, ein leichtes Röcheln bei dem andern, das kaum merkliche Zucken eines Muskels bei dem dritten.
Man brachte sie in das Werklazarett, wo ein Stab von Ärzten sich um die immer noch Bewußtlosen bemühte. In einer merkwürdigen, bisher unbekannten Weise hatte das unheimliche Gas, das beim Bersten der Bombe frei wurde, auf sie gewirkt. Schon, daß es glatt durch die Masken drang, war überraschend, und nicht minder eigenartig seine Auswirkung auf den betroffenen Organismus.
Die ärztliche Untersuchung konnte schnell feststellen, daß alle jene Verbrennungen, Verätzungen und Vergiftungserscheinungen, die sonst wohl von Gasen hervorgerufen wurden, fehlten. Aber der gesamte Nervenapparat der Verunglückten schien in Unordnung geraten zu sein. Bald drohte bei einem der Herzschlag zu stocken, um dann plötzlich wieder in rasendem Tempo zu laufen. Bald setzte bei einem andern die Atmung aus und mußte künstlich wieder in Gang gebracht werden. Dann wieder erschütterten schwere Krämpfe die ganze Muskulatur. Unaufhörlich mußten die Ärzte auf der Wacht sein, um die beängstigenden Symptome sofort mit geeigneten Mitteln zu bekämpfen.
Würde es ihnen gelingen, den Sensenmann zu vertreiben? Viele sorgenvolle Stunden hindurch blieb die Frage unentschieden. Erst nach Tagen begann die rätselhafte Störung, die das unbekannte Gas in den Körpern der Patienten verursacht hatte, zu weichen, und allmählich fing ihr Organismus wieder an normal zu arbeiten. Ein Tag kam dann – es war der siebente, seitdem der Unfall in der Dammgrube geschah –, da war die Krise überwunden. Slawter und seine beiden Assistenten waren dem Leben zurückgegeben und durften zum erstenmal ihr Lager verlassen.
Etwas blaß und schwach noch saß Slawter in einem Lehnstuhl, als ihm George Larry gemeldet wurde. Während der Besucher Worte der Teilnahme und Glückwünsche zur Genesung vorbrachte, hingen die Blicke Slawters an dem Gesicht des anderen. Dann konnte er nicht länger an sich halten und unterbrach dessen Rede jäh mit einer Frage.
»Haben Sie das Gas untersucht, Larry?«
Der nickte. »Wir haben es untersucht und alle wesentlichen Daten festgestellt. Ihr Versuch ist trotz des unglücklichen Zufalls gelungen.«
»Gelungen, Larry? Was haben Sie gefunden?«
In freudiger Bewegung wollte Slawter sich erheben; er war aber noch zu schwach dazu und sank in seinen Stuhl zurück. »Sprechen Sie! Sagen Sie mir, was Sie fanden!« stieß er erregt hervor.
»Das Gas ist stark radioaktiv, Mr. Slawter. Einen Teufelsstoff haben Sie in Ihrer Bombe zusammengebraut. Seine Gammastrahlung schlägt durch zölliges Blei. Ein Glück, daß wir's sofort merkten und uns schützten. Es hätte sonst noch böse Verbrennungen im Laboratorium geben können . . . es ist kein Wunder, daß dieses Gas Sie trotz Ihrer Maske sofort betäubte und für Tage aufs Krankenlager geworfen hat. Seine Ausstrahlung ist ganz enorm . . .«
»Weiter, Larry, weiter!« drängte Slawter ungeduldig. »Das Wichtigste! Sie wissen, was ich meine.«
»Das Atomgewicht? Zweihundertzweiundvierzig! Vier Einheiten über dem Uran. Meinen Glückwunsch, Slawter! Es ist Ihnen als erstem gelungen, einen Stoff herzustellen, den es auf der Erde und in irdischen Verhältnissen bisher nicht gab.«
Zum zweitenmal versuchte Slawter aufzustehen, und wiederum zwang ihn die Schwäche zurück.
»Kann ich Ihre Analysen sehen, Larry?« stöhnte er, verzweifelt über sein körperliches Unvermögen.
