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Elfter Brief.

Abreise von Lüttich. – Die Ufer der Maas. – Spaa. – Schöne Spaziergänge. – Robinson Crusoë. – Der Herzog von Sachsen-Koburg. – Früherer Glanz von Spaa. – Ausflüge in die Umgegend. – Abreise von Spaa. – Aachen. – Die Kathedrale. – Postmeisterhöflichkeiten. – Bergheim. – Deutscher Enthusiasmus. – Ankunft in Kölln.

Lieber – –,

Am vierten Tage unserer Quarantaine verließen wir Lüttich, wenn auch nicht mit ausdrücklichen Gesundheitszeugnissen, doch mit gehöriger Bescheinigung im Paß, um den nächsten Morgen in Preußen einziehen zu können. Weil der König und sein Bruder alle Pferde in Requisition genommen, so konnten wir vor zwei Uhr nicht abreisen; aber, einmal auf dem Wege, fuhren unsere Postilione darauf los, als gelte es eine doppelte Erndte.

Der Weg führte eine Strecke weit am Ufer der Maas vorüber, und die ganze Gegend zeigte ausgezeichnete landschaftliche Schönheiten. Ein tiefdunkeles Wiesengrün, – ein zwischen den Fluren sich schlängelnder Weg, dem Ufer bald näher, bald ferner, – Hügelabhänge mit Fruchtbäumen besetzt und von Blüthen duftend, – Landhäuser, Dörfer, Hütten, – überall die Spuren von Wohlhabenheit und Bequemlichkeit, – Hügelreihen im Hintergrunde, die gleiche Schönheiten und gleiche Fülle verkünden, – das waren die Hauptzüge dieses Gemäldes. Das Wetter war so schön, als irgend möglich, und überall erglänzte das Laub in der Frische eines kürzlich gefallenen belebenden Regenschauers, und durch diese zauberische Umgebung rollten wir hin mit einem dem Enthusiasmus ähnlichen Gefühl, wie wir sonst dergleichen auf unsern Reisen in Italien und in der Schweiz öfter empfanden.

Doch mußten wir statt der Maas bald einen Arm derselben als Tausch uns gefallen lassen, und nach einigen Stunden Weges veränderte sich allmählich der Charakter der Gegend, obgleich die Ansichten ringsum manche eigenthümliche Schönheiten entwickelten. Das gefällige Grün der Wiesen ging in eine blassere Färbung über, aber es war noch immer ächtes Wiesengrün; die Wälder wurden dichter; die Wohnungen standen weniger gedrängt längs der Landstraße, und es kam uns vor, als berührten wir jetzt eine Gegend, deren Bevölkerung und Naturerzeugnisse denen der früher verlassenen Gegend durchaus nicht gleichkommt, aber doch noch ein gefälliges malerisches Aeußere hat und auch ihren Bewohnern manche Annehmlichkeiten darbietet. Unser Weg führte jetzt allmählich aber ganz unmerklich bergan.

Dieß dauerte etwa vier Stunden, bis wir ein Landhaus erreichten, in dessen Nähe der Weg plötzlich in einem rechten Winkel sich wandte, und wohl eine Meile Weges führte nun die Straße durch eine Allee zwischen offenen Wiesen hindurch. Am Ende dieser Allee befanden wir uns in einem kleinen, wohlgebauten, freundlichen, gedrängten Dörfchen, das etwa hundert und fünfzig Häuser enthielt, außer drei oder vier Gebäuden, die mehr als gewöhnliches Aufsehen erregen zu wollen schienen. Dieses war das berühmte Spaa, ein Badeort, dessen Ruf in früherer Zeit über die ganze gebildete Welt verbreitet war.

