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Als die Dunkelheit entwichen und der Morgen zu grauen begann, bot die Stadt in der That einen seltsamen Anblick.
An Schlaf hatte kaum Jemand die ganze Nacht hindurch denken mögen. Die allgemeine Bestürzung war so deutlich in den Gesichtern der Einwohnerschaft zu lesen, und sie gewann durch den Mangel an Ruhe (denn nur Wenige, die etwas besaßen, was sie verlieren konnten, hatten sich seit dem Montag getraut, zu Bette zu gehen) einen so peinlichen Ausdruck, daß ein Fremder, der durch die Straßen ging, leicht hätte auf den Gedanken kommen können, daß hier eine tödtliche Pest oder Seuche wüthe. Statt der gewöhnlichen Heiterkeit und Lebhaftigkeit des Morgens war alles stumm und todt; Läden, Bureaus und Waarenniederlagen waren verschlossen, die Stände der Kutscher und Sänftenträger verlassen, kein Karren oder Frachtwagen holperte durch die langsam erwachenden Straßen, das Morgengetümmel schwieg und allenthalben herrschte ein schwermüthiges Düster. Man sah zwar schon um Tagesanbruch viele Leute, aber sie huschten nur so hin und her, als erschräcken sie vor ihren eigenen Fußtritten; die Gestalten, die sich an öffentlichen Orten zeigten, sahen mehr Gespenstern als Menschen gleich, und um die rauchenden Trümmer standen abgesondert und stumm einzelne Personen, ohne sich zu getrauen, auch nur in den leisesten Flüsterworten die Aufrührer zu verwünschen.
Vor dem Hause des Lordpräsidenten in Piccadilly, vor dem Lambethpalaste, vor der Wohnung des Lordkanzlers in Great-Ormond-Street, in der königlichen Börse, in der Bank, vor Guildall, in den Gerichtshöfen und in allen Zimmern, die in der Nähe von Westminsterhall und den Parlamentsgebäuden auf die Straße hinausgingen, hatten noch vor Tagesanbruch Soldatenabtheilungen Posten gefaßt. Einige Schwadronen der Leibgarde zu Pferde standen in dem Palasthofe; in dem Parke hatten fünfzehnhundert Mann und fünf Bataillone Milizen ein Lager geschlagen; den Tower hatte man befestigt, die Zugbrücken waren aufgezogen, die Kanonen geladen und gerichtet, und zwei Regimenter Artillerie beschäftigten sich emsig, die Forts zu verstärken und sie in Vertheidigungsstand zu setzen. Eine zahlreiche Abtheilung Militär hielt Wache vor der neuen Wasserleitung, welche der Pöbel anzugreifen gedroht hatte, und wo er, wie die Sage ging, die Hauptröhren abzuschneiden drohte, damit es an Wasser fehle, um die Flammen zu löschen. In Poultry, auf Cornhill und an mehreren Hauptpunkten waren eiserne Ketten über die Straßen gezogen; in einige der alten Citykirchen vertheilte man, so lange es noch dunkel war, Soldaten; deßgleichen auch in mehrere Privatwohnungen (unter andern in die des Lord Rockingham zu Grosvenor Square) welche in einer Weise verschanzt waren, als müßten sie eine Belagerung aushalten, und an allen Fenstern herausgestreckte Gewehrmündungen schauen ließen. Die aufgehende Sonne traf die schönsten Zimmer mit Bewaffneten erfüllt, während man die Möbel im Schrecken des Augenblicks sorglos in den Ecken aufgehäuft hatte – Waffen glänzten in allen Kammern der Stadt unter Pulten, Schemeln und staubigen Büchern. In rauchigen, kleinen Kirchhöfen an abgelegenen Gassen und Nebenwegen lagen Soldaten unter den Gräbern oder ruhten aus unter dem Schatten eines alten Baumes, während die Gewehrpyramiden im Lichte funkelten; einzelne Schildwachen gingen jetzt in den stummen Höfen auf und nieder, die gestern noch von dem Getöse und Gesumme eines geschäftigen Treibens wiedergehallt hatten; überall Wachstuben, Garnisonen und drohende Vorbereitungen.
