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Einschiffung in den Winkelried. – Streit mit einem Engländer. – Das Walliserland. – Handelsfreiheit. – Die Dranse. – Furchtbare Ueberschwemmung. – Liddes. – Berglandschaft. – Ein Berg-Becken. – Das Beinhaus. – Melancholisches Schauspiel. – Annäherung der Nacht. – Verödete Gegend. – Das Kloster des großen Sankt Bernhard. – Unsere Aufnahme in demselben. – Ungesunde Lage. – Der geistliche Obere. – Gespräch während der Abendmahlzeit. – Kohlengrube auf dem Berge. – Die Nacht im Kloster.
Lieber – –
Nachdem wir noch einige Tage in denselben angenehmen und ruhmlosen Ergötzlichkeiten hingebracht hatten, kam mein Freund C – – von Lausanne herüber, und wir schifften uns in dem Winkelried ein, und es war Nachmittag den 25. September, als dieses Dampfschiff den Hafendamm verließ und den See hinauf sich in Bewegung setzte. Wir warfen kaum nach einer Stunde Anker vor Ville-Neuve, wo weder Hafen, noch Werft, noch Damm sich befindet. Einige Minuten darnach saßen wir in einem dreispännigen Wagen, Diligence geheißen, und trabten über die breiten Wiesenplane der Rhone nach Bex, wo wir eine uns befreundete amerikanische Familie, auf der Reise nach Italien begriffen, antrafen, die Familie T – –.
C – – und ich aßen einige vortrefflich zubereitete Wachteln zum Abendessen in der Gaststube. Ein Engländer aß von demselben Gericht an einem andern Tische in unserer Nähe, und fragte, was es Neues gebe, vorzüglich wünschte er zu wissen, wie es mit Antwerpen stehe. Darüber entspann sich eine kleine Unterredung, ich machte die Bemerkung, wenn das Interesse Frankreichs in der Revolution von 1830 in Erwägung gezogen worden wäre, daß man Belgien damals in dieses Königreich einverleibt haben würde. Der Engländer nahm dieß nicht gut auf, und fragte mich, was Europa wohl dazu gesagt haben würde. Ich antwortete, auf den Fall, daß beide Theile miteinander einig geworden wären, sähe ich nicht ein, was Europa die Sache angegangen hätte; und das fragliche Recht Europa's, sich in diese Angelegenheit zu mengen, würde sich auf Nichts als auf die Gewalt haben stützen können; und der Zustand des südwestlichen Deutschlands, Italiens, Savoyens, Spaniens und sogar Englands sei damals von der Art gewesen, daß ich glaubte, Europa würde damals recht froh gewesen sein, wenn es gar keine Anregung gefunden hätte, die ganze Sache anders als mit Stillschweigen zu übergehen. Auf jeden Fall würde nämlich bewaffnete Einmischung damals den Alliirten Mächten keine glänzenden Erfolge versprochen haben. Er starrte mich eine Zeit lang ganz verwundert an, murmelte in seinem Unwillen etwas kaum Hörbares und ließ mich als einen durchaus übelgesinnten Menschen verächtlich sitzen. Denn so lange England seinen Einfluß immer weiter auszubreiten und sein eignes Handelssystem (seine Handelsfreiheit im englischen Sinne) in jedem Winkel der Erde, wo es festen Fuß gewinnen kann, geltend zu machen bemüht sein wird, so lange kann einem englischen Ohre nichts verrätherischer klingen, als die Annahme der Möglichkeit, daß Frankreich in den Besitz Antwerpens oder Rußland in den Besitz Konstantinopels komme. So unaustilgbar sind diese Nationalansichten über solche Gegenstände, daß ich schließen muß, daß die englische Antipathie wider die Amerikaner zum Theil aus dem Verdruß entspringe, in einer Sprache, die der Engländer, als sein ausschließliches Eigenthum betrachtet, Ansichten herabgewürdiget zu sehen, die ihm angeboren und anerzogen und mit seiner moralischen Ueberzeugung aufs Innigste verwebt sind. Unter solchen Umständen ist der Mensch selten weder ächt philosophisch noch gerecht.
