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Dritter Theil.
Zweiter Besuch in der Schweiz.


Fünfzehnter Brief.

Das Schweizer Wirtshaus. – Der Rheinfall. – Der Kanton Zürich. – Die Stadt Zürich. – Sonderbares Zusammentreffen. – Furchtbares Bergansteigen. – Ausgezeichnet schöne Aussicht. – Einsiedeln. – Das Kloster. – » Par exemple.« – Die Ufer des Zuger Sees. – Die Hohlgasse. – Wasserfahrt nach Alpnach. – Der Luzerner See. – Liebliche Landschaft. – Wirkung der Nebel auf Fernsichten. – Natürlicher Barometer. – Aussicht von Brünning. – Ankunft im großen Kanton Bern. – Politische Ansichten eines Engländers. – Unser französischer Reisegefährte. – Der Gießbach. – Musik der Bergbewohner. – Lauterbrunn. – Der Grindelwald. – Das Steigen der Wasser im Jahre 1830. – Anekdote. – Fahrt auf dem Thunner See.

Mein theurer – –,

Am Rheine suchten wir uns zu entschädigen für das Langweilende und Einförmige Würtembergs! Zwar gebe ich zu, daß dieses Land manche schöne Gegenden besitzt, Vieles, das Bewunderung erregt und zu nützlichen Betrachtungen führen kann; aber für einen blos Durchreisenden bietet das Land nichts Interessantes dar. Gleich einem Boote, das unerwartet in eine starke entgegengesetzte Strömung geräth, hatten wir das Steuerruder erfaßt und aus der Strömung heraus uns dem nächsten Ufer zugewandt. Da saßen wir nun fest, und nun entstand die Frage, wohin weiter uns wenden? Meine eigenen Blicke schweiften sehnend nach Osten und folgten dem Wege längs dem Konstanzer See, nach Inspruck, über Salzburg nach Wien; doch von unserer Reisegesellschaft waren bei unserem früheren Besuch in der Schweiz im Jahre 1828 mehrere noch so jung gewesen, daß es unstatthaft schien, ihnen diese günstige Gelegenheit zu versagen, um bleibende Eindrücke in ihr Gemüth aufzunehmen von einer Gegend, welcher keine von der Welt an die Seite gestellt werden kann. Deßhalb ward, ehe wir uns zur Ruhe begaben, fest beschlossen, mit dem folgenden Morgen aufs Neue die Reise durch die Schweizer Kantons zu beginnen.

Ich horchte auf das trommelähnliche Dröhnen im Wirthshause wieder einmal mit großem Behagen; denn obgleich das Gebäude, nach den Krönlein und Wappenzierrathen von außen zu urtheilen, einst einem Grafen zum Wohnhause gedient haben mochte, so fehlte es doch in ihm nicht an den Wiederhallen der Wandungen ächter schweizerischer Bauart, eben so wenig als an der Zierlichkeit, die solchen eigen ist. Dieses Dröhnen hinderte uns indeß durchaus nicht an unserem tiefen Schlummer; und nach einem zeitig eingenommenen Frühstücke begaben wir uns von neuem auf den Weg ins gebirgige Land hinein.

Hier ging das Extrapostreisen zu Ende; denn in diesem Theile der Schweiz bekommt man keine Extrapferde, und ich sah mich also genöthigt, mich der Redlichkeit eines mir unbekannten Fuhrmannes anzuvertrauen, einer Menschenart, welche vorzugsweise allen den Gebrechen aller derer ausgesetzt ist, die mit Pferden, Wein, Lampenöl und Religionssätzen Handel treiben. Wir überließen es diesem wichtigen Manne, uns mit der Reisekalesche zu folgen, und gingen längs dem Ufer des Flusses zu Fuße auf einem schlechten und schmutzigen Wege, zwischen Schmiedeessen und Mühlen nach dem Rheinfalle. Welche Zugaben zu einem Wasserfall! Wie lange wird es dauern, bis die Einbildungskraft unseres Volkes, die immer in dem Streben fortschreitet, alles Große in Natur und Kunst mit der Elle der Gewerbsamkeit zu messen, auf ähnliche verschönernde Umgebungen des Niagarafalls bedacht sein wird? Glücklicherweise sind ihre Kraftäußerungen ihren Wünschen nicht gewachsen, und so wird eine Mühle an der Seite dieses Weltwunders niemals etwas mehr vorstellen, als eine bloße Mühle; dagegen ist der Rheinfall jetzt nicht viel mehr, als eine Wehr, denn die Naturschönheit ist hier durch die Macht des Gewerbgeistes gänglich verunstaltet worden. Der Wasserfall selbst machte auf uns auch weit weniger Eindruck, als jemals sonst, und wir verließen diese Stelle mit der Ueberzeugung, daß wenn man vielmehr für einige angemessenere Verschönerungen gesorgt hätte, dieser Wasserfall immer noch zu den schönsten unter den schönen Wasserfällen, die wir gesehen haben, gezählt werden könnte; daß aber, nach dem zu schließen, was bereits geschehen ist, er in kurzer Zeit Alles, was er noch Schönes besitzt, gänzlich einbüßen werde. Fürs erste fanden wir keinen Grund, die von dem ersten Besuch erhaltenen Eindrücke ganz aufzugeben, meinten aber, abgesehen von der Größe des Wassersturzes, überträfen mehre Sturzbäche der Schweiz in vieler Hinsicht diesen Wasserfall.

