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Dreiundsechzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages hatte jedes Regiment in oder aus der Umgebung der Hauptstadt an einem oder dem andern Theile von London Dienst, und Reguläre, wie Milizen, begannen in Gemäßheit der Ordre, welche an jede Garnison und Kaserne im Umkreise von vierundzwanzig Stunden ergangen war, auf allen Straßen heranzuströmen. Aber die Unruhen hatten eine so furchtbare Höhe erreicht, und die Aufrührer waren durch die Ungestraftheit so keck und tollkühn geworden, daß der Anblick dieser Streitkräfte, welche jeden Augenblick Zuwachs erhielten, statt eines Zügels zu dienen, nur noch zu verwegeneren Unthaten reizte und in London eine Flamme anfachen half, wie sie die Geschichte selbst in den alten rebellischen Zeiten nicht kennt.

Schon den ganzen gestrigen Tag, und eben so auch heute hatte der Stadtkommandant sich alle Mühe gegeben, das Pflichtgefühl der Magistratspersonen, und insbesondere des Lordmayors, welcher der Furchtsamste und Feigste von Allen war, zu wecken. Zu diesem Ende schickte er mehrere Male ganze Kompagnien nach Mansion-House, um die Befehle des ersten Beamten der Stadt entgegenzunehmen. Dieser ließ sich jedoch weder durch Ueberredung, noch durch Drohungen bewegen, welche zu erlassen, und da deßhalb die Soldaten auf offener Straße stehen bleiben mußten, so stifteten diese lobenswerthen Bemühungen mehr Nachtheil als Gutes, da die Mannschaft unter solchen Umständen nichts weiter thun konnte, als dem schlimmen Spiele zuzuschauen. Sobald nämlich der Pöbel die Gesinnung des Lordmayors erfuhr, nahm er keinen Anstand, sich dieselbe zu Nutzen zu machen und damit zu prahlen, daß selbst die Civilobrigkeiten Gegner der Papisten wären und es nicht über's Herz bringen könnten, diejenigen zu bedrücken, die sich keines andern Vergehens schuldig gemacht hätten. Man trug Sorge dafür, daß die Soldaten diese Prahlereien hörten, und da der gemeine Mann einen natürlichen Widerwillen dagegen hat, sich mit dem Volke herumzubalgen, so kam man diesen Annäherungen bereitwillig genug entgegen; und wenn man die Soldaten fragte, ob sie auf ihre Landsleute Feuer geben wollten, so antworteten sie in der ehrlichsten und einfachsten Gutmüthigkeit: »Nein, sie wollten verdammt seyn, wenn sie dieß thäten.« Eine Folge davon war, daß bald die Ansicht die Oberhand gewann, das Militär gehöre zu den Antipapisten und sey vollkommen reif, der Ordre zu widerstreben und sich dem Pöbel anzuschließen. Gerüchte von seiner Hinneigung zur Sache des Volkes verbreiteten sich wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund, und so oft eine Abtheilung müßig in den Straßen oder Plätzen aufgestellt wurde, durfte man darauf rechnen, daß sich ein jubelnder Haufen um sie sammelte, der den Soldaten die Hände drückte und sie mit großer Freundschaft und Vertraulichkeit behandelte.

Die Rebellenschaaren hatten sich durch die ganze Stadt verbreitet und alle Verkappung und Heimlichkeit bei Seite gelegt. Wenn Einer aus dem Haufen Geld haben wollte, so brauchte er nur an die Thüre eines Wohnhauses zu klopfen, oder in einen Laden hineinzugehen und es im Namen der Aufrührer zu verlangen – eine Aufforderung, der augenblicklich willfahrt wurde. Wenn sich friedliche Bürger scheuten, Hand an die Einzelnen zu legen, so kann man sich leicht denken, daß sie, wo sie sich in Schaaren zusammengefunden hatten, vollkommen nach Belieben schalten und walten durften. Sie stellten sich in den Straßen auf, zogen nach Gutdünken hin und her und beriethen öffentlich ihre Anschläge. Alles Geschäftsleben hatte aufgehört; der größere Theil der Läden war geschlossen; die meisten Häuser ließen zum Zeichen ihrer Anhänglichkeit an die Volkssache eine blaue Fahne wehen, und selbst die Juden in Houndsditch, Whitechapel und ähnlichen Stadttheilen schrieben an ihre Thüren oder Fensterläden: »Dieses Haus ist ächt protestantisch.« Der Pöbel war jetzt das Gesetz, und nie wurde es mehr gefürchtet oder ihm unbedingter Folge geleistet.

