Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Nationalgardisten in dem Hofe des Palastes. – Nicht abgeforderte Todte in der Morgue. – Ansicht des Schauplatzes des Kampfes. – Der schlechtzielende Artillerist. – Sonderbares Schauspiel. – Die Umtriebe der herrschenden Partei. – Das Martialgesetz. – Verletzung der Charte. – Lächerlicher Auftritt im Carrousel. – Ein widerspenstiger Nationalgardist.
Lieber – –,
Den Tag nach der Beendigung des Kampfes ging ich nach dem Louvre, wo ich, wie gewöhnlich, Herrn M -– – antraf, der mit Abschriften beschäftigt war. Er war meistens allein in den weiten düstern Bogengängen, wie in den Tagen der Cholera; aber wir hatten dort einen Ueberblick über die Nationalgarde, die bei dem Vorfalle thätig gewesen war; sie standen jetzt im Hofe des Palastes geschaart, um den Dank des Königs zu empfangen. Ihre Anzahl mochte kaum fünftausend betragen; doch waren auch wohl nicht Alle anwesend.
Vom Louvre wandte ich mich nach dem eigentlichen Schauplatze des Kampfes. Eine Anzahl noch nicht zurückgeforderter Todter waren in der Morgue zur Schau gestellt, und Jedermann durfte hinzutreten. Daselbst waren wohl fünfzig bis sechzig Leichname, und unter ihnen befanden sich einige Frauen und Kinder, die wahrscheinlich bei diesem Vorgange getödtet worden waren. Alle waren durch Flintenschüsse tödtlich getroffen, meistens von Büchsenkugeln, auch einige Wenige waren von Schrotschüssen getroffen. Da die Mißvergnügten fast die ganze Zeit ziemlich geschützt standen; so scheint es, hat die Kavallerie wenig zu thun bekommen. Man flüsterte einander zu, es seien Polizeiagenten anwesend, um die Gesichtszüge und das Benehmen der Zuschauer zu beobachten, um auf diese Weise die Mißvergnügten auszukundschaften.
Da mehre Krieger aus Napoleons Zeiten Tags zuvor beim Mittagsmahle waren, die in der Belobung der guten von den Anführern eingenommenen Stellung einstimmig waren; so war meine Neugierde rege geworden, den Ort des Kampfes selbst zu untersuchen. Die Straße St. Mery ist enge, und die Häuser sind ziemlich hoch. Der Thurm der Kirche steht ein wenig vorwärts, so daß er sie gleichsam zu einem Engpaß macht, und der Pflastersteine hatte man sich zu Barrikaden bedient, wie im Jahre 1830. Diese Pflastersteine sind um Vieles breiter, als die unsrigen, dazu eckig und durch ihre Größe zur Ausführung einer rohen Mauer gerade geeignet; da nun hinreichendes Material vorhanden ist, so ist nichts leichter, als eine Brustwehr aufzuwerfen, hinter welche eine Masse Volks gegen Alles sonst, nur nicht gegen Artillerie geschützt wird. Zwei einander nahgelegene Gassen öffnen sich in die Rue St. Mery, aber nicht in gerader Linie, so daß der Zugang durch beide zu derselben, durch die quer an der Ecke stehenden Häuser beherrscht wird. Das eine dieser Häuser scheint den Mißvergnügten als Veste gedient zu haben, und an dieser Stelle, so wie in dessen Nähe wogte der Kampf am heftigsten. Gegen dieses Haus wurden Kanonen aufgefahren, und es ward gänzlich beschädigt, wiewohl weniger durch Rundschüsse durchlöchert, als man hätte erwarten sollen. Die Fenster waren zertrümmert, und die Decken der oberen Gemächer waren gänzlich durch Kanonenkugeln zerstört, die durch zu hohe Schüsse eingedrungen waren. Etwa zwanzig bis dreißig Todte waren in diesem Hause gefunden worden.