Wir folgten dem Laufe des Stromes einige (englische) Meilen Weges weiter, und trafen den Fluß, tief in die Erde sich bergend, bei einer seiner plötzlichen Krümmungen, und an einem steilen Abhange hinabsteigend, gingen wir auf das linke Ufer desselben hinüber und gelangten so in den Kanton Zürich. Diese plötzliche Begegnung des Rheines in so geringer Breite setzte uns in Verwunderung, und wir konnten uns kaum vorstellen, daß dieses der mächtige Rhein sei, dessen dunkle Wogen unter uns hinabbrausten, als wir mittelst einer bedeckten fast zweihundert Fuß langen Brücke hinüber kamen. Wohl Hunderten von Flüssen begegnet man, von gleicher Breite, wenn man durch Amerika reist, aber selten erfreut dort das Auge solche großartige Strömung und zugleich solch tiefdunkles Blau der Gewässer.

Wohl zwei Stunden brachten wir auf dem Wege nach Zürich zu, ehe unsere Augen der Anblick ferner schneebedeckter Berggipfel erfreute. Sie sahen gleich alten Bekannten nach uns herüber; die Ferne benahm ihnen das ernste schauerliche Ansehen, und so erglänzten ihre erhabenen Umrisse in sanfteren Zügen. Wir waren im Gehen weit voraus, während die Pferde gefüttert wurden, als dieser erfreuliche Anblick uns plötzlich überraschte, und da ich ein wenig weiter voran ging, brach ich in ein unwillkührliches Freudejauchzen aus, als ich um einen Hügel mich wendend, längs dem fernen Horizonte geschaart, zuerst die Berge wieder erblickte. Meine Reisegefährten eilten sogleich herbei, und es war, als träfen wir mit theuren Freunden wieder zusammen, als wir die herrlichen Bergzinnen wieder die sichtbare Erde umgürten sahen.

Die Gegend, durch die wir reisten, war das niedrige Land, von dem ich so oft bereits geredet habe, auch fanden wir das Land weder besonders schön, noch vorzüglich angebaut, bis wir in die Nähe des Hauptortes kamen, wo die Gegend den Anblick der Verfeinerung in den Umgegenden großer Städte annahm; die Annäherung an Zürich von dieser Seite ist zwar weniger romantisch, da hier der Anblick der Berge und des See's fehlt; aber sie sind dagegen auch weit schöner, als von der Seite, von welcher wir im Jahre 1828 diese Stadt zuerst erblickten.

 

Der Anblick von Zürich machte einen recht angenehmen Eindruck auf uns; weit mehr, als bei unserem früheren Besuch, und zwar desto mehr, weil die Stadt ungewöhnlich menschenleer schien. Der unruhige Zustand von Europa, vorzüglich von England, hat die gewöhnliche Klasse von Reisenden zu Hause bleiben lassen, obschon, wie man behauptet, sämmtliche Kantone von Karlisten wimmeln, welche man beschuldigt, daß sie hier zusammenkommen, um ihre Plane zur Reife zu bringen. Herr von Chateaubriand wohnte mit uns in demselben Hotel; aber ich habe nie das Glück gehabt, diesen ausgezeichneten Schriftsteller zu sehen, oder mit ihm gelegentlich bekannt zu werden, obschon ich erst später erfuhr, daß ich einmal zwei Stunden lang auf einer Bank gerade vor ihm gesessen während einer öffentlichen Versammlung in der französischen Akademie. Dießmal hatte ich kein besseres Glück; denn eine Stunde nach unserer Ankunft reiste er ab, ohne daß ich ihn zu Gesicht bekommen hätte. Manche Leute glauben sich berechtigt, sich einem berühmten Manne aufzudringen, und meinen, die schmeichelhafte Aufmerksamkeit müsse durchaus ihre Zudringlichkeit entschuldigen; ich kann aber diesem Wahn nicht beistimmen; ich glaube vielmehr, Nichts sei lästiger, als Berühmtheit, und Nichts sei denjenigen, welche die Unannehmlichkeiten der Berühmtheit erduldet haben, angenehmer, als ungestörte Einsamkeit.

Durch ein sonderbares Zusammentreffen befanden wir uns zum zweitenmale gerade an einem Sonntage in Zürich und noch dazu fast an demselben Tage des Jahres. Im Jahre 1828 fuhren wir längs dem Ufer des See's am 30. August nach Zürich, und nach einem Zwischenraum von vier Jahren fuhren wir aus Zürich längs dem See am 28. August. Dieselben Gegenständen traten uns unter ähnlichen Umständen vor Augen; der See war mit Kähnen bedeckt, deren große Seegel träge hinflatterten; die feierlichen Glockenklänge tönten in schwermüthigem Wiederhall, und die Einwohner waren ausgeflogen, jetzt, wie damals, in ihren Feiertagsgewändern, oder drängten sich im Innern der Kirchen. Die einzige Veränderung der Scene machte die Veränderung unserer Reiserichtung. Damals blickten wir den See hinab und hatten seine Dörfer besetzten Ufer gerade vor uns, und die nach dem Rheine zu verschmelzende Gegend bildete den Hintergrund des Gemäldes; während jetzt diese damals fernen Gegenstände an unsern Blicken nahe vorübergleiteten, und unsere Fernsicht in den verworrenen und geheimnißvollen Gebirgen von Glarus einen Ruhepunkt suchten.

