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Unterrichtssystem in Amerika. – Amerikanische Landkarten. – Abreise von Brüssel. – Löwen. – Die Quarantaine. – Lüttich. – Die goldene Sonne. – König Leopold und sein Bruder. – Ehen der königlichen Häuser. – Die Umgebungen von Lüttich. – Die Kathedrale und die Sankt Jakobskirche. – Zeremonien des katholischen Gottesdienstes. – Die europäischen Kirchen. – Amerikanische Wirtshäuser. – Gebet auf offenem Felde. – Walter Scott's Irrthum über die in Lüttich übliche Sprache. – Lütticher Frauen. – Illumination zu Ehren des Königs.
Theurer – –
Am Morgen besuchte mich der Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, um sich über das Gemeinde-Schulwesen in Amerika zu erkundigen. Ich war etwas überrascht über dieses Ansinnen, da ich in den Tuilerien bei Gelegenheit jener Finanzstreitigkeit mich in den Schatten gestellt wußte, und dieser Hof doch von dem französischen in solcher Abhängigkeit sich befindet. Sie werden über diese Meinung lächeln, die mich betroffen; aber selbst Thatsachen werden nur nach den Umständen gerichtet, und die Menschen pflegen ja gelegentlich ganz geringfügigen Einflüssen nachzugehen. Einige Monate früher besuchte ein Freund, aber kein Franzose, den Verfasser in Paris. Er fing damit an, mich über Mehreres in Betreff der amerikanischen parliamentarischen Einrichtungen zu befragen, worin er ganz aus dem gewohnten Gang seiner Unterhaltung herauskam, und endigte damit, daß er noch eine Reihe schriftlich mitgetheilter Fragen zur Beantwortung vorlegte. Nachdem er diesem Wunsche willfahrt hatte, fragte der Verfasser den Freund nach der Ursache dieser von seiner Seite ungewöhnlichen Erkundigungen. Da erfuhr er denn, diese Untersuchung solle einem wortführenden Deputirten zum Material dienen, welcher durch und durch dem juste-milieu angehöre. Ueber den Namen desselben betroffen, äußerte der Verfasser seine Verwunderung, daß man sich nicht lieber an einen gewissen Agenten der amerikanischen Regierung gewendet habe, dessen Name bereits öffentlich bekannt geworden sei, als Auctorität in statistischen und politischen Thatsachen, die ihm entgegen ständen. Darauf wurde im Allgemeinen nur so viel erwiedert, diese Angelegenheit solle blos einem zu bewirkenden Effekte dienen. Das frühere Feld zur Darlegung der großen Macht der Staaten war jetzt geräumt worden, und die Streitfrage war einstweilen dadurch beseitigt worden, daß man zugestand, es sollten schriftliche Beweismittel nach Paris eingeholt werden. Eine ähnliche Erkundigung wurde bei mir von einem französischen Beamten vor nicht langer Zeit gesucht. Ein Aufsatz über die mitgetheilten Thatsachen, wie im Staate Newyork deren genauere Beziehungen sich verhielten, wurde demgemäß abgefaßt und dem Minister des öffentlichen Unterrichts behändigt. Dieser Herr debattirte, mit dem Dokumente vor sich, über diesen Gegenstand, und sprach nicht übel, bis daß er an die Anzahl der Kinder kam, welche die Schule besuchen (nahe an eine halbe Million), welches ihm so sehr im Mißverhältniß zu der Gesammtzahl vorkam (etwas über zwei Millionen), daß er, ohne sich lange zu besinnen, die Zahl auf eigene Verantwortlichkeit auf die Hälfte herabsetzte! Und zum Beweise, daß er nichts weiter beabsichtige, als innerhalb vernünftiger Schranken zu bleiben, so fügte er sogleich hinzu: »oder alle, die sich darin befinden.« Das ist nun eine herrliche Probe von der Art, wie man Amerika beurtheilt, seine Grundsätze erläutert, und Thatsachen desselben untersucht. In Europa muß alles auf europäischen Maßstab zurückgeführt werden, um nur einigermaßen Eingang zu finden. Wären wir nichts Anderes, als Kalmucken oder Kurden, so möchte einiges Auffallende hingehen; da man uns aber blos für etwas verdorbene das heißt, bis zur Ebenholzfarbe gegerbte Europäer hält, so scheint es den Leuten unglaublich, daß bei uns irgend Etwas von dem gewöhnlichen Schlendergang abweichen könne. Weil ein solches Mißverhältniß zwischen Erwachsenen und jungen Leuten auf dieser Halbkugel unbekannt ist, so wurde es schlechthin als eine amerikanische Uebertreibung ausgelegt, daß man ein solches auf der andern behauptete. Was würden dagegen unsere amtlichen Widerlegungen ausrichten!