Wir fuhren an ein Gasthaus, wo wir zu Mittag speisten, weil aber das Gedränge darin zu groß war, und wir uns daher nicht behaglich fühlten, so ging ich noch an demselben Tage aus, miethete tagweise ein möblirtes Haus für uns allein, und setzte unsere eigenen Dienstboten mit einer Aushülfe in den Besitz der Küche. Als ich am andern Morgen fand, daß ich mich übereilt hatte, und daß unsere Wohnung zu enge war, so machte ich mich von derselben wieder frei und miethete eine bessere. Wir hatten ein Eßzimmer, zwei Besuchzimmer, mehrere Schlafzimmer, nebst den erforderlichen Kammern u. s. w. alles recht freundlich und dabei gut meublirt für einen Napoleond'or täglich. Dieses bemerke ich Ihnen blos, um Ihnen einen Begriff von den Bequemlichkeiten zu geben, die man auf Reisen in diesem Welttheile genießen kann. Fast jedes Haus kann man in Spaa auf diese Weise miethen, da fast alle zur Bequemlichkeit der Reisenden eben so eingerichtet sind, um Fremde aufnehmen zu können; die Eigenthümer pflegen einen kleinen Nebenbau zu bewohnen, auch wohl einen kleinen Laden zu versehen, worin Weine und Spezereien bekommen sind. Dienstboten kann man auf der Stelle haben, und so kann Jedermann seine eigene Haushaltung in einer Stunde vollständig einrichten. Diese Art und Weise kostet weit weniger, als das Zehren in einem Gasthause, besonders für eine zahlreiche Familie, gewährt weit größere Bequemlichkeiten, und ist zugleich anständiger. Auf Verlangen kann man sich aus den Gasthäusern speisen lassen. François war in der Kochkunst ziemlich bewandert, und mit Beihülfe der in Spaa angenommenen Bedienung lebten wir nun ganz nach unserer gewohnten Weise. Da ich, wie gesagt, tageweise gemiethet, so konnte ich das Haus, so bald es mir einfiel, jeden Augenblick verlassen.

Spaa befindet sich gleich andern Eisentheile enthaltenden Badeörtern mitten in einer Gegend, die sich keiner großen Fruchtbarkeit rühmen kann. Durch die Länge der Zeit und durch den Anbau hat sie den Charakter des blassen Grüns erhalten, dessen ich vorher erwähnte, und das eine Zeitlang durch Abwechselung dem Anblicke angenehm ist. Die Farbe der Auen hatte weder ein verbleichendes noch ein kränkelndes Ansehen, eher noch die Schattirung jungen Grases. Es war gleichsam ein schauriges Grün. Das Auge schweifte hier über eine weite Strecke offenen Feldes, sobald man nehmlich einen der steilen waldigen Hügel erstiegen hat, an deren Fuß dieß Städtchen erbaut ist; und ich entsinne mich keines Ortes, der einen stärkern Eindruck unendlicher Oede zurückläßt, als den, welchen der Anblick dieser unbegrenzten Ebenen auf mich machte, in welchen hier das Land wellenförmig bis nach Frankreich hin sich fortzusetzen scheint. Diese Gegend soll dem Ardenner Bergwald angehören; hier soll der Forst sich ausgedehnt haben, in welchem ehemals »der Eber der Ardennen« sein Unwesen trieb. Vom Walde ist keine Spur mehr zu sehen, und wenn hier ein Gebirg sein soll, so steht Spaa vermuthlich auf seinem unbegrenzten Gipfel. Hohe und unterbrochene Hügel zeigen sich freilich hier umher; aber im Ganzen ist es höchstens eine Erdhöhe.

Der Ruhm von Spaa ist verklungen! Es gab eine Zeit, wo Müßiggänger, Genußmenschen und Schwelger schaarenweise dieses einsame Oertchen besuchten, hier Ränke schmiedeten oder ihre Habe verspielten, unter dem Vorwande, die Heilquelle zu benutzen; eine Zeit, wo seine Hallen von Fürsten und Edelleuten gedrängt voll waren, wo selbst Monarchen an den hier gehaltenen Festen Theil nahmen und solche häufig besuchten. Die betriebsamen Einwohner scheuen auch jetzt noch keine Mühe, um den Aufenthalt hier angenehm zu machen, aber der launenhafte Geschmack der jetzigen Zeit verlockt die Reisenden nach andern Quellen, wo noch weit ergötzlichere Lustbarkeiten ihre Gegenwart fesseln. Deutschland hat einen Ueberfluß an Badeörtern, deren Annehmlichkeit gewöhnlich durch eine wohlberechnete Anlage von reizenden und erquicklichen Spaziergängen und anderer Anreizungen erhöht werden. In keinem Dinge haben sich die geldgierigen und unbestimmten Bestrebungen der Bewohner von Amerika deutlicher offenbart, als in der Armseligkeit ihrer öffentlichen Vergnügungsörter. In allen diesen Dingen hat die Natur für einige derselben wenigstens Etwas gethan, aber von Menschenhand ist dort noch nirgends etwas geschehen, das der Erwähnung werth wäre.

