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Siebenundzwanzigster Brief.

Abreise von Vevey. – Hinabfahrt auf dem See. – Ankunft in Genf. – Juwelenkauf. – Abreise von Genf. – Weg den Jura hinan. – Alpenansichten. – Rohes Benehmen im Zollhause. – Schmuggelei. – Der ertappte Schmuggler. – Das zweite Zollhaus. – Letzte Ansicht des Montblanc. – Wiedereintritt in Frankreich. – Unser Glückszufall im Posthause zu Dole. – Der schottländische Reisende. – Nationalität der Schottländer. – Der Weg nach Troyes. – Die Quelle der Seine.

Lieber – –,

Ungeachtet des dichterischen Gefühls, welches unser Aufenthalt hier in uns anregte, empfanden wir alle demungeachtet hier Manches von den Beschwerden des wirklichen Lebens. Denn einige kleine Fieberanfälle hatten sich bei uns eingestellt; dieses gab uns einigen Grund, dem Aufenthalte am Ufer in einer spätern Jahreszeit zu mißtrauen, und daher machten wir unsere Vorbereitungen zur Abreise. Wir warteten eine gute Gelegenheit ab, beluden den Kahn des ehrlichen Johann mit uns selbst und unsern Sachen bis zum Rande, und schifften uns dann auf dem Leman gerade vor unserer Wohnung ein, und gleichsam auf einer der täglich gewohnten Spazierfahrten, sagten wir endlich Vevey ein letztes Lebewohl, nachdem wir fast fünf Wochen daselbst verweilt hatten.

Die Hinabfahrt den See hinunter war recht anmuthig, und unsere Augen ruheten mit schwermüthiger Theilnahme auf den verschiedenen Gegenständen umher; denn wir wußten nicht, ob Jemand unter uns sie jemals wieder zu Gesicht bekommen würde. Es ist ein ausgezeichneter See, und seine Schönheiten wirken in immer steigendem Interesse auf uns ein, je öfter wir sie betrachten, das sicherste Zeichen vollendeter Schönheiten. Wir erreichten Genf bei guter Zeit, und kehrten im Gasthause l'Ecu (zum Schilde) ein, noch frühe genug für Frauenzimmer, um Einkäufe zu machen. Die Juwelenwerkstätten in dieser Stadt sind gewöhnlich viel zu lockend, als daß weibliche Entsagung ihnen widerstehen könnte, und als wir bei Tische wieder beisammen waren, da bekamen wir einen Nachtisch von Ohrgehängen, Ketten und Armbändern, welche uns von einer Reihe von Juwelenhändlern aufgetragen wurden, die sich instinktmäßig auf die Launen der Evenstöchter recht gut verstehen. Eine meiner Reisegefährtinnen hatte ihr Verlangen nach einem Paar noch nicht völlig fertigen Armspangen merken lassen und ihr Bedauern darüber geäussert, daß sie solche nicht mitnehmen könne. »Madame reisen nach Paris?« – »Ja, mein Herr.« – »Wenn Madame Ihre Addresse zurückzulassen belieben, so sollen diese Armspangen binnen einem Monat dort sein.« Da wir in Frankreich nur als Fremde uns aufhielten, und da die Verordnungen, welche Fremde verhindern sollen, dergleichen Dinge zu ihrem eignen Gebrauch anderswo einzukaufen und einzudringen, mir zwar nothwendig aber gleichwohl ungastlich erschienen, so sagte ich zu dem Juwelenhändler, wenn er diese Armspangen mir in Paris zustellen lassen wolle, so würde ich sie behalten und ihm seine Rechnung bezahlen. Der Handel wurde abgeschlossen und der Schmuck uns zugeschickt. Uebrigens habe ich mich um die Sache nicht weiter bekümmert, und kann also nicht sagen, ob er mittelst eines Luftballes, oder mit dem Gepäck eines Gesandten, oder durch einen Hund nach Frankreich hineingebracht worden ist.

