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Vierzehnter Brief.

Die Boulevards von Frankfurt. – Politische Störungen in der Stadt. – Le petit Savoyard. – Fernsicht von Homburg. – Darmstadt. – Die Bergstraße. – Heidelberg. – Lärmender Marktplatz. – Die Ruinen und Gärten. – Der alte Krieger. – Das Neckarthal. – Heilbronn. – Ludwigsburg. – Das Schloß. – Die vorige Königin von Würtemberg. – Schillers Geburtsort. – Vergleichende Würdigung Schiller's und Göthe's. – Stuttgart. – Die königlichen Gebäude. – Die Fürstin von Hechingen. – Deutsche Königreiche. – Der König und die Königin von Würtemberg. – Sir Walter Scott. – Tübingen. – Mittelalterliche Burgtrümmer. – Hechingen. – Das Dorf Bahlingen. – Die Donau. – Der Schwarzwald. – Aussicht von einem Berge an der Badenschen Grenze. – Einzug in die Schweiz.

Mein lieber – –

Ich habe Ihnen von Frankfurt nicht viel Neues zu sagen. Wie bei meinen ersten beiden Besuchen, erschien mir diese Stadt eben so geschäftig, reinlich, freundlich und gut gebaut auch jetzt. Wir besuchten ihre Boulevards mit etwas mehr ins Einzelne gehender Aufmerksamkeit als früher, und sie gefielen uns noch weit mehr, als vormals. Ich habe Ihnen schon früher bemerkt, daß die eigenthümliche Anordnung dieser geschmackvollen und schönen Spaziergänge der größern deutschen Städte ganz in ihrer Nähe und selbst in ihrer Mitte, (wie in Dresden) meistens durch die Abtragung der alten Befestigungswerke veranlaßt worden ist, wodurch man den nöthigen Raum gewann, und ihn vernünftiger Weise zu Gesundheit fördernden und freien Luftdurchzug gewährenden Anlagen benutzte. So wird Leipzig ganz vorzüglich durch schöne Gartenpartieen verschönert, an deren Stelle man früher nur gräuliche Geschütze und furchtbare Wälle sah. Frankfurt ist erst kürzlich der Gegenstand politischer Störungen gewesen, und diesen Morgen hörte ich von einem Banquier, es bestehe ernsthafte Unzufriedenheit dem ganzen Rheine entlang. So weit ich mich mit den Verhältnissen bekannt machen konnte, scheint mir es, daß diese Bewegung von dem Bestreben der Großhandel treibenden, Kapitalien umsetzenden, auf dem Gewerbfleiß fußenden Ständen, überhaupt von den »Neuen Reichen« ausgehe, um dem Wiederaufkommen der Macht und des Einflusses der alten Adelichen und reichen Grundbesitzer entgegen zu wirken. Das königliche Ansehen vermag nehmlich in unsern Tagen an sich nicht viel, und die Hauptfrage ist gegenwärtig, ob Wenige, ob Viele oder Wer überhaupt an den Vortheilen derselben mehr oder weniger ausschließlichen und bevorrechtenden Antheil erlangen werde. In diesem einfachen Beweggrunde beruht der Keim der französischen Revolution, so wie der englischen Reform. Die Geldmacht geht aus einer Hand in die Andere über, und die Herrschaft über alles Andere reißt sie mit sich fort. Das ist jetzt der Fall, war es sonst, und wird es immer sein; außer wo die wichtigsten und größten politischen Angelegenheiten mit völligem Vertrauen in die Hände der Gesammtheit gelegt werden; und selbst dann wird in allen praktischen Ergebnissen immer auf der Seite der Geldmacht das Uebergewicht bleiben. Wo der Druck so groß wird, daß er einen Widerstand findet, da ist es immer der Kampf der Armuth gegen den Reichthum; und wo die Armen Rechte erlangt haben, Widerstand zu leisten; da werden die Reichen desto tüchtiger dahin arbeiten, um die Besseren unter den Armen zu sein. Dies ist der Fluch, der da lastet auf Adams Nachkommen, und der Mensch müßte sich in seiner Natur durchaus umwandeln, ehe er von diesem Elende befreit werden könnte. Alles, was wir durch die besten geselligen Einrichtungen erlangen können, reicht höchstens hin, um das Uebel erträglich zu machen.

Wir verließen Frankfurt um elf Uhr; vorher hatten wir die Dienste des berühmten » voiturier«, welcher unter dem Beinamen des » petit Savoyard« vielen Reisenden bekannt ist und den François mit warmer Belobung seiner Treue und seines Diensteifers uns zuführte, abgelehnt. Diese Art von Leuten hat überall ihre Bekannten und Gönner, und sie haben meistens ihre Spitznamen, wie die Schiffe ebenfalls ihren Namen tragen. Dieser kleine Savoyarde hatte so eben eine Her-Fracht von »Miladies« abgeladen, die nach England eingeschifft werden sollten, nachdem sie auf seiner Karrenfahrt sich achtzehn Monate lang erlustigt hatten, und daher wartete er hier auf gelegentliche Rück-Fracht. Da seine ganze Reiserüstung aus einem Viergespann, dem Riemenzeug und einer langen Peitsche bestand, so strebte er gewaltig nach der Ehre, meinen Reisewagen einige hundert Stunden weit zu fördern, nach welchem Ende der Welt mir es irgend gefällig wäre. Doch mußten vermuthlich seine Miladies recht gewichtige Personen gewesen sein; denn selbst François, der auch aus einer Familie von » voituriers« abstammt und folglich seinen Genossen treu anhängt, mußte zugeben, daß das Gespann des kleinen Savoyarden übermäßig abgejagt worden war. Die Unterhandlungen währten eine Stunde und endigten damit, daß ich den Paß auf die Post sandte.

