Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechster Brief.

Anblick von Paris. – Besuch bei Lafayette. – Sein Benehmen. – Seine Erzählungen des Anfanges der Empörung. – Umtriebe der Polizei. – Lafayettes Gesinnung. – Seine merkwürdige Aeußerung gegen den General – –. – Unterredung über die Julirevolution. – Die Doctrinären. – Volkssympathie in England und am Rhein. – Lafayette's Entlassung von der Nationalgarde. – Der Herzog von Orleans und seine Freunde. – Militärische Gerichtshöfe in Paris. – Der Bürger-König in den Straßen. – Vernichtung der Lilien. – Die königliche Equipage. – Der Herzog von Braunschweig in Paris. – Seine gezwungene Entfernung aus Frankreich. – Aufenthalt desselben in der Schweiz. – Ein lächerlicher Mißgriff.

Mein Lieber – –,

Während der Aufregung der letzten drei Tage hatte ich nicht daran denken können, einen Besuch in der Rüe d'Anjou zu machen; eigentlich hatte ich mir eingebildet, Lafayette befinde sich in Lagrange, weil ich gehört hatte, er werde nur bis nach geschehener Bestattung des Leichnams des Generals Lamarque sich in Paris aufhalten. Es ging ein Gerücht, er sei gefangen genommen worden; doch dieses betrachtete ich, wie andere wichtige Neuigkeiten, mit denen man sich bei ähnlichen außerordentlichen Ereignissen gewöhnlich herumzutragen pflegt. Es war schon Abend, als ich zufällig erfuhr, er sei vielleicht in seinem Zimmer anzutreffen; deshalb ging ich über den Fluß, um mich selbst davon zu überzeugen.

Welch' ein Unterschied zwischen dem Anblick der Straßen an diesem Abende, und dem Eindruck, welchen sie in der Nacht des fünften dieses Monats auf mich machten! Jetzt waren die Brücken menschenleer, der Garten verödet, und der etwa sichtbare Theil der Bevölkerung erschien voll Angst und Argwohn. Das Gerücht, daß die Regierung die Absicht habe, die Hauptstadt in den Belagerungszustand zu erklären, und statt der bürgerlichen Gerichte militärische einzusetzen, ward bestätigt, wiewohl diese Maßregel noch nicht amtlich angekündigt worden war. Dieses Benehmen stand indessen im graden Widerspruch mit einer Bestimmung der Charte, wie ich vorher bemerkte, und in einer Stadt, wo so eben fünfzigtausend Mann einen Aufstand von wenigen hundert niedergeschmettert hatten, war ein solcher Eingriff eben so leichtsinnig als in sich selbst gesetzwidrig. Doch das Verdienst hat diese Maßregel für sich; es wird dadurch die Maske abgeworfen und deutlich zu erkennen gegeben, was eigentlich die jetzigen Machthaber ein Volk regieren nennen.

Eine Todtenstille herrschte in der Rue d'Anjou. Außer der Reihe von Cabriolets de place, deren blos drei dastanden, war weder ein Wagen noch ein menschliches Wesen dort zu sehen. Ganz unbesetzt war das Einfahrtsthor von No. 6, etwas ganz Ungewöhnliches, zumal unter drohenden Verhältnissen, so daß ich schon glaubte, ich könne ihn nicht sprechen, und mein Gang sei vergeblich gewesen. Das Thor war geöffnet, und ohne anzuklopfen trat ich ein und wandte mich eben von der Haupttreppe, um die schmaleren Stufen hinanzusteigen, die zu der Thüre führen, wo ich früher so manche hohe Staatsbeamtete sich durchdrangen sah, als der Pförtner mich anrief. Er erkannte mich aber beim Scheine der Leuchte sogleich und winkte mir gewährend zu.

Einige Minuten wartete ich, nachdem ich die Schelle gezogen, ehe Bastian die Thüre öffnete. Der brave Bursch ließ mich sogleich ein, und ohne mich vorher melden zu wollen, führte er mich geradeweges durch dies Salons nach dem Schlafgemache seines Herrn. Der General befand sich allein mit dem Gemahl seiner Enkelin, François de Corcelles. Ersterer saß, als ich eintrat, mit dem Rücken gegen die Thüre gekehrt; der letztere lehnte am Vorbau des Kamins. Das » bon soir, mon ami« des erstern war freimüthig und herzlich, wie immer; aber mir fiel sogleich eine Veränderung in seinem Benehmen auf. Er war ruhig und streckte seine Hand nach mir aus, so wie Bastian meinen Namen nannte; aber, obschon er nicht an seinem Tische saß, stand er doch nicht auf. Während ich vortrat, um Herrn von Corcelles zu begrüßen, ließ ich einen Blick nach ihm gleiten, und ich erinnere mich nie, daß aus Lafayette's Zügen jemals solche Hoheit widerstrahlte. Seine große, edle Gestalt war erhaben und wie verklärt, das von Alter noch nicht getrübte Auge glänzte in heiterem Selbstgefühl. Er schien gefaßt auf das Zusammentreffen wichtiger Begebenheiten, und sah ihnen mit der Würde und dem Ernste entgegen, die seinen Grundsätzen Ehre machten.

Die genaue Bekanntschaft mit diesen Grundsätzen und die Vertraulichkeit, die er so freundlich erwiedert hatte, gaben mir den Muth, frei heraus zu reden. Nachdem das Gespräch einige Minuten gedauert, fragte ich ihn lachend, wie ihm die »rothe Mütze« gefallen habe? Meine Frage erregte durchaus kein Mißverständniß, und ich hörte mit Verwunderung, daß dieß Gerücht dießmal weit mehr gegründet war, als solches bei dergleichen Geschwätzen sonst der Fall ist. Er theilte folgenden Vorfall mit, der auf der Place de la Bastille sich ereignet hatte.