Ich war an diesem Morgen mit dem Obrist – – zusammengetroffen, und wir besuchten daher das Schlachtfeld gemeinschaftlich. Er sagte mir, die Neugierde habe ihn bewogen, die ganze Straße, welche der Veste der Aufrührer gegenüber liegt, am vorhergehenden Tage zu durchstreichen; er zeigte mir eine porte-cochère, unter welcher er während eines Theils des Gefechtes Schutz gefunden. Die im Gefechte begriffenen Truppen waren eine Strecke weit vor ihm voraus, und er erzählte, wie sie öfter vor dem Feuer aus dem Hause weichen und sich von Neuem sammeln mußten, weil das Feuer von dort her öfters nachdrückliche Wirkung that. Die Truppen standen aber auch völlig unbedeckt und befanden sich dadurch in großem Nachtheil. So können leicht mehre Hunderte von ihnen an dieser Stelle und in der Nähe derselben getödtet oder verwundet worden sein.
Da gab es auch einen Beweis von der Wichtigkeit der rechten Besonnenheit in einer Schlacht in einem Schuß, den wir in der Mauer eines Seitengebäudes fast gerade gegenüber der porte-cochère erblickten, unter welcher Obrist – – Zuflucht gesucht hatte. Der Artillerist, der die Kanone richtete, aus welcher dieser Schuß herrührte, hatte die beiden Seiten der Straße vor sich, um sich darnach beim Zielen zu richten, und doch traf sein Schuß eines der Seitengebäude, gar nicht weit von der Kanone, und in einer solchen Höhe, daß die Kugel ziemlich weit über die Schornsteine des Hauses, nach welchem sie abgefeuert wurde, hätte hinüberfliegen müssen. Doch jeder, der mit dem wirklichen Leben bekannt ist, weiß, daß er der Poesie ein weites Feld einräumen muß, wenn er von »vollen Lagen,« vom »freien Gebrauch des Bajonets« und von der »imposanten Wirkung mörderischen Artilleriefeuers« liest. Alte und besonnene Truppen entwickeln bisweilen außerordentliche Beweise von Tapferkeit; doch bin ich zu glauben geneigt, daß die glänzendsten Thaten meistens von solchen ausgeführt werden, die grade lange genug geschult worden sind, um den ganzen Umfang der Gefahr, in der sie schweben, nicht völlig übersehen zu können. Bei dieser Gelegenheit erzählt man sich außerordentliche Thaten der Aufrührer, voll Unerschrockenheit, die wahrscheinlich völlig wahr sind, da solche verzweifelte Selbstaufopferung, in einem Zustande großer Aufregung, dem Charakter der Franzosen ganz eigen ist, die sich mehr durch Hineinstürmen als durch Ausdauer in gefährlichen Lagen auszeichnen.
Die Straße St. Mery bot Spuren des Kampfes eine ziemliche Strecke weit dar, aber nirgends war das Gefecht hitziger gewesen, als vor dem eben erwähnten Hause. Die Kirche wurde ganz zuletzt genommen, aber ich fand Nichts, das mich hätte vermuthen lassen, daß dort das Gefecht von gleicher Heftigkeit gewesen wäre.
Es war ein fremdartiger Auftritt für uns, die Volksmasse einer so großen Stadt durch die Straßen schwärmen zu sehen, um den Schauplatz eines Kampfes zu betrachten, der das Wohl oder Wehe der Gesammtheit so nahe betraf, und zu sehen, mit welcher beispiellosen Unempfindlichkeit diese Menschen sich fast nur um die sichtbaren physischen Wirkungen zu bekümmern schienen.
Nur das glaubte ich zu bemerken, daß die Mehrzahl den Besiegten größere Theilnahme widmete, als den Siegern, und daß man die Kühnheit jener bewunderte, ohne auf ihre Absichten einzugehen; Niemand schien zu wissen, wer die Aufrührer gewesen seien.
