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Achtundvierzigstes Kapitel.

Ungewiß, wohin sie zunächst gehen sollten, und verwirrt durch das Volksgedränge, das bereits auf den Beinen war, setzten sie sich in eine der Brückennischen, um auszuruhen. Bald bemerkten sie jedoch, daß der Menschenstrom sich nach einer Richtung hin ergoß, und daß große Haufen in ungewöhnlicher Eile von Middlesex aus nach dem Surreyufer übersetzten. Die Leute waren meistens zu zwei oder drei, bisweilen auch ein halb Dutzend beisammen, sprachen nur wenig mit einander – viele blieben ganz und gar stumm – und eilten vorwärts, als hätten sie nur Ein gemeinsames, alles verdrängendes Ziel im Auge.

Sie waren nicht wenig verwundert, als sie sahen, daß fast jeder in diesem großen Gewühle, das unablässig an ihnen vorbeizog, an seinem Hute eine blaue Kokarde trug, und daß die gelegentlichen Spaziergänger, welche dieser Dekoration entbehrten, ängstlich der Beobachtung oder einem Angriffe zu entgehen suchten, den Anderen, gleichsam zur Versöhnung, die Trottoirs einräumend. Dieß war jedoch sehr natürlich, da sie bei Weitem die Minderzahl bildeten, denn das Verhältniß der Kokardenträger gegen Diejenigen, welche wie gewöhnlich gekleidet waren, gestaltete sich mindestens wie vierzig oder fünfzig zu eins. Es kam indeß zu keinem Streite. Die blauen Kokarden schwärmten vorwärts, sich gegenseitig den Vorrang abzulaufen strebend, und sputeten sich so sehr, als es bei einer derartigen Volksmasse möglich war; dabei kommunizirten sie unter sich höchstens nur durch Blicke, während Diejenigen, welche nicht zu ihrer Zahl gehörten, gar nicht beachtet wurden.

Anfangs hatte sich der Menschenstrom auf die beiden Trottoirs beschränkt, und nur Wenige, die es besonders eilig hatten, bedienten sich der Mitte der Straße. Aber nach ungefähr einer halben Stunde war die Straße, völlig gesperrt durch das Gedränge, das jetzt, dicht in einander geteilt, und durch die Kutschen und Wagen gehindert, sich nur langsam vorwärts bewegen konnte und bisweilen sogar fünf oder zehn Minuten lang Halt machen mußte.

Nach dem Abfluß von beinahe zwei Stunden minderte sich die Masse sichtlich und wurde immer lichter und lichter, bis zuletzt die Brücke ganz frei war, hin und wieder einen Nachzügler ausgenommen, der, mit der Kokarde auf dem Hute und mit über die Schultern geworfenem Rocke, erhitzt und staubbedeckt vorbeikeuchte, um nicht zu spät zu kommen, oder Halt machte, um zu fragen, welche Richtung seine Freunde eingeschlagen hätten, und dann mit erneuerter Hast weiter eilte. In dieser verhältnißmäßigen Einsamkeit, die nach dem kürzlichen Gewühl nur um so auffallender und befremdender war, hatte die Wittwe zum erstenmal Gelegenheit, einen alten Mann, der sich an ihre Seite setzte, zu fragen, was denn dieser große Auflauf zu bedeuten habe.

»Ei, wo kommt Ihr denn her,« antwortete er, »daß Ihr nichts von Lord George Gordon's großer Association wißt? Heute ist der Tag, an dem er seine Petition gegen die Katholiken übergibt. Gottes Segen über ihn!«

»Aber was haben alle diese Menschen hiemit zu schaffen?« fragte sie.

»Was sie damit zu schaffen haben?« entgegnete der alte Mann. »Ei, wie Ihr auch schwatzt! Wißt Ihr denn nicht, daß Seine Lordschaft erklärt hat, er werde sie dem Hause gar nicht übergeben, wenn ihn nicht wenigstens vierzigtausend gute und getreue Männer an die Thüre begleiten? Das ist ein schönes Gedränge!«

»Allerdings ein Gedränge!« sagte Barnaby. »Hört Ihr das, Mutter?«

»Dem Vernehmen nach ziehen sie dort in Reih' und Glied auf, an die hunderttausend Mann stark,« fuhr der Alte fort. »Ah! Laßt Lord George nur machen. Er kennt seine Streitkräfte. Da wird's hübsch viele blasse Gesichter geben innerhalb der drei Fenster da drüben,« er deutete dabei in die Richtung, wo man das Haus der Gemeinen über die Themse herüber sehen konnte, »wenn der gute Lord George diesen Nachmittag über sie kommt – und zwar mit Recht. Ei ja. Laßt Seine Herrlichkeit nur machen – laßt ihn machen. Er versteht sich darauf!«

Und damit stand er, kinnwackelnd, kichernd und seinen Zeigefinger schüttelnd, unter Beihülfe seines Stockes auf und humpelte weiter.

