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Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Der nächste Tag wurde mit frohem Glockengeläute und dem Donner der Kanonen im Tower eingeführt. Von vielen Kirchthürmen wehten Fahnen und man sah überall die Vorbereitungen, welche gewöhnlich dem Geburtstag des Königs zu Ehren getroffen wurden. Jedermann ging seinem Vergnügen oder seinem Geschäfte nach, als herrschte in der Stadt die vollkommenste Ordnung, und als läge nicht irgendwo unter der Asche noch Glut verborgen, die in der kommenden Nacht wieder auflodern könnte, ringsum Entsetzen und Verheerung verbreitend. Die Führer des Aufruhrs, durch den Erfolg der letzten Nacht und die dabei gewonnene Beute nur noch vermessener gemacht, hielten fest zusammen und dachten nur darauf, den Haufen ihrer Anhänger so tief in ihre Unthaten zu verwickeln, daß keine Hoffnung von Begnadigung oder Belohnung sie verlocken konnte, ihre berüchtigteren Verbündeten den Händen der Gerechtigkeit zu überantworten.

In der That hielt auch das Gefühl, bereits zu weit gegangen zu seyn, um Vergebung hoffen zu dürfen, die Furchtsamen eben so fest zusammen, als die Kecken. Viele, die bereitwillig die Hauptruhestörer angegeben und Zeugniß gegen sie abgelegt hätten, fühlten wohl, daß sie hiedurch nicht zu entkommen hoffen durften, denn ihre eigenen Thaten waren von Dutzenden bemerkt worden, die an dem Tumulte keinen Antheil genommen, wohl aber an Person und Eigenthum von dem Gesindel Schaden erlitten hatten, und daher, wenn sich's einmal darum handelte, bereitwillig als Zeugen auftraten; es ließ sich demnach voraussehen, daß die Regierung eines Königszeugnisses Königszeugniß ist die Aussage eines Mitschuldigen, dem um seines Zeugnisses willen Begnadigung zu Theil wird. nicht bedurfte. Viele zu dieser Klasse Gehörige hatten am Samstag Morgen ihre gewöhnliche Beschäftigung verlassen; Einige waren in ihrer Betheiligung bei dem Tumult von ihren Brodherren gesehen worden; Andere wußten, daß man sie beargwohnte und daher bei ihrer Rückkehr ihres Dienstes entlassen würde; und wieder Andere, die gleich Anfangs unter den Verzweifeltsten gewesen, trösteten sich mit dem rohen Sprichwort, wenn man doch einmal gehangen werden müsse, so sey es gleichgültig, ob man für das Roß oder für das Fohlen baumle. Alle lebten indeß mehr oder weniger der Hoffnung und des Glaubens die Regierung sey eingeschüchtert und werde in ihrem Schrecken Unterhandlungen pflegen, in denen sie ihre Bedingungen machen könnten. Die am wenigsten Sanguinischen meinten, im schlimmsten Falle wären ihrer zu viel, als daß Alle gestraft werden könnten, und so hatten sie eben so große Wahrscheinlichkeit, frei auszugehen, als irgend ein Anderer. Die große Masse jedoch meinte oder dachte gar nichts, sondern ließ sich eben durch ihre ungestümen Leidenschaften, ihre Armuth, ihre Unwissenheit, ihre Freude am Unheilstiften und die Hoffnung auf Raub und Plünderung reizen.

Wir müssen hier noch eines andern Umstandes gedenken: – Von dem ersten Ausbruche zu Westminster an war nämlich unter ihnen jede Spur von Ordnung oder einem vorbedachten Entwurfe gänzlich verschwunden. Wenn sie sich in Abtheilungen trennten und nach verschiedenen Stadtvierteln kannten, so geschah dieß blos in Folge einer Eingebung des Augenblicks. Jeder Haufen schwoll in seinem Weiterziehen an, wie Flüsse in ihrem Laufe nach dem wogenden Meer; neue Führer traten an ihre Spitze, wenn man ihrer bedurfte, verschwanden, wenn die Noth vorüber war, und kamen bei der nächsten Krisis wieder zum Vorschein. Jeder Tumult entnahm den Verhältnissen des Augenblicks seine Form und Gestalt; man sah nüchterne Arbeiter, die von ihrem Tagewerke nach Hause gingen, die Körbe mit dem Arbeitsgeräth wegwerfen und in einem Nu sich den Aufrührern beigesellen; sogar die Laufjungen thaten ein Gleiches. Mit einem Worte, eine moralische Seuche lief durch die ganze Stadt. Der Lärm, das Getümmel und die Aufregung hatten für Hundert und aber Hundert eine Anziehungskraft, der sie nicht zu widerstehen vermochten. Die Ansteckung pflanzte sich pestartig fort: ein contagiöser Wahnsinn ergriff, da er noch lange nicht seine Höhe erreicht hatte, mit jeder Stunde neue Opfer, und die Gesellschaft begann vor seinem Rasen zu zittern.

