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Auch Wilkin war in rosiger Laune, als er am Abend das Werk verließ. War doch der Erfolg, den sie gleich bei dem ersten Druckversuch gehabt hatten, über alles Erwarten günstig. Schon morgen, spätestens übermorgen, würde Melton zu Direktor Clayton gehen, um ihm die Ergebnisse vorzulegen, und dann gab's sicher auch für ihn eine Belobigung, eine Gehaltsaufbesserung und vielleicht noch manches andere Erfreuliche.
In dieser Stimmung empfand Phil Wilkin, sonst verschlossen und eingefleischter Egoist, das Bedürfnis, seinem Herzen irgendwie Luft zu machen. Am Werkportal wartete White auf ihn, um ihm zu melden, daß er den Wünschen Professor Meltons entsprechend alles angeordnet habe. Der kam ihm jetzt gerade gelegen; dem gegenüber durfte er es wohl wagen, das eine oder andere Wort fallen zu lassen, ohne Indiskretionen fürchten zu müssen.
»Recht so, mein lieber White«, beantwortete er dessen Mitteilung. »Sehr gut, daß Sie alles Nötige veranlaßt haben; wir werden wahrscheinlich schon morgen nachmittag den nächsten Versuch machen.«
»Ich wünsche Ihnen von Herzen guten Erfolg«, beeilte sich Tom White zu erwidern. »Gestatten Sie mir eine Frage, Mr. Wilkin: Mit dem Ergebnis des heutigen Experiments schienen Sie nicht ganz zufrieden zu sein?«
Wilkin biß sich auf die Lippen, um seine Worte zurückzuhalten.
Mensch, wenn du wüßtest . . .! schoß es ihm durch den Sinn, während sein Drang, dem andern ein paar Brocken hinzuwerfen, immer stärker wurde, und dann fragte er unvermittelt:
»Hätten Sie Lust, White, mal wieder ein Glas Bier mit mir zu trinken?«
White wußte die Ehre der Einladung nach Gebühr zu schätzen, und bald danach saßen sie in dem gleichen Ausschank, in dem sie schon einmal zusammen Pläne geschmiedet hatten.
White verfügte über genügend Menschenkenntnis, um Wilkins augenblickliche Gemütsverfassung zu durchschauen. Er möchte das Ei legen und weiß doch nicht recht, wie er es loswerden soll, dachte er mit einem schnellen Blick auf den Assistenten; ich will ihm ein wenig auf die Sprünge helfen.
Vorsichtig begann er. »Ich bin neugierig, wie sich Doktor Wandel zu Ihren Arbeiten stellen wird.«
Der Anstoß genügte, um Wilkin die Zunge zu lösen. »Der deutsche Doktor«, sprudelte er los, »dürfte wohl ein für allemal kaltgestellt sein. Was der kann, können wir auch . . . mein lieber White.«
White markierte den Erstaunten. »Oh, Mr. Wilkin, das freut mich aufrichtig für Sie. Aber gestatten Sie mir eine Frage . . . verzeihen Sie, wenn sie vielleicht ungehörig ist . . . heut mittag . . . ich erwähnte es bereits . . . schienen Sie mir etwas enttäuscht zu sein.«
»Das war doch Diplomatie, mein lieber White. Nehmen Sie einmal an, wir hätten einen kleinen Erfolg gehabt. Selbstverständlich durften wir in der großen Halle in Gegenwart von einem Dutzend Angestellter doch davon nichts merken lassen.«
White nickte verständnisvoll. »Mein Kompliment, Mr. Wilkin, Sie und auch Professor Melton haben Ihre Rolle großartig gespielt. Die Enttäuschung in Ihren Gesichtern heute mittag wirkte unbedingt echt. Kein Mensch in der Halle konnte auf den Gedanken kommen, daß Sie Erfolg hatten. Ist es Ihnen denn wirklich gelungen, die widerwilligen Atome zusammenzuzwingen?«
Wilkin nahm einen Schluck aus dem Glas, bevor er antwortete. »Sie werden es begreifen, Mr. White, daß ich über Einzelheiten nicht sprechen darf. Aber das eine kann ich Ihnen wohl verraten, das natürliche Radium ist überflüssig geworden. Man braucht sich in Zukunft nicht mehr die Mühe zu machen, es mit riesigen Unkosten aus der Pechblende herauszuziehen. Wir sind jetzt in der Lage, mit unsern Laboratoriumsmitteln einen Stoff herzustellen, der unendlich viel wirksamer und tausendmal billiger als das Radium ist. Die Welt wird staunen, wenn wir mit unsern Entdeckungen vor die Öffentlichkeit treten . . .«
Phil Wilkin begann sich warm zu reden. Mit immer stärkeren Worten malte er White allerlei Zukunftsmöglichkeiten aus und achtete dabei nicht mehr auf seine Umgebung, sonst wäre es ihm aufgefallen, daß ein einzelner Gast, der am übernächsten Tisch saß, dem Gespräch mit steigender Aufmerksamkeit zuhörte und jetzt sogar in fliegender Hast Wort für Wort mitstenographierte. Er bemerkte es nicht, und Tom White konnte es nicht sehen, weil er mit dem Rücken gegen diesen Zuhörer saß.