Im Verlaufe des zögernden Tages konnte man noch seltsamere Dinge in den Straßen sehen. Als die Thore des King's-Bench und Fleetgefängnisses zu der gewöhnlichen Stunde geöffnet wurden, fand man Zettel angeheftet mit der Nachricht, daß die Rebellen in der Nacht kommen und die Kerker niederbrennen würden. Die Aufseher, welche nur zu gut wußten, wie wahrscheinlich die Erfüllung einer solchen Drohung war, setzten daher lieber ihre Gefangenen selbst in Freiheit und gaben ihnen die Erlaubniß, ihre Habe mitzunehmen; demnach waren diejenigen, welche einiges Möbelwerk besessen hatten, den ganzen Tag über beschäftigt, es dahin und dorthin, nicht selten auch in die Trödelbuden zu schaffen, wo sie es mit Freuden für jeden Lumpenpreis, den die charmanten Inhaber solcher Anstalten bieten mochten, hingaben. Unter diesen Schuldgefangenen gab es einige in ihrer Hast so abgestorbene Menschen, daß sie ihre Kerkermeister anflehten, sie nicht in Freiheit zu setzen, sondern, wenn es nöthig wäre, nach einem andern Gefängniß zu schicken, da sie in der Welt gänzlich vergessen wären und nirgends Freunde besäßen, die sich um sie kümmerten. Aber man schlug ihnen ihre Bitten ab, um sich dem Grimm des Pöbels nicht blos zu stellen, und warf sie auf die Straße hinaus, wo sie auf und nieder wanderten, kaum noch der Wege sich erinnernd, die ihre Füße so lange nicht betreten hatten; ja, diese moderherzigen Gefängnisse hatten sie so sehr erniedrigt, daß sie, in ihren Schlappschuhen mühsam sich über das Pflaster hinschleppend, thränenden Auges mit ihren Lumpen weiter schlichen.
Selbst von den dreihundert Sträflingen, welche aus Newgate entkommen waren, suchten einige – wenige zwar, aber doch einige – ihre Schließer auf, um sich selbst auszuliefern, denn sie zogen Gefängniß und Strafe dem Entsetzen einer zweiten solchen Nacht, wie die letzte gewesen, vor. Viele von den Verbrechern, durch einen unbeschreiblichen Zauber, oder durch den Wunsch nach dem Orte ihrer Haft, zurückgezogen, um über seinen Fall zu triumphiren oder ihre Rache, durch den Anblick des Aschenhaufens zu sättigen, gingen sogar am hellen Mittage dahin zurück und lungerten um die Zellen. Man fing an dem andern Tage fünfzig auf einmal in den Gefängniß mauern wieder ein; aber ihr Geschick schreckte Andere nicht ab, denn man ging dem ungeachtet hin, und so wurden in der ganzen nächsten Woche etliche Mal täglich Gruppen von Zweien oder Dreien aufgegriffen. Von den vorerwähnten Fünfzigen traf man einige, wie sie sich eben bemühten, das Feuer wieder anzuzünden, aber im Allgemeinen schienen sie keine andere Absicht zu haben, als den alten Platz müßig zu umlauern; man fand sie oft schlafend auf den Trümmern, oder dort sitzend und schwatzend, sogar essend und trinkend, als befänden sie sich in einem ganz sicheren Schlupfwinkel.
Außer den Anschlägen an den Thoren der Fleet- und Kingsbenchgefängnisse wurden noch vor ein Uhr Nachmittags ähnliche Drohbriefe in den Häusern von Privatpersonen abgegeben; deßgleichen verkündigte der Pöbel sein Absicht, die Bank, die Münze, das Arsenal zu Woolwich und die königlichen Paläste anzugreifen. Die Zettel wurden von selten mehr als von einem einzigen Menschen abgeliefert, der, wenn sie einem Laden galten, hineinging und seinen Fetzen, vielleicht mit einer blutigen Drohung begleitet, auf den Zahltisch legte. Bei den Privathäusern klopften die Kerle an die Thüre und steckten sie dem öffnenden Diener in die Hand. Obgleich in jedem Stadttheile Militär lag und in dem Park eine große Streitmacht versammelt war, vollführten diese Boten ihre Aufträge doch den ganzen Tag über ohne alle Beeinträchtigung. So gingen zum Beispiel zwei mit Stangen von den Geländern aus Lord Mansfield's Hause bewaffnete Knaben Holborn hinunter und forderten Geld für die Rebellen. Zu dem gleichen Zwecke ritt ein langer Kerl durch die Fleetstraße, eine Sammlung veranstaltend, für die er nichts als Gold nehmen wollte.