Es war Nachmittags zwischen zwei und drei Uhr, als Gashford das im vorigen Kapitel beschriebene Hauptquartier besuchte, wo er, da er nur Barnaby und Dennis traf, nach Hugh fragte.

»Er sey schon vor mehr als einer Stunde ausgegangen und seitdem noch nicht zurückgekehrt,« lautete Barnaby's Antwort.

»Dennis,« sagte der lächelnde Sekretär in seiner glattesten Stimme, indem er sich mit gekreuzten Beinen auf ein Faß niedersetzte. »Dennis!«

Der Henker half sich alsbald in eine liegende Stellung und sah ihn mit weit aufgesperrten Augen an.

»Wie geht's Euch, Dennis?« fragte Gashford mit einem Kopfnicken. »Ich hoffe, Ihr habt bei Eurer letzten Anstrengung keinen Schaden genommen, Dennis?«

»Nun, Euch kann man nachrühmen, Herr Gashford,« entgegnete der Henker, ihn noch immer anstierend, »daß Euer stilles Wesen fast einen Todten erwecken könnte. Es ist –« fügte er, ohne sein Auge von ihm zu verwenden, mit einem leisen Fluche bei – »so grauenhaft schlau.«

»So bestimmt, wollt Ihr sagen, Dennis?«

»Bestimmt?« antwortete er, sich im Kopf kratzend und dem Sekretär noch immer in's Gesicht schauend. »Wohl; ich meine, es dringt mir durch alle meine Gebeine, Herr Gashford.«

»Es freut mich recht, daß Ihr ein so gutes Gehör habt und ich mich Euch so leicht verständlich machen kann,« sagte Gashford in seinem gewohnten ruhigen Tone. »Wo ist Euer Freund?«

Herr Dennis schaute umher, als erwarte er, Hugh irgendwo auf einer Streu eingeschlafen zu sehen; dann erinnerte er sich aber, daß er fortgegangen war, und entgegnete:

»Ich kann nicht sagen, wo er ist, Herr Gashford; er sollte bereits wieder zurück seyn. Hoffentlich ist es noch nicht Zeit, daß wir uns wieder rühren, Herr Gashford.«

»Ei, wer könnte das besser wissen, als Ihr?« versetzte der Sekretär. »Wie könnt Ihr mich so fragen, Dennis? Ihr wißt ja, daß Ihr vollkommen Herr über Eure Handlungen seyd, ohne Euch gegen Jemand verantworten zu müssen – als etwa hin und wieder vor dem Gesetze – he?«

Dennis, welchen diese kalte und unbefangene Entgegnung verblüffte, gewann, sobald der Sekretär sich die Anspielung auf sein Gewerbe erlaubte, alsbald seine Fassung wieder, deutete auf Barnaby, schüttelte den Kopf und runzelte die Stirne.

»Bst!« rief Barnaby.

»Ah! Seyd nur davon stille, Herr Gashford,« sagte der Henker leise. »Ihr vergeßt immer die Volksvorurtheile. – Nun, Barnaby, mein Junge, was gibt's?«

»Ich höre ihn kommen,« antwortete dieser. »Horcht! Versteht Ihr das? Es ist ein Fuß. Wahrhaftig, ich kenne seinen Tritt und auch den seines Hundes. Tramp, tramp, pitpat, kommen sie mit einander heran, und – ha, ha, ha! – und da sind sie!« rief er freudig, indem er Hugh mit beiden Händen willkommen hieß und ihn dann liebkosend auf den Rücken klopfte, als wäre er nicht der rauhe Kerl, der er eigentlich war, sondern einer der einnehmendsten Menschen. »Da ist er, und noch obendrein wohlbehalten! Es freut mich, den alten Hugh wieder hier zu sehen.«

»Ich will ein Türke seyn, wenn er mich nicht stets wärmer willkommen heißt, als irgend ein Mensch mit gesundem Verstande,« sagte er, indem er ihm mit einer Art wilder Freundschaft, die sich wunderlich genug ausnahm, die Hand drückte, »Wie geht es dir, Junge?«