Es war ungefähr sechs Uhr Abends, als ein ungeheuerer Haufen Gesindel auf jedem Zugang nach den Lincoln's-Inn-Fields strömte und sich – augenscheinlich zu Ausführung eines verabredeten Planes – in mehrere Abtheilungen trennte. Man darf jedoch nicht glauben, daß der ganze Haufen in den Anschlag eingeweiht gewesen, denn dieser war nur das Werk einiger Führer, die sich unter die Heranziehenden mischten, ihnen zuriefen, sich dieser oder jener Parthie anzuschließen, und die ganze Maßregel so rasch ausführten, als wäre sie von der Gesammtheit beschlossen worden, und als hätte Jedermann bereits vorher seinen Platz gekannt.

Man wußte recht wohl, daß die größte Abtheilung, welche ungefähr zwei Drittheile des Ganzen umfaßte, einen Angriff auf Newgate beabsichtigte. Es befanden sich darunter alle Aufrührer, welche sich in den früheren Schauderscenen einen Ruf erworben. Alle, die man als wagehälsige und zu jedem Unfug bereitwillige Kerle kannte, alle, deren Freunde sich unter den Gefangenen befanden, und eine große Anzahl von Gesindel, das mit den verhafteten Dieben und sonstigen Verbrechern in verwandtschaftlicher oder Geschäftsverbindung stand. Mehr als ein Weib hatte sich in Mannskleider gesteckt, um ein Kind oder einen Bruder zu retten. Auch waren da die beiden Söhne eines Mannes, über den das Todesurtheil schon ausgesprochen war und der mit drei Andern übermorgen hingerichtet werden sollte; deßgleichen eine große Anzahl von Jungen, deren beutelschneiderische Kameraden im Gefängniß saßen; und als Nachtrab gesellten sich dem Haufen ein paar Dutzend armseliger Weibsbilder, die Auswürflinge der Menschheit, bei, welche irgend ein anderes gefallenes Geschöpf, das eben so elend als sie selbst war, zu befreien suchten, oder sich vielleicht durch ein allgemeines Mitgefühl mit – Gott weiß welchen – Hoffnungslosen und Elenden verleiten ließen.

Alte Säbel und Pistolen ohne Kugeln und Pulver, Schmiedehämmer, Messer, Aexte, Sägen und aus Fleischbuden gestohlene Instrumente, ein Wald von Eisenstangen und hölzernen Keulen, lange Leitern zum Erklettern der Mauern, deren jede auf den Schultern von einem Dutzend Männer ruhte, angezündete Fackeln, mit Pech, Theer und Schwefel getränktes Werg, von den Zäunen abgerissene Pfähle und sogar Krücken, die man verkrüppelten Bettlern auf der Straße entrissen hatte, bildeten die Bewaffnung. Nachdem Alles bereit war, traten Hugh und Dennis, die Simon Tappertit in der Mitte hatten, an die Spitze. Brüllend und schnaubend, wie ein empörtes Meer, drängte der Pöbel nach.

Statt geraden Wegs Holborn zu und nach dem Gefängniß zu ziehen, wie Alle erwartet hatten, schlugen die Führer den Weg nach Clerkenwell ein, brausten eine ruhige Straße hinab und machten Halt vor dem Hause eines Schlossers – dem goldenen Schlüssel.

»Schlagt an die Thüre,« rief Hugh den ihn umringenden Leuten zu. »Wir brauchen heute Nacht Einen von seiner Zunft. Schlagt sie ein, wenn Niemand antwortet.«

Die Werkstatt war geschlossen, und da sowohl Thüre als Fensterladen stark und fest verwahrt waren, so that ihr Pochen keine Wirkung. Der ungeduldige Haufen erhob deßhalb den Ruf: »Steckt das Haus in Flammen!« und die Fackeln zogen sich bereits in den Vordergrund, als ein oberes Fenster aufgeworfen wurde und der stämmige alte Schlosser vor ihnen stand.