Der feierliche Zug machte grade Halt, und eben sollten die Bestattungsreden gehalten werden, da brach die Unordnung aus; er konnte aber nicht sagen, wodurch der Lärmen und wie er entstand. Mitten in dem Getümmel erschien ein Mann zu Pferde, der die gefürchtete »rothe Mütze« trug. Einige Leute drängten sich an Lafayette und ladeten ihn ein, sich auf dem Stadthause sehen zu lassen, kurz, man verlangte, er solle sich an die Spitze der Volksbewegung stellen, und überreichte ihm eine rothe Mütze. Er ergriff sie und schleuderte sie in den Gassenkoth. Darauf stieg er in seine Kutsche, um nach Hause zu fahren, aber ein Theil des Volksgedränges spannte die Pferde aus und zog ihn bis an die Rue d'Anjou. Sobald er in seinem Hotel angekommen war, ging die Menge friedlich auseinander.

Wohl mögen Sie neugierig sein, zu wissen, welches die Ansichten Lafayette's über die Begebnisse dieser Woche gewesen seien. Die Oppositionsblätter hatten unverzüglich den ganzen Vorfall für eine Anstiftung der Polizei erklärt, welche man, sei es mit Recht, sei es mit Unrecht, öffentlich beschuldigt, daß sie zu solchen Hülfsmitteln ihre Zuflucht nehme, in der Absicht, die Zaghaften in Angst zu setzen, um sie zu bewegen, der Sicherheit ihrer Personen und der Aufrechthaltung der Ordnung wegen, sich dem starken Arm einer kraftvollen Regierung willig zu fügen. Bei dem jüngsten Vorfalle wurde auch behauptet, es habe das Ministerium eine günstige Gelegenheit gesucht und gefunden, um die etwa bestehenden geheimen aufrührerischen Plane zu schnellem übereiltem Ausbruch zu nöthigen, während es dafür gesorgt hatte, mit einer hinreichenden Macht sich bereit zu halten, um des Sieges gewiß sein zu können.

Schon öfter habe ich jenes schönen und edelmüthigen Zuges in Lafayette's Charakter erwähnt, der es ihm, wie es scheint, unmöglich macht, ein entwürdigendes Vorurtheil gegen seine politische Gegner zu unterhalten. Dieser Zug ist meines Bedünkens unzertrennlich von denjenigen erhabenen Gesinnungen, welche nur den höhern moralischen Eigenschaften sich zugesellen, und diesen Zug hatte ich zu hundertmalen Gelegenheit an Lafayetten zu bewundern. Ich meine damit keinesweges jenen vollkommenen » bon ton«, der alle seine Reden wie sein Benehmen jederzeit beherrscht; vielmehr verstehe ich darunter seine Besonnenheit und Mäßigung, die ihm in seinen Urtheilen nie verstattet, sein Gefühl für Billigkeit und Recht durch Selbstsucht oder Leidenschaft zu entstellen. Gewiß ist es eine Schwachheit von ihm, daß er hier keinen Unterschied zwischen Tugendhaften und Lasterhaften macht; – daß er diejenigen, die gleich ihm selbst, von Menschenliebe und dem Wunsche des Wohlthuns getrieben werden, mit denen gleichstellt, die blos ihre persönlichen Absichten verfolgen; aber dieses Opfer sollen vielleicht alle die Männer bringen, die durch persönliche Volksgunst Einfluß auf die Menschen überhaupt erstreben. Jefferson hat Lafayetten beschuldigt, er habe zu viel Gewicht auf dies gute Meinung Anderer von ihm War aber Jefferson selbst ganz frei von diesem Tadel? gelegt; und diese Beschuldigung ist vielleicht nicht so ganz ungegründet; indessen darf man nicht die besondere Stellung aus den Augen verlieren, in welcher dieser außerordentliche Mann sich befindet, wenn wir über den Werth oder den Unwerth seines Benehmens urtheilen wollen. Seine Grundsätze verbieten ihm durchaus, sich jener Auskunftsmittel zu bedienen, die von denen gewöhnlich gebraucht werden, die wegen des Zwecks die Mittel nicht weiter beachten, und dazu sind seine Gegner die Großen dieser Erde. Ein Mann, der sich einzig auf die Wahrheit und auf die Reinheit seiner Absichten stützen kann, muß, was auch Schwärmer dagegen einwenden mögen, nothwendig seine Zwecke verfehlen. Die öffentliche Achtung ist zum Gelingen von Lafayette's Planen durchaus unentbehrlich; denn nur so stehen ihm Tausende zur Seite, die seine Feinde werden würden, wenn er jemals der Wahrheit den Rücken kehrte, oder wenn er sich von allen denen abwenden wollte, deren Handlungen und Absichten vielleicht nicht die Probe der nähern Untersuchung bestehen würden. Sogar diejenigen, denen er zu dienen bereit ist, würden ihn verlassen, wenn er ihnen im Geringsten merken ließe, daß er einen scharfen Unterschied zwischen den Würdigen und Unwürdigen mache. Dabei dürfen wir auch die Macht und den Einfluß seiner Gegner nicht unbeachtet lassen. In der Feindseligkeit der neueren Aristokraten darf man nirgends auf Edelmuth und Biederkeit sich verlassen; denn sie sind nur dazu da, ihre Hände nach Vortheilen auszustrecken, und ihre Bestrebungen sind so entwürdigend, als irgend möglich. Wer ihnen mit Erfolg widerstehen will, der muß goldne Meinungen bei seinen Anhängern anregen, oder sie werden ihm immerdar zu stark werden.