Vor nicht langer Zeit kam ein Künstler von einigem Ruf in Paris zu mir, um von mir einige Andeutungen zu einer Karte vom Hudson zu erhalten, die ihm zur Erläuterung eines unserer Bücher aufgegeben war. Ich zeigte ihm alle Karten, die ich hatte, von denen manche ganz neu und sehr genau gestochen waren. Ich bemerkte in seinem Benehmen einiges Mißtrauen, und endlich brachte er vor, eine alte französische Karte von den Kanada's, die er gerade in seiner Tasche hatte, möchte wohl genauer sein, als die, welche ich eben aus Amerika erhalten hätte. Diese Karte wurde nun aufgelegt und war, wie leicht vorherzusehen, äußerst unbrauchbar; aber meine Bemerkung darüber wurde geradezu übel aufgenommen; da der Künstler gar nicht gewohnt war, die Amerikaner als Kartenzeichner anzuerkennen. Da war ich endlich genöthigt, ihm auf seiner Karte Poughkeepsie, gerade gegenüber Albany verzeichnet, zu zeigen, und ihn ernstlich zu versichern, daß ich diese Gegend oftmals nach Norden und nach Süden und von Ost nach West durchreist habe, um mich nach den genannten Orten zu begeben, und daß beide achtzig (englische) Meilen von einander lägen!
Um die Mittagszeit verließen wir Brüssel und kamen um drei Uhr nach Löwen. Obwohl nicht mehr so ganz in Bewunderung versenkt, wie das vorige Mal, gewährte uns doch das Stadthaus einen recht erfreulichen Anblick. Man war gerade mit Ausbessern desselben beschäftigt, und die neuen Steine gaben ihm ein entstellendes Ansehen, aber im Ganzen ist dieses eines der außerordentlichsten Gebäude, die ich kenne. Es stellt eine Art von Zusammenstellung alles Einfachen, das in diesem Lande mühevollen und merkwürdigen Baustyls durchaus seines Gleichen nicht hat. Das kleine Pavillon des Prinzen von Oranien an der Landstraße stand noch unbewohnt und verschont da, wie es früher gewesen. Ich darf wohl hinzufügen, daß diese Angelruthen, diese Leimstangen noch ganz unverändert und unberührt geblieben, während das Erbtheil des Prinzen der Hälfte seines Glanzes beraubt liegt.
Vor dem Eintritte in die preußischen Staaten mußte eine Quarantaine, der Cholera wegen, beobachtet werden, und da wir vernommen hatten, daß wir nur kürzere Zeit derselben unterworfen sein würden, wenn wir von Brüssel aus kämen, über welches hinaus die Krankheit sich noch nicht verbreitet habe, so begaben wir uns nicht weiter, als bis nach Thirlemont, wo wir die Nacht zubrachten. Dieser Ort ist von wenig Bedeutung, und der Hauptplatz war von den »ungeschickten Schaaren« neuausgehobener Mannschaft besetzt, die in aller Eile für den holländischen Dienst gedrillt wurden. Die Belgische Angelegenheit ist bereits bis zur Nummer 67 im Protokolle vorgeschritten, und man giebt der Meinung allmählig Gehör, es müsse endlich etwas Tüchtigeres gehandhabt werden, als bloße schriftliche Unterhandlung. Sie werden aber König Wilhelm, als zur »ächt hartköpfigen« Rasse gehörend, kennen lernen.