»Was soll das, ihr Hallunken?« fragte er. »Wo ist meine Tochter?«

»Stellt keine Fragen an uns, alter Mann,« entgegnete Hugh, indem er seinen Kameraden zum Schweigen winkte, »sondern kommt herunter und bringt Euer Arbeitsgeräth mit. Wir brauchen Euch.«

»Ihr braucht mich?« rief der Schlosser, auf die Uniform schauend, die er trug. »Ja, und wenn Einige, die ich nennen könnte, keine Hasenfüße wären, so solltet Ihr mich schon lang gehabt haben. Horch jetzt auf, Bursche – und ihr um ihn herum deßgleichen. Es gibt ein paar Dutzend unter euch, die ich sehe und kenne, und die von Stund' an todte Leute sind. Hinweg! und plündert einen Leichenbestatter, so lange ihr noch könnt! Ihr werdet ehestens etliche Särge brauchen.«

»Wollt Ihr herunterkommen?« rief Hugh.

»Willst du mir meine Tochter geben, du Schurke?« rief der Schlosser.

»Ich weiß nichts von ihr,« entgegnete Hugh. »Verbrennt die Thüre!«

»Halt!« rief der Schlosser mit einer Stimme, daß Alle zurückwichen, indem er, während er sprach, ein Gewehr zum Vorschein brachte. »Ueberlaßt das einem alten Manne, dessen Ihr besser entrathen könnt.«

Der junge Kerl, der die Fackel hielt und sich vor der Thüre niedergebeugt hatte, stand bei diesen Worten hastig wieder auf und wich zurück. Der Schlosser ließ sein Auge über die aufwärts gekehrten Gesichter gleiten und hielt die Waffe gegen die Schwelle seines Hauses gerichtet. Sie hatte keinen andern Stützpunkt, als seine Schulter, aber sie war so fest, als das Haus selber.

»Wer den Versuch machen will, mag zuerst sein Gebet sprechen,« sagte er mit Nachdruck; »ich warne ihn.«

Einem Nebenstehenden die Fackel entreißend, trat Hugh mit einem Fluche vorwärts, als er plötzlich durch einen schrillen, durchbohrenden Schrei angehalten wurde. Er schaute in die Höhe und entdeckte auf dem Dachgiebel ein flatterndes Gewand.

Dann wieder ein Schrei und ein dritter, worauf eine kreischende Stimme rief: »Ist Simmun unten?« In demselben Augenblick streckte sich ein magerer Hals über die Böschung heraus, und Miggs, die sich in dem Schatten des Abends nur undeutlich erkennen ließ, kreischte fast wahnsinnig:

»Oh! Liebe Herren, laßt mich Simmun's Antwort hören von seinen eigenen Lippen. Sprecht zu mir, Simmun. Sprecht zu mir!«

Herr Tappertit, der sich durch dieses Compliment nicht sehr geschmeichelt fühlte, sah auf, hieß sie das Maul halten und befahl ihr, sie solle herunterkommen und die Thüre öffnen, denn sie brauchten ihren Meister und wollten sich nicht abweisen lassen.

»O gute Herren!« rief Miß Miggs. »O mein köstlicher, mein köstlicher Simmun –«

»Wollt Ihr einmal mit Eurem Unsinn aufhören und herunterkommen, um uns die Thüre zu öffnen? – Gabriel Varden, setzt Euer Gewehr nieder, oder es geht Euch schlecht.«

»Kehrt Euch nicht an sein Gewehr,« rief Miggs. »Simmun und ihr anderen Herren, ich habe einen Krug voll Dünnbier in den Lauf hineingegossen?«

Die Menge stieß einen lauten Schrei aus, dem ein schallendes Gelächter folgte.

»Es würde nicht losgehen, und wenn man es bis an die Mündung lüde,« rief Miggs. »Simmun und ihr anderen Herren, ich bin in dem vorderen Dachstübchen eingeschlossen, durch die kleine Thüre rechter Hand, wenn ihr schon glaubt, ganz oben auf der Treppe zu seyn – und auf der Erkerstiege nehmt euch in Acht, den Kopf nicht gegen die Querbalken zu stoßen und nicht auf die eine Seite zu treten, damit ihr nicht durch die Balken und den Mörtel des zweipaarigen Schlafzimmers fallt, weil dieselben nicht halten, sondern gerade im Gegentheil. Simmun und ihr anderen Herren, ich bin zwar hier eingesperrt, aber meine Bemühungen sind immer gewesen, und werden es stets seyn, es mit der rechten Seite – mit der gesegneten Seite – zu halten und den Pabst von Babylon zu verfluchen und alle seine inneren und äußeren Werke, welches heidnisch ist. Ich weiß wohl, meine Gesinnungen kommen nicht viel in Betracht,« rief Miggs mit noch schneidenderer Stimme, »denn meine Stellung ist nur die einer Dienerin und daher nur niedrig; aber demungeachtet will ich meine Gefühle kundgeben und mein Vertrauen auf Diejenigen setzen, welche meine Gesinnung theilen!«