Als Wilkin mit seiner Schilderung zu Ende war, trank der Fremde sein Bier aus und verließ den Salon. Auf der Straße stieg er in seinen Wagen und fuhr in scharfem Tempo zum Gebäude der »Detroit Post«.
»Hallo, Jones. Bringen Sie uns noch etwas Besonderes?« empfing ihn der Redakteur vom Dienst.
»Großartige Sache, Teale. Muß unbedingt auf die erste Seite der Morgennummer . . .«
Der Redakteur schüttelte den Kopf. »Wird sich schlecht machen lassen, Jones. Die erste Seite soll in zehn Minuten in die Maschine gehen.«
»Muß 'rein, Mr. Teale! Muß unter allen Umständen mit dicken Schlagzeilen auf die erste Seite. Eine phänomenale Sache, sage ich Ihnen. Künstliches Radium, Teale! Entdeckung eines amerikanischen Gelehrten. Professor Melton von der United Chemical hat es entdeckt. Hunderttausendmal kräftiger, tausendmal billiger als natürliches Radium. Das gibt Schlagzeilen, sage ich Ihnen. Die Konkurrenz wird platzen, wenn wir morgen als die ersten damit herauskommen . . .«
Der Redakteur griff zum Telephon und gab Anweisung, den Satz der ersten Seite noch nicht in die Maschine zu heben. Jones hatte sich inzwischen bereits an eine Schreibmaschine gesetzt und ließ die Tasten knattern. Seite um Seite, wie sie eben fertig wurde, zog ihm Teale fort und schickte sie in die Setzerei. Als Jones eine Stunde später die Redaktion verließ, waren die Rotationspressen der »Detroit Post« bereits in vollem Lauf. Zu hohen Stapeln häuften sich neben ihnen Exemplare der Morgenausgabe, die auf der ersten Seite sein Machwerk enthielt. – –
Am nächsten Morgen war Professor Melton mit Wilkin in seinem Laboratorium zusammen. Sie wollten weitere Untersuchungen mit der strahlenden Substanz anstellen, als das Telephon sich meldete.
»Ich will ungestört bleiben«, sagte Melton mit einem ärgerlichen Blick auf den Apparat. Wilkin nahm den Hörer ab, lauschte und bedeckte dann das Mikrophon mit der Hand.
»Herr Direktor Clayton ist am Apparat, Herr Professor. Er läßt Sie bitten, zu ihm zu kommen.«
Verdrießlich streifte Melton seinen weißen Kittel ab. »Sagen Sie, daß ich komme!« rief er dem Assistenten zu und eilte aus dem Raum.
Die Aufforderung Claytons kam ihm ungelegen, denn er wollte erst am nächsten Tage zu ihm gehen und ihm dann von seiner Entdeckung Kenntnis geben. Während er jetzt zum Verwaltungsgebäude ging, überlegte er sich, ob er heute schon davon sprechen sollte. Triftige Gründe, es noch zu verschweigen, ließen sich kaum finden. Die hauptsächlichsten Untersuchungen waren ja gemacht, und das Atomgewicht des neuen Stoffes war zuverlässig festgestellt. Als er das Zimmer Claytons erreichte, war sein Entschluß gefaßt. Er wollte sofort mit seiner Entdeckung herauskommen, doch die Unterredung mit Clayton nahm zunächst einen andern Verlauf.
»Ich muß mich außerordentlich wundern, Herr Professor«, empfing ihn der Direktor. Der Tonfall, in dem er es sagte, klang gereizt, und seine Züge zeigten unverhüllten Unmut.
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Mr. Clayton«, sagte Melton unsicher.