Ein unbedeutender Kostenaufwand hat den rohen Hügel, der, hauptsächlich mit Immergrün bekleidet, Spaa überragt, in eine herrliche Folge schöner Spaziergänge umgewandelt. Schlängelnde Wege winden sich durch das Dickicht; angenehme Ueberraschungen sind den Fremden hier bereitet, und jedes Plätzchen, das irgend einen reizenden Anblick oder einen erfreulichen Umblick gewährt, findet sich mit Bänken oder Lauben geziert. Eines dieser Plätzchen war mit einem dauernden Obdach gegen die Witterung versehen; sein Name ergötzte uns, obschon er passend genug war, wenn man auf seine Zusammensetzung Acht gab. Es hieß der »Pilz« und hatte auch die Gestalt eines hölzernen Regenschirms, denen ähnlich, welche die französischen Marktweiber in den Straßen von Paris über ihre Häupter auszubreiten pflegen, und welche sie mit mehr Sentimentalität und Imagination mit dem Namen »Robinson«, zu Ehren des Robinson Die englische Aussprache von Robinson veranlaßt mitunter Mißverständnisse. Einst wollte der Verfasser den Besuch eines Herrn Robinson in Paris erwiedern. Der Portier sagte, ein solcher Mann wohne gar nicht in dem Hotel. »Aber hier ist seine Karte: Herr Robinson, N–, Rue – –.« – Der Thürsteher besah die Karte. »Das ist etwas ganz Anderes,« sagte er, » ceci est Monsieur Ro-bin-son; c'est autre chose; sans doute Monsieur a entendu parler du célébre Robinson?« Von einem Rob'ns'n wollte der Mann aber nichts wissen. Crusoë bezeichnen. Dieser »Pilz« war einst der Schauplatz eines merkwürdigen Vorfalles, der sich kaum erzählen läßt, der aber ein spaßhaftes Beispiel von Volksgebräuchen darstellt, um nicht zu sagen, von wunderlichen Dingen.

Das Wasser der Quellen und die dabei gesunde Luft erwiesen sich so wohlthätig stärkend, daß wir uns entschlossen, eine Woche in Spaa zu verweilen. Bei unserer Abreise befand sich A – – noch so schwach, daß sie kaum allein aus dem Wagen steigen konnte, und jetzt nahmen ihre Kräfte so zu, daß wir Alle unsere Freude daran hatten. Die Cholera und die Quarantaine veranlassen viele Menschen, gerade jetzt hierher zu kommen, und wenn auch Wenige so lange hier verweilen, als wir, so sind dennoch die immer neuen Zuflüsse von ankommenden Fremden ziemlich unterhaltend. Unter andern brachte auch der Herzog von Sachsen-Koburg auf seiner Heimreise eine Nacht hier zu. Er zeigte sich nur wenige Minuten im öffentlichen Saale; es waren zufällig so wenig Leute darin, daß er, wie man behauptete, verdrießlich sich wegbegab. Hier findet immer ein geräuschvolles Treiben statt, und gelegentlich kommen die Einwohner von Verviers, einer wohlhabenden Manufakturstadt an der preußischen Grenze, in großer Anzahl herüber, um die Abendgesellschaften ziemlich glänzend zu machen. Diese Gesellschaften werden in dem Redoutensaal gehalten, welcher in einem Gebäude von mäßiger Größe sich befindet, das nach der gewohnten Weise in deutschen Badeörtern, mitten im Städtchen sich befindet. Dagegen steht das Vauxhall, der frühere Belustigungsort, weit ab im Felde, verlassen und verödet, wie ebenfalls ein mit jenem wetteiferndes Gebäude, das erst kürzlich erbaut worden ist. Die Verhältnisse und der Styl dieser Bauten geben eine Vorstellung von der frühern Lebhaftigkeit und Ueppigkeit von Spaa, während der einzige Gebrauch, der von jenen beiden jetzt gemacht wird, einzig darin besteht, daß ein protestantischer Geistlicher darin an Sonntagen predigt.