Am nächsten Morgen fuhren wir postgerecht nach Lüttich herab, um zeitig genug zu einem späten Frühstücke dort einzutreffen. Der Weg hierher von Brüssel aus hatte durch einen fruchtbaren und gutangebauten Boden geführt; aber die Scene veränderte sich plötzlich, wie durch einen Zauber, sobald wir in einem flüchtigen Blick der Maas ansichtig wurden. Lüttich hat herrliche Umgebungen, und die Stadt selbst ist jetzt ein Hauptsitz des Kunstfleißes. Kohlengruben sind häufig in deren Nähe, und daher sieht man Hunderte von Eisenwerken. Als wir durch den alterthümlichen und ergreifenden Hof des ehrwürdigen bischöflichen Palastes hindurch fuhren und auf den großen Platz heraus kamen, so fanden wir den ganzen Raum von Menschen wimmelnd, und unsere Anfahrt zur goldenen Sonne erregte eine Bewegung in der Menge, die wir uns durchaus nicht erklären konnten. Gastwirth, Lakaien, Volksgedränge, Alles rannte uns zum Gruße entgegen, und von allen Richtungen strömten die Menschen dem einen Flecke zu. Da war nichts Anderes zu thun, als geduldig das Ende abzuwarten, und nun merkte ich bald an den kalten Blicken der Dienstboten, und an dem Zurückprallen von François, der herabgesprungen war, um Zimmer für uns zu bestellen, daß hier eine gegenseitige getäuschte Erwartung bestehe. Jedermann kehrte uns den Rücken zu, und da saßen wir nun im Schatten der Nichtbeachtung, nachdem wir uns für einige Augenblicke des Sonnenscheins allgemeiner Aufmerksamkeit erfreut hatten. Dazu bedurfte es blos der Gewißheit, wir seien nicht der König der Belgier und nicht dessen Bruder, der Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha. Die goldene Sonne, die, gleich anderen Sonnen, am liebsten nur den Großen der Erde lächelt, verhüllte vor uns ihr Angesicht, und wir sahen uns daher genöthigt, den großen Platz zu verlassen, und ein bescheideneres Absteigequartier zu suchen. Dieses fanden wir denn auch bald im schwarzen Adler, einem reinlichen und vortrefflichen Gasthause.
Ich ging sogleich mit meinem Paß auf das Polizeiamt und fand zu meinem Troste, daß einer unserer fünf Tage Quarantaine bereits in Thirlemont abgelaufen sei.
Diese Quarantainen sind närrische Einrichtungen und lassen sich nur zu leicht umgehen. Sie werden sich erinnern, wie wir im vorigen Jahre, anstatt fünfmal vier und zwanzig Stunden in einer Hütte mit einer russischen Dame eingeschlossen zubringen zu müssen; in den Hof unsers eigenen Hotels in Paris am Abend des fünften Tages hineinfahren, und M – –, wie sie sich erinnern werden, umging blos einige Wachtposten, indem er eine Meileweges durch das offene Feld spazierte. Man hatte uns bei dieser Gelegenheit gerathen, unsern Paß sogleich bei unserer Ankunft in Brüssel visiren zu lassen, und die darauf verstrichene Zeit werde an der Grenze in Anrechnung gebracht; da wir indessen gar keine Eile hatten, so zogen wir vor, ordnungsmäßig zu Werke zu gehen.