 

Den nächsten Morgen war ein furchtbares Regenwetter, da aber die Pferde schon bestellt waren, so verließen wir Genf nachmittags, und nahmen die Richtung nach Ferney. Da Niemand unter uns Lust bezeugte, das Schloß zu sehen, so fuhren wir im Galopp durch den Ort weiter. Am Fuße des Jura nahmen wir französische Postpferde, so wie wir das erste Posthaus erreichten, und nunmehr ging es den Jura hinan. Unsere Reisegesellschaft hatte in diesem Augenblicke ein wunderliches Ansehen. Der Regen goß in Strömen herab, und unser Wagen schleppte sich langsam durch den Schlamm den sich windenden Weg bergan. Unsere Wagenfenster blieben verschlossen, und wir kamen uns in unserm Zwinger wie eine nach Hofe fahrende Gesellschaft vor, die im völligen Staate sich lächerlich genug ausnahm, und von Zeit zu Zeit scherzten und lachten wir über unsern feierlichen Aufzug. Doch waren wir sämmtlich in Reisekleidern, den Schmuck ausgenommen, den wir angelegt hatten. Wir hatten uns nämlich mit unsern letzten Einkäufen herausgeputzt; denn man hatte uns gesagt, man würde solchen in den Zollhäusern jedenfalls wegnehmen, wenn wir sie in ihren Kästchen in unsern Koffern aufheben wollten. Denn, sagte man uns, die Douaniers verständen es, einen neuen Einkauf instinktmäßig auszuwittern. Daher glitzerten unsere Finger sämmtlich von Ringen, unsere Schläfe von Haarnadeln; Ohrringe im neuesten Geschmack sahen unter den Reisehauben und Reisehüten hervor, und an Ketten fehlte es ebenfalls nicht. Ich konnte mich nicht überreden, daß dieser Faschingsspaß gut ausfallen könne, sondern sagte vielmehr ein schlimmes Ende vorher. Es schien mir in der That, als ob ein so unüberlegtes Auskunftsmittel uns gegen Harpyien nicht schützen könne, die Fremden das Recht verweigern, ihr Land mit einigen Einkäufen dieser Art zu bereisen, die doch offenbar nur zu eigenem Gebrauch bestimmt waren. Weil aber die kostspieligen Verordnungen der Zollbehörden sehr strenge gehandhabt werden, und die Bedürfnisse der Reisenden ohne Gewissensbisse einzuschränken befugt sind, so fehlt es ihnen, wie den Quarantaine-Verordnungen, auch nicht an Vorschriften, die recht eigentlich darauf abzuzwecken scheinen, ihre eignen Verordnungen zwecklos zu machen.