»Ich habe sie Ihnen mitgebracht«, erwiderte Larry und zog ein Schriftstück aus seiner Mappe. »Hier sind die Protokolle über unsere Untersuchungen. Wie Sie sehen . . .« er deutete auf Zeitangaben in den Aufzeichnungen, »haben wir uns gleich nach dem Unfall an die Arbeit gemacht. Hier haben Sie alle Strahlungsmessungen, und hier . . .« er schlug mehrere Seiten um, »finden Sie die Feststellung des Atomgewichtes. Wir haben es nach mehreren Methoden bestimmt und einwandfrei das Resultat ermittelt, das ich Ihnen eben nannte.«
Slawter nahm ihm das Schriftstück aus der Hand. Während er darin blätterte, liefen seine Blicke gespannt über die Zeilen der einzelnen Seiten, als dürfe er sich kein Wort entgehen lassen. Nun war er mit der Durchsicht zu Ende und ließ das Papier sinken.
»Alle Hochachtung, Sie haben fabelhaft schnell und exakt gearbeitet, Larry. In knapp zehn Stunden alles Wichtige festgestellt . . . aber . . .« er warf Larry einen fragenden Blick zu, »ist das alles? Haben Sie in der Woche, die wir hier auf der Nase lagen, nicht noch mehr Untersuchungen mit dem Gas angestellt?«
Larry zuckte die Achseln.
»Ich fürchte, Slawter, ich muß Ihnen eine Enttäuschung bereiten. Das neue Element . . .« er machte einen Versuch zu scherzen ». . . ich schlage vor, daß wir es zu Ehren seines Schöpfers und Entdeckers ›Slawterium‹ nennen, hat nur eine sehr kurze Lebensdauer. Sein Zerfall in Uran und Helium geht ganz rapide vonstatten. Die ungemein starke Strahlung ließ uns sofort etwas Derartiges vermuten, und schon nach der ersten halben Stunde fanden wir unsern Verdacht bestätigt. Beinahe zusehends nahm die Menge der strahlenden Substanz in den Rezipienten ab. Wir mußten uns mächtig dranhalten, um überhaupt noch die Feststellungen zu treffen, die Sie hier im Protokoll finden« – Larry deutete, während er weitersprach, auf Photos in dem Protokoll –, »das Spektrum konnten wir in der zehnten Stunde eben noch mit Not und Mühe auf die lichtempfindlichste Platte bringen. Dann war die etwa noch vorhandene Menge des neuen Elementes unter die Grenze der Nachweisbarkeit gesunken.«
Slawters Rechte klammerte sich um die Sessellehne.
»Kein Gas mehr in den Rezipienten, Larry? Alles verschwunden, zerfallen? Dann war es doch ein Mißerfolg.«
Larry schüttelte abweisend den Kopf.
»Wie können Sie das behaupten, Slawter! Es liegt doch im Wesen aller strahlenden Materie, daß sie zerfällt und verschwindet.«
»Aber nicht so, Larry! Das habe ich mir ganz anders gedacht . . . O diese verwünschte Schwäche, wenn ich nur erst wieder Herr meiner Glieder wäre! Wir müssen neue Versuche machen . . . mit kräftigeren Bomben arbeiten, andere, viel stärkere Stoffe von längerer Lebensdauer herstellen . . .«
Ein Arzt kam in den Raum. Er hatte die letzten Worte noch gehört und bedeutete Larry, seinen Besuch zu beenden.
»Für heut ist's genug, Mr. Larry. Unser Patient ist eben erst über den Berg und braucht noch Schonung. In acht Tagen vielleicht, mein lieber Slawter, werden Sie das erstemal wieder in Ihr Laboratorium gehen dürfen. Vorläufig gehören Sie noch ins Bett.«
*
In einem Punkt war dem Assistenten Wilkin bei seinem Bericht an Professor Melton ein Irrtum unterlaufen. Dr. Wandel war keineswegs ruhig, als er von der Unterredung mit Direktor Clayton in das Laboratorium zurückkam. Es stürmte in seinem Innern, und nur mit Mühe vermochte er äußerlich die Ruhe zu bewahren. 'Raus! Ins Freie! Andere Menschen sehen! waren seine Gedanken, als er nach Hut und Stock griff und das Laboratorium verließ.
Vor dem großen Portal der United Chemical blieb er aufatmend stehen. Das Werk des Konzerns, in dem er tätig war, lag im Südostviertel von Detroit, nicht allzu weit von dem Saint-Clair-See entfernt, den der Detroit River auf seinem Wege zum Eriesee durchfließt. In tiefen Zügen sog Dr. Wandel die kühle klare Luft ein und schritt die Uferpromenade neben dem Fluß entlang. Während er weiter durch die parkartigen Anlagen ging, die sich bis zum Saint-Clair-See hinziehen, überdachte er seine Erlebnisse während der letzten Zeit.