Mit Anbruch des Morgens saßen wir in unserem Char. Ich bemerke bloß, daß wir ins Walliserland durch das berühmte Brückenthor gelangten, durch Saint-Maurice und am Wasserfall à la Téniers vorbeikamen; denn auf dieser Reise sind Sie mir schon früher gefolgt. Ich fand keine Ursache, meine Meinung von dem Walliserlande zu ändern, es hatte für mich noch das kalte abstoßende Aeußere, wie 1828; wie wohl wir uns so früh auf den Weg gemacht hatten, daß wir des grauenerregenden Anblicks der sich an der Sonne erwärmenden Kreidlinge überhoben blieben, von denen die Meisten noch in ihren Wohnungen waren. Auch weiß ich nicht, wie weit die Walliser in der Achtung bei den übrigen Menschen zugenommen haben, denn ich weiß nicht, ob ihnen jetzt mehr daran gelegen sei, reich zu werden, als früher.
In Martigny frühstückten wir, während der Wirth nach einem Führer gesandt hatte. Der Kanton hat diese Leute einer strengen Polizei unterworfen; ihre Belohnung ist durch ein Gesetz bestimmt, und das Zeugniß der Reisenden fängt an, für sie wichtig zu werden. Die Vertheidiger der Abgeschmacktheit, die man gewöhnlich Handelsvortheile nennt, werden dieses Verfahren als eine Tyrannei ausschreien, so fern es dem zunehmenden Verkehr, nach ihnen, weit ersprießlicher sein muß, jemehr die Reisenden in fremden Ländern angeführt oder betrogen werden, sei es durch Miethkutscher oder durch Karrenführer, oder daß sie stundenlang über das Mehr oder Weniger zu zahlen auf den Straßen durch Hin- und Herreden vergeuden, als daß man sich dazu verstände, eine Ansicht zu ändern, die nirgends paßt! Wenn Einer auf Reisen von der Heilsamkeit erlaubter, sogenannter Handelsvortheile nicht gründlich geheilt wird, dann ist er sicher nicht zu heilen. Aber so sind die Menschen! Nicht einmal eine allgemeine Wahrheit gibt es, ohne daß unsere Gebrechen irgend Veranlassung fänden, sie im gewöhnlichen Leben als falsch zu verwerfen. Die Menschen sind eben so wenig dazu geeignet, unter einer Regierung zu leben, welche die äußersten Folgerungen aus dieser Theorie verwirklichen wollte, als sie dazu geeignet wären, ohne bestimmte Gesetze auszudauern; und ein Gesetzgeber, der einen solchen Versuch wirklich unternehmen wollte, würde sich bald in einer ähnlichen Lage befinden, wie Don Quichote, nachdem dieser die Galeerensklaven von ihren Ketten befreit hatte, – mit einem Worte, er würde sogleich selbst recht tüchtig bei der ersten Gelegenheit betrogen werden, wo er in irgend einer ihm wichtigen Verhandlung mit einem Fremden zusammentreffen würde. Wenn der Kanton von Wallis sagen wollte: du sollst ein Führer sein, und eine solche soll deine Bezahlung sein, dann wäre hier allerdings von Zwingen die Rede. Da die Obrigkeit aber dagegen sagt: du kannst ein Führer sein, und diese muß deine Bezahlung sein, so macht es blos ein Gesetz zum Vortheile einer Angelegenheit, die sie unter ihren besondern Schutz nehmen will, um möglichen Mißbräuchen und Schlechtigkeiten vorzubeugen.