Ohne viel auf diese Ergießungen der Jungfer Miggs zu achten, nachdem sie einmal den Thatbestand hinsichtlich des Gewehres veröffentlicht hatte, legten die Aufrührer eine Leiter an das Fenster, wo der Schlosser stand, und, obgleich er es schloß, verriegelte und männlich vertheidigte, so hatten sie doch in einem Nu Scheiben und Rahmen zertrümmert und so sich einen Eingang erzwungen. Er theilte zwar etliche Schläge aus, befand sich aber bald wehrlos in der Mitte eines wüthenden Haufens, der die Stube überschwemmte und an Thüre und Fenster in einen wirren Haufen von Gesichtern auslief.

Man war sehr ergrimmt über ihn (denn er hatte zwei Männer verwundet), und die Hintersten riefen den Vorderen zu, man solle ihn hinausschaffen und an einen Laternenpfahl hängen. Aber Gabriel blieb furchtlos und sah von Hugh und Dennis, die ihn an den Armen hielten, auf Simon Tappertit, der ihm gegenüberstand.

»Ihr habt meine Tochter gestohlen,« sagte der Schlosser,« die mir weit, weit theurer ist, als mein Leben. Ihr mögt es daher immer nehmen, wenn Ihr Lust habt! Gott sey Dank, daß er es mir möglich machte, meinem Weib diese Scene zu ersparen, und daß er mir ein Männerherz in die Seele legte, das keine Schonung und Gnade von Händen, wie die Eurigen, verlangt.«

»Ja, Ihr seyd ein wackerer alter Herr,« sagte Dennis beifällig, »und drückt Euch wie ein Mann aus. Was liegt daran, Bruder, ob's heute Nacht der Laternenpfahl ist, oder in den nächsten zehn Jahren ein Federbette, he?«

Der Schlosser warf ihm einen Blick der Verachtung zu, ohne ihn einer andern Antwort zu würdigen.

»Ich für meinen Theil,« sagte der Henker, dem der Vorschlag mit dem Laternenpfahl besonders gefiel,« ehre Eure Grundsätze. Sie sind ganz die meinigen. Bei solchen Gesinnungen,« und hier bekräftigte er seine Worte mit einem Fluche, »bin ich bereit, Euch oder jedem Andern auf dem halben Wege entgegenzukommen – habt Ihr nicht irgendwo ein Endchen Strick zur Hand? Nun, wenn's nicht ist, so braucht Euch das keine Sorge zu machen. Ein Schnupftuch thut's auch.«

»Seyd kein Narr, Meister,« flüsterte Hugh, indem er Varden rauh an der Schulter faßte, »sondern thut, was man Euch heißen wird. Ihr sollt bald hören, was man von Euch verlangt. Sträubt Euch nicht.«

»Auf dein Geheiß oder auf das Geheiß eines dieser Spitzbuben hier werde ich nichts thun,« entgegnete der Schlosser. »Wenn man einen Dienst von mir will, so kann man sich die Mühe sparen, ihn mir namhaft zu machen. Ich sage Euch vornweg, ich thue nichts für Euch.«

Herr Dennis war durch diese Beharrlichkeit des wackern alten Mannes so gerührt, daß er – fast mit Thränen in den Augen betheuerte, es sey eine Grausamkeit und eine unverantwortliche Härte, seinen Neigungen in den Weg zu treten, und er könne dieß nun und nimmermehr mit seinem Gewissen vereinigen. »Der Gentleman,« sagte er, »habe sich in deutlichen Worten für bereit erklärt, sich abthun zu lassen, und in diesem Falle betrachte er es für die Pflicht eines aufgeklärten und civilisirten Volkshaufens, ihn auch wirklich abzuthun. Es komme nicht oft vor,« bemerkte er,« daß es in ihre Macht gegeben sey, sich den Wünschen Derjenigen anzubequemen, von deren Ansichten sie unglücklicherweise abwichen. Da man also jetzt ein Individuum gefunden habe, welches ein Verlangen kundgebe, das man vernünftigerweise erfüllen könne (und er für seine Person nehme sich die Freiheit, zu bekennen, daß seiner Ansicht gemäß dieser Wunsch den Gefühlen dessen, der ihn ausgesprochen, große Ehre mache), so hoffe er, man werde sich dafür entscheiden, den Vorschlag ohne Weiteres anzunehmen. Es sey ein Experiment, das, wenn es geschickt ausgeführt werde, zur Beruhigung und Zufriedenheit aller Theile in fünf Minuten vorüber sey, und obgleich es ihm (Herrn Dennis) nicht zieme, sich selber zu loben, so versehe er sich's doch zu seinen verehrlichen Committenten, daß man es ihm zu gute halte, wenn er sage, er habe praktische Kenntnisse in der Sache, weßhalb er, da er von Natur aus einen humanen Charakter besitze und den Leuten gerne zu Gefallen lebe, den Gentleman mit allem Vergnügen abthun wolle.«