»Das hier meine ich, Herr Professor!« Clayton hielt ihm die Morgennummer der »Detroit Post« hin. In mächtigen Lettern blinkten dem Professor die Schlagzeilen der ersten Seite entgegen. Seinen eigenen Namen las er, dann andere Worte . . . »United Chemical« . . . »Epochemachende Entdeckung« . . . »Künstliches Radium« . . .
Wie ist das möglich? dachte Melton entsetzt. Im gleichen Moment sagte Clayton dieselben Worte zu ihm.
»Wie ist das möglich? Wie konnte so etwas geschehen?«
Bis jetzt hatte der Direktor gegen seine sonstige Gewohnheit Melton noch keinen Stuhl angeboten. Der Professor fühlte seine Knie schwach werden und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. »Ich habe keine Ahnung, Mr. Clayton«, brachte er stockend hervor. »Es ist mir völlig unerklärlich, wie die Zeitung davon erfuhr.«
Clayton riß das Blatt wieder an sich und schlug mit der Hand darauf.
»Ja, stimmt denn das? Das Ganze ist doch Schwindel? . . . Eine fette Ente?« fragte er ärgerlich.
Melton raffte sich zusammen. »Es stimmt, Herr Direktor. Das ist ja das Rätselhafte dabei. Ich habe diese Entdeckung tatsächlich gemacht. Gestern vormittag gelang es mir, einen Stoff herzustellen, von dem die Zeitung da ziemlich zutreffend berichtet. Ich wollte heute noch einige Analysen machen, um Ihnen dann morgen Kenntnis von der Entdeckung zu geben.«
In den Zügen Claytons ging eine Veränderung vor. Seine Stirn glättete sich, und der verbissene Zug um sein Kinn verschwand. »Sie haben die Entdeckung wirklich gemacht, Herr Professor?« fragte er in umgänglicherem Ton.
»Ich habe sie gemacht, Herr Direktor. Bei dem gestrigen Versuch bildeten sich einige Gramm einer ungemein stark strahlenden Substanz mit einem außergewöhnlich hohen Atomgewicht. Der Erfolg steht außer Zweifel, aber wie konnte die Zeitung davon erfahren? Vor allen Dingen so schnell davon erfahren? Das will mir nicht in den Kopf.«
Direktor Clay hatte einen Teil seiner guten Laune wiedergefunden.
»Das ist eine andere Frage, Herr Professor, der wir natürlich mit allen Mitteln unseres Werkdienstes nachgehen werden. Jetzt interessiert mich nur Ihre Entdeckung. Wollen Sie mir bitte darüber berichten.«
Und nun kam Melton doch dazu, seinen Vortrag zu halten, so wie er es sich vorgenommen hatte. Mit Aufmerksamkeit hörte Clayton ihn an und fand des öfteren anerkennende Bemerkungen dazu.
»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem schönen Erfolg«, sagte er, als Melton mit seinen Ausführungen fertig war. »Bei dieser Sachlage ist der Artikel der ›Detroit Post‹ kein großes Unglück. Trotzdem müssen wir die Angelegenheit untersuchen. Ich bitte Sie, zunächst genau festzustellen, wer von den Leuten Ihrer Abteilung um die Erfindung gewußt hat, denn einer von ihnen muß ja geplaudert haben. Im übrigen halte ich es für wichtig, mein lieber Herr Professor, daß Sie möglichst bald weitere Versuche machen und mehr von der neuen Substanz herstellen. Ich möchte unserm Aufsichtsrat nicht nur ein paar Gramm, sondern ein paar Kilogramm davon vorlegen.«
»Gewiß, Herr Direktor«, erwiderte Melton, »ich hatte diese Absicht ohnehin. Es steht schon alles für den nächsten Versuch bereit.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück dazu und guten Erfolg, Herr Professor«, rief ihm Clayton noch nach, als er das Zimmer verließ.
Nach Meltons Fortgang griff er wieder nach dem Zeitungsblatt, und seine Miene wurde nachdenklich, während er den Aufsatz auf der ersten Seite ansah.
Für bare Erfindung und blanken Schwindel hatte er das Ganze gehalten, als er es heute morgen las. Und nun war es doch nicht gelogen. Diesem Professor Melton, dem er es kaum zugetraut hatte, war eine epochemachende Entdeckung geglückt, eine Sache, die für die United eine Goldgrube werden mußte.
Hatte es noch einen Zweck, daß er sich weiter für Dr. Wandel einsetzte? Waren die Klagen und Beschwerden über Melton, mit denen der Deutsche ihn öfter als einmal behelligt hatte, überhaupt berechtigt? Wie sollte er sich künftig zu ihm stellen?