. . . Von einem Vertrauensmann Claytons veranlaßt, aussichtsvolle Verhandlungen mit der Dupont Company abzubrechen und zur U. C. zu kommen . . . von Direktor Clayton mit turmhohen Versprechungen, von Professor Melton reichlich kühl empfangen . . . dann die drei Monate Arbeit in dessen Laboratorium. Vom ersten Tage an fühlte er, daß er gegen unsichtbare Widerstände zu kämpfen hatte. Man sagte Ja zu allen seinen Vorschlägen und Plänen, aber man verzögerte ihre Ausführung, machte eigenmächtige Abänderungen . . . und nun endlich dieser letzte Streich mit dem Autoklav. Sollte er der Bande den ganzen Kram einfach hinwerfen? . . . Die Verhandlungen mit der Dupont Company wiederaufnehmen? . . . Gründe dafür waren genug vorhanden, doch wer konnte wissen, wie er's dort treffen würde?
Auf jeden Fall bedeutete es, die Arbeit der letzten Monate verloren zu geben und wieder von neuem zu beginnen . . .
Dr. Wandel blieb stehen und riß den Hut vom Kopf. Sein Blick ging über den sonnenbeschienenen Park und die große Autostraße, die sich hier dem Fluß näherte, ohne daß er sich des schönen landschaftlichen Bildes recht bewußt wurde. Wie zwangsläufig arbeitete sein Gehirn weiter.
Von der United weggehen? . . . Hieß das nicht vor den Widersachern die Waffen strecken, sich für besiegt erklären? . . . Nein! So weit war es noch nicht mit ihm. Wenn die andern den Kampf wollten, sollten sie ihn haben. Ein leichtes Ringen würde es nicht sein, selbst wenn Direktor Clayton fest zu ihm hielt, darüber war er sich klar. Trotzdem . . . so oder so . . . er wollte es bis zu Ende durchhalten . . .
Der Weg, auf dem er dahinging, lief jetzt dicht neben der Autostraße entlang. Ein kräftiges Hupen hinter ihm ließ ihn stehenbleiben und sich umschauen. Ein Kraftwagen hielt neben ihm am Straßenrand; der Mann, der am Steuer des Wagens saß, streckte ihm die Rechte entgegen.
»Habe ich mich doch nicht getäuscht, Sie sind's, Doktor? Konnte mir erst nicht recht denken, daß Sie hier spazierengehen, statt zwischen Ihren Retorten und Tiegeln im Labor zu stecken.«
»Wir haben uns lange nicht gesehen, Mr. Schillinger«, sagte Dr. Wandel, während er ihm kräftig die Hand drückte.
»Rund drei Monate, Doktor! Wollte Sie immer schon mal aufsuchen, aber Sie wissen ja . . .« er lachte und ließ dabei zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen. »In den Staaten hat kein Mensch Zeit. Sie sind doch noch bei der United?«
»Immer noch, Mr. Schillinger. Habe ein Vierteljahr unentwegt im Labor gesteckt. Habe mir heut zum erstenmal einen freien Nachmittag genommen.«
»Großartig, Doktor!« Mr. Schillinger öffnete die Wagentür. »Steigen Sie ein und fahren Sie mit! Ich habe einen kleinen Trip zum See vor. Will da mal nach dem Rechten sehen. Ich denke, unser neues Werk wird Sie auch interessieren. Unterwegs können wir gemütlich plaudern. Haben Sie neue Nachrichten von den Verwandten in Deutschland?«
Dr. Wandel folgte der Einladung und nahm neben dem Fahrer Platz. Mit einem Ruck sprang der starke Wagen an und eilte im Hundertkilometertempo über die Autostraße dahin. Mit Behagen ließ der Doktor sich den kräftigen Fahrwind um die heiße Stirn wehen und fühlte, wie seine üble Laune allmählich einer gleichmäßig ruhigen Stimmung wich.
Ein wenig trugen dazu auch die Fragen bei, die Joe Schillinger während der Weiterfahrt an ihn stellte. Der alte Schillinger war in Deutschland mit dem Vater Dr. Wandels eng befreundet gewesen und später nach den Staaten ausgewandert. Das lag jetzt rund ein Menschenalter zurück, aber die Verbindung mit den deutschen Freunden war durch Besuche in der alten Heimat immer wieder aufgefrischt worden und lebendig geblieben. Auch Joe Schillinger, obwohl in den Staaten geboren, sprach fließend Deutsch, und als Dr. Wandel vor etwa einem halben Jahr nach Detroit kam, wurde er in dessen Haus mit offenen Armen empfangen. Jetzt machte er sich fast Vorwürfe, daß er diese Freundschaft so lange vernachlässigt hatte.