Diese Bemerkungen, die inmitten eines fürchterlichen Lärms und Tumults an die zunächst Stehenden gerichtet waren, wurden mit großem Wohlgefallen aufgenommen – vielleicht nicht so fast wegen des Henkers Beredtsamkeit, sondern weil sich der Schlosser so störrisch benahm. Gabriel wußte wohl, daß er in der größten Gefahr stand; demungeachtet aber beharrte er auf einem hartnäckigen Schweigen, und er würde nicht gesprochen haben, selbst wenn sich's darum gehandelt hätte, ihn bei langsamem Feuer lebendig zu braten.

Als der Henker noch sprach, gab es einige Unruhen und Verwirrung auf der Leiter draußen, und sobald er zu Ende war – so unmittelbar nach seinem Verstummen, daß der Haufen unten keine Zeit hatte, zu erfahren, was gesagt worden war, oder eine Erwiederung zu brüllen – rief Jemand an dem Fenster:

»Es ist ein alter Mann mit grauem Haupte, thut ihm nichts zu Leide.«

Der Schlosser wandte sich verdutzt nach der Stelle, woher diese Worte gekommen waren, »und blickte hastig auf die Leute, welche an der Leiter hingen und sich aneinander anklammerten.

»Ihr braucht keine Achtung vor meinem grauen Haupte zu haben, junger Mann,« erwiederte er der Stimme, obgleich er den Sprecher nicht sah. »Ich verlange es nicht. Mein Herz ist noch jung genug, um euch Alle sammt und sonders zu verachten – Räuber und Mordbrennerpack, das ihr seyd!«

Diese unvorsichtige Sprache diente keineswegs dazu, die Wildheit des Haufens zu beschwichtigen. Es erklang daher auf's Neue der Ruf, daß man ihn hinausschaffen solle, und es wäre dem ehrlichen Schlosser wohl schlimm ergangen, wenn Hugh seine Genossen nicht erinnert hätte, daß man seiner Dienste benöthigt sey und sie haben müsse.

»Theilt ihm also unser Begehren mit,« sagte er zu Simon Tappertit, »und zwar hurtig. Thut jetzt Eure Ohren auf, Meister, wenn Ihr sie je späterhin wieder brauchen wollt.«

Gabriel schlug die Arme, die man ihm jetzt frei gelassen hatte, übereinander und sah seinen früheren Lehrling schweigend an.

»Schaut, Varden,« begann Sim, »wir müssen nach Newgate.«

»Das weiß ich,« entgegnete der Schlosser. »Er hat nie ein wahreres Wort gesprochen, als dießmal.«

»Um es niederzubrennen, meine ich,« sagte Simon. »Wir wollen die Thore einbrechen und die Gefangenen in Freiheit setzen. Ihr habt das Schloß an dem Hauptportale machen helfen?«

»Das ist wahr,« versetzte der Schlosser. »Er wird aber bald sehen, daß Er mir dafür nicht zu Danke verpflichtet ist.«

»Kann seyn,« erwiederte sein ehemaliger Geselle; »aber Ihr müßt uns zeigen, wie man es aufbricht.«

»Muß ich?«

»Ja; denn Ihr versteht Euch darauf, und ich nicht. Ihr müßt mit uns kommen und es eigenhändig öffnen.«

»Wenn ich es thue,« sagte der Schlosser ruhig, »so mögen mir die Hände an den Gelenken abfallen, und Er, Simon Tappertit, soll sie als Epauletten auf seiner Schulter tragen.«

»Das wollen wir schon sehen,« rief Hugh, sich in's Mittel legend, da der Zorn des Pöbels wieder losbrach. »Füllt einen Korb mit dem nöthigen Werkzeug, während ich ihn die Treppe hinunter schaffe. Ein paar von euch mögen unten die Thüre öffnen. Und ihr Andern da, leuchtet dem großen Capitän! Gibt's denn sonst nichts zu schaffen, meine Jungen, daß ihr nur da herstehen und brummen wollt?«