Während Clayton sich mit diesen Fragen beschäftigte, wurde ihm Dr. Wandel gemeldet. Was mochte der jetzt wieder auf dem Herzen haben?
Wohl oder übel mußte er den Doktor empfangen. In scharfen Worten verwahrte sich Dr. Wandel dagegen, daß ihm der neue, auf seine Veranlassung beschaffte Apparat durch Melton entzogen werde. Mit einem Achselzucken begleite er die Schilderung der Versuche, die Melton und sein Assistent damit anstellten. Nach seiner Meinung seien sie nicht nur zwecklos, sondern müßten den teuren Apparat auch in kürzester Zeit verderben.
»Ich kann Ihrer Ansicht nicht ohne weiteres beipflichten«, unterbrach ihn Clayton kühl. Seine reservierte Haltung brachte den Doktor noch mehr in Harnisch.
»Ansicht hin, Ansicht her!« rief er in hellem Ärger. »Bei seiner Art zu arbeiten wird Professor Melton niemals einen Erfolg haben.«
»Auch darin kann ich Ihnen nicht beistimmen«, unterbrach ihn Clayton, und offene Abweisung klang jetzt aus seinen Worten.
»Ich sehe, daß mein Besuch keinen Zweck hat. Ich werde die Konsequenzen daraus ziehen, Mr. Clayton.«
Dr. Wandel erhob sich und wollte das Zimmer verlassen, als der Direktor ihn mit einer Frage zurückhielt.
»Lesen Sie keine Zeitung?«
Dr. Wandel machte eine verneinende Bewegung. »Ich habe Besseres zu tun, Mr. Clayton.«
»Merkwürdig, merkwürdig«, Clayton wiegte den Kopf hin und her, »meine Herren Chemiker scheinen grundsätzlich keine Zeitungen zu lesen. Das ist aber verkehrt, Herr Doktor. Es entgeht Ihnen dadurch doch manches Wichtige.«
Während Dr. Wandel ihn zweifelnd ansah, griff Direktor Clayton nach der Nummer der »Detroit Post« und reichte sie ihm hin.
»Lesen Sie das, Herr Doktor. Bitte nehmen Sie wieder Platz und lesen Sie es sorgfältig durch. Sie werden Ihre Meinung über Professor Melton danach wesentlich ändern müssen.«
Minuten verstrichen. Das Zeitungsblatt in der Hand Dr. Wandels zitterte, während er den Aufsatz Zeile um Zeile las. Jetzt faltete er es wieder sorgfältig zusammen, erhob sich und gab es Clayton zurück.
»Nun?« fragte der. »Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?«
»Ich sage, daß es unmöglich ist, Mr. Clayton.«
»Sie sind im Irrtum, Doktor. Der Professor war eben bei mir und hat mir über seine großartige Entdeckung Bericht erstattet. Bei seinem letzten Versuch hat sich radioaktive Substanz mit dem Atomgewicht zweihundertfünfzig gebildet . . .«
»Wieviel, Herr Direktor?« Knapp und scharf fuhr die Stimme Dr. Wandels dazwischen.
»Professor Melton hat einen Kristall im Gewicht von einigen Gramm hergestellt.«
»In dem neuen Autoklav?«
»Allerdings, Herr Doktor.«
»Bei seinem letzten Versuch am gestrigen Vormittag?«
»Ich sagte es Ihnen bereits, Doktor Wandel.«
Ein eigenartiger Zug spielte um den Mund des Doktors. Er öffnete die Lippen, als ob er sprechen wollte, und preßte sie dann wieder fest zusammen.
Clayton sah die Bewegung. »Ich kann es verstehen, daß der Erfolg Meltons Ihnen nahegeht«, sagte er. »Er hat Ihnen durch seine Entdeckung den Wind aus den Segeln genommen. Daran ist nichts mehr zu ändern, das ist Erfinderschicksal, Herr Doktor. Jeder, der wissenschaftlich arbeitet, muß schließlich damit rechnen, daß ein anderer glücklicher ist und den Erfolg vor ihm einheimst.«
Der Ausdruck in den Mienen des Doktors wurde unergründlich, während er antwortete.