»Mutter!« sagte Barnaby, »das ist ein braves Gedränge, von dem der Mann gesprochen hat. Kommt.«

»Aber doch nicht um uns dabei anzuschließen!« rief seine Mutter.

»Ja, ja,« antwortete er, indem er sie am Aermel zupfte. »Warum nicht? Kommt!«

»Du weißt nicht,« flehte sie, »was für Unheil sie im Schilde führen, zu was sie sich verleiten können und was sie vorhaben. Lieber Barnaby, um meinetwillen –«

»Um Euretwillen?« rief er, ihre Hand streichelnd. »Nun, es geschieht ja um Euretwillen, Mutter. Wißt Ihr nicht, was der blinde Mann von dem Golde sagte. Das ist ein tüchtiges Gedränge! Kommt! Oder wartet, bis ich zurückkomme – ja, ja, wartet hier.«

Sie versuchte mit allem Feuer, das ihr die Angst einflößte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber vergeblich. Er beugte sich eben nieder, um seinen Schuh festzuschnallen, als hastig eine Miethkutsche heranfuhr und eine Stimme von Innen dem Kutscher Halt zu machen gebot.

»Junger Mann,« rief die Stimme von Innen.

»Wer ist das?« rief Barnaby aufschauend.

»Willst du diesen Hutschmuck tragen?« entgegnete der Fremde, eine blaue Kokarde herausbietend.

»Um Gotteswillen, nein. Ich bitte, gebt es ihm nicht!« rief die Wittwe.

»Sprecht für Euch selbst, Frau,« sagte der Mann in der Kutsche kaltblütig, »und laßt diesem jungen Manne freie Wahl. Er ist alt genug, um einen Entschluß zu fassen und sich von Eurer Schürze loszureißen, Er weiß, ohne daß Ihr's ihm zu sagen braucht, ob er das Zeichen eines loyalen Engländers tragen will oder nicht.«

Zitternd vor Ungeduld, rief Barnaby: »Ja, ja, ja, ich will's!« wie er wohl schon ein Dutzendmal gerufen hatte. Der Mann warf ihm die Kokarde zu und erwiederte: »So eilt nach Saint George's Fields!« worauf er dem Kutscher schnell zu fahren befahl und sie zurückließ.

Mit Händen, die vor Begierde zitterten, suchte Barnaby den Tand, so gut er konnte, auf seinem Hut fest zu machen, während er zugleich die Thränen und Bitten seiner Mutter zu beschwichtigen suchte, als zwei Herren auf der andern Seite des Weges vorübergingen. Wie sie Barnaby's Beschäftigung bemerkten, machten sie Halt, flüsterten mit einander, kehrten um und kamen auf sie zu.

»Warum sitzt Ihr hier?« fragte der Eine, der ganz schwarz gekleidet war, ein langes, schlichtes Haar trug und einen großen Stock mit sich führte. »Warum seyd Ihr nicht mit den Uebrigen gegangen?«

»Ich bin im Begriffe, Sir« versetzte Barnaby, der jetzt mit seinem Geschäfte zu Ende war und mit stolzer Miene den Hut aufsetzte. »Ich werde im Augenblick dort seyn.«

»Ihr müßt Mylord sagen, junger Mann, wenn seine Herrlichkeit Euch die Ehre erweist, Euch anzureden,« sagte der zweite Gentleman mit sanfter Stimme. »Wenn Ihr Lord George Gordon nicht von Angesicht kennt, so ist es jetzt hohe Zeit, daß Ihr ihn kennen lernt.«

»Nicht doch, Gashford,« entgegnete Lord George, als Barnaby seinen Hut wieder abriß und einen tiefen Bückling machte. »Das hat nichts zu bedeuten an einem Tage, wie dieser, dessen sich jeder Engländer mit Stolz und Entzücken erinnern wird. Setzt Euren Hut auf, Freund, und folgt uns, denn wenn Ihr länger zögert, so werdet Ihr zu spät kommen. Es ist jetzt Zehn vorbei. Wußtet Ihr nicht, daß die Volksversammlung auf zehn Uhr anberaumt war?«

Barnaby schüttelte den Kopf und sah mit einem leeren Blick von dem Einen auf den Andern.