Weil die Gesundheit im Ganzen genommen doch das höchste Lebensgut ist, so verzogen wir in Spaa wohl vierzehn Tage, und bemühten uns, die Zeit so angenehm als möglich zu vertreiben. So kurz demungeachtet unser Aufenthalt und so vorübergehend unsere Besuche in der Umgegend auch waren, so verweilten wir doch lange genug an diesem Orte, um zu bemerken, daß hier ein kurzer Inbegriff des menschlichen Lebens uns umgab. Die Einen schmiedeten Ränke, die Andern spielten ihre Rollen, und wieder Andere brachten ihre Zeit mit Beten zu. In Einem Haushalte sah ich Zwistigkeiten walten, in einem andern war ein Priester betrunken und hörte ich manche fromme Aeußerungen von einem Marinekapitän! Wir schafften uns kleine Ardenner Pferde an, wie deren täglich in den Straßen zur Schau gehalten wurden; Landleute in Blousen führten solche, um den Fremden Lust zu machen; wir machten Gebrauch davon zu kurzen Ausflügen. Bisweilen machten wir, was man hier so nennt, die Runde um die Heilquellen; es giebt deren nehmlich mehrere, und jede derselben unterscheidet sich durch ihre besondern Heilkräfte, und nur eine derselben befindet sich im Orte selbst, während die andern etwa eine (englische) Meile weiter entfernt sind. Zu anderer Zeit trieben wir uns in den Kaufläden umher, und bewunderten und kauften schöne Kästchen und andere Sächelchen, die als Spaa'er Arbeiten berühmt sind; sie bestehen aus dem Holze, das ihnen die Hügel liefern, das aber dadurch, daß es eine Zeitlang ins Quellwasser gelegt wird, eine eigenthümliche Färbung erhält, worauf es bemalt und stark gefirnißt wird. Man macht an andern Orten ähnliche Arbeiten, aber nirgends so schön und niedlich, wie hier.

Am Ende trug aber die Langweile dennoch den Sieg über die gesunde Luft und das heilkräftige Wasser davon, und ich schickte also nach meinem Paß und nach Pferden. François war der Küchengeschäfte auch endlich überdrüssig geworden, und führte diese Befehle mit wahrhafter Freude aus, während mein Hausherr meinen Napoleond'or mit manchen zierlichen Aeußerungen des Bedauerns einstrich, die meiner Meinung nach aufrichtiger, als gewöhnlich gemeint waren. Unterdessen eilten wir umher, um unsere mit P. P. C. bezeichneten Karten abzugeben; nahmen auch selbst von Manchen Abschied, ohne die geringste Hoffnung einstigen Wiedersehens, während wir andern versprachen, ihre Bekanntschaft am Rhein oder in den Alpen, wie die Verhältnisse solches erlauben würden, von neuem wieder anzuknüpfen. Um halb Zwölf ungefähr war Alles in Bereitschaft; zweien Landsleuten, die uns abreisen sehen wollten, gaben wir herzlich die Hände, setzten uns ein, und rasch gings weiter, fort aus unserm vierzehntägigen Hauswesen, mit eben so wenig Umständen, als wir solches betreten hatten.

Der Hundsstern herrschte mit aller ihm eignen Wuth, während wir durch diese geschlossenen und ringsum beengten Thäler hindurch mußten, die zwischen Spaa und Verviers liegen. Bei letzterem Ort begannen wir bergan zu fahren, bis wir endlich eine breite nackte Anhöhe erreichten, die ein weitausgedehntes Gefilde nach Osten hin überblicken läßt. Dies war also das Land, welches den ehemaligen Hauptsitz Karls des Großen umgab, und welches jetzt einen Theil von dem ausmacht, was Herr de Pradt als »eine vor Europa vorgeschobene Façade« bezeichnet, nämlich einen Theil des neugeschaffenen und ausgelenkten Königreichs Preußen. Auf der Höhe des ansteigenden Landes erreichten wir die Grenze, und da man bei uns Alles in gehöriger Ordnung antraf, so wurde unserm Weiterreisen auch nicht die geringste Schwierigkeit in den Weg gelegt.