Unser Weg führte immerfort bergan, wo sich eine sehr gepriesene Aussicht darbietet. Es ist das Gegenstück zu dem, was man überall sieht, wenn man den östlichen Rand des Jura erreicht, und zuerst den Anblick der eigentlichen Schweiz vor Augen hat. Diese Ansichten theilen sich in diejenige, welche das Thal der Aar und die Oberländer Alpen umfaßt, und in die, welche das Becken des Genfer Sees und der denselben einfassenden Berge in sich begreift; zu letzterer Aussicht gehört auch die Fernsicht des Montblanc. Im Ganzen ziehe ich erstere Aussicht vor, aber auch die letztere ist einzig schön. Als wir dem Gipfel des Jura bereits ziemlich nahe waren, klärte der Himmel sich auf, und wir ließen einige Minuten halten, um die einzelnen Züge dieses Anblicks mehr zu genießen. Diese Aussicht hat unstreitig etwas recht Liebliches; doch kommt sie der öfter von mir erwähnten Aussicht oberhalb Vevey nicht gleich, obgleich der Montblanc bei dieser einen vorzüglichen Punkt bildet, der den Blick des Betrachtenden anzieht. Ich hatte bisher diesen Berg noch nicht in solcher anmuthigen Umgebung betrachtet. In Umfang und Höhe mit den Berggipfeln umher verglichen, erscheint er wie ein Heuhaufen unter Heubündeln, und zeichnet sich noch dadurch aus, daß er allein einen Riesenbau von glänzendem Eise oder gefrornen Schneemassen darstellt, während alles Uebrige um ihn hier nur starrer Granitfelsen ist. Betrachtet man den Berg für sich allein, als ob er einzig dastände, so ergreift sein mild erhabener Anblick das Gemüth; aber demungeachtet ziehe ich im Ganzen die andere Aussicht vor. Von diesem Punkte aus liegt der See zu weit entfernt, die Felsen von Savoyen verschwinden fast in der Nähe des mächtigeren Nachbaren, und die geheimnisvolle Walliser Schlucht, die in ihrem eigenthümlichen Reiz kaum ihres Gleichen in einer andern Weltgegend hat, wird hier ganz dem Anblick entzogen. Sodann fehlt hier gänzlich der lichtere und dunklere Schatten des Jura, und eben diese Lichtstreifen und Dunkelungen machen, von der Jenseite aus betrachtet, durch ein natürliches Chiaroscuro die vollendete Schönheit des Gemäldes aus.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir das erste Zollhaus; aber da ein ziemlich gutes Gasthaus sich gegenüber befand, so beschloß ich, hier über Nacht zu verweilen, damit ich zugleich gerüsteter sei, den Kampf mit den Myrmidonen des Zolltarifs nach Muße auszufechten, wenn es nöthig sein sollte. Der Wagen fuhr an die Thüre des Zollhauses an, und wir wurden in besondere Zimmer geführt, um uns der erforderlichen Untersuchung zu unterwerfen. Was mich betrifft, ich hatte keinen Grund, mich zu beklagen; aber meine Frauenzimmer fanden sich sehr beleidigt, der persönlichen Durchsuchung einer weiblichen Harpyie sich unterwerfen zu müssen, die ebenfalls weder höflich noch zartsinnig war. Gewiß, Frankreich – das hochgebildete, feingesittete, aufgeklärte Frankreich – kann durchaus nicht die Nothwendigkeit einer solchen Verletzung der Schicklichkeit, um nicht zu sagen, sogar der Wohlanständigkeit gebieten! Das ist das zweite Mal, daß uns eine solche rohe und unanständige Behandlung beim Eintritt in dieses Land wiederfahren ist; und was die Sache noch schlimmer macht, die Frauen mußten am meisten darunter leiden. Ich machte eine ziemlich kräftige Gegenvorstellung in einem zornpolternden Französisch, und dieß hatte wenigstens den Erfolg, daß dieß rohe Benehmen nicht wiederholt wurde. Die Beamten stützten sich auf ihre Instruktionen, und ich stützte mich auf die Vorschriften der Gastlichkeit und des Wohlanständigen, und erklärte geradezu, daß ich mir keine rohe beleidigende Behandlung gefallen lassen wolle. Ich war bereit, lieber hundert französische Meilen daran zu setzen und an einem andern Punkt ins Land zu kommen.

Im Laufe der nunmehr folgenden Unterredung, setzten mir die Zollbeamten die Schwierigkeiten auseinander, mit denen sie zu kämpfen hätten, und die auch wirklich nicht als Kleinigkeiten zu betrachten sind. Der Stand der Reisenden mache gar wenig Unterschied; manche Herzogin sei eine eingeübte Schmugglerin. Reisende begnügten sich nicht, Einkäufe für ihre eigenen Bedürfnisse zu machen, sondern sie brächten für alle ihre Freunde und Bekannten mancherlei Waaren ein. Ich wußte, daß dieses die reine Wahrheit sei, wenn auch nicht aus eigner Erfahrung; aber Sie erlauben mir wohl zu sagen, daß das Felleisen des Gesandten weit mehr verbotene Waaren aufnimmt, als Depechen. Ungeachtet dieser Erläuterung hielt ich aber diese Art von Behandlung doch nicht für weniger beschwerend für alle diejenigen, die blos ihre eigenen Bedürfnisse mitnehmen. Es ist ja so leicht, wenig Raum einnehmende Gegenstände zu verstecken, daß man die Fälle, wo zu wirklichem Verdacht einiger Grund vorhanden ist, ausgenommen, es weit besser sein würde, sich auf die Redlichkeit eines Reisenden zu verlassen. Denn, wenn irgend eine Veranlassung mich ernstlich bewegen könnte, mich mit der Einführung verbotener Waare zu befassen, so würde es gerade nur eine solche Behandlung sein können.