Bald hatten wir den Thurm hinter uns, der unweit der Grenze des Frankfurter Gebiets auf dem Wege nach Darmstadt sich befindet. Indem wir dort die Anhöhe hinanfuhren, hatten wir rückwärts einen fernen Anblick des Städtchens Homburg, welches die Hauptstadt und zugleich den größten Theil des Grundgebietes des Fürstenthums Hessen-Homburg ausmacht; ein Staat, dessen voriger Herrscher die Ehre hatte, eine englische Prinzessin zur Gemahlin zu besitzen. Etwas Ausgezeichnetes muß in dem Wesen dieses Herrn durchaus gewesen sein, denn er hatte zu seiner Empfehlung über nicht mehr, als drei und zwanzig tausend Unterthanen, zu gebieten!

Darmstadt ist eine von den Städten, die in so großem Maaßstabe angelegt sind, daß sie ein kleines Ansehen bekommen. Dieses ist ein gemeinschaftliches Mißverhältniß der deutschen, wie der amerikanischen Städte; denn die Wirkung weitgespreizter Alleen, die man in fünf Minuten durchmessen kann, ist der Kontrast zwischen Wollen und nicht Können, zwischen großer Unternehmung und kleiner Ausführung. Mannheim ist eine ähnliche Fehlgeburt. Das Mißverhältniß indessen endet mit dem Schein; denn Darmstadt ist geräumig, lüftig und anmuthig; auch ist die Bauart sehr gefällig.

Die alten Landgrafen von Hessen-Darmstadt sind Großherzöge geworden, mit einer beträchtlichen Vergrößerung ihres Gebiets; denn der gegenwärtige Herrscher hat über mehr als 700,000 Unterthanen zu befehlen. Das alte Schloß steht noch in der Mitte der Stadt, wenn man von einer Mitte reden kann, wo kein eigentlicher Umkreis vorhanden ist. Wir traten in die alten Schloßräume ein, um sie zu betrachten; aber der Mann, der das Amt der Schlüssel verwaltete, war zufällig nicht aufzufinden. In der Nähe des alten Schlosses befindet sich ein neuer Palast in gutem Styl erbaut, und, wie gewöhnlich, waren dabei ausgedehnte Gartenanlagen, so viel wir äußerlich davon urtheilen konnten, in englischem Geschmack.

Eine kurze Strecke weiter, nimmt südwärts von Darmstadt die Bergstraße ihren Anfang. Sie ist vollkommen eben längs dem Fuße einer Hügelreihe, auf einer Erderhebung angelegt, die einen weiten Ueberblick über die ausgedehnte Ebene der vormaligen Pfalz gewährt; denn wir befanden uns jetzt an der Grenze dieses alten Gebietes, das durch die Begebenheiten der letzten fünfzig Jahre in das Großherzogthum Baden übergegangen ist. Auch darf ich dabei nicht vergessen, zu bemerken, daß Baden ein ziemlich beträchtliches Gebiet umfaßt, mit einer Bevölkerung von nahe an dreizehnhunderttausend Seelen.

Die Bergstraße bietet viele Burgruinen dar auf den Anhöhen, welche dieselbe überragen, und der Fluß entfernt sich dennoch nicht über eine oder zwei Stunden von der Straße. Auch fanden wir hier Postilione ihres Berufes würdig und in der That ganz vortrefflich eingefahren. In Deutschland erhält man immer nur einen Postilion zu vier Pferden, und da die Vorspannpferde immer in ziemlichem Abstande von den Deichselpferden angeschirrt werden, so ist es keine leichte Aufgabe, acht (englische) Meilen in einer Stunde zurückzulegen, und dabei, auf dem Sattelpferd reitend, das ganze Viergespann fast nur mit der Peitsche in gehörigem Gange zu erhalten. Die Pferde sind abgerichtet, ohne Scheuleder im Zuge zu bleiben, und, gleich den Menschen, welchen man in politischen Dingen einiges Vertrauen schenkt, desto weniger pflegen sie zu straucheln. Dagegen rennt so manches tüchtig durchschulte Pferd, von Zangengebiß und Scheuledern geplagt, mit euren Staatskutschen, wie mit den Reisewagen tollkühn ins Weite, oder läßt seinen Reiter den Hals brechen.

Es war schon dunkel, als wir über die Neckarbrücke fuhren und in die gewühlvollen Straßen von Heidelberg einzogen. Der Düsterheit ungeachtet, konnten wir doch die stolzen Burgtrümmer erkennen, die gleichsam über dem Ort zu schweben schienen, und in den Schauern der einbrechenden Nacht einen erhabenen grauenhaften Eindruck machten.