Am folgenden Tage belebte sich die Stadt mit rasch zunehmendem Volksgewühl, und ungefähr um Mittag verkündete Kanonenlärm des Königs Ankunft. Kaum hat jemals eine schlechtere Begrüßungsfeier stattgefunden; aber Seine Majestät wurde von fröhlich lächelnden Gesichtern bewillkommnet, was ihm wahrscheinlich am besten gefallen mochte. Gewiß ist es ein besonnener und achtungswürdiger, wo nicht ein großer Mann; und gerade jetzt besitzt er die Volksgunst in hohem Grade. Den folgenden Tag nach seiner Ankunft begegnete ich ihm und seinem Bruder an der Straße; sie saßen in einem offenen Wagen neben einander, und zwei Söhne des Herzogs saßen auf dem vordern Sitz. Leopold hat ein ernstes, gedankenvolles Gesicht, und hat durchaus nicht das völlige Antlitz seines Bruders, der ein kräftiger und stattlicher Mann ist, ziemlich dem in Nordamerika so wohl bekannten Herzoge von Sachsen-Weimar ähnlich. Alle Fürsten der Herzoglich-Sächsischen Häuser, die ich bis jetzt gesehen habe, waren große, wohlgebildete männliche Gestalten; während die des Königlich-Sächsischen Hauses gerade das Gegentheil von ihnen darstellen. Ein diplomatischer Bekannter machte hier die Bemerkung; diese Regel gelte fast von allen protestantischen und katholischen Fürsten durch ganz Europa, weil die Heirathen der letztern untereinander in zu nahen Verwandtschaftsgraden den Stamm verderbten. Zu einer solchen Annahme muß Einbildung die Hauptveranlassung sein; denn gesetzt, es ließe ein solcher Erfolg sich als Regel annehmen, so gibt es dennoch gewiß viele Ausnahmen auf beiden Seiten. Ich meine vielmehr, es unterliege keinem Zweifel, daß herkömmliche Denkweise, gewohnte Lebensart und klimatische Einflüsse, wesentlich auf die Verschiedenheit der Leibesbeschaffenheit und Physiognomie einwirken; aber jene vermeintliche Einwirkung der Zwischenheirathen kann ich doch nicht einräumen, zumal da diese sich sowohl unter den protestantischen, als unter den katholischen Fürsten in einem wiederkehrenden Cyklus wiederholen. Der von Fürsten beherrschte Theil Europa's ist in vier und vierzig Staaten vertheilt Ausgeschlossen sind demnach Lichtenstein, Monaco und Griechenland., von denen acht und zwanzig dem protestantischen, einer dem griechischen, einer dem mahomedanischen Glauben angehören, und die übrigen katholisch sind. Diese vier und vierzig Souverains leiten ihre Abstammung von neunzehn verschiedenen Wurzeln ab. Die männlichen Nachkommen von Hugo Capet nämlich besitzen die Throne von Frankreich, Spanien, Neapel, Lucca und Portugal; das letztere Haus entstammte von einem außerehlichen Sohne des Hauses von Burgund, ehe noch die Bourbonische Linie zur Herrschaft gelangt war. Die Häuser von Oesterreich, Baden, Toskana und Modena stammten von einem Herzoge aus dem Elsasse, dessen Geschlecht im siebenten Jahrhunderte berühmt war. In einem meiner frühern Briefe habe ich irrthümlich behauptet, das Haus von Lothringen sei ein anderes als das Haus von Habsburg, denn es sollen beide Geschlechter in der männlichen Linie von demselben Elsasser Herzoge abstammen. Die Hohenzollern besitzen den preußischen Thron und die beiden kleinen Fürstenthümer dieses Namens; während der Kaiser von Rußland nichts weiter als ein Herzog von Holstein ist. Diese Familien haben seit mehr als tausend Jahren untereinander Ehen geschlossen, und es ist nicht wohl möglich, daß sie durchaus nicht ihre persönlichen Eigenschaften eingebüßt haben sollten; im Ganzen sind sie aber noch immer durch schöne menschliche Bildung nicht minder ausgezeichnet, als ihre Unterthanen im Durchschnitt dafür gelten. Die russischen Herrscher sind besonders schön gebildete Männer; die des dänischen Hauses haben meist ein angenehmes Aeußere; die sächsischen Fürsten, blos die königliche Linie ausgenommen, sind