»Ich bin ganz wohlgemuth, ha, ha, ha! Und auch lustig dazu, Hugh!« rief Barnaby, seinen Hut schwenkend. »Stets bereit, etwas für die gute Sache und das Recht zu thun, und dem freundlichen, sanften Herrn mit dem bleichen Gesicht – dem Lord, den sie so übel behandeln – beizustehen, he, Hugh?«

»Ei freilich!« versetzte sein Freund, indem er seine Hand fallen ließ und Gashford einen Augenblick mit einem ganz veränderten Gesichtsausdrucke ansah, ehe er ihn begrüßte. »Guten Tag, Meister.«

»Auch Euch guten Tag,« entgegnete der Sekretär, sein Bein streichelnd. »Und noch viele gute Tage, viele gute Jahre, hoffe ich. Ihr seyd erhitzt?«

»So wäre es Euch wahrscheinlich auch gegangen, Meister,« sagte Hugh, indem er sein Gesicht abwischte, »wenn Ihr so schnell gelaufen wäret.«

»So wißt Ihr also die Neuigkeit? Ja, ich dachte mir's wohl, Ihr würdet davon gehört haben.«

»Neuigkeit? Was für eine Neuigkeit?«

»Also nicht?« rief Gashford, mit einem Ausrufe der Ueberraschung seine Augenbrauen in die Höhe ziehend, »Du mein Himmel! Wohlan, so bin ich also jedenfalls der Erste, der Euch mit Eurer ausgezeichneten Stellung bekannt macht. Seht Ihr des Königs Wappen oben?« fragte er lächelnd, indem er einen großen Bogen Papier aus der Tasche nahm, aus einander faltete und vor Hugh's Augen hinhielt.

»Nun,« entgegnete Hugh, »was hat das mit mir zu schaffen?«

»Viel; sehr viel,« erwiederte der Sekretär. »Les't es einmal.«

»Ich habe Euch schon, als ich Euch das erstemal besuchte, gesagt, daß ich nicht lesen könne,« entgegnete Hugh ungeduldig. »Was in's Teufels Namen steht d'rinnen?«

»Es ist eine Proklamation des Geheimenraths vom heutigen Datum,« sagte Gashford, »und bietet eine Belohnung von fünfhundert Pfund – fünfhundert Pfund ist ein hübsches Stück Geld und eine große Versuchung für manche Leute – Jedem, der die Person oder die Personen ausfindig macht, die Samstag Nachts am thätigsten bei Zerstörung der Kapellen gewesen sind.«

»Ist das Alles?« rief Hugh mit gleichgültiger Miene. »Davon habe ich schon gehört.«

»Nun, das hätte ich in der That wissen können,« sagte Gashford lächelnd und seine Dokumente wieder zusammenlegend. »Euer Freund – so 'was ließ sich errathen, und in der That, ich habe es auch errathen – mußte es Euch wohl mittheilen.«

»Mein Freund?« stotterte Hugh, der es vergeblich versuchte, die Miene der Verwunderung anzunehmen. »Was für ein Freund?«

»Bst, bst – meint Ihr, ich wisse nicht, wo Ihr gewesen seyd?« entgegnete Gashford, indem er sich die Hände rieb, den Rücken der einen Hand auf die Fläche der andern schlug und ihn mit einem verschmitzten Blick ansah. »Für wie einfältig haltet Ihr mich! Soll ich Euch seinen Namen nennen?«

»Nein,« sagte Hugh, mit einem hastigen Blicke auf Dennis.

»Auch habt Ihr ohne Zweifel davon gehört,« nahm der Sekretär nach einer kurzen Pause wieder auf,« daß die armen Teufel, welche gefangen wurden, vor Gericht gestellt werden sollen, und daß einige Zeugen, die sich die Sache sehr angelegen sein lassen, die Vermessenheit gehabt haben, gegen sie aufzutreten. Unter andern –« und dabei knirschte er mit den Zähnen, als wollte er gewaltsam einige heftige Worte unterdrücken, die ihm bereits auf der Zunge schwebten; dann fuhr er sehr langsam fort: »Unter andern ein Gentleman, der Euer Treiben in Warwick-Street mit ansah: ein katholischer Gentleman, ein gewisser Haredale.«

Hugh hätte das Lautwerden dieses Namens gern verhindern mögen, aber er war bereits heraus. Barnaby hatte ihn kaum vernommen, als er sich rasch umwandte.