»Rechnen Sie nicht zu fest damit, Mr. Clayton. Sie werden eine schwere Enttäuschung erleben. Denken Sie an mich, wenn es so weit ist. Für den Augenblick darf ich wohl annehmen, daß die United meine Dienste nicht mehr benötigt.«
Clayton machte eine unschlüssige Bewegung, die ebenso gut ja wie nein bedeuten konnte. Ein inneres Gefühl warnte ihn, den Doktor jetzt einfach gehen zu lassen, aber sein Verstand lehnte sich dagegen auf. Melton hatte die große Entdeckung gemacht. Das war für ihn außer Zweifel, und wenn Dr. Wandel es nicht wahrhaben wollte, so war das eine Querköpfigkeit, die er sich nicht länger bieten zu lassen brauchte.
»Mit Ihrem Einverständnis scheide ich am heutigen Tage aus dem Betrieb der United aus, Herr Direktor Clayton«, sagte Dr. Wandel und machte eine kurze Verbeugung. Clayton wollte ihn noch einmal zurückrufen, ihn bitten, wenigstens den nächsten Versuch des Professors abzuwarten, doch bevor er die Worte dafür finden konnte, war die Tür hinter dem Doktor bereits ins Schloß gefallen.
Dr. Wandel kehrte in sein Büro zurück und war für die nächste Stunde damit beschäftigt, seine Papiere zu ordnen. Zu Stapeln häuften sich auf dem Schreibtisch die Hefte mit den endlosen Berechnungen, die er dem Wandtresor entnahm. Nur einen kleinen Teil davon, der die Endergebnisse enthielt, legte er in die Aktentasche. Das Übrige trug er in sein Laboratorium hinüber, warf es in ein Becken aus feuerfester Schamotte und ließ die zischende Flamme eines Knallgasbrenners darüber hinspielen. Es währte nicht lange, und nur noch ein wenig leichte Asche war von dem übrig, was er in monatelanger Arbeit errechnet und zu Papier gebracht hatte.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Die Zeiger wiesen auf ein Viertel vor elf. Noch lange Zeit bis zur Mittagspause. Er beschloß, seine Aufzeichnungen sofort in einen Banksafe zu bringen.
Die Aktentasche unter dem Arm verließ er das Werk und fuhr zu seiner Bank im Innern der Stadt. –
Zu der gleichen Zeit war Professor Melton wieder bei Clayton. Von einer inneren Unruhe getrieben, hatte der Direktor ihn noch einmal gerufen und gebeten, mit möglichst vielen Unterlagen zu ihm zu kommen.
Der Professor leistete dem Wunsch Claytons umgehend Folge. Er erschien in dessen Zimmer mit allerlei Instrumenten in den Taschen und einem Protokollbuch in den Händen, auf dem er eine kleine Bleibüchse trug.
»Die Strahlung ist ungemein stark, Herr Direktor. Das Blei erhitzt sich sofort, wenn wir nicht dauernd stark kühlen«, sagte er, während er die Büchse auf einen Tisch stellte und ihren Deckel abhob. Mit einer gläsernen Pinzette nahm er den strahlenden Kristall heraus.
»Das ist die Substanz, Mr. Clayton«, fuhr er erklärend fort. »Fühlen Sie nur, wie warm das Blei schon wieder auf dem Wege bis hierher geworden ist. Hüten Sie sich, den Kristall zu berühren. Er teilt empfindliche elektrische Schläge aus . . .«
»Also eine Sorte Zitteraal«, versuchte Clayton zu scherzen.
»Wesentlich stärker, Herr Direktor. Es ist nicht gut, dem Stoff zu nahe zu kommen. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir damit hinter den Vorhang gehen. In der Dunkelheit können Sie ihn leuchten sehen.«
Als Melton den Kristall nach geraumer Zeit wieder in die Büchse tat, war Clayton von dem Erfolg des Professors restlos überzeugt.
»Ganz vorzüglich, mein lieber Professor. Einfach verblüffend«, sagte er beim Abschied zu ihm. »Übrigens ist Ihre Entdeckung Doktor Wandel schwer auf die Nerven gefallen. In seinem Ärger über Ihren Erfolg hat er uns die Freundschaft gekündigt. Er wird uns verlassen.«
Professor Melton quittierte diese Nachricht mit einem schiefen Lächeln und konnte es sich nicht versagen, sie nach der Rückkehr in sein Laboratorium Phil Wilkin mitzuteilen. Auch der war außerstande, die Neuigkeit lange für sich zu behalten, und benutzte die nächste Gelegenheit, sie seinem Schützling White zuzuflüstern.