von mehr als gewöhnlich vortheilhafter Körperbildung; das Haus Würtemberg ist der englischen Königsfamilie sehr ähnlich; sämmtliche Bourbons sind in den Familienzügen schöne Leute; die Glieder des österreichischen Hauses sind ausgezeichnet, und wenn auch nicht alle gleich einnehmend sind, so sind doch die weiblichen Glieder öfters vollkommene Schönheiten; selbst Don Miguel ist ein schöner junger Mann, mildherzig und adlich in seinem Aeußern, obschon eine Dame, ––, die bei Tische neben ihm saß, gelegentlich behauptete, aus seinen Zügen sehe nur Blutdurst und Raublust hervor! Ihr Vater; Lord – –, einer der geschicktesten Staatsmänner seiner Zeit, der mit den politischen Ereignissen sehr vertraut war, versicherte uns, daß er aus Gründen den Gerüchten seinen Glauben nicht versagen könne, die über die Greuel desselben im Umlauf wären, die, wenn dieser Fürst sie wirklich verübt haben sollte, ihn des Galgens werth machen würden. Aber ich habe so viele Uebertreibungen aus Parteisucht erlebt, daß Schwergläubigkeit vielleicht deßhalb meine Schwäche geworden ist. Daher fühlte ich mich getrieben, diesem Lord – – wieder zu sagen, was ich über ihm selbst, in England, und noch dazu in seiner nähern Bekanntschaft, gehört hatte! Unter andern Albernheiten hatte ich, kurz vor eben dieser Unterredung, von einem sonst achtbaren Engländer behaupten gehört, so weit gehe die aristokratische Verblendetheit dieses alt-englischen Herrn, daß er von seiner Gemalin und von seinen Töchtern verlange, daß sie nur rückwärts schreitend aus seiner Anwesenheit sich entfernen sollten, wie solches bei Hofe üblich sei. Dieses hatte man einem Manne nachgeredet, den ich in weit einfacherem, ungezwungnerem, anspruchloserem, dabei aber weit feinerem Benehmen kennen gelernt, als ich es irgend bei einem Manne hohen Ranges in England gefunden, einem Manne, dessen richtiges und zartes Gefühl weder durch hochfahrendes Wesen abzustoßen noch durch kriechendes Benehmen jemals zu verletzen im Stande war. Doch, um wieder zur Sache zu kommen; die österreichischen Gesichtszüge kommen mir als die vorherrschenden vor bei allen südlichen katholischen Herrscherfamilien, und alle diese sind auch enge durch Bande des Bluts mit dem Hause Habsburg verbunden; allein in den sächsischen Herzögen finde ich keine besonderen physischen Eigenthümlichkeiten, sie erscheinen Alle als Glieder desselben kräftigen alten Stammes; und die eigenthümliche Abweichung in dem königlichen Zweige scheint mir blos zufällig zu sein.
Während drei oder vier Tagen hatten wir hinreichende Muße, das äußere Ansehen Lüttichs sorgfältig zu durchspähen, es ist gewiß ein interessanter Ort, und seine Umgebungen sind auch recht anziehend. Längs den Ufern des Flusses stehen einige Häuser aus guter alter Zeit, und einige wenige Kirchen kann man zu den ausgezeichneteren Gebäuden rechnen. Die Kathedrale und die Sankt Jakobskirche besonders, haben ein ehrwürdiges und erbauliches Ansehen; unter ihren hohen gewölbten Bogen stand ich, horchte auf den Chorgesang und sog die Weihrauchdüfte mit unermüdlichem Behagen ein. Manchmal stieg der Wunsch in mir auf, daß ich katholisch erzogen worden wäre, um die Poesie der Religionsgebräuche mit ihren Grundsätzen übereinstimmend zu finden. Sind diese etwa durchaus nicht zu vereinigen? Ist denn der Mensch so durch und durch philosophisch, daß er die Wahrheit nur in ihrer geläutertsten Klarheit erkennen soll, und sich aller lebendigen Triebe und alles Zaubers der Einbildungskraft entledigen muß? Wenn diejenigen, welche den Gottesdienst von aller sinnigen und bedeutungsvollen Aeußerlichkeit entkleiden, sich ebenfalls ernstlich im Gewande moralischer Demuth darstellten und ihre gewohnten Bestrebungen im Einzelnen ihren allgemein ausgesprochenen