Im Pfau nahmen wir unser goûter ein, und um nicht im Wagen über die Brücke zu kommen, gingen durch die gewühligen Straßen von Rapperschwyl voraus, und ließen den Kutscher nach seiner Gemächlichkeit uns nachfahren. Wir brachten gerade eine halbe Stunde auf dieser Brücke zu, die noch dasselbe gebrechliche Ansehen wie früher hatte; doch konnte unser P – – die Lust nicht bezähmen, zu versuchen, wie nahe bis an ihrem Rande er sich wagen könne. Sobald wir in Schwytz angekommen waren, holte uns der Wagen wieder ein, und so fuhren wir weiter bis zum Fuße des Berges, den man erklimmen muß, um nach Einsiedeln zu kommen. Hier nahmen wir Vorspannpferde, und als kräftige Vorspann bewährten sie sich in der That; denn ich entsinne mich kaum, zwei solche edle Thiere zu solchem Zwecke je bekommen zu haben; diese Thiere schienen nach demselben Maßstabe gebildet, wie die Berge, die sie zu besteigen hatten. Uns belustigte hierbei das Benehmen unseres Wagenlenkers, der sich alle Mühe gab, seine eigenen Pferde so anzuschirren, daß alle Anstrengung dem neuangeworbenen Gespann allein zu Theil werden solle. Er konnte dieses aber nicht bewirken, ohne Argwohn zu erregen; aber er bemühte sich, seine Absicht dadurch zu erreichen, daß er seinen Thieren geschickte Rippenstöße beibrachte, um sie zum Anziehen unwillig zu machen. Zum Zeichen seines Triumphs folgte jedem listigen Streich ein schelmischer Seitenblick des Einverständnisses nach unserm François, dessen Anhänglichkeit, vermöge seiner Abstammung von Fuhrleuten, an diese Leute ich zu meinem Schaden immer wieder aufs Neue gewahr wurde. Dieses Einverständniß mit der Kutschergilde war so offenbar, daß wenn ich gewohnt gewesen wäre, öfter mit Lohnkutschern zu reisen, ich diesen Bedienten gewiß keinen Monat lang behalten hätte.

Es war ein milder Abend, als wir diesen furchtbaren Weg bergan begannen, der einer der steilsten Wege in der Schweiz war, und wir hatten uns längs den Ufern des See's so lange aufgehalten, daß wir die nöthige Zeit völlig versäumt hatten. Zum Umkehren war es zu spät, und so mußten wir die Sache nehmen, wie sie nun einmal nicht zu ändern war. Es ist immer weit angenehmer, bergan, als bergab zu reisen, wegen der steigenden Ueberraschung der Aussichten; und so wie von schönen Landschaften immer eine nach der andern vor unseren Blicken aufstieg, wurde das früher gewohnte Jauchzen immer lauter, bis wir uns vollkommen in einem fieberhaften Zustande von Bergbegeisterung befanden. Daß ich im Jahre 1828 beim Herabsteigen von diesem Berge auf einem Fußpfade mich in östlicher Richtung hinwandte, brachte mich damals um eine der schönsten Folgen verschiedener Ansichten, deren ich dießmal unter den günstigsten Umständen mich zu erfreuen hatte. Die ganze zusammenstoßende halbmondförmige Ausdehnung des nördlichen See's, mit weißleuchtenden Kirchen, Dörfchen und Hütten besprenkelt, lag vor uns ausgebreitet; und als die Abendsonne mit falbem mildem Lichte die überreiche und mannichfach gruppirte Landschaft beleuchtete, riefen wir unwillkührlich aus: »Fast wie die Küsten Neapels im Abenddämmerschein!« Wie die zunehmende Dunkelheit sich über dieses Gemälde ausbreitete, wie sie einen Thurm nach dem andern, wie sie Dörfchen, Hütten und Fluren nach und nach umhüllte, bis endlich nur noch der dunkelblaue Spiegel des See's das sparsam durch die Wolken auffallende Licht widerstrahlte, das war ein unbeschreiblich schöner Anblick, war eine jener Zauberwirkungen, wie sie nur die großartige Natur der Alpengegenden darbietet.

Es war dunkel, als wir das Wirthshaus auf dem Gipfel endlich erreichten; doch war es nicht möglich, die Nacht dort zuzubringen, denn es war dort für nichts gesorgt, als für Kirschenwasser. Die Nacht brach immer düsterer und drohender herein, und über zwei Stunden lang krochen wir bergan und bergab auf den steilen Wegen weiter, und um die Reise noch schlimmer zu machen, fing es überdieß an zu regnen. Das war freilich eine geeignete Bußfahrt nach der Wohnung mönchischer Schwärmerei; doch kaum war ich mit meinen Bemerkungen dieser Art im Zuge, so hielten wir auch schon vor der Thüre meines früheren Absteigequartiers, des Ochsen in Einsiedeln, stille. Es war fast zehn Uhr, wir bestellten also nur eine Tasse Thee und begaben uns gleich darauf zur Ruhe.

Am nächsten Morgen besuchten wir die Kirche und das Kloster. Erstere zeigte nur ein mittelmäßiges Gemälde von dem, was mich hier bei meinem frühern Besuche so sehr ergriffen hatte; denn jetzt war kein einziger Wallfahrer hier, während es früher von ihnen wimmelte. Blos Einige der Dorfbewohner fanden wir vor dem Altare knieend, die einzige malerische Gruppe, die wir hier sahen. Wir begaben uns in den obern Theil des Gebäudes, und gingen durch jene schmalen Bogengänge, auf welchen ich damals die Benediktiner, als verstohlne Beobachter, die unten knieenden Andächtigen von oben herab forschend betrachten sah. Ich erhielt Erlaubniß, das Innere des Klosters, die Zellen, die Büchersammlung, und Alles sonst zu sehen, aber meine Begleiterinnen mußten, weil es nicht anders thunlich war, zurückbleiben. Es ist nichts als ein geräumiges deutsches Kloster, sehr reinlich und erinnert dabei bisweilen an die ärmlichen Hütten der Berggegenden. Eine neulich erschienene Schrift über dieses Kloster kam mir in den Sinn, und machte mich einigemal unwillkührlich lächeln, als der fromme Vater die Seltenheiten der Büchersammlung pries, und über die Geschichte und die Angelegenheiten seines Klosters sich ausführlich verbreitete; indessen vermuthe ich, daß jenes Buch, wenn auch jemals, doch wenigstens bis jetzt noch nicht in diesem entlegenen Winkel bekannt ist.