Die Aussicht aus unseren Fenstern am folgenden Morgen gewährte einen äußerst lebendigen Anblick. Der große Marktplatz befand sich nehmlich gerade vor dem Gasthofe, und es war daher ein Getümmel vor dem Hause, als ob die Hälfte der Bauern des ganzen Großherzogthums sich hier versammelt hätte, um ihr Obst und ihre Gemüse feil zu bieten. Ein Markt ist immer ein Ort des Plauderns und Lärmens; wenn aber der Vorzug der deutschen Sprechweise hinzukommt, dann ist das Bild des Verworrenen vollkommen. In allen guten Gesellschaften unterreden Männer und Frauen sich mit gedämpfter Stimme, und es ist kaum nöthig, dieses mehr als im Vorbeigehen zu erwähnen; aber sobald man ein Wenig von den gebildeteren Ständen absieht, dann kann man wohl sagen, daß die Anstrengung der Lungen ein gewöhnlicher Fehler der Deutschen ist.

Wir gingen, die Burgtrümmer zu besuchen, während die Nebel noch um die Spitzen der Hügel gelagert waren. Auf mich machte dieser Spaziergang dieses Mal weit geringeren Eindruck als das letzte Mal; denn die Ueberraschung fehlte, und so blieb mir Muße zu vergleichenden Bemerkungen. Im Ganzen sind diese Ruinen mehr durch ihren Umfang, als durch ihre Schönheit beachtenswerth; doch erfreuen die im Geschmack der Zeiten Elisabeths aufgeführten Abtheilungen das Auge durch ihre edle Einfachheit. Auch besitzt dieß alte Schloß einen malerischen Thurm, aber das Schönste ist gewiß die Aussicht von der Gartenterrasse dort oben. Ein Amerikaner, der den trefflichen Boden, den freundlichen Himmel seiner vaterländischen Gegenden in lebhaftem Andenken behält, muß trauern über den Mangel an gutem Geschmack, der eine große, wenigstens der Volkszahl nach, große Nation unbekannt ließ und noch unbekannt bleiben läßt mit dem Hochgenuß dieser anmuthigen einsamen Anlagen! So wie Nelson einst sagte: »Mangel an Fregatten« würde über seinem Grabe einst geschrieben stehen, wenn er einst seinen Tod fände; so könnte man über dem meinigen setzen: »Mangel an Gärten.«

Unser Geleitsmann bei dieser Gelegenheit war ein alter Kriegsmann, der in dem verflossenen Kriege unter der Heeresabtheilung von De Watteville in Nordamerika gedient hatte. Er war ein Badner von Geburt und sagte, daß ein beträchtlicher Theil der Mannschaft Deutsche gewesen seien. Er war fast in allen Gefechten am Niagara dabei gewesen und er schüttelte sein Haupt ganz ernsthaft, als ich des Angriffs auf das Fort Erie erwähnte. Nach seiner Erzählung war das Corps, bei dem er sich befand, gar sehr im Feldzuge von 1814 mitgenommen worden, und sie hatten die Mehrzahl ihrer Leute verloren. Ich fragte ihn, wie er dazu gekommen wäre, gegen uns zu Felde zu ziehen, da wir ihm doch nie Etwas zu Leide gethan hätten; und er antwortete: Napoleon habe ganz Europa zu Soldaten oder Räubern gemacht, und hätte sich übrigens nicht darum bekümmert, was Recht oder Unrecht sei.

Nach einem späten Frühstücke fuhren wir ins Neckarthal hinauf, auf einer vortrefflichen Straße und während der ersten Stationen durch eine sehr schöne Gegend. Dann entfernten wir uns von dem Flusse und fuhren weiter bergan über ein wellenförmig erhobenes Land, das immer weniger Anziehendes darbot, bis wir endlich diese Gegend für die einförmigste Gegend, die wir jemals in Deutschland gesehen, erklären mußten. Das Land war nicht durchaus unfruchtbar; aber es bot durchaus nichts Auszeichnendes dar, und war also weit weniger geeignet, als Alles, was wir jemals gesehen hatten, unser Interesse zu erregen.

Noch bis jetzt waren wir über das Ziel unserer Reise nicht einig, obgleich ich beinahe Willens war, nach Nürnberg zu reisen, und von dort aus über Regensburg und dann die Donau hinunter nach Wien zu gehen; aber wir kamen sämmtlich darin überein, daß je weiter östlich, Alles ein desto düsterer Ansehen darbiete. Dabei waren wir schon einmal durch Baiern von Süden nach Norden durchgereist, und wir wünschten daher eine Aenderung der Scene. Ein Glied der königlichen Familie hatte einmal gesagt, Würtemberg biete einem Reisenden weit weniger Interessantes, aber desto mehr dessen Hauptstadt. Da nun gegen solche hohe Auctorität gar kein Widerspruch gelten darf, so beschlossen wir endlich, uns nach Stuttgart zu wenden. In Heilbronn nahmen wir also statt ostwärts unsern Weg südwärts weiter.

Dieses Heilbronn war eine einförmige alte deutsche Stadt, mehrere Häuser waren von außen bemalt, wie ich Ihnen von den Häusern in der Schweiz früher erzählt habe. Nahe bei dieser Stadt liegt Weinsberg, das wegen seinen Frauen berühmt ist, die ihre Männer bei der Uebergabe der Veste dadurch von dem Schwerte der Belagerer retteten, daß sie solche auf ihren Schultern hinaustrugen. Weil es aber in Amerika keine befestigten Städte gibt, und das Beispiel also keinen guten Eindruck machen konnte, so unterließen wir es, dorthin zu pilgern. Die Nacht brachten wir in Bessingheim, einem kleinen Landstädtchen zu, und der Neckar, dem wir bereits in Heilbronn begegneten, rauschte auch hier an unsern Fenstern vorüber.