»Oh, Doktor Wandel will die United Chemical verlassen?« Tom White sagte es in gleichmütigem Tonfall, während er bei sich die Folgen überschlug, die sich für seine eigene Stellung daraus ergeben könnten. Wohin würde der Doktor gehen, wenn er Detroit verließ? White wußte von den früheren vergeblichen Bemühungen der Dupont Company um den Doktor. Natürlich würde man es jetzt erneut versuchen, ihn für den Konzern zu gewinnen, und nach menschlichem Ermessen blieb Dr. Wandel auch kaum etwas anderes übrig, als nach Salisbury zu gehen.
Hatte es dann noch Zweck, daß er selber hier in Detroit blieb? Die Entscheidung darüber lag bei Mr. Spinner. Vielleicht rief ihn der schon in den nächsten Tagen zurück. Unter irgendeinem Vorwand würde er dann kündigen und aus Detroit verschwinden. Jedenfalls aber war es gut, wenn er dann nicht mit leeren Händen nach Salisbury zurückkehrte. Fast zwangsläufig kam Tom White zu dem Entschluß, in den seine Überlegungen so oft ausliefen: vor dem Verschwinden hier noch auskundschaften und mitnehmen, was sich irgendwie lohnte. Und kaum war der Entschluß gefaßt, als er auch schon zu handeln begann.
Wo steckte der Doktor augenblicklich? Für einen Mann von Whites Qualitäten war es eine Kleinigkeit, das sehr schnell herauszubekommen. Schon fünf Minuten später wußte er, daß Dr. Wandel vor kurzem das Werk verlassen hatte und mit einem Auto in die Stadt gefahren war. Nach abermals fünf Minuten stand er in dessen Räumen. Sorgfältig durchsuchte er sie und mußte dabei zu seinem Leidwesen feststellen, daß er um weniges zu spät gekommen war.
In dem Wandtresor steckte der Schlüssel. White konnte den Safe mit Leichtigkeit öffnen, aber er war leer. Die Aschenreste in dem Laboratorium nebenan sagten ihm, wo die Papiere geblieben waren, nach denen er suchte. Leer und sauber ausgewaschen waren auch die Mensuren, in denen bei seinem neulichen Versuch noch die chemischen Verbindungen des neuen Stoffes in den mannigfachsten Farben schimmerten. Dr. Wandel hatte vor seinem Fortgang gründlich aufgeräumt. Ein einziges Stück nur noch zeugte von seiner früheren Tätigkeit hier. Der schwere Bleibehälter mit der radioaktiven Substanz. Der stand in einem Spülbecken und wurde von einem ständig laufenden Wasserstrahl überbraust.
Nachdenklich blieb Tom White vor dem Becken stehen. Er erinnerte sich der Schwierigkeiten, die ihm selbst schon der Transport eines kleinen Kristalles dieser strahlenden Materie bereitet hatte. Ein Vielfaches davon mußte ja in diesem großen Bleibehälter hier vorhanden sein. Wie wollte der Doktor das fortbringen . . . wenn er überhaupt die Absicht hatte, es mitzunehmen.
White sah keine Möglichkeit dafür, aber eine andere Idee kam ihm, während er vor dem Becken stand. Er erschaute für sich eine Gelegenheit, noch einmal handelnd in die Komödie Melton-Wilkin einzugreifen und sie zur Groteske zu machen. Der Gedanke belustigte ihn so, daß er laut auflachen mußte. Wenn das so glückte, wie er's sich jetzt ausmalte, dann standen ihm in Detroit noch einige vergnügte Tage bevor.
Tom White verließ den Raum, aber er kehrte noch einmal für kurze Zeit zurück, und als er die Tür zum zweiten Male hinter sich verschloß, trug er ein schweres Päckchen unter dem Arm. Als die Mittagspause kam, verstand er es, unauffällig im Werk zu bleiben, und machte sich in der großen Halle zu schaffen. Es traf sich günstig für ihn, daß die Erdarbeiter welche die Dammgrube wieder zuschaufeln sollten, erst für den Nachmittag verfügbar waren. Vollständig in der Ordnung war es auch, daß er als gewissenhaftes Mitglied der Abteilung Melton den Verschluß des Autoklavs noch einmal gründlich überprüfte und dabei geraume Zeit in der Grube verweilte. Selbst wenn über Mittag eine Werkkontrolle gekommen wäre, hätte sie dabei nichts Verdächtiges finden können. – –
Nach Tisch kam Dr. Wandel noch einmal in sein Büro zurück. Wie White richtig vermutete, machte die strahlende Substanz dem Doktor einige Sorge. Sollte er sie einfach hierlassen? Dann brauchte nur irgendwer das laufende Wasser abzustellen, und die Erhitzung würde leicht gefährliche Formen annehmen. Das Blei würde bald schmelzen, vielleicht sogar verspritzen und verdampfen. Die Wahrscheinlichkeit eines Brandes lag dann bedenklich nahe . . . oder sollte er den gefährlichen Stoff doch lieber mitnehmen? . . . So einfach würde sich das nicht machen lassen, und späterhin würde er dann mit der dauernden Sorge belastet sein.