Wir hatten hier einige Mühe, uns mit der französischen Sprache durchzuhelfen, und unser Deutsch (worin es wenigstens einige von uns ziemlich weit gebracht haben) hatten wir in Sachsen gelernt, und dieses war hier nicht viel mehr werth, als ungebräuchliche Geldmünzen. Unser Wirth war ein aufmerksamer Gastwirth, und versuchte es auf alle mögliche Weise, recht gesellig und entgegenkommend sich auszudrücken, und das gelang ihm auch über die Maßen wohl, indem er sich dazu blos zweier Worte öfter bediente, » par exemple.« Um zu zeigen, wie weit er es darin brachte, erwähne ich blos, daß auf meine Erkundigung, ob ich hier ein Extrapferd bekommen könne, seine Antwort folgende war. » Par exemple, Monsieur; par exemple, oui; c'est-à-dire, par exemple.« Wir bekamen auch wirklich ein Extrapferd, par exemple, und reisten weiter.

Unser Weg führte uns geradezu durch die Wiesen, welche durch den Sturz des Roßberges im Lowerzer See gebildet worden waren. Als wir uns auf ihnen befanden, erschienen sie mir weit ausgedehnter, als sie mir damals aus der Ferne, vom Berge aus gesehen, vorgekommen waren. Sie bilden einen durchaus unebenen Boden und bringen blos einen rauhen, schilfähnlichen Graswuchs hervor, obschon sich nur wenige Felsentrümmer darauf befinden. Durch die Umgebungen der Ruinen von Goldau begaben wir uns in starkem Trabe aus dem Schauplatze der Verwüstung weiter in die herrlichen Umgebungen von Arth. Hier aßen wir und erlebten abermals einige mönchische Späßchen.

Nach Tische fuhren wir die Ufer des Zuger See's entlang; indem wir der Straße um den Fuß des Rigikegels folgten, und unmittelbar unter der Stelle uns befanden, wo dem Reisenden der erhebende Anblick so vieles Schönen zu Theil wird, wo von ich Ihnen früher schon so Manches erzählt habe. Dieses war die anmuthigste Fahrt, die wir bis dahin in der Schweiz erlebten. Ganz nahe zu unserer Rechten hatten wir das Wasser, und zu unserer Linken befanden wir uns völlig abgesperrt durch die steile Berghöhe, bis wir endlich an einer Bucht des Luzerner See's bei Küstnacht herauskamen, nachdem wir auf vier Seiten von Bergen eingeschlossen, die hohle Gasse hindurch waren. Abermals überfiel uns die Nacht, während wir die schöne Landstrecke, welche die Bucht von Küstnacht vom untern Ende des See's abschneidet, durchfuhren; weil aber die Straße vortrefflich gebahnt war, so trabten wir ohne alle Besorgniß weiter, bis wir um neun Uhr in der Stadt Luzern vor unserm Absteigequartier anhielten.

Da am nächstfolgenden Tage das Wetter außerordentlich schön war, so wurde François mit der Reisekutsche und unserem Gepäck auf dem Wege nach Bern weiter geschickt; wir mietheten dagegen ein Boot nach Alpnach, und versahen uns mit einem Führer. Um elf Uhr bestiegen wir unsern Kahn, und schifften zwischen den lieblich grünenden Ufern, von Landhäusern besäumt, bis zu dem Arm des See's, der in südwestlicher Richtung sich ausdehnt. Da faßte uns ein herrlicher Luftzug, und mit aufgespanntem Segel glitten wir flüchtig durch die Wogen, und legten acht (englische) Meilen in der Stunde zurück. Einige mal überraschte der Wind uns mit solcher Stärke, daran uns erinnernd, wie viel Vorsicht auf einem Gewässer nöthig ist, das von so vielen steilen Felsenmassen umgeben ist. Wir erreichten den einsamen Thurm von Stanzstadt mit Windesschnelle, und in weniger als zwei Stunden, nachdem wir ins Boot gestiegen, befanden wir uns bereits vor Alpnach.

Hier nahmen wir zwei landesübliche Wägeli und fuhren weiter. Unser Weg führte uns durch Sarnen, wo meine Reisegesellschaft, die die Gegend von Unterwalden noch nicht gesehen hatten, stille hielten, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. Ich will Sie nicht mit der Wiederholung von Dingen, die ich Ihnen bereits früher beschrieben habe, aufhalten; sondern unserem Ruheplatze für die nächste Nacht zueilen. Als wir den Fuß der Felsen erreichten, welche den natürlichen Damm bilden, der den Luzerner See einfaßt, stiegen P – – und ich aus, und gingen zu Fuße voraus. Da der Weg bergan nur kurz war, so kamen wir so weit voraus, daß wir das obere Ende des kleinen Wasserspiegels im Abstande von einer Stunde Weges erreichten, ehe die übrigen uns einholten; und als wir wieder zusammentrafen, tauschten wir gegeneinander unsere freudigen Ausrufungen des Entzückens aus über die bezaubernden Schönheiten dieser Stelle. Ich erinnere mich keines ungetrübteren Genusses reiner Freude, als die mir dieser Augenblick gewährte, wo alle um mich mit meinen Empfindungen übereinstimmten.