Aber während ich über Grundsätze vernünftele, verlangen sie Thatsachen, oder wenn Ansichten, lieber doch die Lafayettes, welche Sie den meinigen vorziehen möchten. Als ich es wagte, ihn zu fragen, ob er glaube, daß die Regierung mitgewirkt habe, um die letztern Unruhen zu erregen, antwortete er mit der Lauterkeit und Furchtlosigkeit, die diesen Mann durch seinen Charakter so hoch stellen.

Er war der Meinung, es habe eine Verschwörung bestanden, aber er hielt es auch für wahrscheinlich, daß Agenten der Regierung mehr oder weniger in der Sache betheiligt seien. Er kam in demselben Augenblicke, als ihm jener Mann die rothe Mütze anbot, auf den Gedanken, dieser könne ein Werkzeug der Machthaber sein, gab aber zu, daß diese Vermuthung mehr auf früher gemachte Erfahrungen, als auf irgend ihm bekannte jetzige Umtriebe gegründet wäre. Der Mensch an sich selbst war ihm völlig unbekannt. Lafayette hatte sich vorgenommen, sogleich nach beendigtem Leichenbegängniß die Stadt zu verlassen, aber »man hatte ausgesprengt«, fügte dieser Mann mit der Würde des Selbstbewußtseins hinzu, »man wolle eine Ursache finden, mich festzunehmen, und deßhalb wünschte ich ihnen die Mühe zu sparen, mich in la Grange aufzusuchen.«

Darauf fuhr er fort, mir zu erzählen, was er und seine politische Freunde von der Offenbarung der öffentlichen Stimme erwartet hätten, und daß sie auf diese wichtigen Begebenheiten vorbereitet gewesen wären. »Die öffentlichen Angelegenheiten naheten einem entscheidenden Wendepunkte, und wir wünschten die Regierung zu überzeugen, daß sie ihr System ändern müsse, und daß Frankreich die Revolution nicht herbeigeführt habe, um bei den Grundsätzen der heiligen Allianz stehen zu bleiben. Der Versuch, um bei der Gelegenheit des Leichenbegängnisses von Perrier die Beweise des erforderlichen Beistandes vom Volke her zu erlangen, ist fehlgeschlagen; während dagegen bei dem Leichenbegängnisse von Lamarque der Erfolg so sehr uns begünstigte, daß ein neues Ministerium und neue Maßregeln hätten folgen müssen, wenn nicht jener unglückliche Vorfall dazwischen gekommen wäre. So wie die Sachen jetzt stehen, wird die Regierung aus dem Geschehenen Vortheil ziehen. Ich wünsche Niemanden ungerechter Weise zu beschuldigen, aber nach meiner Ansicht von den Menschen und von den Begebenheiten, kann ich mich unmöglich der Besorgniß über das Bevorstehende erwehren.« Später brachte man auf dem Wege öffentlicher Untersuchung in Erfahrung, daß Vidocq und ein Theil seines Gefolges, als Landleute verkleidet sich unter den Aufrührern befanden. Eine Regierung, die von dem Bestehen einer Verschwörung zu ihrem Umsturze Kunde hat, besitzt ohne Zweifel das Recht, Spione zur Gegenwirkung und Abwehr in Bewegung zu setzen, wenn sie sich aber so weit herabläßt, um selbst Anreizungen zum Aufruhr zu veranlassen, dann überschreitet sie ihre gesetzliche Befugniß.

Während wir uns so unterredeten, wurde ein Besuch des Generals – –, den ich seit dem Mittagsmahl am vorigen Tage nicht gesehen hatte, angemeldet und angenommen. Er hielt sich nur wenige Minuten auf; denn obgleich er freundlich empfangen wurde, so hatten doch die Vorfälle der letzten Woche augenscheinlich eine Spannung zwischen beiden bewirkt. Der Besuch schien mir auf Seiten des Gastes von Ehrfurcht und Schonung zu zeugen, aber die neuerlichen Begebenheiten und sein nahes Verhältniß zu dem Könige mochten ihm einigen Zwang auferlegen, und obschon auf keiner Seite ein Mangel des gegenseitigen Wohlwollens bemerklich war, so wurde doch während dieses kurzen Besuches der »zwei Tage«, womit man seither in Frankreich den 5. und 6. Juni bezeichnet, kaum mit einem Worte erwähnt; aber selbst das eine Wörtchen bewog Lafayetten zu einem stärkeren Ausdrucke feindlicher Gesinnung, als ich jemals aus seinem Munde vernommen hatte. Als nämlich darauf angespielt wurde, die liberale Partei könne sich wohl an die Regierung Ludwig-Philipps anschließen, sagte er: » à présent un ruisseau de sang nous sépare.« Jetzt trennt uns ein Strom vergossenen Bluts. – Mir kam es vor, als halte der General diese Aeußerung für eine entschlossene und entscheidende; denn er stand bald darnach auf und verließ uns.

Lafayette äußerte sich günstig über die persönlichen Eigenschaften und über die Rechtschaffenheit seines Besuches, als er sich wegbegeben hatte; nur, sagte er, sei er so enge mit dem juste milieu verkörpert, daß er ihn nicht länger zu seinen Freunden zählen könne. Ich fragte ihn, ob er jemals einen wahrhaft Liberalen in politischen Ansichten gekannt habe, der in der Schule Napoleons erzogen worden wäre? Der General gab lachend zu, der sei freilich ein schlechter Lehrmeister gewesen, um von ihm zu lernen, und darauf fügte er hinzu, es sei die Absicht gewesen, dem General – – ein Portefeuille anzubieten, und (so viel war mir klar), er meinte nämlich, wenn es gelungen wäre, das bestehende Ministerium zu stürzen.