»In der Fabrikation wollen wir Mr. Ford keine Konkurrenz machen«, sagte Joe Schillinger, während der Wagen am Ufer des Saint-Clair-Sees entlangrollte, »aber was die Reparaturen betrifft, da können wir ihm schon einiges vormachen. In unserm neuen Werk haben wir sogar Martinöfen und Schmiedepressen aufgestellt. Wenn uns jetzt jemand seinen verbeulten Wagen bringt, brauchen wir nicht erst über tausend Meilen nach Ersatzteilen zu telegraphieren. Wir stellen sie schneller und ebenso billig her.«
Während Schillinger das sagte, ging Dr. Wandel ein Gedanke durch den Kopf. Unbestimmt und verschwommen zuerst noch, doch während der andere weitersprach, nahm die Idee immer festere Formen an.
»Martinöfen und Schmiedepressen«, meinte er, als Schillinger mit seiner Werkschilderung zu Ende war, »das ist interessant, die würde ich gern mal sehen.«
»Kann geschehen, Doktor, da liegt das Werk ja schon vor uns. Zum Kaffee ist's ohnehin noch zu früh. Wenn's Ihnen recht ist, sehen wir uns die Sache gleich mal an.«
Der Wagen hatte inzwischen das Tor erreicht und rollte über den weiten Werkhof. Langgestreckte Schuppen zu beiden Seiten machten weit eher den Eindruck einer großen Fabrik als einer einfachen Reparaturwerkstätte. Mehrere hundert Wagen standen in Reihen ausgerichtet auf dem Hof. Die einen noch in dem bedauernswerten Zustand, in dem sie von ihren Besitzern eingeliefert wurden, die andern schon wieder schmuck und schön, bereit zu neuen Fahrten.
»Ach ja! Gott sei Dank wird allerhand in den Staaten entzweigefahren«, sagte Schillinger mit einem Blick auf die Wagenmengen. »Wir machen ein gutes Geschäft damit.«
Durch endlose Hallen und Werkstätten führte er seinen Gast. Nicht ohne Stolz wies er auf das laufende Band in der Lackiererei, in der ein paar Dutzend Werkleute mit Spritzpistolen arbeiteten. Äußerlich noch unansehnlich kamen die reparierten Wagen an der einen Seite auf das Band. Dann zischten die Pistolen in den Händen der Arbeiter, ein Farbnebel spielte um das einzelne Fahrzeug, hier ein lichtes Grün, dort ein schimmerndes Rot oder ein sattes Blau, und schon wenige Minuten später liefen sie, mit einem neuen, spiegelnden Lackbezug versehen, vom andern Ende des Bandes ab.
Es war gewiß eine technische Leistung ersten Ranges, doch Dr. Wandel folgte den Erklärungen seines Freundes nur mit halbem Ohr. Es drängte ihn, weiterzukommen, und nachdem sie noch zehn andere Hallen durchwandert hatten, erreichten sie auch glücklich die Schmiede.
Gigantisch ragte in der Mitte des hohen Raumes das Gestell einer hydraulischen Presse empor. Joe Schillinger sprach ein paar Worte mit dem Meister und wandte sich dann an Dr. Wandel.
»Wir wollen ein wenig warten, Doktor. Die Leute haben gerade die Kupplung für einen schweren Traktor vor. Das Stück muß gleich aus dem Glühofen kommen.«
Sie brauchten nicht lange darauf zu warten. Schon fuhren Kranzangen in den Ofen und zogen eine schwere, hellrote Stahlmasse aus der Glut. Hitze und Licht durch den Raum verbreitend, schwebte sie am Kran zu der Presse hin, und dann traten die mächtigen Pressebacken in Tätigkeit. Wie weiches Wachs kneteten und formten sie den heißen Stahl, während der Meister, die Zeichnung in der Hand, darüber wachte, daß das Werkstück unter dieser gewaltsamen Behandlung die vorgeschriebene Form annahm.
Schweigend stand Dr. Wandel dabei und verfolgte den Werdegang des großen Schmiedestückes. Wie in Gedanken verloren, griff er in die Tasche, zog eine Zeichnung hervor und ließ den Blick prüfend zwischen ihr und dem Werkstück unter der Presse hin und her wandern. Joe Schillinger schlug ihm auf die Schulter.