Auch war ein Gerücht im Umlauf, das einen weit größeren Schrecken durch ganz London verbreitete, als sogar diese öffentlich angekündigten Absichten der Aufrührer, obgleich Jedermann wußte, daß im Falle ihres Gelingens ein Nationalbankrott und allgemeiner Ruin unvermeidlich waren. Man sagte sich nämlich, sie gedächten die Thore von Bedlam zu erbrechen und alle Tollen in Freiheit zu setzen. Diese Kunde erfüllte die Gemüther mit so schrecklichen Bildern, und war auch in der That ein Anschlag, der so neue und undenkbare Schauerscenen in sich faßte, daß schon der Gedanke daran aller früheren und möglicherweise noch nachfolgenden Grausamkeiten und Verluste vergessen ließ und manchen gesunden Menschen beinahe selbst wahnsinnig machte.
So entschwand der Tag. Die Gefangenen schafften ihre Habe fort; in der Straße eilten die Leute ab und zu, um ihr Eigenthum gleichfalls in Sicherheit zu bringen; Gruppen standen stumm um die Trümmerhaufen; aller Gewerbsverkehr hatte aufgehört, und die Soldaten vertheilten sich ruhig auf ihren Posten. So verging der Tag und die gefürchtete Nacht brach wieder herein.
Endlich, um sieben Uhr Abends, erließ der Staatsrath eine Proklamation, daß es jetzt nöthig sey, das Militär einschreiten zu lassen und daß die Offiziere die gemessenste und nachdrücklichste Vollmacht hätten, die Unruhen mit aller ihnen zu Gebote stehenden Gewalt zu unterdrücken, wobei zugleich alle gutgesinnten Unterthanen des Königs die Aufforderung erhielten, die Nacht über mit ihren Dienstboten und Lehrlingen die Häuser nicht zu verlassen, Dann wurden an alle dienstthuenden Soldaten je sechsunddreißig Patronen ausgetheilt. Gegen Sonnenuntergang wirbelten die Trommeln als Signal, daß sich die ganze Streitmacht unter Waffen stellen sollte.
Die städtischen Behörden, gespornt durch diese kräftigen Maßregeln, hielten eine allgemeine Berathung, dotirten eine Dankadresse an das Militär, welches sich der bürgerlichen Obrigkeit zur Verfügung gestellt hatte, und überließ es der Leitung der beiden Sheriffe. Der Königspalast erhielt eine doppelte Wache; die Laquaien, Portiers und das übrige Hofdienstpersonal wurden um sieben Uhr mit der strengen Weisung, die ganze Nacht über auf ihrem Posten wachsam zu seyn, in den Gängen und Stiegenhäusern aufgestellt und sodann alle Thüren verschlossen. Die Studenten im Tempel und in den übrigen juridischen Kollegien bezogen innerhalb der Thore die Wache und verbarrikadirten sie mit großen Steinen, welche sie zu diesem Zwecke aus dem Pflaster rissen. In Lincoln's-Inn wurden Halle und Hörsäle für die Northhumberländische Miliz unter dem Kommando des Lord Algernon Pery geräumt, und einige der Stadtwachen wurden von dem Bürgermilitär bezogen, das, ohne gerade zu bramarbarsiren, wacker genug aussah. Einige Hundert rüstiger Gentlemen warfen sich, bis an die Zähne bewaffnet, in die Hallen der verschiedenen Zünfte, schlossen und verriegelten alle Thore und forderten die Rebellen aus den Zunftverbänden heraus, auf ihre Gefahr heranzukommen. Da diese Maßregeln beinahe gleichzeitig geschahen, so waren sie bei Einbruch der Nacht beendigt. Die Straßen standen nun beziehungsweise leer und wurden an allen Hauptecken und Kreuzungen durch Truppen gedeckt. Dabei ritten Offiziere in allen Richtungen auf und nieder, wiesen die Verspäteten nach Hause und ermahnten sie, hübsch in ihren vier Pfählen zu bleiben und ja nicht an's Fenster zu treten, wenn abgefeuert würde. Straßenkreuzungen, die ihrer Beschaffenheit nach das Anrücken eines großen Pöbelhaufens begünstigten, wurden mit noch mehr Ketten gesperrt, und an jedem solchen Posten standen beträchtliche Streitkräfte. Da es mit Beendigung dieser Vorsichtsmaßregeln Nacht geworden war, so sahen die Befehlshaber dem Ereignisse mit Beklommenheit entgegen, einigermaßen der Hoffnung sich hingebend, daß solche wachsame Demonstrationen an sich schon im Stande sein dürften, das Gesindel zu entmuthigen und weiteren Gesetzwidrigkeiten vorzubeugen.