Dieses Gespräch führte unvermerkt zu der Besprechung der Julirevolution, und auf seine eigene Theilnahme an jenem wichtigen und entscheidenden Ereignisse. Vergeblich würde ich mich bemühen, hier die Worte des Generals Lafayette wiederzugeben; noch weniger würde es mir gelingen, die Art zu schildern, in der sie gesprochen wurden, die wenn gleich kalt und würdevoll, einen düstern römischen Geist offenbarte, der die tiefste Verehrung abnöthigte. Gewiß, noch nie sah ich ihn so ganz in dem äußern Ausdrucke des wahrhaft großen Mannes, als eben an diesem Abende; denn Niemand ist im freundschaftlichen Kreise weniger zur Deklamation geneigt, Niemand einfacher in seinem Benehmen, als er. Aber jetzt war sein Gefühl tief angeregt, und seine Aeußerungen drängten sich gewaltsam aus seiner Brust, während seine Gesichtszüge einen Theil von dem verriethen, was in ihm wirkte und kämpfte. Sie müssen sich mit einem schlichten Abrisse dessen begnügen, was in ununterbrochener Herzensergießung, die wohl eine halbe Stunde währte, von seinen Lippen floß.

Er beschuldigte in allgemeinen Ausdrücken seine Widersacher der Verdrehung seiner Worte und der Entstellung seiner Handlungsweise. Die oft widerholte Rede; » voici la meilleure des republiques«, wäre ihm besonders falsch ausgelegt worden, während man die Umstände, unter denen er gesprochen und gehandelt, absichtlich unbeachtet gelassen habe. Eben in Bezug auf diese seine Aeußerung, ging er in die nähere Auseinandersetzung der Ursachen ein, welche eine neue Dynastie geschaffen hätten.

Der entscheidende Umstand, welcher das Kabinet Karls des Zehnten zu jenen äußersten Nothmitteln greifen ließ, die den Thron umstürzten, war durch eine legislative Kombination herbeigeführt worden. Um zu ihrem Zwecke zu gelangen, hatten fast alle Meinungen und alle Schattirungen der Opposition sich vereinigt; eine große Zahl sogar von denen, die persönlich den Bourbons anhingen, widerstrebten damals dem Plane derselben, das » ancien régime« wiedereinzuführen. Die meisten Kapitalienbesitzer und ganz besonders solche, die in Geschäften verwickelt waren, welche leicht durch politische Wirren gefährdet werden konnten, waren im Stillen bereit, die herrschende Dynastie zu unterstützen, während sie gleichwohl eifrig bemüht waren, dessen Macht zu beschränken. Der Zweck dieser Menschen war, den Frieden aufrecht zu erhalten, Industrie und Handel zu beschützen, vorzüglich ihren eigenen; und zu gleicher Zeit ging ihre Absicht dahin, dem Eigenthume einen Einfluß auf die öffentliche Verwaltung bleibend zu versichern. Kurz, England mit seinen Freiheiten schwebte ihnen als Muster vor, obschon manche unter ihnen zu verständig waren, als daß sie einen Rückschritt hätten wünschen mögen, so wie es bei einer gewissen Partei in Amerika der Fall ist, um die Nachäffung desto vollkommener zu machen. Die, welche gleichsam das englische System ganz und gar verschlingen wollten, wurden die »Doktrinären« genannt, wegen ihres unbedingten Anhängens an eine Theorie; während die verschiedensten Abstufungen verschiedener Ansichten sich unter jene vertheilt fanden, die mehr die Fakta ins Auge faßten und weniger an bloßen Grübeleien festhielten, wie ihre gläubigen Mithelfer. Alle aber beseelte gleicher Eifer des Widerstandes gegen das bestehende System der Regierung und derselben offenkundige Absichten.

Sie wissen es, die Folgen davon waren die vielbesprochenen Ordonanzen und der Aufstand des Volkes. So wenig hatte man weder das Eine noch das Andere vorhergesehen, daß vielmehr das erstere begreiflicherweise die Freunde der Bourbons gleich sehr beunruhigte und überraschte, als die Feinde derselben. Das letztere ging hauptsächlich aus der Kühnheit und Entschlossenheit der jungen Leute hervor, die mit der Presse zunächst verbunden waren, und fand durch das Selbstgefühl und durch das Wagniß der arbeitenden Klassen von Paris einen festen Anhaltpunkt. Die Entwicklung der Ereignisse ging naturgemäß aus dem Aufschwung des französischen Charakters hervor, welcher die nöthige Uebereinstimmung und Theilnahme unter den verschiedenen Klassen der handelnden Personen hervorbrachte. Mit den folgenden Ereignissen hatten diejenigen, die mittelst ihrer parlamentischen Opposition die damalige Lage der Dinge veranlaßt, nichts weiter zu schaffen. Lafayette selbst war damals zu la Grange und er kam erst am zweiten jener merkwürdigen Tage nach Paris. Weit entfernt, an den unerwarteten Begebenheiten Theil zu nehmen, befanden sich vielmehr sämmtliche Deputirten in banger Besorgniß, und ihre ersten Bemühungen waren auf einen Vergleich abzweckend. Aber die Begebenheiten waren mächtiger, als alle Berechnungen, und die Bourbons waren bereits wirklich des Thrones verlustig geworden, ehe noch ein Streben oder gar ein Plan im Werke war, um diesen Ausgang herbeizuführen, weder bei den Angreifern noch bei den Vertheidigern derselben.

