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Der Durst, den, eigen uns von Anbeginne, Kein Wasser löscht, denn das zu Gnaden sich Vom Herrn erbat die Samariterinne, Mich brannt' er, und wie Hast mich emsiglich Dem Führer nachspornt' auf gedrangem Stege, Erbarmte die gerechte Sühne mich. Und sieh: wie jenen zwein, die auf dem Wege – Sankt Lukas schreibts –, der Christ erschienen war, Erstanden grad aus seines Grabes Hege, 246 Erschien ein Schatten uns: er kam, die Schar Betrachtend, die da lag, uns nachgegangen, Und als er sprach erst, wurden wirs gewahr. »Gott geb euch Frieden!« seine Worte klangen, Drum wandten wir uns rasch, und gab Virgil Den Gruß zurück auf den, so wir empfangen. Dann sprach er: »Mag zum Frieden dich, ans Ziel Der Seligen des Gerechten Ratschluß bringen, Nach dessen Spruch in ewigen Bann ich fiel!« »Wie«, fragte der, da strack wir weitergingen, »Rief Gott euch nicht empor, wie konntet ihr So weit hinan doch Seine Staffeln dringen?« Darauf mein Lehrer: »Sieh die Male hier, Die er vom Schwert des Engels trägt, dann sage, Obs der Erwählten einer, selber dir! Allein weil sie, die Nächte spinnt und Tage, Ihm ja den Flachs noch nicht vom Rocken spann, Den Klotho jedem zumißt auf der Waage, Fand seine Seele nicht allein hinan, Die, ob verschwistert dir und mir, zur Stunde Noch nicht nach unsrer Weise sehen kann. Und darum aus der Hölle weitem Schlunde Ward ich berufen, ihm Geleit zu geben, Und leite ihn, so weit mir reicht die Kunde. Doch weißt du's, sag: was hieß den Berg erbeben Und euch zumal bis an den Fuß der Schroffen, Den meerumwogten, diesen Ruf erheben?« Die Frage hatt ins Nadelöhr getroffen Den Wunsch, der mich bedrängt, so daß zu legen Mein Dürsten sich begann vom bloßen Hoffen. Und er begann nun: »Nichts, was ihr entgegen, Läßt unsres Berges heilige Ordnung gelten, Noch was da weiche von gewohnten Wegen: Gefeit vor Unrast ruhen diese Welten; Nur eins bewegt sie: wenn, was ihm entsprossen, Aufnimmt der Himmel dort in seinen Zelten. Nicht Regen fällt, nicht Schnee noch Hagelschloßen, Kein Tau, kein Reif reicht höher je hinauf Als zu der niedren Stiege dreien Sprossen; 247 Nie zieht Gewölk, nicht schwer, nicht zart herauf, Hier zuckt kein Blitz, noch wölbt den bunten Bogen, Den wandelbaren, Thaumas' Tochter auf; Nicht höher kommen trocknen Dunstes Wogen Als bis zur Stufe, drauf die Füße, sieh, Sankt Peters Mittler stellt, heraufgezogen. Wie's drunten auch, wenn Wind – ich weiß nicht, wie – Im Bauch sich birgt der Erde, ja mag beben, Aus solcher Ursach bebts hier oben nie. Hier bebts, wenn eine Seele zu entschweben Sich rein fühlt, wenn sie aufsteigt himmelan Und solche Rufe dann Geleit ihr geben. Die Läutrung zeigt allein der Wille an, Der, frei zu höherm Chor sich hinzukehren, Die Seele faßt, und freudig will sie's dann. Eh will sie wohl; doch muß der Trieb ihr wehren, Den wider Willen Allgerechtigkeit, Wie Sünde dort, hier Sühne heißt begehren. Auch ich, der hier in Pein lag manche Zeit, Fünfhundert Jahr und mehr, ich fand nur eben Zum beßren Ziel den Willen mir befreit. Drum eben jetzt vernahmst du dieses Beben, Und wie dem Herrn lobsangen all die Frommen, Auf daß er sie in Bälde mög erheben.« Er sprachs, und weil ein Trunk, am Quell genommen, Je brennender dein Durst, je mehr dich letzt, Weiß ich zu sagen kaum, wie mirs willkommen. Mein weiser Führer drauf: »Wohl kenn ich jetzt Dies Netz, wie's hält und löst, warum dies Beben Und was mitfreuend eben euch ergetzt; Nun laß mich wissen, wer du warst im Leben. Und warum so viel hundert Jahre hier Du lagest, davon woll uns Kunde geben.« Und er: »Als Titus, er, der Menschheit Zier, Mit Gunst des höchsten Herrn gerächt die Wunde, Daraus das Blut verschachert Judas' Gier, Führt' ich den Namen, der auf jenem Runde Vor allen reich an Ehr, an Dauer lang, Gar rühmlich, doch des Heils noch sonder Kunde 249 So süß war meiner Liederstimme Klang, Daß Rom Tolosas Sohne sich ergeben Und um die Schläfen mir die Myrte schlang. Statius nennt jene Welt mich noch: von Theben, Von Held Achill ich sang; doch diese Tracht Trug ich zum Ziele nicht in jenem Leben. Mein Feuer, von den Funken wards entfacht, So mir ins Herz gesät die heilige Flamme, Die vielen Tausenden das Licht gebracht: Die meiner Dichtung Mutter war und Amme, Die Äneide ists; kein Lot Gewicht Hätt ohne sie, was ich gepflückt vom Stamme! Ach, lebt' ich, als Virgil noch sah das Licht! Ein Jahr noch wollt' ich, statt emporzusteigen, Im Bann hier harren über meine Pflicht.« Mit einem Blick, der schweigend heischte Schweigen, Wandt, als er sprach, Virgil sich zu mir her; Doch ist nicht jede Kraft dem Willen eigen: Urkräftigem Reiz gehorchend, setzt zur Wehr Dem Zwang des Willens Lachen sich und Weinen, Und je wahrhaftiger einer, desto mehr. So lächelt' ich; zu blinzeln mocht' ich scheinen. Drum schwieg der Schatten, blickt' ins Auge mir, Wo sich zumeist verrät des Herzens Meinen, Und sprach: »So schweres Mühn, solls frommen dir, Sag an, warum doch über deine Mienen Dies Lächeln zuckte, wie ein Blitzen schier.« Nun steck ich in der Klemme zwischen ihnen: Der heißt mich schweigen, jenem soll ichs sagen; Ich seufzte, und als Stichwort schiens zu dienen Dem guten Meister: »Sprich, nun magst du's wagen«, Begann er, »sprich nur, Antwort ihm zu geben, Die so beflissen von dir heischt sein Fragen.« Drum ich: »Du stauntest, Geist der Vorzeit, eben, So dünkt mich, daß es mich zum Lachen zwang; Weit größres Wunder sollst du jetzt erleben! Er, der mein Auge lenkt auf diesem Gang, Ist der Virgil, dank dem es dir gelungen, Daß Menschen tönt und Götter dein Gesang! 250 Sieh! Wähntest andrer Meinung du entsprungen Mein Lachen, glaube ich und laß den Wahn; Das Lob war schuld, das du ihm jetzt gesungen.« Schon neigt' er sich, das Knie ihm zu umfahn. »Laß Bruder!« wehrte jener ihm indessen, »Selbst Schatten, willst du so dem Schatten nahn?« Da stand er auf: »Nun kannst du recht ermessen, Wie heiß die Liebe, die ich dir muß weihn, Daß unsrer Nichtigkeit ich ganz vergessen Und tu mit Schatten wie mit Fleisch und Bein!« |