Die Zollbeamten erläuterten mir die Art und Weise, wie man das Einschmuggeln bewerkstellige. Der gewöhnliche Weg ist, quer durch das Feld zu wandern und zwar zur Nachtzeit; denn wenn einmal die Zolllinie überschritten ist, so können z. B. Juwelen, in einer gewöhnliche Kiste verpackt, mit der Post weiter befördert werden, wenn nicht ein bestimmter Grund vorhanden ist, einen Verdacht geltend zu machen. Die Zollbeamten wissen sehr wohl, daß gewöhnlich die Juwelenkäufe in Genf abgeschlossen werden auf die Bedingung, daß die Waaren nach Paris geliefert werden; aber aller ihrer Sorgfalt und Wachsamkeit ungeachtet, erreichen die Schmuggler gewöhnlich ihren Zweck.

Bei einem kürzlichen Vorfalle war es indessen den Zollbeamten geglückt, eine solche Schmuggelei zu entdecken. Ein Karren mit gespaltenem Holz (Föhrenholz) war keck an der Thüre des Zollhauses vorübergefahren. Der Mann, der den Karren fuhr, war ein Bauer, und hatte demnach ganz das Ansehen, als ob er eine ziemliche werthlose Last für sich selbst nach Hause fahren wolle. Doch wurde der Karren angehalten und abgeladen; während man das Holz wieder auflud, und man nichts Anderes als blos Holz darauf fand, so erregte doch ein Stück Holz einige Aufmerksamkeit. Es war besudelt, als ob es auf dem Wege herab und in den Schmutz gefallen wäre. Doch der Schmutz hatte ein Verdacht erregendes vorher wohl überlegtes Ansehen; das Holz sah aus, als wäre es absichtlich beschmutzt worden, und als man es genauer untersuchte, da entdeckte man zwei Spalten, die man durch den Schmutz zu verstecken gehofft hatte. Das Holz war entzweigespalten, ausgehölt und durch Stiftchen wieder zusammengefügt worden. Der Schmutz mußte die Stiftchen und die Spalten bedecken, wie ich Ihnen schon bemerkte, und in der Hölung fanden sich siebenzig goldene Uhren! Ich bekam das hölzerne Schubfach gezeigt, und empfand nun wirklich weit weniger Aerger gegen das alte Mannweib, das uns so widerwärtig war. Die Zollbeamten blickten mich forschend an, und fragten, was ich von der Sache halte, und ich sagte, wir seien durchaus keine beschmutzten Klötze von Nadelholz.

Den folgenden Tag machten wir uns auf den Weg, wünschend, an diesem Tage die Gebirgsstraße zurückzulegen und durch die Zolllinie hindurch zu gelangen. Die Gegend war wild und durchaus nicht fruchtbar; da waren Strecken nackter Berghöhen, durch welche der Weg sich fortwand, so daß wir uns dabei, wiewohl in einem weit kleinern Maßstabe, des eigenthümlichen Reizes der Apenninen erinnerten. Die Dörfer hatten ein reinliches aber düsteres Ansehen, und nirgends sahen wir auf stundenlangen Strecken eine einladende Gegend, oder einen Boden, der den Fleiß des Landmannnes hätte lohnen können. Dieser Juraübergang ist bei weitem nicht so einnehmend und anmuthig, wie der über Salins und Neufchatel. Anfänglich besorgte ich, es sei mein abgestumpfteres Schönheitsgefühl, das diesen Eindruck bei mir hervorbringe; doch mittelst genauer angestellter Vergleichungen und durch Befragen meiner Reisegefährten, von denen einige kaum noch des andern Weges sich erinnerten, überzeugte ich mich, daß es keine bloße Grille von mir sei. Es war in der That, als wenn ich ein vollendetes Gemälde mit einer bloßen Skizze hätte zusammenstellen wollen.

Bei dem zweiten Zollhause wurden wir nicht sonderlich belästigt, obgleich die Zollbeamten unsern Schmuck mit beschlagnahmbegieriger Raublust beäugelten. Ich meines Theils rächte mich einigermaßen, indem ich den einzigen Schmuck, den ich aufweisen konnte, zur Schau trug. A – – hatte mich mit einem Sapphirring beschenkt, und diesen ließ ich auf alle Weise glänzen und funkeln, gleichsam um die Leute zu verhöhnen. Einer dieser Bursche schien eine besondere Lust nach einer schönen Haarnadel zu haben, und ich glaube fast, daß sie miteinander über diese Sache besonders Rath pflogen; doch nachdem man uns eine Weile aufgehalten und unsere Pässe genau durchmustert hatte, erlaubte man uns weiter zu fahren. Wenn unser François nichts geschmuggelt hat, so muß Mangel an Baarschaft schuld gewesen sein; denn Spekulation ist sein Steckenpferd, so wie sein Unglück, das alle seine körperliche Gewandtheit in Anspruch nimmt.

