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Sechzigstes Kapitel.

Das edle Kleeblatt wandte jetzt seine Schritte dem Stiefel zu, denn an diesem ihrem Sammelplatze gedachten sie die Nacht vollends zu verbringen, um in ihrer alten Höhle die Ruhe zu suchen, deren sie so sehr bedurften. Das abgekartete Unheil war ja jetzt gestiftet, das Werk der Zerstörung gelungen, ihre Gefangenen für die Nacht sicher untergebracht und sie fingen jetzt an, ihrer Ermüdung bewußt zu werden und die erschöpfenden Folgen ihrer Raserei zu fühlen, die so beklagenswerthe Resultate herbeigeführt hatte.

Aber ungeachtet der Mattigkeit und Erschlaffung, die auf ihm und seinen beiden Gefährten, wie auch auf Allen, die an ihrem nächtlichen Werke mitgeholfen, lasteten, brach Hughs lärmende Heiterkeit immer auf's Neue los, so oft er Simon Tappertit ansah, und machte sich – sehr zum Aerger dieses Gentlemans – in einem so brüllenden Gelächter Luft, daß schönstens zu besorgen stand, es möchte ihnen die Wache über den Hals bringen und sie in ein Scharmüzel verwickeln, dem sie in ihrem dermaligen Zustande keineswegs gewachsen seyn mochten. Sogar Herr Dennis, der es mit der Gravität und Würde nicht allzugenau nahm und sonst an der excentrischen Stimmung seines jungen Freundes Gefallen fand, nahm die Gelegenheit wahr, ihm sein unkluges Benehmen zu verweisen, das er als eine Art von Selbstmord prädizirte, und es gäbe ja doch nichts Lächerlicheres und Impertinenteres, als wenn sich Einer selbst abthue, ohne vom Gesetze ereilt zu werden.

Trotz dieser Verweise ließ Hugh kein Haar von seiner geräuschvollen Lustigkeit ab, wobei er Arm in Arm mit seinen Gefährten weiter stolperte, bis sie des Stiefels ansichtig wurden und nur noch ein paar Ackerlängen von dieser gemüthlichen Kneipe entfernt waren. Zu gutem Glücke hatte er inzwischen so viel gelärmt und geschrien, daß er nicht mehr weiter konnte. Sie gingen daher still vorwärts, als ein Kundschafter, der die ganze Nacht über in den Gräben umhergekrochen war, um allenfallsige Nachzügler zu warnen, damit sie sich einem so gefährlichen Grunde nicht weiter nähern möchten, vorsichtig aus seinem Verstecke auftauchte und ihnen zurief, daß sie Halt machen sollten.

»Halt machen? Und warum?« fragte Hugh.

Der Kundschafter erwiederte, das Haus sey diesen Nachmittag überfallen worden und jetzt mit Gerichtsdienern und Soldaten angefüllt. Die Einwohner hätten sich geflüchtet oder seyen in Gewahrsam genommen worden; er vermöge jedoch die Aufgegriffenen nicht namhaft zu machen. Er hätte Viele abgehalten, näher zu gehen, und meinte, sie hätten sich nach den Märkten und derartigen Plätzen begeben, um daselbst zu übernachten. Die fernen Feuer hatte er gesehen, aber sie waren jetzt alle erloschen. Auch die ab- und zugehenden Leute hätten davon gesprochen, und die allgemeine Stimmung sey Angst und Entsetzen. Von Barnaby, den er nicht einmal dem Namen nach kannte, hatte er kein Wort gehört, wohl aber wußte er aus Berichten, daß man einen Mann gefangen genommen und nach Newgate geführt habe. Für die Wahrheit oder Falschheit des Berichts konnte er jedoch nicht Gewähr leisten.

Auf diese Kunde hin hielten die drei Braven einen Kriegsrath und erwogen die besten Schritte, die sie jetzt einzuschlagen vermöchten. Hugh, der es für möglich hielt, daß sich Barnaby in den Händen der Soldaten befinde und derzeit noch im Stiefel bewacht werde, meinte, man solle verstohlen vorrücken und das Haus in Brand stecken; seine Gefährten jedoch, die keine Freunde von vorschnellen Maßregeln waren, wenn sie nicht einen tüchtigen Haufen im Rücken hatten, wendeten dagegen ein, daß Barnaby, im Falle er aufgegriffen worden, zuverlässig nach einem stärkeren Gefängniß gebracht worden sey, denn es könne den Soldaten nicht im Schlafe einfallen, sich seiner eine ganze Nacht durch an einem so schwachen und dem Angriffe so zugänglichen Orte versichern zu wollen. Solchen Gründen und ihrem Zuspruche nachgebend, fügte sich Hugh endlich in eine rückgängige Bewegung nach dem Fleet-Markte, wohin, wie es schien, einige ihrer kühnsten Genossen, nachdem sie eine ähnliche Nachricht erhalten, ihren Weg eingeschlagen hatten.