Unsere Freuden, unsere Empfänglichkeit für das Schöne, unsere Urtheile sogar hängen so sehr von den Umständen ab, unter welchen sie thätig werden, daß man nothgedrungen bisweilen an ihrer Untrüglichkeit zweifeln muß, wäre dies auch nur, um den Vorwurf der Unbeständigkeit von sich abzulenken. Mir gefiel der Luzerner See zwar auch im Jahr 1828, aber dieses Wohlgefallen von damals ist ein zu schwacher Ausdruck für die innige Lust, die ich bei dem Wiedersehen desselben empfand. Vielleicht wirkte das Wetter, der eigenthümliche Wechsel von Schatten und Licht grade bei solcher Beleuchtung vom Himmel herab; die bereits vorhandene Aufregung des Gemüths, oder noch andere begleitende Veranlassungen bewirkten vereint gerade diesen Zustand erhöheter Empfänglichkeit; auch könnte es sein, daß die Aussichten wirklich durch die veränderte Reiserichtung sich reizender darstellten; denn alle, die mit Landschaftscenerie bekannt sind, stimmen darin überein, daß der Hudson weit anziehender ist, wenn man stromab-, als wenn man stromaufwärts fährt; mag dies sein, wie es wolle, wäre ich damals gefragt worden, welches besondere Fleckchen in Europa mich am meisten entzückt habe durch vollkommene Naturschönheit oder durch kunstlose Verschönerung der Umgebungen, so hätte ich gewiß einzig und allein die Ufer des Luzerner Sees genannt. Und ich war es nicht allein, der diesem Gefühle sich hingegeben hätte; sondern wir Alle, Groß und Klein, – kurz die ganze Reisegesellschaft vereinigte sich im übereinstimmenden lobpreisenden Urtheile, daß diese Landschaft ganz ausgezeichnet schön sei. Eine unbedeutende Veränderung, ein wenig mehr oder weniger Feuchtigkeit des Luftraumes, die Anwesenheit oder Abwesenheit einzelner Wolkengebilde, eine verschiedene Tagesstunde oder eine veränderte Gemüthsstimmung hätte vielleicht unsern innigen Genuß getrübt; denn Freuden dieser Art gleichen dem angenehmen Dufte vorzüglicher Weine, oder den bezaubernden Tonweisen einer lieblichen Musik, die durch eine Verstimmung unseres Nervensystems oder durch eine einzige mißtönende Saite gänzlich ihre Wirkung verfehlen.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen werden Sie selbst fühlen, wie schwer es sei, Ihnen den Grund unseres Entzückens deutlich zu machen. Die Hauptzüge der Landschaft, die uns so berauschend entzückte, indessen, waren ein Landweg, der längs dem Ufer eines Waldes fortzog, etwa zehn Fuß vom Wasser entfernt sich windend, sich verlierend und wieder hervorkommend, in den Biegungen des Ufers; eine Wasserfläche durchsichtig, wie die Luft und blau gleich der Himmelswölbung, durchaus eben und rein und, fast möchte ich sagen, heilig in ihrem Anblick den reinen lautern Aetherraum widerstrahlend; ein Gebirgabhang am jenseitigen Ufer, hoch genug, um den Gegenständen, die seine Abdachung vor unseren Blicken ausbreitete, in den verschiedenen Verhältnissen des Höhenabstandes, eine sichere Abschätzung nach dem Augenmaße zu erschweren, und doch nahe genug, daß man sich versucht fühlen mochte, jedes Einzelne in Pfeilschußweite richtig zu treffen; über den breiten Abhängen, uns zugewendet, gleich geebneten Grasplätzen glatt geschorene Albmatten; zerstreute Lärchenwaldungen, die, ihren düsteren Schimmer in den hellglänzenden Wiesenschmelz hinabsenkend, und deren dunkelnde Schatten den Reiz der Landschaft durch sanfte Uebergänge hoben; bräunliche Sennhütten, die aus der verschwimmenden Farbenpracht, gleichsam auf einen Wink des spähenden Auges hervortraten, und hier und da eine Hütte auf schwindelnder Höhe rastend, und dort eine Kapelle, oder auch zwei, über das Ganze fromme betrachtende Ruhe verbreitend! Diese Ansicht hatte durchaus nichts, das den bewundernden Blick fesseln zu wollen schien, es war eine Folge einfacher Züge eines ländlichanspruchlosen Gemäldes, aber es war ein Ideal vereinter ländlicher Einfachheit und Schönheit, und so ganz ohne alles Störende, das den guten Eindruck vermindern konnte. Es war ein Naturgemälde gleich den Gebilden, welche die jugendliche Einbildungskraft voll Vertrauens und erhebenden Selbstgefühls im fünfzehnten Jahre sich von der Liebe entwirft.

Die Nacht brachten wir in Lungern in der »Trommel« zu, und am folgenden Morgen regnete es heftig, als wir erwachten. Doch die strömenden Regengüsse ließen bald in ihrer größten Stärke nach und gingen allmählig in einen zarten Dunstregen über, und um diese Zeit erschien das von immerfort beweglichen Nebeln umwölkte Thal wo möglich noch reizender als sonst. Alle Nebenzüge des anmuthigen Gemäldes erhöheten den Ausdruck des vollendeten Ganzen; so genau erschien jeder Gegenstand dem großartigen Maßstabe angepaßt, so eben der Graswuchs, so rein das Wiesengrün; so schimmerten einzelne Stellen der Alpmatten, wo sie durch zerrissene Nebelwolken durchblickten, gleich sorgfältig ausgeführten flandrischen Gemälden hervor; und desto überraschender war der Anblick, weil die Anordnung der Gegenstände, der Sennhütten, der Hirtenhäuschen, wie alles Uebrigen, gerade die war, welche der Künstler wählen würde, um seinem Gemälde jeden möglichen Reiz der Vollendung zu geben. Gewiß, wir haben täglich, ja stündlich Gelegenheit zu bemerken, wie Alle, die mit dem Malerischen sich beschäftigen, ihre Hülfsmittel zur Belebung ihres dichterischen Schwunges, wie der kühneren Züge des Pinsels, aus der Fülle des Schönen in diesen außerordentlichen Naturscenen schöpften, von welcher Art die Wege sein mochten, die sie wählten, um unser Gemüth mit Bewunderung und Entzücken zu erfüllen.

Der Aufwärter im Wirthshause deutete nach einem Nebelstreifen, der sich längs einem bezeichneten Berge ausbreitete, und sagte, das sei der untrügliche Barometer von Lungern. Wir könnten sicher sein, binnen einer Stunde schönes Wetter zu bekommen. Ein wirklicher Barometer bestätigte die Vorhersagung des Nebelstreifens; aber das Wetter änderte sich langsamer, als die Vorhersagung versprach; und wir wurden endlich der Schönheiten der Landschaft vor uns müde, weil wir ungeduldig waren, weiter zu kommen; denn wider Willen läßt sich Niemand den übermäßigen Genuß, nicht einmal des Schönen aufdringen.