Er zerbrach sich den Kopf, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Natürlich würde er jetzt die Verhandlungen mit Mr. Slawter aufnehmen. Da war es vielleicht doch gut, wenn er den Leuten von der Dupont Company den strahlenden Stoff gleich als Beweisstück für seine bisherigen Leistungen auf den Tisch legen konnte. Doch wohin vorläufig damit? Sein Freund Schillinger und das Werk am Saint-Clair-See kamen ihm in den Sinn. Wenn er's dorthin bringen konnte, war einstweilen vorgesorgt.
Irgendwo konnte er den unbequemen Bleiblock da in einen Kanal oder Teich stecken und beruhigt nach Salisbury fahren. Schillinger würde den Mund halten und das Geheimnis über die kurze Zeit bis zum Abschluß mit der Dupont Company sicher bewahren.
Der Ausweg schien dem Doktor der richtige zu sein. Er stellte das laufende Wasser ab und streckte die Hand nach dem Blei aus. Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, daß die Erhitzung nicht mehr so stark wie bisher war. Für die halbe Stunde, welche die Fahrt bis zum Saint-Clair-See beanspruchte, würde es wohl ohne Wasserkühlung gehen, wenn er einen offenen Wagen nahm und den Luftzug auf das Blei wirken ließ. Kurz entschlossen griff er zum Telephon und ließ sich mit Schillinger verbinden. – –
Am Morgen des nächsten Tages machte Melton einen neuen Versuch, bei dem Wilkin ihn unterstützte.
»Haben Sie das Protokollbuch zur Hand?« fragte der Professor seinen Assistenten. »Wir wollen uns mit dem Druck und der Temperatur genau an die Werte halten, mit denen wir vorgestern gearbeitet haben.«
Wilkin hatte das Buch. Er schlug die betreffende Seite auf und erlaubte sich dabei eine Bemerkung.
»Verzeihung, Herr Professor, ich dachte, wir wollten heut mit den Werten etwas höher gehen. Vielleicht, daß dann die Ausbeute . . .«
»Ausgeschlossen, Mr. Wilkin«, unterbrach ihn Melton mit Entschiedenheit, »wir dürfen nicht sinnlos drauflos experimentieren, erst müssen wir uns an das halten, was wir bereits sicher haben. Die nächsten Versuche wollen wir genau unter den gleichen Bedingungen anstellen wie das letztemal. Ich will zufrieden sein, wenn wir dabei jedesmal ein paar Gramm unseres Stoffes erzeugen.«
»Ganz wie Sie wünschen, Herr Professor«, sagte Wilkin und bemühte sich danach, stillschweigend die Apparatur nach den Aufzeichnungen des Protokollbuches einzuregeln. Auch Tom White, der ihm dabei zur Hand ging, sprach nur das Notwendigste. Um so mehr dachte er sich freilich, aber seine Gedanken waren ganz und gar nicht dazu geeignet, ausgesprochen zu werden.
Genau auf die Sekunde nach den Aufzeichnungen des Protokollbuches schaltete Wilkin den Druck und die Energie wieder ab. Die Uhr in der Hand nickte ihm Melton zu.
»So, mein lieber Wilkin. Jetzt noch eine knappe Stunde. Dann werden wir sehen, was wir zustande gebracht haben.« – –
Noch einmal war Dr. Wandel bei Clayton. Er war gekommen, um sich von dem Direktor zu verabschieden, der ihn zu der United Chemical geholt und all die Monate hindurch in seinen Arbeiten gefördert hatte. Nun war auch der irre an ihm geworden und hatte Meltons Partei ergriffen, aber der Doktor wollte es ihm nicht nachtragen. Er wünschte in Frieden und Freundschaft von dem Manne zu scheiden, dem er sich trotz alledem zu manchem Dank verpflichtet fühlte.
Auch Clayton war heute in einer versöhnlicheren Stimmung als am vergangenen Tage.