»Das hättet Ihr wissen können, Freund,« sagte Gashford, »denn es wurde genau ausgemacht. Wie kommt's, daß Ihr so übel unterrichtet seyd?«

»Er kann's Euch nicht sagen, Sir« legte sich die Wittwe in's Wort. »Es ist nutzlos, solche Fragen an ihn zu stellen. Wir kommen erst diesen Morgen weit vom Lande her und wissen nichts von diesen Dingen.«

»Die gute Sache hat tiefe Wurzel gefaßt und ihre Zweige nahe und fernhin verbreitet,« sagte Lord George zu seinem Sekretär. »Das ist eine sehr erfreuliche Kunde. Ich danke dem Himmel dafür!«

»Amen!« rief der Sekretär mit einem feierlichen Gesichte.

»Ihr versteht mich nicht, Mylord,« entgegnete die Wittwe. »Verzeiht mir, aber Ihr habt meine Meinung grausam mißverstanden. Wir wissen nichts von diesen Sachen. Wir haben weder den Wunsch noch das Recht, uns dem anzuschließen, was Ihr vorhabt. Dieß ist mein Sohn, mein armer, unglücklicher Sohn, der mir theurer ist, als das eigene Leben. Im Namen der Barmherzigkeit, Mylord, geht allein Eures Weges, und verlockt ihn nicht in Gefahren.«

»Meine gute Frau,« versetzte Gashford, »wie könnt Ihr – du mein Himmel! – was sprecht Ihr da von Verlocken und von Gefahren? Meint Ihr denn, Seine Herrlichkeit sey ein brüllender Löwe, der da auszieht und sucht, wen er verschlinge? Gott behüte mich!«

»Nein, nein, Mylord, verzeiht mir,« flehte die Wittwe, die in ihrem Eifer kaum wußte, was sie sagte oder that, beide Hände auf die Brust drückend, »aber es sind Gründe vorhanden, um deren willen Ihr die ernste Bitte einer Mutter hören müßt. Laßt mir meinen Sohn – oh, laßt mir ihn. Ach Gott, er ist ja nicht recht bei Sinnen!«

»Es ist ein böses Zeichen für die Verderbtheit dieser Zeiten,« sagte Lord George, ihrer Bemerkung ausweichend und hoch erröthend, »daß Diejenigen, welche an der Wahrheit halten und die rechte Sache unterstützen, für verrückt erklärt werden. Habt Ihr das Herz, dieß von Eurem Sohne zu sagen, unnatürliche Mutter?«

»Ich bin ganz erstaunt über Euch« sprach Gashford mit einer Art von demüthigem Ernste. »Das ist in der That ein recht trauriges Bild weiblicher Verworfenheit.«

»Er sieht doch gewiß nicht danach aus,« flüsterte Lord George, mit einem Blicke auf Barnaby seinem Sekretär in's Ohr, »als ob es nicht richtig mit ihm stände? Und selbst wenn es wäre, müßten wir da nicht jede unbedeutende Eigenthümlichkeit für Verrücktheit erklären? Welcher von uns« – und hier erröthete er abermals – »würde sicher seyn, wenn man dieß zur allgemeinen Norm machte?«

»Keiner,« versetzte der Sekretär; »denn je größer in dieser Sache der Eifer, die Wahrheitsliebe und das Talent, je entschiedener die Begeisterung von Oben – desto erwiesener würde die Verrücktheit seyn. Was diesen jungen Mann anbelangt, Mylord,« fügte er mit leicht gekräuselter Lippe bei, als er Barnaby anschaute, der seinen Hut in der Hand drehend, ihnen verstohlen winkte, weiter zu gehen, »so ist er so verständig und vernünftig, als ich nur je einen gesehen habe.«

»Und Ihr habt also den Wunsch, Euch diesem großen Verbande anzuschließen?« sprach Lord George zu Barnaby. »Ihr beabsichtigt wirklich, ihm beizutreten?«

»Ja – ja,« antwortete Barnaby mit leuchtenden Augen. »Freilich hatte ich diese Absicht! Ich sagte ihr's eben selbst.«

»Ich sehe« entgegnete Lord George mit einem vorwurfsvollen Blick auf die unglückliche Mutter. »Ich dachte mir's gleich. Folgt mir und diesem Herrn, und Eurem Verlangen soll willfahrt werden.«

Barnaby küßte seine Mutter zärtlich auf die Wange, hieß sie guten Muthes seyn, da ihr beiderseitiges Glück jetzt gemacht wäre, und that, wie von ihm verlangt wurde. Sie, die arme Frau, folgte gleichfalls – aber mit wie vielen Aengsten, mit welchem Kummer, das wäre schwer zu sagen.