Jetzt denken Sie sich den Thron unbesetzt, die handelnden Personen in dem letzten Begebniß, als leidende Zuschauer, der Dinge harrend, die kommen könnten, und hierdurch die Gelegenheit eröffnet für die parlamentarische Taktik, um fortan wirkend einzugreifen. Die Menschen hatten Muße, Wirkungen und deren Folgen abzuwägen. Ein neuer politischer Kreuzzug bedrohte Frankreich, und wahrscheinlich hinderte sonst Nichts dessen Verwirklichung, als die Zeichen der Völkersympathieen in England und am Rhein. Dabei drohte die Gefahr, daß die Banquiers und Manufakturisten, so wie die Eigenthümer großer Ländereien, die Sache, für welche sie thätig gewesen, verloren geben müßten, wenn sie der Mehrzahl der Bevölkerung das Uebergewicht in Händen ließen. Bis zu diesem Augenblicke hatte die Masse des Volkes zu den Deputirten, wie zu ihren Freunden aufgeblickt. Um alle Parteien anzufeuern, oder wenigstens eine so große Anzahl als möglich zu gewinnen, hatte man den Ruf: » la charte!« wiederholt vernommen; und so war die Opposition mit der Aufrechthaltung derselben unzertrennlich verbunden. So wurden die neuen Kammern versammelt, und nachdem der Kampf entschieden, so wandte sich die Bevölkerung naturgemäß denen zu, die bis dahin in ihren Reichen als Geleitsmänner sich bemerklich gemacht hatten. Dieses Bruchstück der Representation wurde nun nothgedrungen der Bereinigungspunkt aller Kräfte.

Bis dahin war Lafayette von allen Abtheilungen der Opposition unterstützt worden; denn sein Einfluß auf die Masse des Volkes, um Gewaltthätigkeiten unterdrücken zu können, ward als ein Umstand von äußerstem Gewichte selbst von seinen Feinden anerkannt. Diejenigen sogar, die ihn jakobinischer Grundsätze und des Strebens anklagten, die gesellschaftliche Ordnung zu untergraben, fanden eine behagliche Sicherheit in seinem schützenden Einflusse, die sie ohne ihn nicht würden empfunden haben, Louis-Philipp bediente sich seiner Hülfe, wie Sie wissen, bis die über die Minister verhängte Untersuchung beendigt war, worauf man ihn ohne Umstände des Oberbefehls der Nationalgarde dadurch entsetzte, daß man diese Stelle ganz aufhob. Der Verfasser hatte Gelegenheit, seit seiner Rückkehr nach Amerika zu erfahren, wie sehr die Wahrheit, ehe sie das atlantische Meer durchmißt, entstellt zu werden pflegt, und wie wenig man selbst über die ausgezeichnetsten Begebenheiten in Europa an der Jenseite des Meeres im Klaren ist. Es hatte einigen Leuten gefallen, zu sagen, Lafayette habe selbst auf den Oberbefehl der Nationalgarden verzichtet, und so ist dieses Faktum in unsern meisten öffentlichen Blättern mitgetheilt worden. Das Amt wurde aber schlechthin abgeschafft, ohne ihn darüber zu Rathe zu ziehen, und damit bezweckte man seine Entfernung, um den alliierten Mächten gefällig zu sein. Hinterher kam dann der Versuch zu einer ungeschickten Erläuterung, als habe ein blos genehmigtes Austreten aus dem Dienste stattgefunden.) »Es hätte in meiner Macht gestanden, damals eine Republik einzuführen,« fuhr er in seinen Mittheilungen fort, »und unterstützt durch die Pariser Bevölkerung, und gedeckt durch die Nationalgarde, hätte ich mich selbst an die Spitze der Republik stellen können. Aber sechs Wochen würden hingereicht haben, meine Laufbahn zu beendigen und auch der Republik ein Ende zu machen. Die Regierungen von Europa würden sich zu unserem Sturze verbunden haben; denn die Bourbons hatten Frankreich in hohem Grade wehrlos blosgestellt. Wir befanden uns nicht in der Lage, widerstehen zu können. Zwei erfolgreiche feindliche Einfälle hatten das Vertrauen der Nation zu sich selbst vermindert, welche ohnehin in sich getheilt gewesen sein würde. Aber vorausgesetzt, daß es uns gelungen wäre, unsere auswärtigen Feinde zu überwältigen, ein Erfolg, der wenigstens im Bereiche der Möglichkeit lag; so würde nichts desto weniger, mit Hülfe der Propagande und der allgemeinen Unzufriedenheit, eine feindliche Macht im Innern verblieben sein, die uns gewiß überwältigt haben würde. Jene Herren in den Kammern, auf welche ein großer Theil des Volks vertrauensvoll den Blick erhob, würden jeder wichtigern von mir ergriffenen Maßregel sich widersetzt haben, und wenn sie kein anderes Mittel hätten ausfindig machen können, um der Einführung einer Republik zuvorzukommen, so würden sie mich in den Fluß gestürzt haben

Dieser letzte Ausdruck ist wörtlich wiedergegeben, zweimal bediente er sich dessen an diesem Abende. Darauf verfolgte er seine Rede weiter und sagte: daß, weil er die Unmöglichkeit eingesehen, ganz nach seinen Wünschen zu Werke zu gehen, er sich damit habe genügen lassen, den Plan aufzunehmen, der seinen Absichten damals wenigstens am nächsten zu entsprechen geschienen habe. Die Freunde des Herzogs von Orleans waren in Bewegung, vorzüglich Herr Lafitte, der damals bei ihm selbst in hohem Zutrauen stand; dabei war der Herzog freigebig in liberalen Aeußerungen. Unter solchen Umständen hielt Lafayette es für möglich, eine Regierung einzusetzen, die in der Form monarchisch, aber im Wesen republikanisch war. Solches ist, oder wenigstens ist solches beinahe der Fall in England, und er sah dennoch keine Schwierigkeit, dergleichen auch in Frankreich zu verwirklichen. Zwar mußte er zugeben, daß die englische Republik eine Aristokratie sei, doch diese Eigenheit betrachtete er als eine Folge der Grundlage und der Unabhängigkeit ihrer Verfassung. Er sah keinen hinreichenden Grund, weßhalb Frankreich auch in diesem wesentlichen Punkte England nachahmen solle; und er hoffte, daß wenn eine verschiedene Verfassung zu Grunde gelegt worden wäre, so würde Frankreich in der Wirklichkeit eine verschiedene politische Gestaltung erlangt haben, wenn es auch dieselbe Form äußerlich beibehalten hatte.