Um zehn Uhr endlich konnten wir das Wirthshaus verlassen; ein Theil unserer Reisegesellschaft folgte dem Saumpfade unter der Obhut zweier Pferdeeigenthümer, während wir Uebrigen, die es vorzogen, sich der eignen Beine zu bedienen, zu Fuße auf einem kürzeren Wege bergan einem Geleitsmanne folgten. Die Aussicht von dem Brünig fand ich dießmal nicht so schön, als ich sie im Jahre 1828 gefunden; vielleicht weil ich damals völlig überrascht worden war, vielleicht auch, weil damals die Unbekanntschaft mit den entfernteren Gegenständen den Zauber des Geheimnißvollen über den Hintergrund des Gemäldes verbreitete. Jetzt aber sahen wir die Scene nach und nach deutlich vor uns, und jedes Einzelne konnten wir sehen, und nach dazu sahen wie Alles im Bergansteigen; denn wiewohl es angenehmer ist, bergan, als bergab zu steigen, so wird die schönste Wirkung einer Gegend dadurch hervorgebracht, daß man den völligen Ueberblick auf einmal und nicht nach und nach erhält.

Auf dem Gipfel holten wir unsere berittenen Gefährten ein, ließen die Pferde zurückgehen und legten den übrigen Theil des Weges zu Fuße zurück. Bald begegneten wir dem Berner Bären und betraten folglich den großen Kanton. Den Anblick des Meyringener Thals und der Gießbäche begrüßten wir nun als alte Bekannte, und unser Spaziergang auf einem Pfade, der sich durch Gebüsche hindurch wand und uns die einzelnen Theile des herrlichen Rundgemäldes nach Muße betrachten ließ, machte uns Allen großes Vergnügen. Endlich schimmerte uns der Brienzer See entgegen, und mit eilenden Schritten drangen wir vorwärts und erreichten das Städtchen noch vor zwei Uhr.

Hier bestellten wir ein Voressen, und als wir alle an demselben Tische sitzend, gerade mit Essen beschäftigt waren, trat eine Gesellschaft englischer Reisender, die erste, die uns bis dahin begegnete, in das Wirthshaus ein. Die Zahl der Gäste bestand jetzt außer der englischen Gesellschaft und uns, noch aus einem einzelnen Franzosen, der uns scharf anblickte, aber kein Wort sagte. Bald leuchtete mir etwa so viel aus den stattfindenden Unterredungen ein, daß irgend eine politische Krisis bevorstehe; denn der Engländer führte das große Wort gegen die anwachsende Macht demokratischer Bestrebungen innerhalb der Schweizerkantone. Alle seine Anspielungen zu verstehen, war ich weder im Stande, noch war ich darüber im Reinen, ob er selbst von dem, was er vorbrachte, ganz klare Vorstellungen habe; denn er verbreitete sich über einen seiner, wie es schien, beliebtesten Kontroverspunkt, indem er das alte Waidsprüchlein: »statt eines Zwingherrn werden sie deren bald Viele haben!« vertheidigte, ein Satz, der übrigens gar nicht geeignet ist, die Aristokraten irgendwo zu überwältigen. Es ist sehr traurig, wie wenige Menschen wirklich fähig sind, über politische Gegenstände richtig zu urtheilen und gesunde Ansichten sich zu bilden, und daß ihre Urtheile und Ansichten keine anderen zu sein pflegen, als ihnen ihre besonderen Interessen und ihre Selbstsucht solche einflößen. Wenn wir nicht den Grundsatz aufstellen dürften, daß alle öffentlichen Einrichtungen den Hauptzweck haben, die menschlichen Leidenschaften im Zaume zu halten; so möchte man wohl in der Verzweiflung die Sache lieber ganz aufgeben. Denn so viel kann ich bezeugen, daß, bei meinem so vielfältigen Zusammentreffen mit Menschen der verschiedensten Länder, ich bis jetzt kaum etwa zwölf gefunden habe, die über dergleichen Dinge richtige Ansichten bewahrten, oder die im Stande waren, etwa vorfallende Veränderungen in den Staatsverhältnissen in irgend einer theilnehmenden Hinsicht zu betrachten, ohne sich durch ihre persönlichen Geldangelegenheiten leiten zu lassen.

Der Franzose hörte uns in seiner Sprache reden, was ich in der Absicht that, um den John Bull einmal abzustreifen; deßhalb bat er mich um einen Platz in dem Kahn, den ich zur Fahrt nach Interlachen bestellt hatte. Unter der Bedingung, daß er sich den Abweg nach dem Gießbach gefallen lasse, gingen wir den Vorschlag ein und begaben uns auf den Weg. Dieß war das vierte Mal, daß ich den Brienzer See befuhr, aber das erste Mal, daß ich diesen mit Recht berühmten Wassersturz besuchte, dem wir jetzt zusteuerten, so wie wir vom Ufer abstießen.