Sie gingen rasch durch die Brückenstraße. Die Läden waren alle geschlossen, denn der Durchzug des Pöbelhaufens und seine voraussichtliche Zurückkehr hatte die Handelsleute um ihre Waaren und Fenster besorgt gemacht, und aus den obern Stockwerken sahen die dort versammelten Bewohner mit dem Ausdrucke der Unruhe, der Theilnahme, der Erwartung und des Unwillens in die Straße hinunter. Einige klatschten Beifall, Andere zischten; aber ohne auf diese Unterbrechungen zu achten – denn das Getümmel eines ungeheuren Volksauflaufes ganz in der Nähe tönte wie ein brausendes Meer in seinen Ohren – beschleunigte Lord George Gordon seinen Schritt und langte alsbald auf Saint George's Fields an.

Sie waren damals in der That weiter nichts als Felder, und zwar von einem sehr beträchtlichen Umfange. Es war daselbst eine endlose Volksmasse mit Fahnen der verschiedensten Art und Größe, aber alle von derselben Farbe – blau, wie die Kokarden – versammelt; ein Theil marschirte in militärischer Parade auf und ab, während andere in Kreisen, Vierecken und Reihen aufgestellt waren. Eine große Anzahl, sowohl von den beweglichen Corps, als von denen, die stehen blieben, beschäftigte sich mit dem Absingen von Hymnen und Psalmen. Jedenfalls war dieß ein gut berechneter Gedanke, von wem er auch ausgegangen seyn mochte, denn der Lärm von so vielen tausend Stimmen in der Luft mußte Jedem das Herz im Leibe erschüttern und einen wundervollen Eindruck auf Schwärmer üben, gleichviel, ob in einer gerechten, oder mißverstandenen Sache.

Der Haufen hatte Posten ausgestellt, um die Ankunft des Führers zu melden; sobald man diesen anlangen sah, verbreitete sich die Kunde rasch durch das ganze Heer, und eine kurze Weile beharrten sie in so tiefer Todtenstille, daß man sogar die Banner flattern hören konnte. Dann brachen sie in ein dreimaliges schreckliches Geschrei aus, das, wie der Donner von grobem Geschütze, die Luft zerriß und erschütterte.

»Gashford!« rief Lord George, den Arm seines Sekretärs fester drückend und mit eben so viel Aufregung in seinem Gesichte, als in seiner Stimme, »ich bin wahrlich berufen. Jetzt weiß und fühle ich es. Ich bin der Führer eines Heeres. Wenn sie mich in diesem Augenblicke einstimmig aufforderten, sie in den Tod zu führen, so würde ich es thun – ja, und gerne als der Erste fallen.«

»Es ist ein stolzer Anblick,« sagte der Sekretär. »Es ist ein edler Tag für England und für die große Sache durch die ganze Welt. Die Huldigung Mylord, wie sie ein geringer, aber ergebener Mann zollen kann –«

»Was beginnt Ihr?« rief sein Gebieter, ihn bei beiden Händen ergreifend; denn der Sekretär that dergleichen, als wolle er zu seinen Füßen niederknien. »Macht mich doch nicht untauglich für die feierliche Pflicht dieses ruhmreichen Tages, lieber Gashford.« Während dieser Worte standen dem armen Lord Thränen in den Augen. »Wir wollen in Ihre Mitte treten, um in irgend einer Abtheilung einen Platz für diesen neuen Rekruten aufzufinden – gebt mir Eure Hand.«

Gashford legte seine kalte tückische Hand in die seines Gebieters, und so mischten sie sich, von Barnaby und dessen Mutter gefolgt, in das Gewühl.

Man hatte daselbst wieder zu singen angefangen, und als der Agitator zwischen den Reihen hindurchging, strengten sie ihre Stimmen auf's Aeußerste an. Viele von denen, welche sich hier verbündet hatten, die Religion ihres Landes selbst mit ihrem Blute zu schützen, hatten in ihrem Leben nie eine Hymne oder einen Psalm gehört. Da aber diese Kerle meist starke Lungen besaßen und eine natürliche Freude am Singen hatten, so brüllten sie irgend ein Zotenlied oder sonstigen Unsinn, da sie ziemlich sicher seyn durften, in dem allgemeinen Chorus nicht bemerkt zu werden, obgleich sie's wenig bekümmert haben würde, wenn es auch der Fall gewesen wäre. Manche dieser Lieder wurden dem Lord George Gordon gerade vor der Nase abgesungen; da aber dieser den Text nicht kannte, so schritt er in seiner gewohnten steifen und feierlichen Haltung weiter, sehr erbaut und entzückt von dem frommen Benehmen seiner treuen Anhänger.