Neu gekräftigt und ermuthigt, da sie sich jetzt zur Thätigkeit gezwungen sahen, eilten sie weiter, ohne der Müdigkeit zu gedenken, der sie vor einigen Minuten beinahe erlegen waren, und langten bald an dem Orte ihrer Bestimmung an.

Der Fleet-Markt bestand damals aus einer langen, unregelmäßigen Reihe von hölzernen Schuppen und Scheunen und nahm den Mittelpunkt der heutigen Farringtonstraße ein. Die Gebäude lagen mitten auf dem Wege auf eine abscheuliche Weise in einander geschoben – recht eigentlich, um die Durchfahrt zu hindern und die Leute zu ärgern, welche sich, so gut sie konnten, durch Wagen, Körbe, Tragen, Schubkarren, Fässer, Kästen und Bänke einen Weg bahnen mußten, wobei sie natürlich alle Augenblicke an einen Lastträger, Höcker, Fuhrmann und an das Gedränge von Käufern und Verkäufern, Taschendieben, Landstreichern und Faullenzern anstoßen mußten. Die Luft war durch die Düfte faulen Obstes und Kräuterwerks, des Abfalles aus den Fleischbuden und hundertfältigen andern Unrathes parfümirt; denn es war damals bei allen öffentlichen Orten unerläßlich, daß sie auch öffentliches Aergerniß geben mußten, und der Fleet-Markt war diesem Prinzip zum Bewundern getreu.

Nach diesem Orte hatten sich viele Aufrührer nicht nur für diese Nacht, sondern auch für die zwei oder drei vorhergehenden verloren – sey es nun, weil die Schuppen und Körbe leidliche Schlafstellen abgaben, oder weil sich hier die Mittel vorfanden, im Nothfalle schnell Barrikaden errichten zu können. Es war jetzt bereits lichter Tag, aber ein kalter Morgen, und ein Haufen Gesindels hatte sich bereits um den Kamin einer Kneipe versammelt, wo heißes Wermuthbier getrunken, Tabak geraucht und neue Plane für den heutigen Tag geschmiedet wurden.

Hugh und seine zwei Freunde waren den meisten der Anwesenden bekannt, weßhalb man sie mit besonderen Beifallsbezeugungen aufnahm und ihnen die Ehrenplätze anwies. Die Stubenthüre wurde verschlossen, um unangenehme Eindringlinge ferne zu halten, und dann fing man an, Neuigkeiten auszutauschen.

»Wie ich höre, haben die Soldaten den Stiefel besetzt?« sagte Hugh. »Wer weiß etwas von der Sache?«

Es meldeten sich zwar Mehrere hiezu; da jedoch die Mehrzahl der Gesellschaft bei dem Angriffe auf den Kaninchenhag betheiligt und alle Anwesenden bei einer oder der andern nächtlichen Expedition beschäftigt gewesen waren, so stellte sich heraus, daß Keiner mehr wußte, als Hugh selbst, denn sie waren Alle nur von andern, oder durch den Kundschafter verwarnt worden, weßhalb sie nicht aus eigener Erfahrung sprechen konnten.

»Wir haben gestern einen Posten dort gelassen, der nicht mehr da ist,« sagte Hugh, sich umschauend. »Ihr kennt den Mann wohl – es war Barnaby, der bei Westminster dem Soldaten aus dem Sattel half. Hat ihn Jemand gesehen oder etwas von ihm gehört?«

Sie schüttelten ihre Köpfe und murmelten eine verneinende Antwort, wobei Jeder fragend umherschaute. Da ließ sich auf einmal außen ein Geräusch und die Stimme eines Mannes hören, der zu Hugh wollte – er müsse Hugh durchaus sehen.