Während wir über diese Erderhöhung hinfahren, änderte der Wind sich so ganz auf einem Ruck, daß wir uns fast in Amerika wähnten; doch soll dieses in diesem Umkreise weit häufiger noch, als bei uns vorkommen. Die Eigenthümlichkeit des amerikanischen Himmelsstriches besteht mehr in dem heftigen als in dem öftern Wechsel der atmosphärischen Zustände; das Ueberspringen von der äußersten Hitze zur äußersten Kälte kommt öfter vor, als die allmählichen aber schnelleren Veränderungen der Witterung. An einem wolkenfreien Tage braucht man sich in Amerika nicht mit einem Regenschirm zu versehen; dagegen ist man in Europa, vorzüglich im Frühling, keine Stunde vor Regen sicher, längs der ganzen Westküste, vorzüglich je weiter man von dem biskaischen Meerbusen nördlich hinauf kommt. In diesem Augenblicke befanden wir uns aus der Gluthitze plötzlich in ein eisiges Klima versetzt, mußten uns in unsere Mäntel einhüllen, die Kutschenfenster schließen, und die Zeit währte uns lange, bis wir endlich Aachen erreichten, eine alterthümliche Stadt, wo wir gegen sechs Uhr eintrafen. Ganz anders als in Spaa, wo wir die Wahl zwischen hundert gut möblirten Häusern hatten, fanden wir in Aachen den Zudrang von Menschen so groß, daß wir nur mit großer Schwierigkeit ein enges Logis in einem Gasthofe zweiten Ranges auftreiben konnten.

Wie es zu gehen pflegt, wir waren zwar hier nicht zum ersten Male, konnten uns aber nicht enthalten, alle Aussichten und Ansichten nochmals zu genießen. Die Umgebungen Aachens sind zwar ausgezeichnet schön, und durch Landhäuser artig geschmückt, aber doch weit weniger anziehend, als die von Lüttich. Karl der Große ist zwar schon seit fast tausend Jahren begraben, und es gibt weder einen Kaiser von Deutschland noch einen König der Römer mehr; aber doch ist Aachen noch immer eine Stadt von mehr als 30,000 Einwohnern. Die Bauart ist enge und nicht sonderlich wohlthuend fürs Auge, aber man fängt an, wesentliche Verbesserungen durchzuführen, und deshalb hat uns diese Stadt auch diesmal weit besser gefallen, als in früheren Jahren. Das Rathhaus ist ein recht alterthümliches Gebäude; einer seiner Thürme soll von den Römern erbaut worden sein, und ist als der Ort berühmt geworden, wo zwei europäische Kongresse gehalten wurden, einer im Jahr 1748 und dann der in der neuesten Zeit. Dort findet sich auch eine Gallerie von den Portraiten der verschiedenen Gesandten, eine ausgezeichnete Reihe stattlicher Perücken, wenn auch nicht durchaus ausgezeichneter Gesichter.