Grundsätzen anpaßten, wenn sie vor uns ebenso entblößt von Selbstüberschätzung aufträten, als sie alles Schmuckes sich zu berauben vorgeben; dann würde die Nacktheit ihrer Religionsgebräuche weit weniger ausfallen; dagegen könnte man als Regel aufstellen, je weniger gefällige Formen, und je mehr eingeengte Vergeistigung der Altardienst fordert, desto höher schraube sich jener alles Andere verwerfende Ton hinauf, und desto greller trete jene Selbstgefälligkeit hervor. In der That muß freilich da, wo der Geist vorherrscht, die Form in ihrer Bedeutung zurückstehen, und wenn die Menschen dahin kommen, sie aus einem andern Gesichtspunkte zu betrachten, so beweist dieses weit eher einen Mangel als ein Uebermaß an Demuth und Nächstenliebe, welche die unzertrennlichen Begleiterinnen der Religion sein sollten. Ich sage nicht, daß ich alle gehaltlosen und unvernünftigen Bräuche der katholischen Kirche nachgeahmt sehen möchte; und am allerwenigsten könnte man wünschen, daß der andächtige und feierliche protestantische Dienst vor dem Altar durch das unverständliche Geplärre lateinischer Breviarienformeln verdrängt würde. Warum aber haben wir das heilige Sinnbild des Kreuzes, die Zierden des Tempels, die herrliche kunstvolle Ausschmückung und den Zauber der Tonkunst verworfen? Mir scheint es, daß ein Amerikaner, der Europa besucht hat, unmöglich anders als mit Wehmuth den Mangel schöner, dem Dienste des allgegenwärtigen Gottes geweiheten Gebäude empfinden sollte. Ich meine damit nicht etwa Kirchen, in welchen die Bequemlichkeit und die Vortheile der Unternehmer einzig bezweckt wird, denn dergleichen fromme Spekulationen sind hinreichend im Gange; Tempel meine ich, welche das Bewußtsein der höhern Macht und Einwirkung der Gottheit auszusprechen streben und die einzig zu dessen Verehrung bestimmt sind. Zwar ist der Mangel solcher Gebäude in einer noch so wenig zahlreichen und noch so jungen Bevölkerung zu entschuldigen; aber der Mangel bleibt nichts desto weniger fühlbar. In dieser alten Welt nähert man sich kaum irgend einem Dorfe, dessen hohes Kirchendach und hervorragender Thurm nicht gleichsam den Kern desselben darstellte, und der Tempel, er scheint als schützender Hort sich über die bescheidneren menschlichen Wohnungen zu erheben. Die Domgewölbe, die zugespitzten hervorragenden Bogenzinnen, die gothischen Zierrathen erheben sich über den Mauern der Städte, und wo die Menschen in größerer Anzahl sich einander nähern, da scheinen sie unter den weitreichenden Fittigen einer Kirche Schutz zu suchen. Dagegen kann die Behauptung nichts einwenden, daß wahre Religiosität auch ohne solche Bauten bestehen könne; denn auch die Irreligiosität kann ohne sie bestehen. Und wenn es überhaupt geziemend oder ersprießlich ist, Gott ohne solche Bräuche zu verehren, so ist dieses eine Ziemlichkeit und Ersprießlichkeit, zu welcher wir bis jetzt noch durchaus nicht geeignet sind. Die höchsten Bedachungen in den amerikanischen Städten erheben sich durchgehens über ihren Wirthshäusern; und mag man über diesen Gegenstand noch so spitzfindig aburtheilen, so kann ich doch nicht anders, als dabei stehen bleiben, daß dieses wenigstens auf den Beobachter einen widrigen Eindruck macht. Bei uns handelt es sich nicht um Gog oder Magog, sondern um Grog oder Nicht-Grog; daher entweder ein bescheidenes Plattdach, oder ein Spitzdach zur Verherrlichung von Branntwein und Pfeffermünzliqueur. Kommt die Rede auf Gottesverehrung, da scheint Jedermann mit einer Nußschaale zufrieden, wenn sie nur groß genug ist für ihn selbst und die gleich ihm Gesinnten; ist aber Essen und Trinken der Zweck, dann ist kaum das Zelt von Paribanu groß genug, uns Alle aufzunehmen. Ich meines Theils stimme für große Kirchen und kleine Wirthshäuser.