Am nächsten Morgen machten wir uns frühe auf den Weg, um die Hitze zu vermeiden, und trafen zum Frühstücke in Ludwigsburg ein. Hier änderte sich die Scene. Auf einer Wiese sahen wir Truppen einüben; und als wir der Stadt näher kamen, machte uns der Postilion auf einen stattlichen Offizier aufmerksam, einen Herzog von Würtemberg, einen jüngeren Sohn des königlichen Hauses, der mit seinem Staabe sich daselbst befand. Soldaten zu drillen, ist seit undenklichen Zeiten eine Lieblingsbeschäftigung der deutschen Herrscher gewesen. Es gewährt ihnen solches eine entzückende Unterhaltung, wie den Einwohnern der Manhattan-Insel das immerwährende Plaudern von Dollars eine unerschöpfliche Quelle von Lust gewährt.

Ludwigsburg ist das Windsor, das Saint Denis der würtembergischen Regenten. Da sieht man ein weitläufiges Schloß, einen großen Gottesacker und dazu eine Stadt von fünf- bis sechstausend Einwohnern. Wir gingen durch das Schloß, das geräumig und stattlich von Ansehen ist, einige hübsche Hofräume und Aussichten hat; aber die Bauart ist niedrig und teutonisch – um geradeaus englisch mich auszudrücken, »erdwärts kauernd« – wie die fast zu Zwergen sich zusammenkrümmenden geharnischten Standbilder, die man auf den Marktplätzen mehrer deutscher Städte antrifft. Auch eine Gemäldegallerie befindet sich hier mit wenigen wirklich schönen Gemälden, vorzüglich einigen Werken Rembrandt's. Eines der letzteren ist in demselben Geschmacke, wie »das Schatzungsgeld«, das ich selbst besitze, und ich fange daher an, weniger an der Aechtheit des letzteren zu zweifeln. Die vorige Königin von Würtemberg war eine königliche Prinzessin von England und bewohnte diesen Palast. Da man uns für Engländer hielt, so zeigte man uns die Gemächer derselben, worin sie verschieden, und die sich noch genau in dem Zustande befanden, in welchem sie solche verlassen. Sie muß eine große Anhänglichkeit an ihre Verwandten gehabt haben, denn die Wände waren überall mit den Bildnissen der Familienglieder bedeckt. Den König von England sahen wir überall; und was ihren Gemahl betrifft; wovon ein einziges Abbild einer verständigen Frau genügt hätte, so waren dort nicht weniger als sechs Portraite desselben in einem einzigen Zimmer!

Je weiter nordwärts, desto weniger zierliche Ausschmückung der Gemächer wird man antreffen, und die deutschen, wie die englischen Paläste haben daher sämmtlich dasselbe förmliche alterthümliche Ansehen. Auch Ludwigsburg macht keine Ausnahme, außer daß uns in den Gemächern der Königin ein ungewohntes Streben nach Bequemlichkeit deutlicher hervortrat, und offenbar war hier der Einfluß des Englischen nicht zu verkennen.

Wir standen auf einem Balkone, von welchem man einen anmuthigen Strich waldiger Gegend und gartenähnlicher Anlagen übersehen kann; da zeigte unser Führer uns ein Dorf von Weitem, dessen Kirchthurm über eine Waldecke in einem etwas abgelegenen Thale oder vielmehr auf einer Erderhöhung herübersah. »Können Sie es sehen, mein Herr?« – »Ich sehe es wohl, – nichts weiter, als ein abgelegenes Dorf, dessen Umgebung übrigens recht hübsch ist.« Es war Marbach, Schillers Geburtsort! Es gibt kaum einen Menschen, der weniger die allgemeine Neugier der übrigen Leute nach den Gewohnheiten, Wohnungen und persönlichen Angelegenheiten berühmter Männer mitempfindet, als ich. Der bloße Anblick eines berühmten Mannes, oder von Etwas, das von ihm herrührt, versetzt mich noch keineswegs in eine Aufregung. Doch erinnere ich mich nicht, jemals inniger empfunden zu haben, wie weit mächtiger wahre Größe auf das Gemüth einwirkt, als bloß eingebildete; dieses bewies der Eindruck, den jene Mittheilung auf mich machte. Das abgelegene Dörfchen dort drüben erhob sich mit einem Male vor meinem Gemüthe mit einer alle Eindrücke und Erinnerungen königlichen Glanzes überwältigenden Wirkung, wogegen also auch das Ludwigsburger Schloß verschwand. Schiller ist nicht mehr! In meinen Augen steht er da, als der deutsche Genius dieser Zeit. Göthe hat von allen Enden jene Beifallsbezeugungen bereitwillig und verschwenderisch gespendet erhalten, die weit öfter als die Wirkung von Gönnerschaften, glänzender Thee's und modischer Zirkel hervorgehen; als aus inniger Ueberzeugung von der wahren Genialität eines Mannes; und Göthe hatte das Glück, einer »heißbrodelnden Celebrität« sich zu erfreuen, – denn, Sie müssen bedenken, daß in diesen Dingen die Mode auch ihre Stimme hat, und daß es hierbei auf eigentliches Verdienst durchaus nicht ankommt; – Schillers Nachruhm hingegen beruht einzig auf sein nacktes Verdienst. Mein Leben setze ich dafür ein, Schillers Ruhm wird am längsten währen, und bei der fernen Nachwelt wird er in der schönsten Verklärung fortleuchten. Die Schule, der vorherrschende Geschmack, die Laune der Mode kann Männer, wie Göthe, dutzendweise schaffen, so oft und so viel man es irgend wünschen mag; aber Gott allein ruft Männer, wie Schiller, ins Dasein. Die Deutschen werfen uns Ausländern vor, wir seien nicht im Stande, Göthe zu verstehen; aber Uebersetzungen sind vielleicht weit sicherere Bürgen für wahre Genialität, wo solche sich findet; denn wenn es auch von schlechten Uebersetzungen wimmelt, so wird doch das ächte Metall, wo dessen wirklich vorhanden ist, sich selbst im Abhub und in den Schlacken nicht verkennen lassen.