Die Hauptkirche ist nicht völlig ausgebaut, aber doch ein edles und merkwürdiges Denkmal alter Baukunst; das Chor ist jüngern Ursprungs, gleichwohl im gothischen Styl und nur fünfhundert Jahre alt, während der Hauptbau einen uralten Rundbau darstellt, der mehr als das doppelte Alter hat, und wenigstens aus Karls des Großen Zeit herstammt. In ihr befindet sich eine kreisförmige Säulenwölbung, wo in früherer Zeit die Throne des Kaisers und der Kurfürsten umherstanden während der Krönungsceremonien. Jeder dieser Throne stand zwischen kleineren alterthümlichen Säulen, die man von Rom hierher gebracht hatte, die aber während der Regierung Napoleons im Geiste des Monopols und der Entweihung Hier mag ein Auszug aus dem nicht veröffentlichten Manuskripte dieser Briefe zu näherer Erläuterung dienen: »Sie sind kürzlich zu Richmond-Hill gewesen,« sagte Herr – –, »haben Sie die Aussicht dort wohl ganz so bewundert, als es üblich ist, dies zu thun?« »Um offenherzig zu sein, ich bewunderte sie nicht. Der Park machte auf mich keinen andern Eindruck, als wie jedes andere gleichgültige Exemplar Ihrer Parks, und die Aussicht hat zwar einen ausgezeichneten Vordergrund, ist aber, meines Bedünkens, ein eben so einförmiges als planloses Ganzes.« – »Sie sind nicht der Einzige, der dieses Urtheil fällt, aber ich sehe die Sache anders an. Canova spazierte neben mir auf der Terrasse, er schien aber gar nicht zu merken, daß hier etwas Außerordentliches die Aufmerksamkeit anregen sollte. Er betrachtete die gefeierte Aussicht nicht einmal zum zweiten Male. Kannten Sie ihn?« – »Er war bereits gestorben, ehe ich nach Europa kam.« – »Armer Canova! – Ich traf ihn einmal in Paris in einer spaßhaften Verlegenheit. Es regnete eben, und ich fuhr grade in einem Miethwagen durch das Karrousel, während ich auf einmal Canovas ansichtig wurde, wie er längs den Mauern, in seinem Mantel eingehüllt, vorüberschlüpfte, ohne daß er recht zu wissen schien, wie er vorwärts kommen solle. Ich fuhr bis in seine Nähe, und bot ihm einen Platz im Wagen an. Er war verstimmt, oder vielmehr verstört, und hatte das Ansehen eines Mannes, der gestohlne Sachen fortschleppen will. Die Ursache war, daß gerade die Rückgabe von Gemälden an die frühern Besitzer in Paris im Gange war, und da er beauftragt war, eine ›Madonna della Seggiola‹ in Empfang zu nehmen, so hatte er das kostbare Gemälde ergriffen, und in dem Eifer, es in Sicherheit zu bringen, hatte er es unter seinem Mantel mitgeschleppt. Er war besorgt, mit seiner Beute entdeckt und verhöhnt zu werden, und daher fuhr ich lieber mit ihm in sein Hotel nach Hause.« – So viel ich weiß, war dieses das Gemälde, welches Herr – – nannte; doch habe ich irgendwo gehört, es sei gar nicht nach Paris gekommen, sondern sei vielmehr nach Sicilien in Sicherheit gebracht worden; es könnte also wohl auch ein anderes Gemälde gewesen sein., welche jene Zeit charakterisirten, nach Paris übergingen, wo manche derselben sich noch jetzt in den Tuilerien aufgestellt befinden. Ein Lehnsessel, den man im Grabmale Karls des Großen gefunden haben will, steht jetzt in dieser Säulenwölbung, und diente lange Zeit den Kaisern als Thron.

Die Kathedrale soll reich an Reliquien sein, und unter andern Dingen besitzt sie etwas Manna aus der Wüste, und ein Stück von Aron's Wunderstab. Daselbst befinden sich auch einige Fenster in einer abgesonderten Kapelle, die einige Scheiben außerordentlich schöner Glasmalerei enthalten, die weit künstlicher sind, als was man sonst in dieser Art antrifft.

Gegen Mittag schickte ich meinen Paß auf die Post, um Postpferde zu bekommen, und zur Erwiederung kam der Herr Postmeister selbst, um der literarischen Republik einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Wir sagten einander allerlei schmeichelhafte Dinge, welches A – – sehr belustigte, als wir von einander schieden.