Mit Beziehung auf die ihm so oft nachgeredeten Worte, sagte er, er habe sich so ausgedrückt: » voici la meilleure des républiques pour nous,« indem er namentlich auf die Schwierigkeiten und Hindernisse, die seine Handlungen begleiteten, aufmerksam machte. Dabei verhehlte er keinesweges, daß er sich in dem Könige getäuscht habe, der ihn in dem Wahn ließ, als hege er ganz verschiedene Grundsätze von denen, die er später durch die That als seine wirkliche Denkweise kund gegeben habe.

Sodann kam die Rede auf den » état de siège« und auf die gegenwärtigen Absichten der Regierung. »In wenigen Tagen werde ich mich nach la Grange begeben,« bemerkte der General mit Lächeln, »wenn sie mich nicht etwa gefangen nehmen, und ich werde bis zum vierten Juli dort bleiben, wornach wir unser gewöhnliches Mittagsmahl halten werden, wie ich hoffe.« Ich sagte ihm, das langwierige Fieber, an welchem A – – darniedergelegen, mache eine Veränderung der Luft nöthig, und daß ich mich deßhalb fertig mache, um Frankreich nochmals, eines wiederholten Ausflugs halber, zu verlassen. Er drang in mich, bis zum vierten noch zu bleiben; und da ich entgegnete, wir könnten bei den obwaltenden Umständen, bis dahin sämmtlich als Aufrührer erschossen werden, wenn wir liberale Gesundheiten auszubringen fortführen; da lachte er und sagte: »ihr Bellen sei ärger, als ihr Beißen.«

Es war fast zehn Uhr, als ich mich empfahl, und nach der Rue Saint Dominique zurückkehrte. Die Straßen waren düster und öde, und kaum begegnete ich einem einzigen Vorübergehenden auf dem meilenweiten Wege zwischen beiden Hotels.

Es war eine schaurige Lust, eine große Stadt in einem so außerordentlichen Zustande zu betrachten; ich konnte mir es nicht versagen, die jetzige Stille mit den Scenen jener Zeit zu vergleichen, wo die Regierung noch jung und unabhängig war, so daß sie die Nothwendigkeit erkannte, dem Volke schmeicheln zu müssen. Ich habe Ihnen schon manche Begebenheiten jener Zeit mitgetheilt; aber manche habe ich unerwähnt gelassen, und dazu manche besondere Vorfälle, die mir gerade in diesem Augenblicke neu in der Erinnerung auftauchen, wo der König mit der Einrichtung militärischer Gerichte in seiner Hauptstadt beschäftigt ist.

Einst spazierte ich gelegentlich durch die Tuilerien, als ein Lärmen mich nach einem Gedränge hinzog. Was war es? Ludwig-Philipp ging spazieren! Sie merken wohl, dieß geschah absichtlich, um Aufsehen zu erregen – um den Unterthanen zu zeigen, daß er in der äußeren Erscheinung jedem anderen Menschen gleich sehe. Er hatte einen weißen Hut auf und trug einen Regenschirm (ich weiß nicht mehr genau, ob es ein rother war), und ging in so nachlässiger Weise einher, als irgend ein Mensch hinschlendern kann, und gab sich alle Mühe, die irgend möglich, um die unbehagliche Aufgabe völlig durchzuführen. Kurz, er war herablassend aus allen Kräften. Einige Herren, die ihm folgten, vermochten kaum gleichen Schritt mit ihm halten, und das Volk ward ordentlich genöthigt, sich in Trab zu setzen, um seine Neugierde zu befriedigen. Das war ungefähr um dieselbe Zeit, als der König von England die Londoner enthusiasmirte, indem er nach einer Regierung voll Zurückgezogenheit plötzlich in den Straßen erschien gleich einem andern Menschen zu Fuße einherwandelnd. Ob eine gegenseitige Verabredung bei diesen zusammentreffenden Ereignissen statt fand, kann ich wirklich nicht sagen.

Bei einer anderen Gelegenheit fuhren A – – und ich bei Nachtzeit aus, um ein Bivouac im Carrousel in Augenschein zu nehmen. In der Straße Saint-Honoré geriethen wir in einen dichten Haufen Menschen und waren genöthigt, stille zu halten. Während wir hielten, erhob sich im Gedränge ein lufterschütternder Ruf: » vive le Roi!« und eine Abtheilung von berittenen Nationalgardisten zu Fuß kamen an unserm Kutschenfenster vorüber, ihre Säbel schwingend und gleich verrückten Menschen aufkreischend. Ich sah hinaus und erblickte den König in ihrer Mitte, der die Straßen seiner guten Stadt Paris eben zu, Fuße durchstrich! Jetzt hat er uns alle unter das Martialgesetz gestellt, und geht damit um, alle todtschießen zu lassen, die ihm nicht behagen.