»Nimm auf deinen Dienst Bedacht, kühner Barnaby!« rief Hugh, indem er ihm hastig und in seiner wildesten Weise die Fahnenstange, welche gegen die Mauer gelehnt stand, in die Hand drückte. »Beziehe ohne Zeitverlust deine Wache, denn wir treten jetzt unsern Feldzug an. Auf, Dennis, und macht Euch bereit. Sorge dafür, daß Niemand die Streu von meiner Schlafstätte wegnimmt, Barnaby; wir wissen, was darunter liegt – he? Nun, Meister, rasch! Sagt schnell, was Ihr zu sagen habt, denn der kleine Capitän ist mit einem Haufen der Unsrigen in den Feldern und wartet auf uns. Jetzt gilt es Hurtigseyn, und Zuschlagen ist das Feldgeschrei. Geschwinde!«

Gegen ein solches Drängen und Treiben war Barnaby nicht fest genug. Der gemischte Blick des Erstaunens und Unwillens, als er sich zu ihnen wandte, entschwand wieder, sobald die Worte seinem Gedächtniß entflogen waren, wie ein Hauch von einem blanken, Spiegel. Er umfaßte die Waffe, welche ihm Hugh aufzwängte, und nahm stolz an der Thüre seine Stellung, wo er von dem Gespräch nichts mehr hören konnte.

»Ihr hättet uns unsern ganzen Plan verderben können, Meister,« sagte Hugh. »Und noch obendrein von allen Menschen gerade Ihr!«

»Wer hätte auch denken können, daß er so rasch seyn würde?« entschuldigte sich Gashford.

»Er ist bisweilen so rasch – ich meine nicht gerade mit seinen Händen, denn davon habt Ihr Proben, sondern mit seinem Verstande – so rasch, als Ihr, oder irgend ein anderer Mensch,« sagte Hugh. »Dennis, es ist Zeit zum Aufbrechen. Sie warten auf uns, und ich kam nur her, um es Euch zu sagen. Gebt mir meinen Stock und meinen Gürtel. So! legt auch mit Hand an, Meister. Werft mir dieß über die Schulter und schnallt es hinten zu, wollt Ihr so gut seyn?«

»Hurtig wie immer!« entgegnete der Sekretär, indem er ihm den Willen that.

»Heute gilt's wohl, hurtig zu seyn; 's ist auch ein hurtiges Geschäft abzumachen.«

»Gibt es wirklich so etwas?« sagte Gashford.

Diese Frage wurde mit einer so verzweifelt künstlichen Miene der Unwissenheit gestellt, daß Hugh hastig über seine Schulter nach dem Sekretär hinuntersah und erwiederte:

»Ob es wirklich so etwas gibt? Daß wißt Ihr selber! Wer könnte besser wissen, als Ihr, Meister, daß der erste große Schritt, den wir thun, dahin gehen muß, an diesen Zeugen ein Exempel zu statuiren, so daß es Allen vergehen soll, gegen uns, oder gegen Einen von uns je wieder vor Gericht zu erscheinen?«

»Und Einen kennen wir,« entgegnete Gashford mit nachdrücklichem Lächeln,« der wenigstens eben so gut als Ihr oder ich hievon überzeugt ist?«

»Wenn Ihr meinen Mann im Sinne habt, was vermuthlich der Fall ist,« entgegnete Hugh leise, »so will ich Euch nur so viel sagen – er ist von Allem so gut und schnell unterrichtet, als –« hier hielt er inne und schaute umher, als wollte er sich überzeugen, daß die fragliche Person nicht in Hörweite sey – »wie der Teufel selber. Seyd Ihr noch nicht fertig. Meister? Ei, wie langsam das geht««

»'s ist jetzt gehörig fest,« sagte Gashford aufstehend. »Nur Eines noch. Ihr fandet nicht, daß unser Freund den heutigen kleinen Ausflug mißbilligt? Ha, ha, ha! Zum Glück fällt es mit Eurer Politik gegen die Zeugen zusammen; denn ist der Plan einmal entworfen, so muß er auch ausgeführt werden. Und nun geht Ihr, he?«

»Nun gehen wir, Meister,« versetzte Hugh. »Habt Ihr uns zum Abschiede noch etwas aufzutragen?«

»O mein Gott, nein,« sagte Gashford mit süßer Stimme. »Durchaus nichts.«

»Seyd Ihr fertig?« rief Hugh, den grinsenden Dennis anstoßend.