So gingen sie weiter, die eine Reihe hinauf, die andere herunter, dann um die Außenseite dieses Kreises, dann um alle vier Seiten jedes Quarrée's; und doch blieb immer noch eine Unzahl von Reihen, Quarrée's und Zirkeln zu mustern. Der Tag war jetzt sehr heiß geworden und die Sonne sandte ihre sengendsten Strahlen auf das Feld nieder, so daß Diejenigen, welche schwere Banner trugen, matt und müde zu werden anfingen. Die meisten aus dem Haufen hatten ihre Halstücher abgelegt und die Röcke sammt den Westen aufgeknöpft. Etliche im Mittelpunkte waren von der übermäßigen Hitze, die natürlich durch das Volksgedränge nur noch unerträglicher geworden war, so überwältigt, daß sie sich auf das Gras niederlegten und alles, was sie bei sich hatten, für einen Trunk Wasser boten. Demungeachtet aber verließ keiner (selbst diese fast Verschmachtenden nicht) den Platz; und obgleich Lord George der Schweiß aus allen Poren drang, ging er doch noch immer mit Gashford weiter. Barnaby und seine Mutter dicht an ihrer Ferse.

Sie waren eben an dem Ende einer etwa achthundert Mann starken Einzelnreihe angelangt, und Lord George wandte seinen Kopf, um zurückzuschauen, als ein lauter Schrei der Erkennung in jenem eigenthümlichen, halb erstickten Tone, den die menschliche Stimme unter freiem Himmel und in der Mitte eines großen Menschengewühls hat – gehört wurde, worauf ein Mann mit jubelndem Gelächter aus seinem Gliede trat und mit schwerer Hand Barnaby auf die Schulter schlug.

»Der Tausend auch!« rief er. »Barnaby Rudge! Ei, wo hast du denn in diesen hundert Jahren gesteckt?«

Der Geruch des niedergetretenen Grases hatte Barnaby eben den Gedanken an das Ballspiel in früheren Tagen, als er noch ein kleiner Knabe war, und auf dem Chigweller Rasen sich umtrieb, in's Gedächtniß zurückgeführt. Verblüfft durch diesen plötzlichen und lärmenden Gruß, stierte er den Mann mit wirren Blicken an, und kaum vermochte er hervorzustoßen:

»Was! Hugh?«

»Hugh?« wiederholte der Andere. »Ja, Hugh, der Maibaum-Hugh! Erinnerst du dich noch an meinen Hund? Er lebt noch und wird dich kennen, ich stehe dafür. Was, auch du trägst unsere Farbe? Recht so! Ha! ha! ha!«

»Ihr kennt diesen jungen Mann, wie ich sehe,« sagte Lord George.

»Ob ich ihn kenne, Mylord? so gut als meine eigene rechte Hand. Auch unser Capitän kennt ihn. Wir Alle kennen ihn.«

»Wollt Ihr ihn in Eure Abtheilung aufnehmen?«

»Sie hat keinen besseren, hurtigeren oder thätigeren Mann, als Barnaby Rudge,« sagte Hugh. »Den möchte ich sehen, der dieß in Abrede zieht. Rücke ein, Barnaby. Er soll zwischen mir und Dennis marschiren, Mylord, und die schönste Seidenfahne in dieser tapfern Armee tragen,« fügte er bei, indem er Barnaby ein Banner einhändigte, das er den Händen eines ermüdeten Mannes abnahm.

»Um Gotteswillen, nein!« schrie die Wittwe, entsetzt vorwärts stürzend. »Barnaby – Mylord – ach, er wird nicht wieder zurückkommen – Barnaby – Barnaby!«

»Weiber im Feld?« rief Hugh, zwischen die Wittwe und ihren Sohn tretend und die Erstere zurückweisend. »He da! Capitän!«

»Was gibt's hier?« rief Simon Tappertit, eifrig herzueilend. »Ist das auch eine Ordnung?«

»Könnt's nicht sagen, Capitän,« antwortete Hugh, noch immer die Frau mit der ausgestreckten Hand zurückhaltend; »'s ist gegen alle Ordnung. Frauen wollen unsere tapferen Krieger ihrer Pflicht untreu machen. Das Commandowort, Capitän! Sie sollen abdefiliren. Hurtig!«

»Schließt Euch!« rief Simon aus vollem Halse. »Richt Euch! Marsch!«

Sie wurde zu Boden geworfen. Das ganze Feld kam in Bewegung; Barnaby war im Nu mitten in einen dichten Haufen hineingewirbelt, und sie sah ihn nicht mehr.



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