Von Ludwigsburg nach Stuttgart ist nur Eine Station; um zwölf Uhr kamen wir dort an. Das Aeußere der Stadt entsprach durchaus nicht unserer Erwartung. Zwar zählt sie an 30,000 Einwohner, gleicht aber weit eher einem geschäftigen Schweizerstädtchen, als einer deutschen Hauptstadt; man müßte denn die königlichen Gebäude und Gärten ausnehmen. Unter einem Schweizer Städtchen verstehe ich hier freilich nicht solche Orte, wie Genf, Bern, Zürich, sondern Oertchen, wie Herisau und Luzern, ohne dabei die Mauern der letztern mitzuverstehen. Stuttgart steht am Ende eines unregelmäßigen Thales, am Fuße einiger Anhöhen, und dieser Anblick, das ländliche Aeußere, die Lage selbst machte von Weitem einen überraschenden Eindruck. Aber die Stadt selbst wird, wie man auf dieser Seite des atlantischen Meeres sich ausdrückt, mit jedem Tage immer mehr Europäisch, sie verliert, mit andern Worten, zusehends ihr eigenthümliches Ansehen.

In der Nähe und in der Umgebung der Schloßgebäude findet sich noch Etwas, das einigen Eindruck machen kann. Das alte mittelalterliche Gebäude, das, wie ich glaube, das Stammschloß des Hauses Würtemberg ist, steht da, gleichsam als der Kern der ganzen übrigen Stadt. Es ist ein fester, Gefängniß ähnlicher weitläufiger Bau, der aus ungeheuern Rundthürmen und kleinen Gehöfen besteht, und noch immer den Zwecken des Staates, hoffentlich nicht als Zwinghof, entspricht. Ein anderes Gebäude in neuerem Geschmack, eine königliche Wohnung, befindet sich in dessen Nähe an der einen Seite, während der ganz neue Palast von der andern Seite daranstößt. Letzterer ist ein schönes Gebäude im italienischen Geschmack, und dem Palais Luxemburg in Paris nicht unähnlich, und nach meiner Meinung ist es das vorzüglichste königliche Gebäude, das man, Preußen und Oesterreich ausgenommen, in den kleinern deutschen Staaten antrifft.

Wir mietheten einen Wagen, und fuhren durch das Gefilde nach einem kleinen neuen klassischen Palaste, der am andern Ende sich auf einer Anhöhe etwa zwei (engl.) Meilen davon befindet. Wir besahen das Innere dieses Schlosses, welches im Baustyle dem von Trianon in Versailles etwas ähnelt; es ist kleiner als das große Trianon und größer als das kleine Trianon. Diese Prachtbauten königlicher Schlösser fielen uns indessen auf, als durchaus im Mißverhältniß stehend zu der geringen Größe und zu der Armuth des Landes. Das letztgenannte ist nur ein Lustschloß, und gut genug, wenn es zur Erschwerung der Abgaben nichts beigetragen hat; ob dies der Fall war, weiß ich nicht. Die meisten gekrönten Häupter haben großes Privatvermögen, zu dessen Gebrauch sie ein Recht, wie andere Privatleute haben, und welches mitunter auch zur Belebung des guten Geschmacks der Unterthanen benutzt wird.

Ein Badeort befindet sich in der Nähe des Schlosses, und eben machte man Anstalten, eine Mahlzeit für den König zuzurichten, der hier mit einer ausgesuchten Gesellschaft speisen wollte. Dadurch wurden wir an unsere eigene Mahlzeit erinnert, die wir um sechs Uhr bestellt hatten, und begaben uns deßhalb auf den Rückweg. Ich saß am Fenster, während angerichtet wurde, und die Ankunft einer Kutsche erregte meine Aufmerksamkeit. Es war eine große, vorzüglich schöne Postkutsche, so reich verziert, als irgend mit einer Fahrt über Land sich verträgt, und mit einem reichen Wappen geschmückt. Eine einzelne Dame saß im Wagen, ein Diener und eine Dienerin im Außensitz. Die Dame hatte eine Haube an, und war im Fahren, wie es mir vorkam, mit Filetarbeit beschäftigt. Ich habe öfter deutsche Familien auf Reisen in solcher häuslichen Beschäftigung angetroffen, die demnach sich ebensowohl zu Hause fühlten, als ob sie unter ihrem gewohnten Obdach sich befänden. Diese Dame hatte übrigens so wenig Gepäck bei sich, daß ich dadurch veranlaßt wurde, mich zu erkundigen, wer sie sein möge. Sie war eine Fürstin von Hechingen, die also gelegentlich aus ihrem Nachbarstaate herübergefahren kam, vermuthlich, um mit einigen ihrer Verwandten in Würtemberg einen Thee zu trinken.