»Zuverlässig – wie ist's, Herr Gashford?« kicherte der Henker.

In Gashford stritten sich einige Augenblicke Vorsicht und Bosheit, dann stellte er sich zwischen die beiden Männer, legte auf den Arm eines Jeden eine Hand und sagte mit beklommenem Flüstern:

»Ihr vergeßt doch nicht, meine guten Freunde – ich bin überzeugt, ihr werdet nicht – vergessen, was wir kürzlich – in Eurem Hause, Dennis – über diese Person gesprochen haben. Kein Erbarmen, keine Schonung; keine zwei Balken seines Hauses müssen stehen bleiben, wo sie der Zimmermann hingesetzt hat! Das Feuer, lautet ein Sprichwort, ist ein guter Knecht, aber ein schlimmer Meister. Möge es ihn meistern; er verdient's nicht besser. Ich baue auf euch, daß ihr fest und entschlossen seyn werdet; ich bin überzeugt, Ihr werdet euch erinnern, daß er nach eurem Blute dürstet und nach dem Blute aller eurer braven Kameraden. Wenn ihr je als kräftige Bursche gehandelt habt, so zeigt euch heute als solche. Wollt Ihr das, Dennis – wollt Ihr das, Hugh?«

Die Beiden sahen zuerst den Sprecher und dann sich selbst an; endlich aber brachen sie in ein schallendes Gelächter aus, schwangen die Stäbe über ihren Häuptern, drückten sich die Hände und eilten hinaus.

Eine kleine Weile nach ihnen verließ auch Gashford das Gebäude, und er sah sie noch, wie sie nach jenem Theile der anliegenden Felder eilten, wo sich ihre Kameraden bereits aufgestellt hatten. Hugh schaute zurück und schwenkte seinen Hut gegen Barnaby, der, ganz entzückt über das ihm erwiesene Vertrauen, in derselben Weise antwortete und dann wieder vor der Stallthüre auf- und abschritt, wo seine Füße bereits einen Pfad eingetreten hatten. Und als Hugh aus der Entfernung zum letzten Mal zurückblickte, marschirte er noch immer mit denselben gemessenen Schritten auf und nieder – der treueste und fröhlichste Kämpe, der je auf einem Posten gestanden hat. Sein Herz fühlte sich von edlem Pflichtgefühl gehoben, und der feste Entschluß wurzelte in seiner Seele, den ihm übertragenen Dienst bis auf's Aeußerste zu erfüllen.

Lächelnd über die Einfalt des armen Verrückten, vermied Gashford auf seinem Wege nach Welbeck-Street die Richtung, welche, wie er wußte, die Aufrührer einschlagen würden, und setzte sich in einem der oberen Gemächer von Lord George Gordon's Wohnung hinter einen Vorhang, wo er ungeduldig ihrer Ankunft harrte. Sie blieben indeß so lange aus, daß er schon zu besorgen anfing, sie möchten, trotz ihrer Uebereinkunft, dieses Wegs zu kommen, ihren Plan geändert und eine andere Straße eingeschlagen haben. Endlich hörte er jedoch ihre Stimmen durch die benachbarten Felder brüllen, und bald nachher kamen sie zu Haufen angedrängt.

Sie bildeten übrigens nicht eine Masse, sondern waren, wie er bald entdeckte, in vier Corps getheilt, von denen jedes vor dem Hause stehen blieb, um einen dreimaligen Hurrahruf auszubringen, und dann weiter zog. Die Anführer riefen, welche Richtung sie einschlügen, und forderten die Zuschauer auf, sich ihnen anzuschließen. Die erste Abtheilung, die statt der Banner einige Reliquien aus der in den Moorfeldern zerstörten Kapelle mit sich führte, gab vor, daß sie nach Chelsea zöge, von wo aus sie in derselben Ordnung zurückkehren wollte, um von der dort gemachten Beute in der Nähe ein großes Freudenfeuer anzuzünden. Die zweite sagte, sie ziehe nach Wapping, um daselbst eine Kapelle zu zerstören; die dritte bezeichnete als ihren Bestimmungsort East-Smithfield, und als Zweck ihres Ausflugs eine ähnliche Heldenthat. Alles dieß geschah an einem lichten, hellen Sommertag. Prächtige Equipagen und Wagen machten Halt, um sie vorbei zu lassen, oder fuhren eine andere Straße, um ihnen auszuweichen. Die Spaziergänger stellten sich seitwärts in die Thorwege oder pochten vielleicht an eine Thüre und baten um die Erlaubniß, an ein Fenster oder in die Halle treten zu dürfen, bis die Aufrührer vorüber wären; aber Niemand legte ihnen etwas in den Weg, und sobald der Zug weg war, ging Alles seinen gewohnten Gang.