Die Lilien sind, wie Sie wissen, das unterscheidende Sinnbild der Herrscherfamilie Frankreichs. Hier legt man ein so großes Gewicht auf Kleinigkeiten dieser Art, so daß Napoleon, bei allem seinem zermalmenden Militärdespotismus, niemals darauf ausging, dieses Sinnbildes sich zu bedienen. Während seiner ganzen Regierung waren die Landesmünzen mit sonst Nichts, als einer Inschrift und einem einfachen Lorbeerzweig auf der einen Seite geziert; wiewohl das stufenweise Fortschreiten seiner Macht und die allmählige Umgestaltung, die er im Gemeinwesen durchsetzte, ebenfalls in der Folge dieser Gepräge nachgewiesen werden kann. Die ersten Münzen, die er prägen ließ, zeigten sein Bild, als erster Konsul, mit den Worten: » Republique Française« auf der Kehrseite. Nach einiger Zeit ward daraus: » Empereur« und » Republique Française.« Späterhin ließ er kühn: » Empire Français« auf die Rückseite setzen, als er bereits einen wahrhaft herrschermäßigen Widerwillen gegen das Wort Republik verspürte.

Während der neuesten Ereignisse, die unmittelbar auf die letzte Revolution gefolgt waren, hatte Niemand an die »Lilien« gedacht, womit die Bourbons alle möglichen Dinge in und um die Hauptstadt, um nicht zu sagen, durch ganz Frankreich geschmückt hatten. Diese Unterlassungssünde zog die Aufmerksamkeit einiger Demagogen auf sich, und es entstand eine kleine Volksbewegung vor dem Bogen des Carrousel, von Drohungen begleitet, diese Zierrathe zu verwüsten. Alsobald wurden Arbeiter in Thätigkeit gesetzt, um Alles, was einer Lilie ähnlich sähe, in Paris zu vernichten. Das Hotel der Schatzkammer besaß deren mehre Hunderte in großen Steinrosetten; alle mußten vor Meißel und Schlägel weichen! Der König legte selbst das Wappen seiner Familie ab und ließ auf seinen Wagenschlägen solches auslöschen. Ich sprach mit Lafayette darüber, welcher mit Betonung entgegnete: »Wahrhaftig, das sagte ich dem Könige: ich hätte dieß gethan, ehe ein Volksauflauf statt gefunden; aber hinterher hätte ich es durchaus nicht gethan.«

Die Bourbons fuhren gewöhnlich mit acht Pferden; aber dieser König ließ sich selten mit sechsen sehen; letztere Zahl ist zwar nicht unziemlich, aber erstere doch der eigentliche königliche Styl. Einige Zeit vor dem Eintritte der letzten Krisis, sahe ich, wie der Kutscher im Palaste ganz frühe oder doch ehe das Gewühl der Menschen lebhaft wurde, sich zur Fahrt mit acht Pferden einübte. Es ist zu vermuthen, daß blos die Erwägung der Umstände, die Birnen und die Herzogin von Berri Veranlassung gaben, das Vordergespann wegzulassen.

Einige Tage nach diesem Ereignisse speiste ich in der Gesellschaft eines Deputirten, der zugleich ein ausgezeichneter Rechtsanwalt ist, der mich mit den neuesten Ergebnissen eines anderen Herrschers ergötzte und worüber man sich hier nicht wenig lustig machte. Dieser Advokat wurde in dieser Sache zu Rathe gezogen, und daher hat seine Erzählung einige Glaubwürdigkeit.

Sie erinnern sich wohl, daß bald nach der Revolution von 1833, das Volk in Braunschweig aufstand und seinen Herzog absetzte, und dessen Thron, oder Armsessel, (denn ich kenne die rechten Ausdrücke nicht), seinem Bruder übertrug. Dieser Herzog von Braunschweig ist der Enkel dessen, der in den Feldzügen der »ältern« Revolution eine Rolle spielte, und der Sohn desjenigen, der bei Quatre-Bras gefallen ist. Seine Großmutter war eine Schwester Georgs des Dritten, seine Tante war die Gemahlin Georgs des Vierten, und der letztere war sein Vetter, Oheim und Vormund.

Der abgesetzte Fürst zog sich nach Paris zurück, wenn man es Zurückziehen nennen kann, wenn jemand von Braunschweig hierher kommt. Nach einiger Zeit wurde der Polizei gemeldet, er beschäftige sich mit Werbungen, um seine Staaten wieder zu erobern. Er wurde vor den Folgen gewarnt und erhielt die Weisung, von seinem Vorhaben abzustehen. Die Warnung wurde nicht beachtet, und nachdem ihre Geduld erschöpft war, entschloß sich die Regierung endlich, ihm zu befehlen, daß er Paris verlassen solle. Dem Befehle wurde nicht gehorsamt.

Nun muß ich erinnern, daß wenige Jahre früher der Herzog in Paris war, und weil er meuchelmörderische Nachstellungen, warum, weiß ich nicht, besorgte, von der Polizei einen ihrer Agenten zugetheilt erhielt, der für die Sicherheit seiner Person besorgt sein mußte. Dieser Mensch hatte dieses Amt mehre Wochen lang versehen, und da er also die Person des widerspenstigen Fürsten kennen mußte, so wurde, als man zur Gewalt schreiten wollte, eben dieser Agent mit den Gensdarmen geschickt, um sich der Person desselben wirklich versichern zu können.

 

Demzufolge erschien eine Anzahl dieser Herren eines Morgens früh vor dem Hotel, welches die Ehre hatte, Seiner Durchlaucht zur Wohnung zu dienen, und verlangte vorgelassen zu werden, im Namen der Polizei. Niemand wagte, ihnen den Eintritt zu versagen, und die Polizeibeamten wurden hineingelassen. Sie trafen den unbezwingbaren Fürsten in seinem Morgenanzuge und in Pantoffeln, in einer Haltung, als ob er noch in Braunschweig zu befehlen habe, oder doch fast so. Man machte ihn mit der Absicht ihres Besuches bekannt, die nämlich keine andere war, als ihn über die Grenze zu geleiten.