»Es tut mir leid, Herr Doktor, daß Sie uns verlassen wollen«, sagte er bei Beginn der Unterhaltung. »Es wäre mir lieber, wenn Sie Ihre Arbeiten hier bei uns zu einem guten Ende brächten. Der Erfolg von Professor Melton . . . er kam uns allen unerwartet . . . hat die Lage zu Ihren Ungunsten verschoben. Trotzdem möchte ich Ihnen vorschlagen, Herr Doktor Wandel, daß Sie sich die Sache noch einmal überlegen. Ich habe Ihren Entschluß dem Präsidenten noch nicht mitgeteilt. Noch könnten Sie bei uns bleiben und neben Professor Melton weiterarbeiten. Ich könnte veranlassen, daß der Autoklav Ihnen an bestimmten Tagen zur Verfügung steht.« Clayton mußte einige Zeit auf eine Antwort warten. Dr. Wandel saß da, den Kopf gesenkt, den Blick auf den Teppich gerichtet, und er blieb in dieser Haltung, während die Worte langsam von seinen Lippen kamen.
»Mit dem alten Autoklav wäre es nicht getan, Mr. Clayton. Ein neuer, viel schwererer und stärkerer müßte beschafft werden, wenn wir wirklich das Ziel erreichen wollen, das mir vorschwebt.«
Clayton fuhr auf. »Ich verstehe Sie nicht. Sie haben mit dem Apparat ja noch gar nicht gearbeitet und verlangen schon einen anderen?«
»Sie irren sich, Herr Direktor. Ich habe mit dem Autoklav gearbeitet, bevor Professor Melton ihn für sich mit Beschlag belegte. Ich weiß genau, was sich mit ihm erreichen läßt und habe es auch erreicht.«
Clayton sah ihn verwundert an. »Davon höre ich jetzt zum erstenmal, Herr Doktor. Ich will Ihren Worten glauben, aber Sie haben nichts darüber berichtet. Jetzt steht Professor Melton in der Öffentlichkeit als der Entdecker da. Das haben Sie sich selber zuzuschreiben. Wie kann ich Ihren jetzt noch helfen? Präsident Chelmesford ist natürlich von den Erfolgen des Professors begeistert. Für die Beschaffung neuer kostspieliger Apparaturen wird er im Augenblick nicht zu haben sein.«
Dr. Wandel hob den Kopf wieder empor. Er warf Clayton einen eigentümlichen Blick zu, während er sagte:
»Über die Erfolge von Professor Melton habe ich meine eigene Ansicht.«
Clayton zuckte die Achseln.
»Die Erfolge sind da, Herr Doktor. Nur ein Blinder oder ein Narr kann sie leugnen.«
Ohne den Einwand zu beachten, fuhr Dr. Wandel fort: »Von heut auf morgen werde ich kaum eine andere Stellung annehmen. Ich möchte Ihnen meine Adresse hierlassen.«
Die Haltung Claytons wurde abweisend. »Ich kann den Zweck nicht recht einsehen, Herr Doktor, wenn Sie doch entschlossen sind, uns zu verlassen.«
»Ich möchte sie Ihnen für den Fall hierlassen, Mr. Clayton, daß Sie den Wunsch haben, mich wiederzuholen.«
Der Doktor zog eine Besuchskarte hervor, schrieb unter seinen Namen die Adresse Schillingers am Saint-Clair-See und schob das Blatt Clayton hin. Der sah es unschlüssig an, als das Telephon auf seinem Tisch sich meldete. Er nahm den Hörer ab. Dr. Wandel hörte ihn sprechen.
»Was sagen Sie, Herr Professor? Der heutige Versuch hat wieder dasselbe Ergebnis gehabt? . . . Noch ein besseres sogar? . . . Zehn Gramm radioaktive Substanz . . . Es ist recht, Herr Professor. Im Augenblick bin ich noch besetzt. Kommen Sie bitte in fünf Minuten zu mir.«
Er legte den Hörer wieder auf und sah Dr. Wandel schweigend an. Der erhob sich und reichte ihm die Rechte. »Leben Sie wohl, Mr. Clayton. Für heute will ich mich von Ihnen verabschieden.«
Clayton ergriff lässig die dargebotene Hand. Seine Gedanken waren bei dem neuen Erfolg Meltons. »Leben Sie wohl, Herr Doktor«, sagte er zerstreut, »und hier, vergessen Sie Ihre Karte nicht.«
Dr. Wandel schob sie ihm wieder hin. »Behalten Sie sie, Herr Direktor, Sie werden sie noch brauchen.«
Kopfschüttelnd sah ihm Clayton nach, als er den Raum verließ. Dann zerriß er die Besuchskarte und warf sie in den Papierkorb.
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