Aber noch gab es eine vierte Abtheilung, und nach dieser sah sich der Sekretär mit der gespanntesten Neugierde um. Endlich kam auch sie heran. Sie war zahlreich und bestand aus auserlesenen Leuten; denn als er darnach hinunterschaute, bemerkte er unter den aufwärts gekehrten Gesichtern viele bekannte – die von Simon Tappertit, Hugh und Dennis natürlich ganz vorne. Sie machten Halt und riefen ihr Hurrah, wie die Uebrigen; aber als sie weiter zogen, unterließen sie es, den Zweck ihres Ausflugs anzukündigen; Hugh steckte blos seinen Hut auf den Knüttel, den er führte, blickte nach einem Zuschauer auf der andern Seite des Weges und war verschwunden.

Gashford folgte unwillkürlich der Richtung jenes Blickes und bemerkte dort auf dem Pflaster Sir John Chester mit einer blauen Kokarde. Er hatte seinen Hut ein paar Zolle über den Kopf erhoben, um das Gesindel günstig für sich zu stimmen und sah, graziös auf sein Rohr gestützt und seinen Anzug, wie auch seine Person, im vortheilhaftesten Lichte zur Schau stellend, mit einem heiteren Lächeln und so ruhig, als man sich's nur denken konnte, zu. Trotz des Getümmels erkannte doch Gashfords rasches und gewandtes Auge schnell, daß er Hugh mit der Miene eines Gönners begrüßte. Jetzt achtete er nicht länger auf das Gedränge, sondern heftete seine scharfen Blicke auf Sir John.

Dieser verblieb an demselben Orte und in derselben Stellung, bis der letzte Mann im Haufen um die Straßenecke marschirt war; dann nahm er bedächtig die blaue Kokarde von seinem Hute, steckte sie sorgfältig in die Tasche, um sie beim nächsten Anlasse wieder benützen zu können, erfrischte sich mit einer Prise Tabak und schlug seine Dose zu; dann ging er langsam weiter, bis er auf einen Wagen traf, an welchem die Hand einer Dame das Fenster herunterließ. Im Augenblicke hatte Sir John den Hut wieder in der Hand. Nach einer kurzen Besprechung durch das Wagenfenster, in welcher er sich augenscheinlich über den Pöbelaufstand luftig machte, sprang er leichten Fußes in die Equipage und fuhr mit fort.

Der Sekretär lächelte; da ihm jedoch andere Gedanken zu schaffen machten, so ließ er bald diesen Gegenstand fahren. Die Mahlzeit, welche ihm gebracht wurde, schickte er unberührt wieder hinunter, worauf er die vier schleppenden Stunden mit Auf- und Abgehen im Zimmer, beharrlichem Aufsehen nach der Uhr und manchen vergeblichen Versuchen, niederzusitzen und etwas zu lesen, zu schlafen, oder zum Fenster hinauszuschauen, verbrachte. Als ihn der Zeiger endlich belehrte, daß diese Zeit verstrichen war, stahl er sich nach dem Giebel des Hauses hinauf, stieg auf das Dach und setzte sich, das Gesicht gegen Osten gerichtet, nieder.

Ohne Rücksicht auf den frischen Wind, der seine glühende Stirne umwehte, auf die lieblichen Gründe, denen er den Rücken kehrte, auf die Masse von Dächern und Schornsteinen, die vor ihm lagen, auf den Rauch und den aufsteigenden Nebel, den er vergebens zu durchdringen suchte, auf den kreischenden Lärm der Kinder bei ihren Abendspielen, auf das ferne Gesumme und Getümmel der Stadt, auf die heitere Landschaft, auf den erfrischenden Landwind, der über London hinrauschte, um hier zu ermatten und hinzusterben – ohne Rücksicht auf all' dieß lauschte und lauschte er, bis es dunkel wurde – die Lichtpunkte etwa ausgenommen, die auf den Straßen drunten und in der Ferne glitzerten – und je mehr sich die Schatten der Nacht vertieften, desto mehr strengte er seinen Blick an und desto gespannter wurden seine Züge.

»Noch immer nichts als Dunkel in dieser Richtung!« murmelte er unruhig. »Hund, wo ist die Röthe am Himmel, die du mir versprochen hast?«



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