Unser Führer erschien mit zwei angeschirrten Maulthieren vor einem Char-à-banc, und wir begaben uns auf den Weg. Das Endchen Dorf, welches der Reisende auf dem Wege nach Italien für Martigny nimmt, ist nicht das eigentliche Städtchen dieses Namens, sondern blos eine kleine Anzahl von Häusern, die hier seit der Anlegung der Simplonstraße entstanden sind. Das eigentliche Martigny oder Martinach liegt ungefähr eine (englische) Meile davon, und hat ein weit ländlicheres und mehr schweizerisches Ansehen. In dem wir nun durch dieses Städtchen fuhren, führte unser Weg längs dem Ufer eines sich windenden Bergstromes, welcher die Dranse (Dürance) geheißen wird, zuerst in südlicher Richtung. Der Weg war nicht schlecht, aber das Thal verändert sich allmählich in eine Bergschlucht, zwar recht uneben und wild, aber nicht in dem Grade, um großartig genannt werden zu können. Nachdem wir wenige Meilen weiter gefahren, so kamen wir an eine Stelle, wo wir von der Dranse uns entfernten, die hier von Osten her uns entgegenbrauste, während unser Weg nach Süden ging. Diese Dranse ist das Flüßchen, welches vor wenigen Jahren so furchtbare Ueberschwemmungen angerichtet hat. Das Unglück entstand zunächst durch beträchtliche Anhäufungen von Eis in den höhergelegenen Schluchten, wodurch auf einige Zeit ein See entstand. Der Kanton machte lobenswürdige Anstrengungen, um dem drohenden Unglück zuvorzukommen; es wurden viele Menschen mit dem Sprengen des Eises durch Pulver beschäftigt, um wo möglich dem Wasser einen weniger gefährlichen Ausweg zu bahnen. Obgleich sie einen Kanal zu Stande brachten, der die Gefahr zum Theil verminderte, war doch im Ganzen ihre Anstrengung vergeblich. Ehe die Hälfte des versammelten Wassers hatte abfließen können, gab der Eisdamm nach, und das zurückgebliebene Wasser stürzte in ungeheurer Fluth in die Tiefe hinab. Das Herunterstürzen des See's war furchtbar; Alles, was ihm im Wege stand, wurde weggeschwemmt und zertrümmert, und ungeachtet der Entfernung und des großen Raumes, wurde Martinach völlig unter Wasser gesetzt, und viele Menschen verloren dabei ihr Leben. Auf der Ebene des großen Thales stieg das Wasser mehre Fuß hoch, bis es seinen Abfluß in die Rhone fand.
Bergauf ging es jetzt immer schroffer hinan, obgleich wir mitunter auch steil bergab mußten. Die Straße führte durch ein unebenes Thal, die Berge wichen rechts und links mehr auseinander; die Wagenspur glich sehr der unsrigen in unsern Berggegenden vor etwa dreißig Jahren, wiewohl weniger unwegsam durch Schmutz. Um Ein Uhr kamen wir nach Liddes, einem engen, winklichem schmutzigen Dörfchen, wo wir ein kärgliches Mahl einnahmen. Wir waren genöthigt, hier den Char aufzugeben, und die Maulthiere zu besteigen. Der Führer miethete noch einen Mann mit einem Pferde, welches für sich selbst und für die beiden Maulthiere das Futter nachtragen mußte. Wir saßen auf und zogen ab.
Von Liddes aus führte der Weg oder vielmehr der Pfad, denn dazu war er geworden, durch ein Thal mit einigem schlechten Wieswachs. Darauf ging es immer unaufhaltsamer bergan, nachdem wir bisher zwar im Ganzen, aber doch mit einiger Unterbrechung, bergangestiegen waren. Der Pflanzenwuchs nahm immer mehr ab, statt der Bäume sah man nur noch Sträucher, und endlich verschwanden auch diese ganz; die Gräser wurden immer rauher und dünner, und allmählig verdrängt durch Flechten und Moos. Wir kamen durch einige Dörfer, welche aus Steinen aufgeführt waren, die das Ansehen hatten, als ob sie mit Eisenerzen bedeckt wären, und die Dächer der Hütten waren von ähnlichen Moos- und Flechtenmassen überzogen; statt daß die Landschaft ein menschlicheres Ansehen durch menschliche Wohnungen erhalten sollte, so machten diese durch die Moos- und Flechtenüberzeuge den Eindruck der traurigen unfruchtbaren Oede nur noch schauriger. Hier und da trafen wir auf einige erträgliche wilde Bergansichten, besonders in einige waldige Schluchten hinab, an denen wir vorüber kamen; im Ganzen aber schien mir diese Berghöhe den geringsten Eindruck zu machen von allen, die ich in der Schweiz bestiegen hatte.