Den ganzen Tag über mußten wir uns in diesen kahlen, unfruchtbaren, alles Anziehende entbehrenden Bergwegen zubringen – dreifach alles Reizes entbehrend, nachdem wir die herrlichen Alpengegenden gesehen – und wir mußten die Nacht zu Hülfe nehmen, um sie endlich los zu werden. Eins oder zweimal erblickten wir, wenn wir zurücksahen, die schaurig-kalte, hochaufgemeißelte Spitze des Montblanc, die hoch über alle uns in der Nähe umgebenden Gipfelreihen emporragte; und da die Luft nicht sonderlich heiter war, so war das Ansehen des Montblanc ebenfalls düster und geisterhaft, als ob er über unser Scheiden traure. Es war schon ziemlich spät, als wir ein kleines Städtchen am Fuße des Jura erreichten und anhielten, um dort zu übernachten.

Hier befanden wir uns wieder im eigentlichen Frankreich – französische Küche, Betten, Lebensart und Denkweise. Mit der schweizerischen Einfachheit, die noch größtentheils unerloschen fortbesteht, war es jetzt aus, aus war es mit der schweizerischen Gradheit, und an deren Stelle trat jetzt höfliches, verschmitztes und manierirtes Benehmen. Jetzt hieß es: » Monsieur sait« – » Monsieur pense« – » Monsieur fera« – statt des » Que voulez-vous, Monsieur?«

Mit Bergen hatten wir auch nichts mehr zu thun. Unser Weg führte am andern Morgen durch eine weit ausgedehnte Ebene, und wir fanden uns mit einemmale in die ununterbrochene Einförmigkeit der französischen Landwirthschaft versenkt. Ein Dorf war in Brand gesteckt worden, wie man glaubte, in der Absicht, politische Bewegungen zu erregen, und die Postilione fingen an, uns lästig zu fallen, uns der nöthigen Pferde zu berauben, da der Weg von Reisewagen wimmelte. Jetzt galt es darum, schnell vorwärts zu kommen, denn, »wer zuerst kommt, wird zuerst abgefertigt,« das ist die Reiseregel. Mit Hülfe von tüchtigen Trinkgeldern erreichten wir den Punkt, wo die beiden großen Landstraßen etwas weiter östlich von Dole zusammentreffen, ehe noch ein Zug von mehren Reisewagen, die, wie wir deutlich merken konnten, nach dem Vereinigungspunkte der beiden Straßen, in derselben Absicht wie wir, ebenfalls hineilten, uns zuvorkommen konnten. Keiner konnte auf demselben Wege uns vorauskommen, wofern wir nicht anhielten; deßhalb gaben wir lieber alle Gedanken an eine Mahlzeit auf, sondern fuhren in einem fort geradesweges nach dem Posthause in Dole, und brachten unsere Wünsche vor. Gleich darauf hielten noch vier andere Wagen an. Nur fünf Pferde waren im Stalle und siebenzehn wurden verlangt! Eben diese fünf waren grade erst angekommen und hatten noch nicht ausruhen können. Vier davon wurden mir zu Theil, und so fuhren wir weiter mit manchen höflichen Ausdrücken des Bedauerns, daß wir uns genöthigt sähen, blos ein einziges Pferd für die vier andern Wagen übrig lassen zu können. Das Reisen ist ein Bild des Lebens, wo derjenige, dem das Glück günstig ist, auf denjenigen, dem es weniger hold ist, mit stolzem Mitleid niedersiehet.