Unser Begleiter zeigte sich als muntern Lebemann, und schien gerade recht aufgelegt zu sein, auf dieser Ueberfahrt seinen Witz geltend zu machen. Ich bin längst durch die Erfahrung von dem Wahn zurückgekommen, »daß der Name eines Amerikaners ein Empfehlungsbrief durch ganz Europa sei.« Vielmehr habe ich mich daran gewöhnen müssen, daß man mit der Vorstellung von einem Amerikaner vorneweg den Begriff von Gemeinheit, Grobheit, Unwissenheit und Dummheit zu verbinden pflegt; auch glaube ich durchaus nicht, daß die Franzosen, als Nation, irgend eine sonderliche Meinung von uns hegen; aber überzeugt von dem festwurzelnden Widerwillen, den jeder Franzose gegen jeden Engländer bewahrt, und weil die neue gekünstelte Verbrüderung, die aus dem auf Handelsinteressen gegründeten Verwaltungsprinzip hervorgeht, dem unbetheiligten Beobachter den alten Groll nur noch auffallender offenbart, so nahm ich eine Gelegenheit wahr, um unserem neuen Gesellschafter zu verstehen zu geben, daß wir von der anderen Seite des Atlantischen Meers herkämen. Diese Mittheilung bewirkte eine augenblickliche Veränderung in seinem Benehmen, und sogleich begann er uns mit seinen Einfällen zu unterhalten. Doch aller seiner Artigkeiten ungeachtet wurde ich bald gewahr, daß dieser Mann ein Geschäftsträger der Karlisten sei, und daß seine Geschäfte in der Schweiz mit politischen Planen zusammen hingen. Er verrieth sich, als er eben recht im Zuge war, uns glauben zu machen, er sei nichts weiter, als ein Bewunderer schöner Naturscenen. Wie er sich verrieth, läßt sich nicht geradezu erzählen; aber es wurde so deutlich, und zwar von uns allen bemerkt, daß wir daran durchaus nicht mehr zweifeln konnten.

Der Gießbach ist eine Reihe von Wasserfällen, deren Zufluß aus einem Gletscher entspringt; die Unebenheiten der Abstürze und die steilen Abhänge einer Bergwand, unterstützt von Felsenvorsprüngen und Abgründen, verursachen diesen Wassersturz. Der Gießbach gewährt einen schönen Anblick und man kann ihn als den dritten oder vierten Wasserfall der Schweiz aufzählen, in Ansehung der Verschiedenheit der Umgebung, der Wassermenge, und des Eindrucks, den das Ganze hervorbringt. Zwischen den Felsen hatte sich eine Familie angebaut, um etwas Weniges durch das Verfertigen von lärchenholzernen Kästchen und durch das Singen verschiedener Weisen des Kuhreigens zu verdienen. Doch solche Bergmusik kann keinen sonderlichen Eindruck machen, wenn sie es so ernstlich auf Gelderwerb anlegt, und man wird der Unterhaltungen dieser Art gar bald überdrüssig, die höchstens Einmal ihren Zweck erreichen können, bei denen, die noch Neulinge sind. Ach! es ist noch nicht lange her, da stand ich vor dem Portale der Kathedrale von Rouen, und meine stärkste Empfindung in diesem Augenblicke war die Verwunderung, wie meine Nerven ehemals schaurig erbebten, als ich zum erstenmale dieses Gebäude betrat. Ich behaupte durchaus nicht, daß die Kindheit in ihrer Unbefangenheit und Empfänglichkeit der größten Genüsse sich erfreue, denn jede kommende Stunde überzeugt mich, daß die Reife des Urtheils und die vermehrte Erfahrung unsere Freuden und Genüsse merklich erhöhen; allein es giebt Empfindungen für manche Gegenstände, die der Mensch wirklich nur Einmal erlebt; und wenn auch eine Oper von Rossini oder Meyerbeer uns immer mehr anzieht, je öfter wir sie hören, oder wirklich schöne Verse immer besser gefallen, je vertrauter wir mit ihnen werden; so kann ich dagegen versichern, daß die Gesänge der schweizerischen Nachtigallen weit angenehmer das erstemal unterhalten, als das zweitemal.

Nachdem wir eine Stunde beim Gießbach verweilt hatten, so ruderten wir längs dem östlichen, oder vielmehr dem südlichen Ufer des See's nach Interlachen zu. Der Anblick der blauen Aar erneuerte alte Erinnerungen, und wir landeten an den Ufern mit unendlicher Lust. Einige höfliche Reden wurden jetzt zwischen dem muntern Franzosen und mir gewechselt, darauf schieden wir; er war sogleich verschwunden, und wir nahmen unsern Weg nach dem großen Fremdenhause, welches, wie die meisten öffentlichen Vergnügungsörter in der Schweiz, jetzt fast ganz leer war. Doch war die Großfürstin Anna von Uffnau, ihrem Aufenthaltsorte an der Aar, herabgekommen, um einen Abstecher ins Oberland zu machen, und befand sich daher unter der Zahl der anwesenden Fremden. Wir sahen sie flüchtig, als sie eben von einer Spazierfahrt zurückkehrte, und es schien uns, als ob sie ihrem herzoglichen Bruder weit mehr als ihrem königlichen Bruder ähnlich sähe.

Am andern Morgen fuhren wir nach Lauterbrunnen hinauf, und ich muß gestehen, daß wir so wenig dafür eingenommen waren, daß Alle, die dieses Thal früher gesehen hatten, erklärten, es sei weniger schön, als das Thal von Lungern. Und um Ihnen zu zeigen, welchen Eigensinn oftmals der Mensch in seinen Neigungen zeigt, mir gefiel diesesmal der Staubbach weit besser, als bei dem ersten Besuche. Nach den Bergen hatten wir dießmal keine sonderliche Sehnsucht, sondern wir umfuhren die Höhen in unsern Wägelchen bis nach Grindelwald, wo wir unser Mittagsmal einnahmen und die Nacht über blieben. Sei es nun, daß die veränderte Richtung unseres Herweges, oder ein besserer Geschmack die Ursache war; wir zogen dießmal die Gegend von Grindelwald der Umgebung von Lauterbrunnen als Thalgegend weit vor. Das gewöhnliche Anstaunen war bei uns vorüber, und unsere Augen betrachteten die einzelnen Züge des Gemäldes mit vergleichendem Urtheil. Wir gingen nach dem niedrigeren Gletscher zu, dessen Gestalt während der vier Jahre kaum irgend eine sichtbare Veränderung erlitten hatte, und von den Fenstern des Wirthshauses hatten wir eine schöne Aussicht nach beiden. Es war gerade erstes Mondsviertel, und ich ging hinaus, um dessen Wirkung auf die hohen Gletscherspitzen zu beobachten, die durch seine milde glanzvolle Beleuchtung einen ungewöhnlich überirdischen Eindruck machten. Veränderte Umstände erhöhen oder schwächen also auch die Erhabenheit dieser hohen Gipfel! –

Ganz frühe am nächsten Morgen verließen wir den Grindelwald und begaben uns nach Neuhaus. Unser Weg führte durch einen Schauplatz der Verwüstung, die durch das Steigen der Gewässer im Jahre 1830 entstanden war, und wir untersuchten die Verödungen mit desto wärmerer Theilnahme, weil einige unserer Bekannten in der Strömung fast ihr Leben eingebüßt hatten.