Sie hatten sich jedoch in dieser Rechnung grausam getäuscht, denn in weniger als einer halben Stunde, gleichsam als wäre die einbrechende Nacht vorläufig als Signal bestimmt worden, erhoben sich die Rebellen, nachdem sie zuvor die Laternen in den Straßen zerschmettert, wie ein ungeheures Meer, und zwar an so vielen Orten zumal und mit so unglaublicher Wuth, daß die Anführer der Truppen Anfangs nicht wußten, wohin sie sich wenden oder was sie thun sollten. In allen Richtungen der Stadt loderte ein Feuer nach dem andern auf, als hätten die Aufrührer die Absicht, die Stadt mit einem Flammenkreise zu umgeben, welcher, sich allmälig enger schließend, alles zusammen in Asche brennen sollte. Der Pöbel schwärmte und brüllte durch alle Straßen, und da sich Niemand als Rebellen und Soldaten außen blicken ließen, so kam es den Letzteren vor, als zöge ganz London gegen sie an, und als hätten sie allein mit der sämmtlichen Stadtbevölkerung zu kämpfen.
Nach zwei Stunden wütheten sechsunddreißig Feuer – sechsunddreißig große Feuersbrünste – darunter Borough Clink in Tooley-Street, King's-Bench, das Fleet und New-Bridewell. In fast jeder Straße wurde eine Schlacht geliefert und in jedem Stadttheile übertönten die Musketensalven das Geschrei und das Toben des Pöbels. Das Feuer begann in Poultry, wo die Straße mit Ketten gesperrt war, und schmetterte mit der ersten Ladung an zwanzig Personen todt nieder. Die Soldaten, nachdem sie die Gefallenen hastig in der Saint Mildreds-Kirche untergebracht hatten, gaben abermals Feuer und verfolgten den Haufen, der bei dem Anblicke des Gemetzels zu weichen begann, sperrten Cheapside in die Queere und griffen nun mit gefällten Bajonetten an.
Die Straßen gewährten jetzt in der That einen schrecklichen Anblick, während das Geschrei der Rebellen, die Angstrufe der Weiber, das Gezeter der Verwundeten und das beständige Gewehrfeuer eine betäubende und entsetzliche Begleitung der Scene abgab, deren man an jeder Ecke ansichtig wurde. Wo man die Wege mit Ketten gesperrt hatte, war natürlich der Kampf und das Gemetzel am stärksten, doch gab es auch heiße Arbeit und viel Blutvergießen in jeder Hauptstraße, und allenthalben traf man auf gleich schauderhafte Auftritte.
Bei der Holborn-Brücke und auf Holborn-Hill war die Verwirrung größer, als in irgend einem andern Stadttheile; denn der Pöbel, der sich von City aus in zwei großen Strömen durch Ludgate-Hill und die Newgate-Straße ergoß, vereinigte sich an diesen Stellen und bildete eine so dichte Masse, daß bei jeder Salve die Leute in Haufen stürzten. Es war auf diesem Punkte eine große Abtheilung Militär aufgestellt, welche bald Fleet-Market, bald Holborn, bald Snowhill hinauf feuerte – ohne Unterlaß die Straßen in allen Richtungen bestreichend. Auch hier brannten mehrere große Feuer, so daß alle Schrecken dieser entsetzlichen Nacht sich in diesem einzigen Punkte concentrirt zu haben schienen.