Nachdem wir das Thal von Aachen im Rücken hatten, wurde die Gegend flach und einförmig, und in der Mitte einer weitausgedehnten Ebene gelangten wir nach der Stadt Jülich, der Hauptstadt eines uralten Herzogthums, die hinter grasbewachsenen Wällen gleichsam vergraben lag, die aber kaum sichtbar waren, bis wir endlich wirklich durch sie hinfuhren. Es ist jetzt ein einförmiger unbedeutender Ort. In Berghem, ein paar Stationen weiter, wurde ich nochmals von dem Postmeister und dessen Schreiber besucht, der sich nicht besann, mich zu fragen, ob ich der Mann sei, der Bücher geschrieben. Wir sprachen viel von unserer Nationalbildung in Amerika, und gewiß nicht mit Unrecht, wenn wir uns in mehren wichtigen Dingen mit den Leuten auf diesem Festlande vergleichen; dagegen können schwerlich Klötze unempfindlicher sein, oder weniger wahre Hochachtung für Wissenschaften, Künste oder innere Ausbildung überhaupt haben, als der große Haufe in Amerika. Bei uns gibt es Menschen, die sich das Ansehen geben, als könnten sie sich in Rücksicht wissenschaftlicher Bestrebungen zu einem hohen Enthusiasmus hinaufschrauben, vorzüglich wenn es die abgöttische Bewunderung ausländischer Namen gilt; aber man kann auf den ersten Blick unterscheiden, daß es kein ächter rein aus der Seele hervorquellender Enthusiasmus ist. Hierin ist nun Deutschland das Land der empfänglichen Gemüther, mögen nun Musik, Poesie, Waffenglück oder mehr materielle Kunstgegenstände die Anregung zur Bewunderung sein. Ich kann zwar wenig davon sagen, ich müßte mir denn auf die Artigkeit der beiden Postmeister etwas einbilden, die mir wohl mehr als ziemlich gespendet wurden; aber nie kann ich den Ausdrucks des Gefühls eines jungen Deutschen vergessen, mit dem ich in Dresden zufällig zusammentraf. Wir wohnten damals einem Hause gerade gegenüber, worin Tieck, der berühmte Novellist und Dramatiker, wohnte. Da ich keine schickliche Veranlassung fand, mit diesem Dichter bekannt zu werden, und da ich Niemanden zudringlich werden wollte, so traf ich nie mit ihm zusammen; doch wäre es in einer Stadt von so mäßiger Größe unmöglich gewesen, nicht zu erfahren, wo ein so berühmter Mann wohne. Die nächste Hausthür führte zu einem Schweizer-Conditor, bei dem ich gelegentlich ein Gläschen Eis zu mir nahm. Eines Tages trat ein junger Mann in derselben Absicht herein, und verließ den Laden mit mir. An der Thüre erkundigte er sich bei mir, ob ich ihm vielleicht sagen könne, in welchem der benachbarten Häuser Herr Tieck wohne. Ich zeigte ihm das Haus und blieb eilte Weile beobachtend stehen; seine Blicke zeigten Nichts von Affektation, vielmehr einen unaussprechlichen Ausdruck inniger Verehrung für den gefeierten Dichter. »Wäre es nicht möglich, Tieck persönlich zu sehen?« – »Ich vermuthe, nein; denn man hat mir gesagt, er befinde sich eben in einem Badeorte.« – »Ob ich ihm«, fragte er weiter, »wohl sagen könne, welches das Fenster seines Wohnzimmers sei?« – Das konnte ich, weil man mir ihn dort vor einigen Tagen gezeigt hatte. Als ich ihn verließ, blieb der junge Mann noch stehen, die Blicke nach dem Fenster gerichtet, und wohl eine Stunde lang beharrte er in dieser schweigenden, tief innerlich empfundenen Verehrung befangen. – Was mich selbst betrifft, so kann ich mich kaum der Muthmaßung erwehren, daß meine zwei Postmeister in der That nichts Anderes erwarteten, als in mir einen Mann zu finden, dessen Aeußeres weit weniger europäische Aehnlichkeit habe, als die man wirklich in dem unscheinbaren Reisenden entdeckte.

Die Sonne war dem Untergange nahe, als wir den Rand der Erderhebung erreichten, von wo aus wir, den Ufern des Rheines entgegen, hinabzusteigen begannen. Hier lagen die Thürme von Köln und die weiten Ebenen vor uns ausgebreitet, welche die Stadt umgeben. Es war schon ziemlich dunkel, als wir durch den gewundenen Eingang, zwischen Bastionen, Halbmondschanzen und über Zugbrücken den Stadtthoren uns näherten, und wir langten noch zeitig genug an, um ohne außergewöhnliche Förmlichkeiten eingelassen zu werden.



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