»Es ist nur ein Einziger,« rief Hugh denen an der Thüre zu; »laßt ihn herein.«

»Ja, ja!« murmelten die Andern. »Laßt ihn herein. Laßt ihn herein.«

Demgemäß wurde die Thüre entriegelt und geöffnet. Ein einarmiger Mann in zerrissenen Kleidern, der Kopf und Gesicht in ein blutiges Tuch gehüllt hatte, als wäre er schwer geschlagen worden, und in der andern Hand einen dicken Stock trug, stürzte athemlos herein und fragte, welcher unter ihnen Hugh wäre.

»Hier ist er,« versetzte die in Frage stehende Person. »Ich bin Hugh. Was wollt Ihr von mir?«

»Ich habe eine Botschaft an Euch,« sagte der Mann.»Ihr kennt einen gewissen Barnaby?«

»Was ist mit ihm? Hat er Euch geschickt?«

»Ja. Er ist gefangen und sitzt in einer der festen Zellen in Newgate. Er hat sich gewehrt, so gut er konnte, wurde aber von der Mehrzahl überwältigt. Das läßt er Euch sagen.«

»Wann habt Ihr ihn gesehen?« fragte Hugh hastig.

»Auf seinem Wege nach dem Gefängnisse, wohin er durch eine Abtheilung Soldaten gebracht wurde. Sie hatten einen Nebenweg, und nicht denjenigen, wo wir sie erwarteten, eingeschlagen. Ich war einer von den Wenigen, die ihn zu befreien suchten, und bei dieser Gelegenheit rief er mir zu, ich solle Hugh sagen, wo er sey. Wir haben tüchtig drein geschlagen, aber es half nichts. Schaut her!«

Er deutete auf seine Kleider, auf seinen verbundenen Kopf und sah sich, noch immer athemlos, in der Stube um; dann wandte er sich wieder an Hugh.

»Ich kenne Euch von Ansehen,« sagte er,« denn ich war am Freitag, am Samstag und gestern unter dem Volke, aber ich wußte Euern Namen nicht. Ihr seyd ein kühner Bursche. Er auch. Er hat gestern Abend wie ein Löwe gekämpft, aber es fruchtete nichts. Auch ich that mein Bestes, so weit mir's mit einem fehlenden Arme möglich war.«

Wieder schaute er spähend im Zimmer umher – wenigstens hatte es den Anschein, denn sein Gesicht war durch die Binde fast ganz verborgen – dann faßte er Hugh abermals fest in's Auge, seinen Stock fester umfassend, als erwarte er halb einen Angriff, gegen den er sich zur Wehre setzen müsse.

Wenn er indeß etwas der Art befürchtete, so wurde er durch das Benehmen aller Anwesenden bald enttäuscht. Niemand dachte an den Boten. Die Neuigkeiten, die er gebracht hatte, ließen ihn ganz verschwinden. Allenthalben machte man sich durch Flüche, Drohungen und Verwünschungen Luft. Einige riefen, wenn sie sich dieß gefallen ließen, würden sie bald Alle im Gefängnisse sitzen; Andere meinten, wenn man die übrigen Gefangenen befreit hätte, so wäre so etwas nicht vorgekommen. Einer schrie mit lauter Stimme: »Wer will mir nach Newgate folgen!« und da war nur ein Ruf und ein allgemeines Hinstürzen nach der Thüre.

Hugh und Dennis stellten sich jedoch mit dem Rücken gegen den Eingang und hielten die Andern zurück, bis sich das Getümmel so weit beschwichtigt hatte, daß man ihre Stimmen hören konnte. Beide riefen ihnen dann zu, es wäre Tollheit, am hellen, lichten Tage auszuziehen; wenn sie indeß auf die Nacht warten wollten, bis ein Angriffsplan entworfen sey, so könnten sie nicht nur ihre Kameraden, sondern alle Gefangenen befreien und das Gefängniß niederbrennen.

»Und nicht nur dieses Gefängniß allein,« rief Hugh, »sondern alle Gefängnisse in London. Es soll ihnen kein Ort mehr bleiben, um Gefangene hineinzustecken. Wir wollen alle in Brand stecken und sie als lustige Freudenfeuer auflodern lassen! Da!« rief er, die Hand des Henkers ergreifend. »Jeder, der ein Mann ist, möge sich an uns anschließen. Gebt Euch die Hände darauf. Barnaby soll frei seyn und kein Gefängniß mehr stehen bleiben! Wer geht mit?«

Alle, sammt und sonders. Und sie schworen einen theuren Eid, in der nächsten Nacht ihre Freunde aus Newgate zu holen, die Thüren einzubrechen und das Gefängniß zu verbrennen, oder selbst in den Flammen zu Grunde zu gehen.



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