Volle zwanzigmale nahmen die Aufrührer – von einem Manne geführt, der eine Axt in seiner rechten Hand schwang und auf einem großen, kräftigen Brauersgaule saß, welcher mit den aus Newgate mitgenommenen Fesseln aufgezäumt war, so daß es bei jeder Bewegung desselben klimperte und klapperte – einen Anlauf, um hier durchzubrechen und das Haus eines Weinhändlers in Brand zu stecken. Volle zwanzigmale wurden sie mit blutigen Verlusten zurückgeworfen, aber doch kamen sie wieder zurück; und obgleich der Kerl an ihrer Spitze vor allen ausgezeichnet und als der einzige Reiter unter den Rebellen ein augenfälliger Gegenstand war, so konnte ihn doch Niemand treffen; sobald der Rauch wieder wegfegte, durfte man darauf zählen, daß er wieder da war, heiser seinen Gefährten zurufend, die Axt über seinem Kopfe schwingend und vorwärts stürzend, als hätte er ein gefeietes Leben, dem weder Pulver noch Blei etwas anhaben könnte.
Dieser Mann war Hugh, der in allen Scenen des Aufruhrs seine Rolle spielte. Er leitete zwei Angriffe auf die Bank, half die Zollhäuser auf der Blackfriars-Brücke niederbrechen, wo er das Geld auf die Straßen hinauswarf, steckte zwei der Gefängnisse mit eigenen Händen in Brand, war da und dort und überall – immer der Vorderste – immer thätig – auf die Soldaten einhauend; die Menge ermuthigend und mit der Eisenmusik seines Pferdes den Lärmen und das Getümmel übertönend, ohne je beschädigt oder zum Halten gezwungen zu werden. Wurde er an der einen Stelle zurückgedrängt, so begann er von einer andern einen neuen Strauß; mußte er da weichen, so stürmte er gleich dort wieder an. Zum zwanzigstenmal aus Holborn zurückgetrieben, ritt er an der Spitze eines großen Haufens auf den Saint Paulsplatz zu, griff ein Soldatenpiquet an, das die Wache über einen innerhalb der eisernen Geländer befindlichen Haufen Gefangener hatte, zwang es zum Rückzuge, befreite die in Gewahrsam Befindlichen, kehrte mit diesem Zuwachs wieder zu seiner Schaar zurück und rief derselben, von Branntwein und Leidenschaft toll, wie ein losgelassener Teufel sein Hurrah zu.
Es wäre auch für den geschicktesten Reiter keine leichte Aufgabe gewesen, inmitten eines solchen Tumultes und Gedränges sich auf seinem Pferde zu erhalten; aber obgleich dieser Rasende auf dem Rücken seines sattellosen Thieres wie ein Boot auf der See hin und her rollte, so verlor er doch keinen Augenblick seinen Sitz, den Gaul hinlenkend, wohin er wollte. Durch die dichtesten Haufen, über Leichname und brennende Trümmer, das einemal auf dem Pflaster, das anderemal mitten im Wege, jetzt eine Treppenflucht hinanreitend, um sich dem Pöbel sichtbarer zu machen, jetzt sich durch ein Gedränge Bahn brechend, welches so eng in einander gekeilt war, daß man hätte glauben sollen, kaum die Schneide eines Messers vermöchte durchzudringen – so ging es fort, als könnte er mit der bloßen Gewalt seines Willens alle Hindernisse überflügeln. Vielleicht war es auch diesem Umstande einigermaßen zuzuschreiben, daß er nicht erschossen wurde, denn seine außerordentliche Tollkühnheit und die Ueberzeugung, daß er einer von denen sein müsse, die in der Proklamation vorgemerkt waren, weckte in den Soldaten den Wunsch, ihn lebendig zu greifen, und lenkte manche Kugel ab, die sonst ihr Ziel sicherer gefaßt haben würde.