Einige Stunden Weges hinter Dole begegneten wir zwei Reisewagen, die den andern Weg herkamen, und wir tauschten die Pferde aus; und ich empfand etwas von jener Großmuth bei dieser Gelegenheit, die einen reichen Mann mitunter anwandelt, wenn er hört, daß ein ärmerer Freund eine Banknote gefunden hat. Der Wagen, mit dem wir unsere Pferde austauschten, war eine englische Reisekutsche mit einem gräflichen Wappen. Darin saßen ein Herr und eine Dame, und einige schöne Kinder mit ein paar Mägden saßen in einem nachfolgenden Wagen. Ein Blick zeigte mir sogleich, daß die Familie eine schottländische war; denn ihr Oberhaupt hatte nicht blos die schottischen Kennzeichen im Antlitz, sondern trug überdieß eine Reisemütze mit den Farben seines Clan. Es liegt in dieser schottischen Nationalität etwas Achtunggebietendes, und ich zweifle nicht, daß es größtentheils dazu beigetragen habe, das Volk zu dem zu machen, was es ist. Wenn die Ireländer sich eben so treu bleiben wollten, so würde binnen Jahresfrist die englische Ungerechtigkeit aufhören. Aber die ireländischen Edelleute sind im Ganzen nicht viel mehr, als eine Schaar von Miethlingen, die sich von England abhängig gemacht haben, und die es vorziehen, nach den Fleischtöpfen Aegyptens auszuschauen, statt daß sie zur Vertheidigung ihrer Gerechtsame hätten sollen zusammen halten und ihren Sinn durch die stolzen Erinnerungen an ihre Vorfahren hätten erheben sollen. Wie aber die Sachen stehen, würden Manche ihre Vorfahren unter den englischen Glücksrittern wiederfinden, wenn sie sie wirklich noch aufzufinden vermöchten. Ich beneidete den Schottländer um seine Mütze und um seinen Mantel, obschon ich nicht weiß, ob er und seine hübsche Frau aller der herrlichen Gesinnungen sich bewußt waren, die von solchen Sinnbildern angeregt werden sollten. Die Grafenwürde hat jetzt nicht mehr den frühern Glanz; aber es möchte immer noch einigen Reiz haben, das Oberhaupt eines Clan zu sein!

Sie sind mir schon einmal auf dem Wege zwischen Dole und Dijon in Gedanken gefolgt, und ich will daher nichts weiter davon sagen, als daß wir an letzterem Orte die Nacht zubrachten. Am nächsten Morgen nahm ich mir vor, in die Reise einige Abwechselung zu bringen und den vielen Reisewagen aus dem Gesicht zu kommen, und wählte daher lieber einen Nebenweg nach Troyes. Beide unsere Absichten sahen wir glücklich erreicht; denn wir sahen jetzt nichts mehr von unseren Mitbewerbern um Postpferde, und befanden uns zu gleicher Zeit in einer völlig verschiedenen Gegend; aber einige Striche von Champagne und den Ardennen ausgenommen, so war dieses ein Land der traurigsten Oede, die wir jemals in Frankreich gesehen. Während wir auf einer guten Landstraße durch diese nackte steinigte Gegend vorwärts trabten, kamen wir in ein Thal, worin sich ein Dorf von fast eben so wildem Anblick befand, als eines der Dörfer auf dem großen Sankt Bernhard. Ein Bächlein floß durch das Dorf und schlängelte sich an uns vorüber. Sich des Bächleins bei Duttlingen erinnernd, wünschte A – –, daß ich den Postilion frage, ob es einen Namen habe. » Monsieur, cette petite rivière s'appelle la Seine.« Wir befanden uns also in der Nähe der Quelle der Seine! Indem ich mich umsah, schloß ich aus der Bildung des Bodens, daß sie sich eine kurze Strecke vom Dorfe ab zwischen einigen der nackten traurigen Hügel befinden müsse. Ein wenig weiterhin stießen die Bäche, welche zu den Zuflüssen des Rhonestroms gehören; wir mußten uns also auf dem Hochlande, auf der Wasserscheide befinden, wo die Gewässer des mittelländischen und atlantischen Meeres ihre verschiedene Richtung erhalten. Doch war kein anderes Zeichen da, daß wir uns auf einer solchen Erhebung befänden, ausgenommen in dem unfruchtbaren Ansehen, das ringsum herrschte. Es schien in der That, als ob der Fluß der an Schlamm bekanntermaßen einen solchen großen Ueberfluß hat, alles fruchtbare Land von hier thalab geschwemmt habe.



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