Im Laufe des Morgens begegnete ich dem Herrn – – auf der Straße. Er hat durchaus rechtliche Gesinnungen; niemals hörte ich ihn das Benehmen seiner politischen Gegner durch Uebertreibung entstellen, oder die Fehler seiner eignen Partei bemänteln. Als die Rede auf die letzten Vorfälle kam, äußerte er die Vermuthung, die Regierung habe diese selbst angezettelt, in der Gewißheit, die Bewegung leiten und ihr Ansehen dadurch befestigen zu können; dennoch hielt er es für überflüssig, der Annahme zu widersprechen, daß demungeachtet ein Anschlag ausgebrütet werde, um die bestehende Regierung zu stürzen. Seinen Ausdrücken nach bestand hier ein Zusammentreffen der freiwilligen Bestrebungen der Mißvergnügten mit den Umtrieben der Regierung, um einen Ausbruch vor seiner Reife zu erzwingen, so daß man nicht genau anzugeben vermag, welche von beiden Triebfedern hier am meisten gewirkt, oder wo die Grenze zwischen beiden sich befunden habe. Ich glaube wirklich, daß die Sache sich so und nicht anders verhielt; denn es wäre Viel behauptet, Frankreich jemals von geheimen Umtrieben freisprechen zu wollen.
Das Publikum war an diesem Morgen durch ein Gerücht beunruhigt worden, als beabsichtige die Regierung, Paris in den Belagerungszustand zu erklären, welches grade so viel sagen will, als uns Alle miteinander unter das Martialgesetz zu stellen. Dieses sieht nun freilich mehr den Maßregeln eines Napoleon ähnlich, als der verheißenen Freiheit, die durch jene drei Tage erkämpft sein sollte. Jetzt fängt die Opposition an, die konstitutionelle Charte durchzugehen, um zu sehen, welche Rechte sie auf dem Papiere besitzt; aber was vermag ein beschriebenes Papier gegen die Forderungen und Wünsche derer, welche die Macht in Händen haben? – Der Kassationshof soll indessen der Mehrheit nach aus Karlisten bestehen, und, wie die Sachen jetzt stehen, beweist eben die Hoffnung, die jetzt nach zwei Jahren die Freiheit auf jene Anhänger der Bourbons baut! – Gewiß, lieber – –, wir leben in einer sonderbaren Welt; man weiß nicht einmal mehr, wen man als seinen eigentlichen Beschützer ansehen darf unter diesen politischen Wetterhähnen insgesammt. Um aber dieses zu verstehen, belieben Sie sich zu erinnern, daß eine Klausel der Charte ausdrücklich festsetzt, daß Niemand verurtheilt werden dürfe, »es sei denn durch seine natürlichen Richter«; hierdurch wird also klar ausgesprochen, daß keine außerordentliche oder ungewöhnliche Gerichte zur Bestrafung gemeiner Verbrechen eingesetzt werden dürfen. Weil aber das Martialgesetz militärische Gerichtsbarkeit und militärische Strafurtheile mit sich führt, so behauptet man, es sei kein Grund vorhanden, das Martialgesetz in der Hauptstadt in einem Augenblick einzuführen, wo grade die Macht der bestehenden Regierung eine festere Stellung behauptet, als sie jemals seit ihrer Einsetzung besessen hat. Aber die Charte setzt ebenfalls fest, daß die Konscription aufgehoben werden solle, und gleichwohl sind alljährlich neue Konscribirte ausgehoben worden, mit derselben Regelmäßigkeit, als jemals, seit die Unterschrift Ludwigs des Achtzehnten unter dieser Akte stand.