Diese kleinen Reiche sind von so geringem Umfange, daß solche gegenseitige Besuche sehr leicht auszuführen sind, und, wie ich vermuthe, aber nicht gradezu behaupten kann, ist die deutsche Förmlichkeit, so steif und so albern, als sie Jedermann bekannt ist, wohl vorzüglich deshalb ausgedacht worden, damit dergleichen Besuche nicht zu mißbräuchlichen Störungen ausarten.

Das System der Mediatisirung hat aber die Zahl der Hauptstädte vermindert, und ihre Abstände von einander dadurch vergrößert; durch zufällige Einflüsse aber ist noch hier und da ein Fürst geblieben, dessen fortbestehende Herrschergewalt nicht eben nothwendig zum Ganzen gehörte, und deren Grundgebiet sich mitten in den Ländern derer befindet, welche bei jener Einrichtung gewonnen haben. So ist Baiern zu einem Königreiche mit einer Bevölkerung von vier Millionen Einwohnern angewachsen, so sind die Herzöge von Würtemberg zu Königen geworden, aber in weit geringerem Maaßstabe, vermöge der früheren Freigebigkeit und Staatsklugheit Napoleons. Das Königreich Würtemberg umschließt nun die zwei unabhängigen Fürstenthümer von Hohenzollern, die man vielleicht blos aus Familienrücksichten nicht dem übrigen Lande einverleiben wollte, innerhalb seiner Grenzen ganz und gar. Einer der Prinzen dieses fürstlichen Hauses ist mit einer Nichte Murats, des ehemaligen Königs Joachim, vermählt.

Nach dem Essen besuchten wir wieder den Schloßgarten, und sahen dort zufällig die Rückkehr der königlichen Gesellschaft von dem erwähnten Mahle. Der König fuhr die Königin selbst in einem mit kleinen Pferdchen bespannten Phaëton, in der bei Monarchen üblichen Geschwindigkeit, nämlich so schnell, daß die kleinen Thiere kaum Zeit hatten, mit ihren Beinen den Boden zu berühren. Er war ein großer starker Mann mit einem tüchtigen Schnurbart, und glich in seinen Gesichtszügen sehr den Prinzen des englischen Königshauses. Die Begleitung bildeten zwei Reitknechte zu Pferde in Scharlach-Livree. Ein jüngeres Glied der Familie, von dunkelm, fast italienischem Aussehen, kam bald hinterdrein, ebenfalls selbst fahrend, in einem offenen Wagen. Kurz darauf wurden wir auch durch den Anblick der Köche und Küchendiener erfreut, die in einem besondern Wagen mit den Ueberbleibseln und Geräthschaften nachkamen. Nicht lange nachher sahen wir auch die Königin und drei oder vier ihrer Töchter auf einem Altane des Schlosses, und die Filet strickende Dame war bei ihnen. Sie schienen sämmtlich schöne Frauen zu sein.

Im Gasthause vernahm ich zu meinem Leidwesen, daß Sir Walter Scott nur zwei Tage früher durchgereist sei. Man sagte, er habe sich sehr übel befunden, und das so sehr, daß er gar nicht aus dem Wagen habe aussteigen können, und daß er sich so viel als möglich darin verborgen gehalten habe.

Früh am andern Morgen verließen wir Stuttgart, und während unsere Reisekutsche mühsam die Anhöhe, welche die Stadt überragt, sich hinaufwand, fiel mir die Gegend durch manches Störende auf. Die Hügelabhänge waren Weinberge, das Schloß, trefflich unterhalten, bot einen warmen, sonnigen Anblick, dabei riefen die alten rohen Thürme der mittelalterlichen Burg die alten Zeiten Deutschlands ins Gedächtniß zurück, und die schweizerischen Häuser erinnerten an winterliche Landschaften, Schneegestöber und fröstelndes Februarwetter. Doch fragt es sich, ob ein so beschirmter Ort jemals viel von der Kälte erfahre. Die Stadt scheint fast in dieser Vertiefung nur deshalb erbaut zu sein, um das Brennmaterial zu sparen.

Wir begegneten nochmals dem Neckar; nachdem wir eine Reihe waldiger Berghöhen überstiegen hatten, und in Tübingen hatten wir eine Stadt, eine Universität, mittelalterliche Trümmer, geschlossene Gesellschaften, Pfeifen und andere Dinge, die Deutschland bezeichnen, beisammen. Hier frühstückten wir und bekamen einen Besuch von einem jungen Landsmanne, dessen Eltern, deutscher Abkunft, ihren Sohn, wie ich vermuthe, zu seiner Ausbildung hierhergesandt hatten. Dieser junge Mann, nun wahrscheinlich mit guten griechischen Kenntnissen, völlig vertraut mit metaphysischen Grillen, wie mit seiner Pfeife, überspannt in seinen politischen, schwankend in religiösen Ansichten, wieder zu uns zurückkehren, und vielleicht einige Ideen über das Poetische im Denken und Handeln mitbringen, wie ein Neu-Engländischer Tanzmeister dergleichen von der Poesie der Bewegung aufstellen würde, oder ein Psalmensangmeister von der Kunst des Singens. Demungeachtet schadet dieser Mißgriff weit weniger, als wenn man einen jungen Menschen nach England sendete, von wo er mit den Lehren eines Sir William Blackstone zurückkehren würde, mit der Anleitung, wie die Einrichtungen seines Vaterlandes umgestürzt oder verderbt werden können, und überfüllt mit Anekdoten von Lords und Ladies aus der zweiten Hand. Wir sind in diesem Punkte der Jugendbildung in großer Verlegenheit, denn wir haben keine leichte Gelegenheit, unserer Jugend, weder bei uns noch in der Fremde, eine den Anforderungen der Zeit wie den besondern Verhältnissen unserer Staaten gleichangemessene Bildung zu verschaffen. Bei uns zu Hause fehlt es an Wissenschaft, Forschungsgeist, Lernbegierde, Ausdauer und Muße; von Außen her bedrohen uns die Vorurtheile, die dort aus eingebildeten Vorstellungen und künstlichen Einrichtungen nothwendig hervorgehen, oder, was noch weit schlimmer ist, von Außen her bedrohen uns die Einflüsse fremder Meinungskämpfe, knechtischen Kastengeistes oder die Greuel des Umsturzes aller Verhältnisse.