 

Der Großenkel Georgs des Dritten, der Vetter und Neffe Georgs des Vierten, der Vetter Wilhelms des Vierten, der Erzherzog von Braunschweig, hörte ihren Vortrag mit einer Ruhe, wie sie seiner erlauchten Abstammung und seiner hohen Verwandtschaft völlig würdig war, indem er dem Polizeikommissar herablassend antwortete. In deutlichem Englisch gab er ihnen zu verstehen, er gehe nicht von der Stelle. Die Ehrfurcht vor dem königlichen Blute mußte endlich der Dienstpflicht weichen; und als kein anderes Mittel übrig blieb, so faßten die Gensd'armen mit ihren entweihenden Händen den fürstlichen Leib an, trugen ihn ohne Umstände die Treppe hinab, und sperrten ihn sammt Schlafrock und Pantoffeln, wie er war, in eine Miethkutsche.

 

Es war ein Bedauern erregender Anblick, einen jungen Mann von so hohen Erwartungen und Hoffnungen, von einer so alten Abstammung, von seinem so weit entlegenen Herzogthume verbannt, auf eine solche rohe und ungastliche Weise behandelt zu sehen! Gleich Cäsar, der seinen Feinden unerschrocken ins Angesicht blickte, bis er den Dolch des Brutus fühlte, bedeckte er sein Antlitz mit dem Schnupftuche, und duldete mit würdiger Entsagung, als er es endlich inne ward, wie der Minister des Innern bis auf das Aeußerste seine Maßregeln durchzusetzen wagte. Herr – – hat uns nicht gesagt, ob er vielleicht ausgerufen habe: »Auch Du, Montalivet!« Die Leute im Hotel ließen ihre Theilnahme an dem grausamen Vorgange ziemlich laut vernehmen; die Aufwärterinnen weinten in den Gängen, wie Aufwärterinnen, die solche Gewaltstreiche mit ansehen, natürlicherweise weinen mußten.

 

Kaum befand sich der Herzog in dem Miethwagen, so fuhr man ihn auch sogleich zur Stadt hinaus nach einem Posthause hin, auf dem Wege nach der Schweiz. Dort setzte man ihn in eine Postkalesche und brachte ihn weiter bis an die nächste Grenze.

 

Als er das Ende seiner Reise erreicht hatte, wurde der Herzog von Braunschweig seinem Schicksal überlassen, mit einer Gleichgültigkeit, welche ganz zu dem gewaltsamen Benehmen paßte, oder die von den Dienern eines Fürsten nicht anders zu erwarten war, der noch kürzlich seine Achtung vor hohem Range dadurch an den Tag gelegt, daß er seine eignen Blutsverwandten aus seinem Königreiche fast auf gleiche Weise hinausgewiesen hatte. Glücklicherweise fiel der unglückliche Herzog zufällig den Republikanern in die Hände, die, wie gewöhnlich, sich beeilten, ihm ihre Huldigung darzubringen. Der Vorstand der Gemeinde erschien, um ihn höflich zu empfangen; alle Beamteten näherten sich ihm mit bereitwilligem Eifer, und um ihm ihr Beileid zu bezeugen, wurde ein junger Deutscher ihm vorgestellt, um den so hart behandelten Fürsten dadurch einigen Trost zu gewähren, daß man ihm Gelegenheit gebe, seinen gerechten Schmerz in seiner Muttersprache auszudrücken. Dieser Zug von zarter Aufmerksamkeit wurde aber durch die Aeußerung eines geschäftigen Dieners unnütz, daß seit seiner Entthronung sein Herr einen solchen Widerwillen gegen die deutsche Sprache gefaßt habe, daß er fast in Wuth gerathe, wenn er solche nur höre! Der Fremde war also so höflich, sich zu entfernen.

Während dieses Alles vorging, so verschwand der Herzog plötzlich, und Niemand wußte, wo er hingekommen sei. Die öffentlichen Blätter machten dies Ereigniß bald bekannt, und die allgemeine Vermuthung stand fest, er sei wieder nach Paris zurückgekehrt.

 

Mehre Wochen nachher wurde der Herr – – beauftragt, wegen einer Amnestie zu unterhandeln, indem er im Namen seines Bevollmächtigten versprach, es würden keine weitere Schritte in Frankreich zur Wiedererlangung seines Herzogthums unternommen werden. Der Minister war dies in so fern zufrieden, daß er äußerte, er wollte Alles, was geschehen sei, vergessen, wenn nur der Herzog nicht wieder eigenmächtig nach Frankreich zurückgekehrt wäre, nachdem er auf Befehl der Regierung in der Ihnen mitgetheilten Weise nach der Schweiz abgeführt worden war. Herr – – versicherte den Minister auf sein Ehrenwort, hier walte ebenfalls ein Mißverständniß. »Wohl! so geben Sie mir darüber hinreichende Ueberzeugung, und Seiner Durchlaucht soll es freistehen, hier so lange zu bleiben, als es Höchstderselben gefallen wird.« – »Da Seine Durchlaucht Frankreich nicht verlassen haben, so können dieselben auch nicht eigenmächtig wieder zurückgekehrt sein.« – »Wie? Frankreich nicht verlassen? ist er denn nicht in die Schweiz gebracht worden?« –»Durchaus nicht; da es dem Herzog besser in Paris gefiel, so zog er vor, hier zu bleiben. Die Person, die Sie fortbringen ließen, war ein junger Gesellschafter des Herzogs, von derselben Größe, ein Franzose, der kein Wort Deutsch versteht!«

 

Das verlangte Versprechen wurde gleich gegeben, denn diese Sache mußte verschwiegen bleiben; da der Einfluß des Lächerlichen in Paris weit größer als der der Vernunft ist. Vielleicht haben Sie schon in einigen Tagblättern darauf bezügliche Anspielungen vernommen, wenn von der Flucht des Herzogs von Braunschweig die Rede war?



 << zurück weiter >>