Alle Läden wurden heute geöffnet, und Geschäfte, wie Zerstreuungen beginnen wieder ihren gewohnten Lauf. Die Nationalgardisten der Bannmeile, die gestern im Gefechte thätig waren, werden festlich gespeist und belobt, während die Zuschauer behaupten, einige von ihnen bildeten sich ein, sie hätten gegen die Karlisten gefochten, und andere dagegen ständen im Wahn, die Jakobiner niedergeschmettert zu haben. Alle sind der Meinung, der Freiheit leichtere Bahn eröffnet zu haben.
Ich kehrte durch das Karrousel hindurch zurück und wurde zufällig Zeuge eines lächerlichen Schauspiels. Eine Schaar dieser Krieger, ehrliche, wohlgesinnte Landleute, in ziemlich vernachlässigtem Putze, befanden sich noch in Hofe des Palastes. Es schien, als ob einer dieser Helden ausserhalb dem bestimmten Bezirk herumgestreift wäre, wo er sich in irgend ein wichtiges Gespräch mit Nachbarsleuten eingelassen und ihre Gastlichkeit mit Erzählungen aus den neuesten Schlachtereignissen vergolten hatte. Ein Sergeant hatte ihn aufgefordert, zu seiner Fahne zurückzukehren; allein die Begierde nach gutem Wein und angenehmen Geplauder war stärker, als die Liebe zur Kriegsdisciplin. Je mehr der Sergeant sich in militärischer Würde gegen ihn anließ, desto höher stieg der Geist des Widerstrebens in seinem Kameraden, bis zuletzt die Aufforderung des Sergeanten so förmlich erscholl, als gälte es, einen belagerten Ort zur Uebergabe zu bewegen. Die Antwort war in der That heldenmäßig, und lautete, in unsere Sprache wörtlich übersetzt: »Ich will nicht.« Eine alte Frau trat jetzt aus dem Gedränge hinzu, um zu dem Sergeanten ein begütigendes Wort zu reden, aber sie konnte nichts weiter vorbringen als: » Ecoutez Mr. le Sergeant «; – denn, wie alle mit Gewalt Bekleideten, war er unbeweglich und ungeduldig, weil sein Ansehen hier beleidigt schien. Er ging zu seinem Bataillon zurück, und versuchte, einige Mannschaft zusammenzubringen, um den Widerspenstigen festzunehmen; doch dies war leichter gesagt, als ausgeführt. Die Mannschaft war gar nicht geneigt, einen guten Nachbar zu plagen, der eben noch dem Staate treue Dienste geleistet, und der nun auch einmal fröhlich sein wollte. Der Sergeant kehrte also allein zurück, und forderte nun den Ungehorsamen nochmals, wenn es möglich gewesen wäre, mit noch weit förmlichern Worten auf. Allein jetzt hatte der Unfolgsame den Mund zu voll, um antworten zu können; er wandte seinem Obern den Rücken zu, so daß dieser wohl sehen konnte, daß jener auf seiner Weigerung beharre. Endlich trug der Krieger den Sieg davon; denn der Andere war genöthigt, unverrichteter Sache davon zu gehen.
Die Landleute, die in großer Anzahl anwesend waren sahen dem Vorgange mit ernsten Blicken zu, aber die Pariser lachten grade zu über den Spaß. Ich habe diese kleine Geschichte nur deshalb erzählt, um zu zeigen, daß die Menschen einander darin überall ähnlich sind, und weil diese subordinationswidrige Handlung grade unter den Fenstern des Palastes des Königs der Franzosen vorfiel, grade in einem Augenblicke, wo seine Anhänger rühmten, daß das königliche Ansehen den Sieg errungen; – wäre dieses im Innern von Nordamerika vorgefallen, man würde es als einen Beweis von der Nichtachtung der Gesetze in Freistaaten angeführt haben! Ich behaupte dagegen, daß Milizen, welche man mitten aus ihren täglichen Beschäftigungen herausführt und in Schaaren vertheilt, und noch dazu unter die Befehle ihrer Freunde und Nachbaren stellt, sich in ihren Neigungen und Bestrebungen in der ganzen Welt gleich sind.