Ungefähr eine Station weiter, als Tübingen, erschien eine ehrwürdige Ruine einer mittelalterlichen Veste von Fernen auf dem Gipfel einer kegelförmigen Anhöhe. Das waren die anmuthigsten Burgruinen, die wir seit langer Zeit gesehen hatten, und von der Landstraße aus gewährte sie uns über eine halbe Stunde lang einen reizenden Anblick. Es war die Burg Hohenzollern, um das Jahr 980 erbaut, die Wiege des königlichen Hauses Brandenburg. Dieses Geschlecht soll, wie behauptet wird, von den alten Herzogen des Elsasses abstammen, was, wenn es gegründet wäre, bei ihnen denselben Ursprung wie dem Hause Oesterreich und Baden nachweisen würde; doch es ist gebräuchlicher und wahrscheinlich auch richtiger, anzunehmen, daß die Grafen von Hohenzollern die Stammväter seien. Irgendwo wird immer unsere Stammtafel Lücken finden, ehe sie bis zu Adam hinaufreicht.

Ich sann schon darüber nach, welche unvorgesehene Ereignisse einem nachgebornen Sohne, einem jüngern Zweige einer Familie, aus der Lehenspflichtigkeit der alten gräflichen Besitzer dieser Veste, auf den fünften europäischen Thron in Macht und Ansehen berufen habe, als wir in ein unregelmäßiges, fast unwegsames Städtchen einfuhren, das etwa 3000 Einwohner zählt, und nicht einmal so gut gebaut war, als die Städtchen von gleicher Größe bei uns. Ein Schild über einer Thüre, wie sich dessen ein betriebsamer Handelsmann bedienen würde, mit der Aufschrift: »Kriegsdepartement«, veranlaßte mich, mich genauer umzusehen, und siehe da, wir befanden uns in Hechingen, der Hauptstadt von Hohenzollern-Hechingen, – ein unabhängiger Staat, der seinen eigenen Fürsten hat, in einer Beziehung das Haupt, in der andern der Schweif seiner Familie; denn, außer dem Könige von Preußen, gibt es noch einen Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen, der in der Reihenfolge der jüngere, aber an Macht der überwiegende Zweig ist, denn er zählt 40 bis 50,000 Unterthanen, während Hechingen deren nur 15,000 hat.

Wir fuhren im Orte selbst eine Anhöhe hinauf, und kamen an einem unausgebauten Hause vorüber; es stand nur erst der Vorderbau, in der Straße selbst, und dabei befand sich nicht einmal der nöthige Raum zu einer schönen Gartenanlage; das Gebäude war an sich kaum so groß und so gut angelegt, als ein ansehnliches Landhaus bei uns. Dieses Gebäude war, wie man uns sagte, zur städtischen Wohnung des Thronerben bestimmt, der mit einer Tochter von Eugen Beauharnois, folglich einer Nichte des Königs von Baiern, vermählt ist.

Dies war eine königliche Pracht in »kurzem Auszuge«, wie ich noch keine gesehen hatte. Die sächsischen Herzogthümer, so wie Baireuth und Anspach, jetzt zu Baiern gehörig, hatten früher uns Stoff zu eigenen Betrachtungen gegeben; und doch waren jene noch Besitzungen mächtiger Herrscher zu nennen, im Vergleich mit diesem kleinen Fürstenthum. Ich fragte nach dem Aufenthalt des Fürsten, welcher nicht weit entlegen sein konnte, ohne außerhalb seiner Staaten zu liegen. Er war außer der Stadt hinter einem eine (englische) Meile davon entfernten Walde, und war von dem Gasthause aus, wo wir eingekehrt waren, nicht sichtbar. Dieses war ein Hauptmißgriff. Wäre das alte Schloß, das blos eine halbe Meile Weges entfernt war, gut erhalten worden unter dem Titel eines gräflichen Schlosses von Hohenzollern, und hätte man das Kriegs- und Staatsdepartement in einen seiner Thürme verlegt, so würde Niemand die Anmaßung belächelt haben, möchte er auch noch so sehr dazu geneigt gewesen sein; so aber – –

Wir hatten große Lust, die Ruine zu besuchen, welche die Trümmer der Habsburg noch weit hinter sich läßt; aber ein Gewitterregen, der das Fürstenthum bis in sein Inneres erbeben machte, hinderte uns daran. Die Burghalle, die Kapelle und der Glockenthurm sollen, wie man sagt, wieder hergestellt sein und sich jetzt in gutem Zustande befinden. Wir konnten aber nur sehnsüchtige Blicke hinaufgleiten lassen, als wir unten an der Anhöhe vorbeifuhren; denn der Boden war zu sehr durchnäßt, als daß wir Frauen dem Wagniß eines Bergsteigens hätten aussetzen können. Wir hatten einen Hechinger Postilion in Hechinger Postilionstracht, und obschon der Mann seine Würde fühlte und mit der nöthigen Vorsicht sein Gespann lenkte, so brachten wir doch gerade eine Stunde zu, um die Lande seines Herrn zu durchfahren.