Der Weinhändler und Herr Haredale, die dem schrecklichen Tumulte draußen unmöglich ruhig zusehen konnten, ohne selbst zu sehen, was vorging, waren auf das Dach des Hauses geklettert, wo sie, zwischen den Schornsteinen versteckt, vorsichtig in die Straßen hinunter schauten. Sie gaben sich beinahe der Hoffnung hin, die Rebellen würden nach so vielen abgeschlagenen Angriffen endlich zurückweichen, als sie auf einmal ein lautes Gejubel belehrte, daß eine Schaar um die andere Seite herumkam, und das unheimliche Klirren der verwünschten Fesseln verkündigte bald genug, daß auch diese von Hugh angeführt wurde. Die Soldaten waren gegen Fleet-Market vorgerückt und trieben dort das Volk aus einander, so daß diese neue Bande fast gar keinen Widerstand fand und ehestens vor dem Hause stand.
»Jetzt ist alles vorbei,« sagte der Weinhändler. »In einer Stunde sind fünfzigtausend Pfund in den Winden. Wir müssen sehen, daß wir uns selbst retten. Weiter ist nichts zu thun, und wir dürfen Gott danken, wenn es uns gelingt.«
Ihr erster Gedanke war, an den Häuserdächern weiter zu klettern und an irgend einem Dachfenster um Einlaß zu klopfen, von wo aus sie auf die Straße hinunter kommen und so entwischen konnten. Aber ein zweites ungestümes Geschrei von unten und ein in die Höhe Schauen von tausend Galgengesichtern überzeugte sie, daß sie entdeckt wären, und namentlich, daß man auch Herrn Haredale erkannt habe; denn Hugh, der ihn deutlich in dem grellen Lichte der Flammen sah, welche diese Gegend wie das Gestirn des Tages erhellten, rief ihn bei Namen und betheuerte unter Flüchen, daß er sein Leben haben müsse.
»Laßt mich hier,« versetzte Herr Haredale, »und versucht es in Gottesnamen, Euch selbst zu helfen, mein wackerer Freund! Komm nur heran!« murmelte er, indem er sich gegen Hugh wandte und ihm, ohne sich länger verbergen zu wollen, die Stirne bot. »Dieses Dach ist hoch, und wenn wir uns zu fassen kriegen, werden wir mit einander sterben!«
»Das ist Wahnsinn,« sagte der ehrliche Weinhändler, indem er ihn zurückschob, »helllichter Wahnsinn. Hört doch auf die Stimme der Vernunft, Sir. Mein guter Sir, nehmt doch Raison an.Jetzt können wir uns nicht mehr durch das Klopfen an ein Fenster hörbar machen, und selbst wenn es der Fall wäre, würde sich Niemand getrauen, meine Flucht zu begünstigen. Wir müssen durch die Keller; dort ist eine Art Durchgang nach einer Hintergasse, durch die wir die Fässer aus- und einrollen. Wir haben noch Zeit genug, dahin zu kommen, ehe sie die Thüre eingebrochen haben. Zögert doch keinen Augenblick, sondern kommt mit mir – um unserer Brüder willen – um meinetwillen – mein lieber, guter Sir!«
Während er dieß sprach und Herrn Haredale zurückzog, warfen Beide noch einen Blick auf die Straße. Es war nur Ein Blick, aber er zeigte ihnen den Pöbelhaufen, wie er sich rund um das Haus schaarte. Einige der Bewaffneten drängten sich nach vorne, um die Thüre und Fenster einzuschlagen. Andere brachten brennende Holzscheite von dem nächsten Feuer, wieder Andere schauten in die Höhe, wie die beiden Bedrängten auf dem Dache weiter krochen, und zeigten sie ihren Kameraden. Alle aber rasten und brüllten, wie die Flammen, die sie angeschürt hatten. Sie sahen mit an, wie Einige nach den Branntweinschätzen, die bekanntermaßen im Innern aufgehäuft waren, heulten und lechzten; wie Andere, die verwundet worden, auf den gegenüberliegenden Schwellen niedersanken und starben – einsame Elende inmitten dieses ganzen ungeheuren Gewühls; da war ein erschrecktes Weib, das zu entkommen versuchte, dort ein verirrtes Kind und dort ein betrunkener Schuft, der, der Todeswunde an seinem Kopfe nicht bewußt, bis auf den letzten Augenblick fortraste und kämpfte. Alles dieß, wie auch solche unbedeutende Vorfälle, daß Einer seinen Hut verlor, sich umdrehte, sich niederbeugte oder einem Andern die Hand drückte, konnten sie deutlich unterscheiden – aber nur in einem so kurzen Blicke, daß sich in dem Augenblicke des Zurückweichens das Ganze wieder verwischte und sie nur noch gegenseitig ihre bleichen Gesichter und den rothen Himmel über sich sahen.