Diese Familie hatte für einige Zeit sich in Interlachen niedergelassen; zwei von den Damen mit einem Kinde waren, von einem schwarzen Diener begleitet, auf einer Spazierfahrt nach der Lauterbrunner Schlucht hinan, eben unterwegs. Da wurden sie von Sturm und Regen überfallen, und mit einemmale vom herabströmenden Bergwasser überrascht, das so schnell anschwoll, daß ihnen jeder Rückzug abgeschnitten ward, und ihnen Nichts übrig blieb, als den steilen Abhang hinauszuklettern, der dem Auge fast senkrecht erscheint. Doch auf einem der Absätze des Berges befand sich ein Dörfchen, und dorthin wurde der Diener eilig abgeschickt, um Hülfe zu holen. Die ehrlichen Landleute hielten ihn anfänglich für einen Teufel seiner Farbe wegen, und ließen sich nur mit Mühe bewegen, ihm zu folgen. Die Frauen retteten sich zufällig auf den Felsen; aber unser Kutscher, der damals auch den Kutscher machte, versicherte uns, das er damals nur mit äußerster Mühe seine Pferde hätte retten können.

Dieses unglückliche Ereigniß war noch keinesweges weder eine Wasserhose noch eine Schneelawine; gibt aber eine deutliche Vorstellung von den plötzlichen Gefahren, denen ein Reisender mitten in diesen erstaunenswürdigen Umgebungen ausgesetzt ist. Eine beträchtliche Strecke der wunderschönen Wiesen von Interlachen wurde durch diesen Unfall verwüstet, und dieser kam so plötzlich, daß zwei zarte junge Frauen auf ihrer Morgenspazierfahrt fast umgekommen wären!

Wir fuhren geradesweges nach dem kleinen Hafen von Neuhaus und mietheten einen Kahn nach Thunn, und stießen vom Ufer ab, mitten in den See, während ein frischer Wind uns gerade ins Gesicht wehte. Das malerische kleine Schloß Spietz erhob sich auf seinem grünen Vorländchen und alle Gegenstände, die wir aus unsern frühern Fahrten mit solchem innigen Behagen angestaunt hatten, lagen jetzt wieder vor uns, wie damals, mit neuen, eigenthümlichen Reizen, deren anziehende Wirkung ungeschwächt sich erhalten hatte. Endlich, nach einer heftigen Anstrengung der Ruderer, sahen wir uns in die Strömung der Aar mit fortgerissen, welche uns bald dem Landungsplatze zutrieb.

In Thunn frühstückten wir, und nachdem wir einen Retourwagen gemiethet hatten, setzten wir uns in Trab nach Bern, durch das Ihnen schon oft geschilderte Thal. François war schon dort, uns erwartend, und wir bekamen recht wohnliche Zimmer im Gasthofe zur Krone.

Unser Geschmack ändert sich mit den Jahren, mag er sich nun läutern, oder auch verschlimmern. Wir fangen an, zu fühlen, daß das blos anstaunende Bewundern, selbst von Naturschönheiten, eben nicht das Zeichen gebildeten Geschmacks sein könne; jetzt halte ich mehr dafür, die einzelnen Züge zu betrachten, welche den Eindruck des Ganzen hervorbringen und deren Vereintwirkung das Gemälde vollenden hilft, als blos bei dem stehen zu bleiben, was weiter Nichts, als Anstaunen zu erwecken vermag. Wir haben bereits zu Vieles gesehen, um durch einigen Knalleffekt sogleich außer uns zu gerathen; und diesen Vorsprung verdanken wir einem längern Aufenthalt in Italien, in einem Lande, wo die Uebergänge des Erhabenen in das Anmuthige mit so zarten Pinselstrichen, mit solchem sanften Farbenhauch angedeutet sind, wodurch ein Schönheitsgefühl entwickelt wird, das uns belehrt, daß beide unzertrennlich verbunden sein müssen, um etwas wirklich Schönes darzustellen.

Bei diesem letzten kleinen Ausflug in das Oberland haben sich zwar viele, vielleicht die meisten früher empfundenen Eindrücke in unserem Innern erneuert und befestigt; aber die Vergleichung der einzelnen Schönheiten dieser herrlichen Landschaften hat uns die Ueberzeugung gegeben, daß sie durchaus nicht das überschwengliche Lob verdienen, das wir ihnen beigelegt haben würden, wenn wir sie nicht nochmals genauer und ruhiger betrachtet hätten. Das Wetter war schön, wir waren sämmtlich heiter gestimmt, und da die Gegenstände auf so gleichförmige Weise auf uns einwirkten, so bin ich zu glauben geneigt, daß diese veränderte Stimmung eine natürliche Folge längerer Erfahrung und fortschreitender Geschmacksbildung ist. Doch von den Thälern kann ich jetzt nur reden; denn die Hochalpen dagegen sind so sehr über die Launen veränderlichen Geschmacks erhaben, als ihre prachtvollen Verhältnisse und ihre unverrückbaren Grundzüge, über allem Wechsel erhaben, unveränderlich fortbestehen.



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