Wieder ins Würtembergische zurückgekehrt, brachten wir die Nacht in dem Dorfe Bahlingen zu. Die Gegend, durch welche wir am nächsten Morgen kamen, war einförmig, obschon nicht flach; erst gegen Mittag gewann das Land ein reizenderes Ansehen und breitete sich vor unseren Blicken in lieblichen Thälern und waldigen Anhöhen aus. Der Tag war schön und während wir durch eines dieser Thäler hintrabten, deutete A – – nach einem kleinen Bächlein, das uns zur Rechten sich zögernd hinwand, und lobte das schöne Bächlein. »Ich wette darauf, daß es einen Namen hat; man muß den Postilion fragen.« – »Wie heißt dieses Flüßchen?« – »Die Donau, mein Herr.« Die Donau! Es lag etwas überraschend Unerwartetes in diesem unverhofften Anblick dieses mächtigen Stromes, dessen dunkle Fluten wir vordem durch Städte und Königreiche wogen sahen, als wir ihn hier als Bächlein wieder fanden, über das ich fast im Stande war, hinüber zu springen. Es war, als wenn wir dem, welchen wir früher als mächtigen Herrscher gekannt, mit einemmale wieder als Privatmann irgendwo begegnet hätten. Ich war noch immer über das Gewässer in Gedanken vertieft, das vor uns vorübergleitend, seinen Weg bis ins ferne schwarze Meer verfolgt, als wir vor der Thüre des Wirthshauses in Duttlingen anhielten.

Jetzt waren wir im Schwarzwalde, und noch dazu befanden sich einige Bäume darin. Das Gehölz war meist Lärchenholz, daher mag der Name kommen. Unser Wirth erfuhr von unseren Dienstboten, daß wir Amerikaner seien, und da brachte er bald das Gespräch auf die Auswanderungen. Er sagte uns, gar viele Leute zögen von Würtemberg nach Amerika, und gab dabei zu verstehen, wir könnten uns Glück dazu wünschen, – es seien lauter gebildete Menschen! Das war eine neue Art, die Sache anzusehen, und ich will mir nicht die Verantwortlichkeit aufbürden, das Gegentheil zu behaupten.

Während des Frühstückes fragte uns der Gastwirth, der zugleich Postmeister war, wo wir die Nacht zuzubringen wünschten, und ich antwortete ihm: in Schaffhausen am Rhein. Darauf bedeutete er mich, wir würden in diesem Fall einen langen aber nicht steilen Bergpfad zu übersteigen haben, welcher die Gewässer der Donau von den Rheinzuflüssen scheide, und daß zwei Extrapferde diesen Weg sehr erleichtern würden. Ein Ueberblick der Landstraße bewog mich, ihm beizustimmen, und so verließen wir das Posthaus in dem prächtigen Aufzuge eines Reisewagens mit sechs Pferden. Das war augenscheinlich eine Wirkung des vorhergegangenen mächtigen Eindrucks, und nachdem wir beim Eintritte ins Würtembergische und bei unserer Durchreise uns öfter über die Langsamkeit der Pferde beklagt hatten, so verließen wir es jetzt mit »Eclat« und legten stündlich zehn (englische) Meilen zurück. Auf dem Gipfel der Berghöhe trafen wir die Badensche Grenze wieder. Hier hatten wir eine schöne weitausgedehnte Aussicht, die auch den Konstanzer See umfaßte. Das Wasser hatte ein dunkles und verworrenes Ansehen und die ganze Scene erschien in einer Beleuchtung, die mich stark an das mystische Wesen des Deutschen erinnerte. Wir mochten uns auf einem ziemlich erhobenen Hochlande befinden, obschon keine Berggipfel deutlich hervortraten; im Gegentheil konnte der Blick frei umherschweifen, bis er, wie auf der See, durch die Krümmung der Erdfläche den endlichen Gesichtskreis fand; die Bäche in unserer Nähe flossen in den Rhein und halb Europa durchströmend, entlasteten sie sich in die Nordsee; während der Strom unten im Thale seine südöstliche Richtung verfolgte, bis an die Grenzen Asiens hin. Es ist etwas Erhebendes und Entzückendes in der Verknüpfung der Bilder, die die Betrachtung solcher Gegenstände in unserem Innern anregt.

Von dieser Stelle aus führte unser Weg bergab, entkleidet von dem Stolze unseres Postzuges, denn auf der nächsten Station konnten wir mit großer Schwierigkeit nur drei Pferde bekommen. So ist es im Leben, wo der eine Augenblick uns im Ueberfluß schwelgen, der nächste uns mit Entbehrungen kämpfen sieht. Wie im Leben, behalfen wir uns, so gut es angehen wollte, durchfuhren eine reizende unebene Gegend, allmählich bergabsteigend, bis wir plötzlich uns wieder unten an das Ufer des Rheinstromes versetzt sahen, und abermals vor der Thüre eines Wirthshauses anhielten in der Schweiz!



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