Herr Haredale gab den Bitten seines Leidensgefährten nach – mehr, weil er entschlossen war, ihn auf's Aeußerste zu vertheidigen, als weil er sein eigenes Leben im Auge hatte, oder auf seine persönliche Rettung Bedacht nahm – und rasch waren sie in dem Hause, wo sie eiligst mit einander die Treppe hinunter stiegen. Es donnerten bereits gewaltige Schläge gegen die Läden; Hebebalken wurden unter die Thüre gesteckt, die Scheiben fielen aus den Fensterrahmen, ein tiefrothes Licht schien durch jede Spalte, und sie hörten die Stimmen der Vordersten in dem Haufen so deutlich durch jede Spalte und jedes Schlüsselloch, daß es ihnen vorkam, als würden ihnen die heiseren Drohungen in's Ohr geflüstert. Kaum hatten sie die unterste Kellerstaffel erreicht und die Thüre hinter sich zugeschlagen, als der Pöbel einbrach.
Die Gewölbe waren pechfinster, und da sie weder Fackel noch Kerze bei sich hatten – denn sie scheuten sich, Licht mitzunehmen, um ihren Zufluchtsort nicht zu verrathen – mußten sie sich mit den Händen weiter tasten. Sie blieben jedoch nicht lange ohne Helle, denn noch ehe sie weit gekommen waren, hörten sie, wie das Gesindel die Kellerthüre erbrach. Ein Blick zurück in den langen gewölbten Raum zeigte ihnen in der Ferne die Aufrührer, wie sie mit flammenden Fackeln hin- und hereilten, die Fässer anzapften, die Dauben zerschlugen, rechts und links in die verschiedenen Keller einbogen und sich niederlegten, um den starken Branntwein, der bereits den Boden überströmte, aufzulecken.
Sie beschleunigten ihre Schritte und langten endlich bei dem letzten Gewölbe an, das zwischen ihnen und dem Ausgange lag, als ihnen plötzlich aus der Richtung, wohin sie gingen, ein lebhaftes Licht entgegenstrahlte und, ehe sie auf die Seite schlüpfen oder sich umwenden und verbergen konnten, zwei Männer, von denen einer eine Fackel trug, auf sie zukamen, welche in erstauntem Flüstern die Worte sprachen:
»Da sind sie!«
In demselben Augenblicke streiften sie ihre Kopfbedeckungen ab. Herr Haredale erkannte in dem einen Edward Chester und in dem andern, als der Weinhändler dessen Namen keuchte, Joe Willet.
Ja, denselben Joe, obgleich jetzt nur mit Einem Arme, der alle Vierteljahre auf der grauen Mähre nach London zu reiten pflegte, um die Rechnung des purpurgesichtigen Weinhändlers auszugleichen, und der nämliche purpurgesichtige Weinhändler, vormals in der Themsestraße, schaute ihm nun in's Gesicht und rief ihn bei Namen.
»Gebt mir Eure Hand,« sagte Joe sanft, indem er sie ergriff, möchte nun der erstaunte Weinhändler wollen oder nicht. »Schämt Euch nicht, sie zu nehmen; 's ist die Hand eines Freundes, der es herzlich mit Euch meint, obgleich sie keinen Kameraden mehr hat. Ei, wie gut Ihr ausseht, und wie stark Ihr geworden seyd! Und Ihr – Gott grüße Euch, Sir. Nur Muth gefaßt, Muth gefaßt! Wir werden sie finden. Nur nicht niedergeschlagen; wir sind nicht unthätig gewesen.«
Es lag etwas so Ehrliches und Freimüthiges in Joe's Worten, daß ihm Herr Haredale unwillkürlich die Hand drückte, obgleich diese Begegnung verdächtig genug war. Sein Blick auf Edward Chester und das Zurückweichen dieses Herrn entgingen jedoch Joe nicht, weßhalb er, nach Edward schauend, derb heraussagte:
»Die Zeiten haben sich geändert, Herr Haredale, und es ist endlich an dem, daß wir unsere Freunde von unseren Feinden unterscheiden lernen und uns nicht an Namen kehren sollten. Ihr mögt wissen, daß Ihr ohne diesen Herrn jetzt wahrscheinlich todt, oder im besten Falle schwer verwundet wäret.«
»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Herr Haredale.