Sie schauten einander an, zerstreuten sich dann rasch und schwärmten durch das ganze Haus, um ihrer Gewohnheit gemäß zu plündern, zu zerschlagen und Alles, was ihnen gefiel, mitzunehmen. Es blieb ihnen indeß nicht viel Zeit dazu, denn der Korb war bald mit Handwerkszeug gefüllt und einem Manne über die Schultern geworfen. Sobald dieß geschehen und Alles für den Angriff bereit war, wurden die Plünderer aus den übrigen Gemächern nach der Werkstatt hinunter berufen. Sie waren bereits im Begriffe aufzubrechen, als ein Kerl, der zuletzt die Treppe heruntergekommen, vortrat und fragte, ob das junge Weibsbild in der Dachstube, die, wie er sagte, einen schrecklichen Lärm mache und ohne Unterlaß schreie, nicht in Freiheit gesetzt werden solle.

Simon Tappertit hätte für seine Person zuverlässig mit einem Nein geantwortet; der Haufe seiner Gefährten jedoch, der des guten Dienstes eingedenk war, den sie ihnen bei dem Gewehre geleistet hatte, war anderer Ansicht, und so blieb ihm keine andere Wahl, als Ja zu sagen. Der Mann ging daher zurück, um den Gegendienst zu üben, und erschien bald wieder mit Miß Miggs, die sehr schlaff, eingeknickt und vom vielen Weinen ganz feucht war.

Da die junge Dame auf dem Herwege kein Zeichen von Bewußtseyn an den Tag gelegt hatte, so berichtete der Träger, sie müsse entweder todt oder im Sterben seyn. In seiner Verlegenheit, was er mit ihr anfangen sollte, sah er sich nach einer passenden Bank oder nach einem Aschenhaufen um, worauf er die besinnungslose Gestalt zu legen gedachte, als sie plötzlich durch irgend ein mysteriöses Mittel auf die Beine kam, ihr Haar zurückwarf, Herrn Tappertit verwirrt anstarrte und in die Worte ausbrach:

»Mein Leben für Simmun ist kein Opfer!«

Dann sank sie mit solcher Behendigkeit in seine Arme, daß er wankte und unter seiner liebenswürdigen Last um einige Schritte zurücktaumelte.

»Ah, Possen!« sagte Herr Tappertit. »Da, halte sie Jemand. Sperrt sie wieder ein; man hätte sie nicht herauslassen sollen.«

»Mein Simmun!« rief Miß Miggs in Thränen und einer halben Ohnmacht; »Mein für immer und ewig gesegneter Simmun!«

»Haltet Euch aufrecht,« sagte Herr Tappertit mit unverantwortlicher Kälte, »oder wenn Ihr nicht wollt, so lasse ich Euch fallen. Was braucht Ihr da immer mit den Füßen auf dem Boden zu scharren?«

»Mein Engel Simmun!« murmelte Miggs – »er hat versprochen –«

»Versprochen? Gut, und ich will mein Versprechen halten,« antwortete Simon ärgerlich,« daß ich für Euch zu sorgen gedächte. Nun, so steht doch aufrecht.«

»Wo soll ich hingehen? Was soll aus mir werden nach dem, was ich in dieser Nacht gethan habe?« rief Miggs. »Welch ein Ruheplatz bleibt mir übrig, als in den stillen Gräbern?«

»Ich wollte, Ihr wäret in den stillen Gräbern; wahrhaftig,« rief Tappertit, »und obendrein in einem recht festen eingemauert. Da,« rief er einem der Umstehenden zu, welchem er etwas in's Ohr flüsterte. »Nehmt sie fort. Ihr habt verstanden, wohin?«

Der Bursche nickte mit dem Kopfe, nahm sie auf die Arme und brachte sie, ungeachtet ihrer abgebrochenen Betheuerungen und ihres Sträubens (welch letztere Art von Widerstand weit schwieriger zu bewältigen war, da sie das Kratzen mit inbegriff) aus dem Hause. Die Uebrigen strömten nach und auf die Straße hinaus. Der Schlosser wurde an die Spitze des Zuges gestellt und mußte zwischen seinen zwei Führern einhergehen. Der ganze Haufen kam rasch in Bewegung und ohne weiteren Lärm ging es geradezu auf Newgate los, wo sie in dichten Massen vor dem Gefängnißthore Halt machten.



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