Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 97 100 103 106 109 112 115 118 121 124 127 130 133 136 |
»Sieh mit gespitztem Schweif das Untier dort! Das hält kein Berg, Gewaffen brichts und Wälle. Schau, was die Welt verpestet fort und fort!« So hub mein Führer an und wies die Stelle, Wo's landen sollt' an jenes Abgrunds Rand, Nicht weit vom Ende unsrer Felsenschwelle. Das ekle Bild des Truges kam ans Land, Mit Haupt und Rumpfe übern Bord, den niedern, Den Schweif allein zogs nicht hinauf zum Strand. Sein Antlitz war das Antlitz eines Biedern, So wohlgesinnt von Aussehn; Rumpf und Bauch Ein Schlangenleib samt allen andren Gliedern; Zwei Tatzen hatt es, bis zur Achsel rauch, Und war gemalt mit Ringlein und mit Schlingen Sein Rücken, Brust und beide Flanken auch. Mehr Farben kann aufs Tuch kein Türke bringen, In Grund und Muster kein Tatarenkleid, Noch mocht Arachnen solch Geweb gelingen. Wie Barken wohl am Ufer stehn, halbscheid Im Wasser, halbwegs draußen auf dem Lande; Wie sich auf deutsches Flußwild zum Gejaid 77 Der Biber ansetzt, also lang am Rande Das höllische Ungeheuer hingestreckt, Der, felsig, säumte das Gefild von Sande. Ins Leere, schlängelnd, war der Schweif gereckt Und steil die giftige Zange, die das Ende, Skorpionengleich bewehrt, emporgebleckt. Mein Führer sprach: »Ein Stück hinüber wende Sich unser Schritt, zum Ungetüm, das dort, Das arge, sich gelagert an der Lände.« So gings hinab zur Rechten und so fort Zehn Schritte noch, vor Sand und Feuerregen Gar wohl uns hütend, längs dem Klippenbord. Und wie wir hingelangen, wo's gelegen, Da seh ich welche weiter vorn im Sand Am Abgrund sitzen, der uns gähnt entgegen. Der Meister sprach: »Daß Wissen und Verstand Dir völlig sei von diesem ganzen Ringe, Geh, siehe, wie's mit denen dort bewandt. Doch faß dich kurz; ich, bis du rückkehrst, bringe Dem hier Bescheid und will ein Wort ihm sagen, Daß seiner Schultern Kraft er uns verdinge.« So mußt' ich mich zum letzten Vorsprung wagen Des siebten Kreises noch, ich ganz allein, Wo diese Rotte saß in ihren Plagen. Aus ihren Augen brach der Strom der Pein, Es zuckt die Hand, bald vorne, bald im Rücken Vor Funken Schirm und glühendem Sand zu sein. Nicht anders machens Hunde, die sich jücken Mit Schnauz und Pfoten, sommers, wo sie's sticht, Wenn Flöh sie beißen, Bremsen oder Mücken. Als etlichen ich späht' ins Angesicht, Drein sehrend Feuer fiel auf Stirn und Wangen, Erkannt' ich keinen, doch entging mir nicht: Am Halse hatt' ein Täschlein jeder hangen, Kennbar an Farb und Zeichen sonderlich, Dran weidet' aller Blick sich voll Verlangen. Und wie, zu schaun, ich nahte, sahe ich Auf gelber Börse blau ein Zeichen stehen, Das einem Leun an Mien' und Ansehn glich. 78 Dann, als ich weiter ließ die Blicke gehen, War da ein' andre, rot wie Blut, die ließ Ein Gänslein, weißer noch denn Butter, sehen. Und einer – eine trächtige Bache wies In Blau sein Säckel weiß – hub an mit Fragen: »Was tust du hier in dieses Schachts Verlies? Pack dich! Du lebst ja noch, so laß dir sagen: Bald sitzt zu meiner Linken neben mir Mein Nachbar Vitalian in dieser Plagen. Bin unter all den Florentinern hier Von Padua; ständig dröhnt mein Ohr, wenn neckend Sie rufen: ›Komm, du aller Ritter Zier, Bring's Täschel mit drei Böcklein!‹« Zähnebleckend Wies er die Zunge, zog sein Maul verquer, Wie's Rinder machen, sich die Nase leckend. Und ich, in Sorge, säumt' ich allzusehr, Möchts ihn verdrießen, der mich trieb zur Eile, Nahm Urlaub von dem schwergeplagten Heer. Ich fand den Führer, der aufs Kreuz derweile Des Ungetüms sich schwang und sprach zu mir: »Stark sei und herzhaft jetzt! Nun gehts die Steile Hinab auf Leitern so wie diese hier: Ich nehm die Mitte, sitz du vor mich nieder, Dann tut der Schweif da nichts zuleide dir.« Wie wem vom kalten Fieber eben wieder Die Nägel blau und schon vom bloßen Sehn Des Schattens Zittern fährt in alle Glieder, So ward mir, da mir dies Gebot geschehn; Doch Scheu vor seiner Mahnung hieß michs wagen: Vor wackrem Herrn muß wohl ein Knecht bestehn! »Tu deinen Arm um mich!« so wollt' ich sagen, Da ich des Greuels Bug bestieg, doch kam Kein Wort hervor, wie ichs gemeint, vor Zagen. Er aber schlang, der oft schon wundersam Mich schirmt' in Fährde, da ich aufgesessen, Um mich den Arm, der fest in Hut mich nahm, Und rief: »Auf, Geryon, und weit bemessen Den Bogen! Sacht hinab zum Fuß der Wand! Der neuen Bürde darfst du nicht vergessen!« 79 Rücklings, so wie ein Nachen stößt vom Land, Glitt er hinaus, doch als er recht im Zuge, Da hat er sich im Flug herumgewandt. Dorthin, wo erst sein Haupt war samt dem Buge, Streckt' er den Schweif, ihn schlängelnd wie ein Aal, Und mit den Pranken rudert' er im Fluge. Mehr Angst litt traun nicht Phaëthon einmal, Als er den Zaum verlor und Feuer fingen Die Schwelln, wo's heut noch glimmt im Himmelssaal, Nicht Ikarus, der schmelzend Wachs die Schwingen Entfiedern fühlt' und Vaterstimme »Halt, Fehl gehst du!«, der Unselige, hörte klingen, Als ich, der, rings von leerer Luft umwallt, Rund um mich her kein Stäublein fand zu sehen Als nur des Untiers greuliche Gestalt. Sacht, sachte scheint es schwimmend hinzugehen Und kreist und senkt sich, doch ich spür es nicht, Im Antlitz nur und unterwärts ein Wehen. Schon hört' ich unter uns, zur Rechten dicht, Des tiefen Wassersturzes schrecklich Brausen, Und Augen neig ich nieder und Gesicht; Da fiel mich ärger denn zuvor das Grausen Des Abgrunds an, und zitternd duckt' ich mich, Denn heulen hört' ich, Funken sah ich sausen; Und was ich nicht gesehn, nun sahe ich Das Niedergehn und Kreisen: an den Plagen, Die nahten, allerenden, schauerlich. So machts der Falk, den weit sein Flug getragen, Eh Federspiel ihn oder Vogel lockt, Daß »Weh, du sinkst ja!« muß der Falkner klagen; In hundert Kreisen senkt er sich und hockt Sich lässig hin, der erst im Flug so schnelle, Dem Meister ferne, tückisch und verstockt. So ließ sich Geryon nieder auf der Schwelle, Am Fuß der Felswand, scharfgezackt und steil, Und ledig unsrer Last schoß er zur Stelle Von dannen, wie vom Bogen schnellt ein Pfeil. 81 |