»Ich will damit sagen,« entgegnete Joe, »erstlich, daß es ein verwegener Streich war, sich unter das Gesindel zu mischen in der Verhüllung eines Rebellen; doch das will ich eben nicht so hoch anschlagen, da ich mich, im Grunde genommen, in der gleichen Lage befand. Zweitens, daß es eine tapfere und rühmliche Handlung war – ja, so muß ich es nennen – jenen Kerl vor ihren Augen von seinem Gaule zu schlagen!«
»Welchen Kerl? Vor wessen Augen?«
»Welchen Kerl, Sir?« rief Joe. »Einen Kerl, der nichts Gutes gegen Euch im Schilde führt, und der die Tollkühnheit und Teufelei von zwanzig seiner Kameraden im Leibe hat. Ich kenne ihn von Alters her. Einmal in diesem Hause, würde er Euch aufgefunden haben, hier oder anderswo. Die Uebrigen haben keinen besondern Groll auf Euch, und wenn sie Euch nicht sehen, werden sie auf Nichts Bedacht nehmen, als sich zu Tode zu saufen. Doch wir verlieren die Zeit. Seyd Ihr bereit?«
»Ja,« sagte Edward. »Löscht die Fackel aus, Joe, und geht voran. Ihr meint's zwar gut, aber seyd stille.«
»Stille oder nicht stille,« murmelte Joe, indem er die flammende Fackel auf den Boden warf, sie mit dem Fuße austrat und Herrn Haredale seine Hand reichte; »es war eine tapfere und ruhmvolle That, die Euch Niemand schmälern soll.«
Haredale und der würdige Weinhändler waren zu erstaunt und auch zu beeilt, um weitere Fragen zu stellen, weßhalb sie schweigend ihren Führern folgten. Aus einem kurzen Flüstern zwischen ihnen und dem Weinhändler hinsichtlich der besten Weise zu entfliehen, schien hervorzugehen, daß sie mit John Grueby's Einverständniß, den sie in's Vertrauen gezogen, und der mit dem Schlüssel in der Tasche außen stand, durch die Hinterthüre hereingekommen. Sie waren nämlich kaum eingetreten, als ein Pöbelhaufen des gleichen Weges heranzog, weßhalb John die Thüre wieder doppelt verschlossen hatte und nach Militär fortgelaufen war, so daß ihnen im Augenblicke die Mittel zum Rückzug benommen blieben.
Inzwischen war jedoch die Thüre vorn eingebrochen worden, und da dieser kleinere Haufen sich gleichfalls sehr nach dem Branntwein im Innern sehnte, demungeachtet aber nicht Lust hatte, mit dem Erbrechen einer zweiten Thüre Zeit zu verlieren, so war er wieder in die Holbornstraße hinübergezogen, um mit den Uebrigen von dort aus einzudringen, weßhalb jetzt die enge Hintergasse ganz leer stand. Die Flüchtlinge krochen durch einen von dem Weinhändler angegebenen Gang – eigentlich blos eine schräge Fallthüre, um Fässer hereinzuziehen – und nachdem sie mit einiger Schwierigkeit die Ketten losgemacht und die Thüre am oberen Ende aufgedrückt hatten, gelangten sie, ohne bemerkt oder gestört zu werden, in die Straße. Joe hielt noch immer Herrn Haredale fest, während Edward in derselben Weise für den Weinhändler besorgt war, und so eilten sie rasch durch die Straßen, nur hin und wieder bei Seite tretend, um einige Flüchtlinge vorbei zu lassen, oder den ihnen folgenden Soldaten Platz zu machen, deren Fragen, wenn sie sich etwa damit aufhielten, Joe durch ein einziges Flüsterwort schleunig ein Ziel setzte.