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Von neuer Pein muß neuen Sang ich singen, Denn von dem Volke, das zur Tiefe fuhr, Soll dieses ganze Lied, das erste, klingen. Zum Spalt, der dort sich auftat, dacht ich nur Hinabzuspähn, zur Kluft, in deren Schlunde Von Tränen schwamm des Wehes jede Spur; Und kommen sah ichs drunten auf dem Grunde, Stumm, weinend, Schritt für Schritt das Rund hin wallen, Wie hier bei uns ein Bittgang macht die Runde. Und als auf die und den mein Blick gefallen, Schien zwischen Kinn und Brustbein sonderbar Der Wirbel mir verrenkt bei ihnen allen: Herumgewandt zum Nacken ganz und gar War ihr Gesicht, und mußten rückwärts gehen, Dieweil nach vorn die Sicht benommen war. Kann sein, daß Gliederlähme so verdrehen, So um und um ein Menschenbild mag kehren, Doch glaub ichs nicht und hab es nie gesehen. Soll deinem Lesen Früchte Gott bescheren, Denk selber nach, o Leser, ob sich da Mein Auge wohl der Tränen mocht' erwehren, Als unser Ebenbild ich nun, so nah, So schnöd entstellt und ihres Auges Weinen Den Spalt der Hinterbacken baden sah! Ja, dort ans Riff gelehnt, an harten Steinen, Da weint' ich; drum, der mir Geleit gegeben: »Zeigst du dich auch als jener Toren einen? Mitleid muß sterben hier, soll Frommheit leben! Wer könnte schwärzrer Frevler sein als die, So Gottes Richterspruche widerstreben? 91 Empor das Haupt, empor! Schau hin und sieh Den dort, dem einstens sich vor Thebens Zinnen Die Erde aufgetan, drum alles schrie: ›Wohin, Amphiaraus? Weichst von hinnen?‹ Doch weiter sank und sank er bis zum Schachte, Wo Minos steht, der keinen läßt entrinnen. Schau, wie zur Brust er seine Schultern machte: Muß rückwärts blicken, rücklings gehn die Bahn, Der allzu weit vorauszuschaun gedachte! Tiresias siehe, der auf Thebens Plan Gestalt getauscht, als Haupt er da und Glieder Verwandelnd Weibs- statt Mannsgeschlecht empfahn; Erst mußt' er die verschlungnen Schlangen wieder Mit einem Stabe schlagen, da gewann Er sich zurück, was eines Manns Gefieder. Der an die Brust ihm lehnt den Rücken an, Ist Aruns, hatt' in Lunis Berggeländen, Wo zum Gereut Carraras Ackermann Heraufkommt, zwischen weißen Marmorwänden Sein Höhlenhaus, wo über Meer und Land Und zu den Sternen Umschau allerenden. Und die, wo du's nicht siehst von unsrem Stand, Mit den gelösten Flechten deckt die Brüste, Die, was am Leibe rauch, uns abgewandt, War Manto, die, umirrend manche Küste, Im Lande Ruhe fand, das mich gebar. Hör, was ich davon dir zu sagen wüßte. Als ihres Vaters Lauf vollendet war Und Bacchus' Stadt die Knechtsfron lernte kennen, Durchschweifte sie die Welt so manches Jahr. Am Fuß der Alpen, die's von Deutschland trennen, Droben im schönen Land Italia, Da liegt ein See, den sie Benacus nennen. Aus mehr denn tausend Quellen staut sich da, Was rings umspült Penninos Felsbasteien Von Garda bis gen Val Camonica. Inmitten ist ein Ort, da könnte weihen Veronas wie Trients und Brescias Hirt, Wer auch des Weges käm von diesen dreien; 92 Und prächtig thront, gewappnet und geschirrt, Trotz bietend Bergamos und Brescias Stahle, Peschiera dort, wo flach das Ufer wird. Da muß entströmen, was mit einem Male Benacus' Schoß nicht fassen kann, und rinnt, Ein Fluß, durch grüne Fluren dann zu Tale; Und wie zu fließen nur die Flut beginnt, Heißts Mincio, nicht Benacus, bis am Ende Nah bei Governo sie den Po gewinnt. Doch eh noch lang ihr Lauf, trifft blache Lände Die Woge, wo sie sich zum Sumpfe breitet, Drin sommers Seuchen braun die Sonnenbrände. Dort, als die Hexe ihres Weges schreitet, Sieht Land sie liegen mitten im Morast, Von Menschen leer, vom Pfluge nie bereitet. Da machte sie mit ihren Knechten Rast, Trieb ihre Künste, keiner Seel Geselle, Und lebt' und ließ der Glieder leere Last. Die Nachbarn dann ringsum ersahn die Stelle, Daß gar ein fester Platz da mußte sein Des Sumpfes halb, der rings umgab die Schwelle; Sie baun die Stadt auf ihr entseelt Gebein, Und Mantua hieß mans, ohn ein Los zu fragen, Nach ihr, die dort gelegt den ersten Stein. Mehr Volks war dorten denn in unsren Tagen, Eh Pinamont den Unverstand betört Des Casalodi, listig und verschlagen. Merks wohl, wenn anders, als du hier gehört, Vom Ursprung meiner Stadt du hörst berichten, Daß keiner Lüge Trug die Wahrheit stört.« Und ich: »Dein Wort muß jeden Zweifel schlichten. Solch Zutraun, Meister, weckts, daß fürder mir Verlöschte Kohlen sind, was andre dichten. Doch sag mir noch von diesen Pilgern hier, Wenns einer wert nach seines Namens Klange, Denn einzig danach trag ich Wißbegier.« Da sprach er: »Jener dort, dem von der Wange Auf die gebräunten Schultern wallt der Bart, War, als von Mannsvolk Griechenland auf lange 93 So leer, daß kaum in Wiegen mans bewahrt, Ein Seher, wies samt Kalchas Zeit und Stunde In Aulis, daß man kappt das Tau zur Fahrt. Eurypylus sein Name war. Die Kunde Gibt euch mein hehres Lied; dir ists bekannt, Kennst Wort für Wort du doch aus meinem Munde. Der dort so schmal von Lenden, jener Fant War Michel Scotus, einst in jedem neuen Trugspiel der Zauberei gar wohl bewandt. Sieh Veit Bonatti, sieh Asdente; freuen Möcht er sich jetzt, wenn nur nach Ahl und Draht Der Sinn ihm stand – zu spät ists zum Bereuen! Sieh dort das Vettelvolk, das Haft und Naht Und Spul und Spindel ließ, um wahrzusagen, Mit Wachsbild Hexenwerk und Kräutern tat . . . Doch komm nun; Kaïn hat den Dorn getragen An unsres Halbrunds Marken, in die Welle Schon taucht er, wo Sevillas Türme ragen. Und gestern nacht erst schien der Vollmond helle. Sein Strahl, besinne dich, ward dir zum Heil Im tiefen Wald an mancher finstren Stelle.« Er sprachs, und weiter schritten wir derweil. |