»So nachdenklich, Doktor Wandel? Was für ein Papier studieren Sie da? Wollen Sie uns etwa einen Auftrag geben?«
Der Doktor ließ die Zeichnung sinken.
»So etwas fabrizieren Sie hier, Mr. Schillinger? Offen gesagt, das hätte ich nicht erwartet.«
»Oho! Doktor, unterschätzen Sie uns nicht. Solche Sachen schmieden wir hier nicht nur aus einem prima, primissima Stahl; wir bearbeiten sie auch haargenau auf unsern Werkzeugmaschinen.«
Er war währenddessen näher an den Doktor herangetreten und nahm ihm das Papier aus der Hand. Es war die gleiche Zeichnung, die Dr. Wandel noch vor wenigen Stunden dem Direktor Clayton gezeigt hatte. Joe Schillinger deutete auf die obere Ecke, wo der Deckel des Autoklavs dargestellt war, und meinte dabei:
»Sehen Sie, Doktor, solche Stücke wie das da zum Beispiel machen wir Ihnen hier mit Leichtigkeit. Wenn Sie mir jetzt die Zeichnung hierließen, könnten Sie sich's in acht Tagen fix und fertig abholen.«
»Sie sind riesig geschäftstüchtig, mein lieber Schillinger« versuchte der Doktor zu scherzen. »Immerhin«, fuhr er ernster werdend fort, »gerade dieser Teil ist besonders stark beansprucht Es könnte wohl einmal geschehen, daß er schadhaft würde. Die Bedlam-Stahlwerke brauchen wenigstens einen Monat Lieferzeit. In solchem Fall würde ich in der Tat auf Ihr Werk zurückgreifen.«
»Mit solchen Sachen kommen Sie wirklich besser zu uns. Es erspart Ihnen unnötige Wartezeit. Aber kommen Sie jetzt in unsern Erfrischungsraum, eine Tasse Kaffee haben wir uns redlich verdient.« – –
»Ihr Kaffee ist vorzüglich, Mr. Schillinger«, sagte Dr. Wandel, während er seine Tasse absetzte, und kam danach auf das Gespräch zurück, das sie in der Schmiede abgebrochen hatten. Er wünschte zu wissen, zu welchem Preis Schillinger den Autoklavdeckel liefern könnte. Der bat sich noch einmal die Zeichnung aus, nahm die Maße ab, überschlug, schrieb ein paar Zahlen nieder und nannte eine Summe, deren geringe Höhe Dr. Wandel angenehm überraschte. Während er langsam seine Tasse leerte, faßte er einen Entschluß.
»Wissen Sie, lieber Schillinger«, sagte er, »es wäre mir doch lieb, wenn ich für das Stück eine Reserve hätte.« Er griff nach einem Messer und trennte die obere Ecke der Zeichnung, die den Autoklavdeckel enthielt, ab. »Ich will Ihnen das gleich hierlassen. Fertigen Sie mir bitte danach ein Ersatzteil an.«
Schillinger nahm das Papier an sich.
»Wird schnellstens gemacht werden, Doktor. Soll ich die Rechnung dafür an die United schicken?«
»Nicht nötig, Mr. Schillinger. Rufen Sie mich im Labor an, wenn das Stück fertig ist. Ich werde es dann selber abholen und bei der Gelegenheit auch gleich bezahlen . . . Übrigens . . .« fuhr er nach einer Pause fort, »wäre es mir lieb, wenn möglichst wenig über den Zweck und Bestimmungsort dieses Stückes bekannt würde.«
Joe Schillinger lachte.
»Daß ihr Chemiker die Geheimniskrämerei nicht lassen könnt! Aber meinetwegen; wenn einer von unsern Leuten neugierige Fragen stellt, werde ich ihm irgendwas von einem Autoersatzteil erzählen . . . na, das würde mir vielleicht doch keiner glauben. Dazu ist der Brocken zu massig. Ich werde lieber sagen, daß er für eine Bleipresse der Kabelfabrik bestimmt ist. Da werden sie schon eher drauf 'reinfallen.«
»Machen Sie es, wie Sie wollen, Mr. Schillinger. Nur daß es für die United Chemical bestimmt ist, braucht nicht gerade bekannt zu werden.«
»All right, Doktor. In acht Tagen können Sie meinen Anruf erwarten«, schloß Schillinger die Unterhaltung und ließ sich dann das Vergnügen nicht nehmen, Dr. Wandel in seinem Wagen nach Detroit zurückzubringen.
*