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Dieweil ich dort am grünen Laube hangen Die Augen ließ, so wie der Zeit vergißt, Wer liebt sie zu vertun mit Vogelfangen, Rief er mich, der mir mehr als Vater ist: »Nun komm, mein Sohn! Gestrenger einzuteilen Gilts. und zu nützen die bemeßne Frist.« Die Blicke wandt ich, ließ den Fuß nicht weilen, Den Weisen, deren Zwiesprach mir den Gang Mühlos zur Kurzweil machte, nachzueilen. Und siehe, Weinen hört' ich und Gesang: »Herr, tue meine Lippen auf . . .«, ein Singen, Das Lust zumal und Wehmut weckend klang. »Trautvater«, frug ich, »was dort hör ich klingen?« Und er drauf: »Schatten sinds; mich dünkt, sie gehn, Den Banden ihrer Schuld sich zu entringen.« Wie, wenn des Wegs sie Fremde kommen sehn, Wohl nachdenkliche Pilger eine Weile Nach ihnen umschaun und nicht stille stehn, So kam nun hinter uns, in größrer Eile, Und schritt vorüber uns und staunt' uns an, Andächtig, stumm, der Seelen lange Zeile. 255 Erloschnen Blicks, hohläugig Mann für Mann, Bleich, abgezehrt, daß ich die Rippen zählte Durch ihre Haut, so kamen sie heran. So, bis zur letzten Faser, mein' ich, schälte Nicht Eresichthon aus des Hungers Nagen, Als seines Fluches ärgste Not ihn quälte. Das ist ja Zions Volk, mußt' ich mir sagen, Wo Mirjam, als die Stadt verloren war, Dem eignen Sohn ins Fleisch den Zahn geschlagen! Gleich Ringen starrten, die der Steine bar, Die Augenhöhlen; wer auf Menschenwangen Ein ›OMO‹ liest, das M hier säh er klar. Wer glaubte, wüßt' er nicht, wie's zugegangen, Daß bloßes Düften so verheeren kann, Weckt eine Frucht ein Wässerlein Verlangen? Noch staunt' ich, der die Ursach nicht ersann, Was so das Fleisch von ihren Rippen zehrte Und ihre Haut mit garstigem Harsch umspann; Und sieh, aus seines Hauptes Tiefe kehrte Den Blick ein Schatten, sah mich an gespannt Und rief: O Gnade, die uns Gott bescherte!« Nie hätt ich ihn am Angesicht erkannt, Doch in der Stimme klang, was im Gesichte, Das so zerstört, das Auge nicht mehr fand: Der Funke zündet', und in seinem Lichte Aus den entstellten Zügen sah geschwind Mich wieder an Foreses Angesichte. »Ach«, bat er, »sieh nicht an den rauhen Grind, Der mir die Haut entfärbt, nicht nach dem Schwunde Der Glieder, wie von Fleisch sie kommen sind! Nein, sprich und gib von dir wahrhaftige Kunde, Und wer die beiden sind, die dich geleiten, Sag an und halte nicht das Wort im Munde!« »Dein Antlitz, das ich tot beweint vorzeiten«, Versetzt' ich, »jetzo, aller Zier beraubt, Wills nicht geringren Kummer mir bereiten. So sag, um Gott, was hat euch so entlaubt? Der ich so staunen muß, nicht heiß mich sprechen! Schwer spricht, wem andren Sehnens voll das Haupt.« 257 Und er: »Des ewigen Ratschluß gab den Bächen Des Wassers, gab dem Baum da hinter dir Die Kraft, mit solcher Zehr den Leib zu schwächen. Die singend und in Tränen gehn mit mir, Weil alle sonder Maß gefrönt dem Gaume, Sie heiligen hungernd sich und dürstend hier: Zu essen und zu trinken reizt am Baume Die Frucht mit ihrem Düften, reizt der Strahl, Der dort das Grün besprengt mit seinem Schaume; Und öfter noch als dieses eine Mal Auffrischt ein jeder Kreislauf unsre Qualen, – Nein, Wonne sollt' ich sagen, nichts von Qual! Denn hier zum Baume treibt uns, was dermalen Eli zu rufen freudig trieb den Christ, Für unsre Schuld mit seinem Blut zu zahlen.« Und ich zu ihm: »Forese, seit der Frist, Da du die Welt getauscht ums beßre Leben, Das fünfte Jahr noch nicht verronnen ist. Wenn schon die Kraft in dir zu sündigem Streben Zu Ende war, als dir die Stunde schlug Der Reue, die dich Gott zurückgegeben, Wie kommst du schon herauf? Mich dünkt es Fug, Daß ich da drunten noch dich harrend fände, Dort, wo die Zeit für Unzeit tut genug.« Drauf er zu mir: »Die so geschwind zur Spende Des süßen Wermuttranks der Pein mich brachte, War meine Nella, weinend ohne Ende. Ihr fromm Gebet, das seufzend mein gedachte, Half mir vom Strande, wo ich wartend stand, Und auch von Kreis zu Kreise frei michs machte. Die mir so teuer, meine Witib, fand Vor Gott Gefallen und je reichre Gnade, Je seltner ihres Wandels Zucht im Land. Sind sittiger die Fraun doch am Gestade Der sardischen als jener Barbarei, Wo ich sie ließ auf ihrem Lebenspfade! Was sag ich, Bruder, noch? Ich sehe frei Vor Augen schon ein Bild von künftigen Tagen, Und eh dies Heute altert, kommts herbei, 258 Da wird man von der Kanzel untersagen Den schamvergeßnen Fraun am Arnostrande, Den Busen samt dem Mal zur Schau zu tragen. Muß Fraun im Türken- oder Mohrenlande, Daß sie die Blöße decken, einer drohn Mit Kirchenbuß und öffentlicher Schande? O wüßten sie, die Frechen, welchen Lohn Bereit der Himmel hält, der rasch sich schwinget, Zum Heulen sperrten sie die Mäuler schon! Trügt nicht der Blick, der in die Ferne dringet, Trägt jede Leid, eh bärtig dem die Wangen, Den heut zur Ruh das Eipopeia singet. Nun aber, Bruder, stille mein Verlangen! Du siehst, nicht mir allein, es bleibt uns allen, Wo du die Sonne birgst, das Auge hangen.« Drauf ich: »Bedenkst du unser Erdenwallen, Wie du's mit mir und ich mit dir gepflogen, Noch mag es schwer dir aufs Gewissen fallen! So argem Leben hat mich jüngst entzogen, Der mir vorangeht, als in runder Pracht Die Schwester dieses stand am Himmelsbogen;« – Zur Sonne wies ich – »durch die tiefe Nacht Zum Volk des wahren Tods hat er die Reise, Geleitend dieses wahre Fleisch, gemacht. Dann führt' er mich empor und durch die Kreise Des Berges hier, der grad euch reckt in Pein, Euch, die der Weltlauf bog nach seiner Weise; So lang mir, sagt es, will Geleit er sein, Bis wir zu Beatricen uns erheben; Dort, ohne ihn, bleib ich mit ihr allein. Virgil ists, der mir so sein Wort gegeben«; – Mein Finger wies ihn – »jener ist der Schatte, Um den zuvor ringsum geschah das Beben, Da euer Reich ihn freigelassen hatte.« 259 |