In dem römisch-katholischen Kultus gibt es einige wenige Bräuche, die in ihrer Art nicht allein schön sind, sondern zugleich von guter Wirkung sein könnten. Der eine besteht darin, daß die Kirche zu jeder Stunde den Betenden offen steht. Selten habe ich diese gemüthergreifenden Hallen, diese weiten, dem Gedanken an Gott gewidmeten Wölbungen betreten, ohne daß ich eine größere oder geringere Anzahl Andächtiger, an den verschiedenen Altären knieend, angetroffen hätte. Ein anderer Brauch der Art ist das periodisch widerkehrende Gebet im offenen Felde, oder wo sonst die Landleute dabei sind, wie bei dem: » Angelus« u. s. w. Ich erinnere mich mit Vergnügen des Eindrucks, den die Kirchenglocke bewirkte, wenn bei solcher Gelegenheit ihre ermahnende Stimme weit durch die Fluren über Hügel und Thäler erschallte, als wir sonst durch italienische oder französische Dörfer reisten. Von allen diesen rührenden Verschönerungen des Lebens weiß Amerika durchaus nichts, und fast möchte ich hinzufügen, es kennt sie kein protestantisches Land; und ohne triftige Gründe, das würde sich bei näherer Untersuchung unverkennbar zeigen, hat man sich alles dieses Schönen entkleidet!
Die Lütticher Bevölkerung ist noch immer durchweg katholisch, obschon das öffentliche Reich der geistlichen Herrn aufgehört hat. Es wird ein verdorbenes Französisch hier gesprochen, welches die Sprache der ganzen Gegend längs dieser Grenze ist. Scott, dessen lebendige Schilderungen ein Gepräge der Naturwahrheiten an sich tragen, welches die Leser täuschend einnimmt, der aber ein Mann von entweder universaler oder genau eindringender Befähigung ist, hat den gewohnten Kreis seines eigenthümlichen Wissens, das in den schottischen Ueberlieferungen einzig dasteht, überschritten, und im Quentin Durward das Lütticher Volk geschildert, als rede es flamändisch, ein Irrthum, worüber man sich hier bitter beklagt, da die Leute in diesem Punkte hier nicht wenig empfindlich sind. Ein Dichter darf übrigens sich größerer Freiheiten bedienen, und es ist übermäßige Spitzfindigkeit auf solche geringfügige Dinge ein großes Gewicht zu legen, wo die Ausmittelung des Wahren nicht der Hauptzweck ist; aber dieses ist nun gerade ein Verstoß, den der Verfasser ganz leicht hätte vermeiden können, und auch sicherlich vermieden haben würde, wenn er sich nur die Mühe hätte geben wollen, sich darnach zu erkundigen. Was aber die Beschwerde der Lütticher betrifft, so würde der Irrthum nicht eben allgemein bekannt geworden sein; wenigstens hätte ich nichts davon erfahren, wenn ich nicht zufällig hierher gekommen wäre.
Die Lütticher Frauen scheinen noch weit mehr zu arbeiten, als es sonst in irgend einem Theile von Europa zu geschehen pflegt. Ueberall sieht man sie im Felde beschäftigt; aber in den Städten pflegt doch eine größere Beachtung des Geschlechtsunterschieds bei der Vertheilung der Arbeiten sonst stattzufinden. Hier aber sah ich Frauen auf den Kohlenplätzen arbeiten und ebenfalls die Geschäfte gemeiner Lastträger besorgen. Ich fand sie häufig mit dem Ausladen der Marktkähne beschäftigt, und dennoch hatten sie deßhalb weder ein plumpes noch ein häßliches Aeußere. Die Männer sind kurz und untersetzt, aber stark und gewandt. Im Durchschnitt mag ihre Größe fünf Fuß und sechsthalb Zoll betragen, aber selbst diese durchschnittliche Größe übertrifft meines Dafürhaltens die der Franzosen.
Zwei Abende hinter einander war die Stadt zu Ehren des Königs erleuchtet. Jedermann interessirt sich für dessen nahe bevorstehende Vermählung mit der Prinzessin Louise von Frankreich, oder wie es jetzt zu sagen üblich ist, mit der Prinzessin Louise von Orleans – denn seit der Revolution von 1830 gibt es weder einen König noch Prinzen von Frankreich mehr. Besser wäre es freilich gewesen, man hätte die alten Bräuche gelassen und dagegen wichtigere Gegenstände sorgfältiger beachtet. In England werden diese Angelegenheiten ganz verschieden behandelt, denn dort besteht die Regierung noch immerfort aus den Königen, den Lords und den Gemeinen, während die Waage beständig schwankt, und gewöhnlich zwei von diesen Gewalten in der That nicht mitzuzählen pflegen.