Wir betraten eine Art von Berg-Becken, das von der einen Seite von dem Gletscher des Mont Velan gebildet wird, welcher, von Vevey aus gesehen, die Aussicht in das Walliserland dort so schön begrenzt. Mir war es auffallend, daß ein Gegenstand so weiß und glänzend in der Weite, in der Nähe so fleckig und entstellt erscheint durch die überall heraussehenden Felsenblöcke. Der obere Gipfel glänzte indessen doch in kalter fleckenloser Reinheit. Hier war einiges Gras, ein paar Ziegen spärlich zu füttern, und man hatte auch den Anfang zu dem Gemäuer eines rohen Gebäudes gemacht, das zu einem Gasthause eingerichtet werden sollte. Kein Arbeiter war indessen zu sehen, und eine steinerne Hütte, zum Wetterdach für eine Ziegenheerde etwa passend, war Alles, was hier einer Wohnung von Menschen ähnlich sah.
Indem wir unsern Weg ringsherum fortsetzten, gelangten wir an einen Wendepunkt in den Felsen, und fanden zwei andere Hütten von Stein so niedrig und so bedacht wie die in Amerika sogenannten Wurzelhäuser. Sie standen etwas abseits vom Wege auf dem nackten Felsen. Wir ritten in ihre Nähe, stiegen ab, und blickten in die erste hinein. Sie war leer, nur etwas Stroh lag darin, und schien den Zweck zu haben, bei stürmischem Wetter einem Wandrer einige Zuflucht zu gewähren. Als ich meinen Kopf in die andere hineingesteckt, und meine Augen an das Dämmerlicht derselben gewöhnt hatte, erblickte ich einen grausigen Leichnam im entlegensten Winkel sitzen. Der Körper sah einer Mumie ähnlich; er war noch bekleidet, und mehre Lumpen lagen um ihn herum, so wie Ueberbleibsel von andern Leichnamen, die nach und nach in formlose Massen zerfallen waren, und in der Düsterheit sich schwer unterscheiden ließen. Auch lagen hier und da zerstreute menschliche Gebeine. Ich habe kaum nöthig hinzuzufügen, daß dieses eines der Todtenhäuser, derjenigen Oerter war, wo diejenigen, die auf dem Berge sterben, bestattet werden, um in Staub zu zerfallen, oder von hieraus denen, die aus Theilnahme oder sonst andern Ursachen es verlangen, übergeben zu werden. Das Begraben dieser Leichname wäre hier nur möglich, wenn man Gräber in den Felsen einhauen könnte, denn eine Erdschicht fehlt hier ganz, und in der trocknen reinen Luft erfolgt kaum einige Verwesung.
Ich fragte den Führer, ob ihm Etwas von dem Manne bekannt sei, dessen Leiche hinten an der Wand noch einige menschliche Aehnlichkeit zeigte. Er antwortete, er erinnere sich dessen noch recht wohl, denn er sei mit ihm im Kloster hier oben gewesen. Es war ein armer Maurergesell, der den Bergrücken von Piemont herübergekommen war, um Arbeit zu suchen; da er keine Arbeit gefunden, war er von Liddes vierzehn Tage später bei einbrechender Nacht zurückgekehrt, um die unermüdliche Gastfreiheit der Mönche auf dem Heimwege anzusprechen. Am folgenden Tage fand man seine Leiche nicht weit vom Hospitz auf dem nackten Felsen. So war der Arme wahrscheinlich in der Finsterniß umgekommen, vielleicht ohne zu wissen, wie nahe er schon dem gastfreundlichen Obdach war. Hunger, Ermüdung, Kälte, und vielleicht die traurige Zuflucht der Armen, der Branntwein, hatten vermuthlich ihn an jener Stelle überwältigt. Jetzt war er seit bereits zwei Jahren todt, und noch immer bewahrten die Ueberreste die schrecklichen Züge eines verzauberten Lebendigen.
Ich wandte mich von diesem schwermüthigen Anblick, und blickte jetzt um mich mit erhöheter Theilnahme. Die Sonne war untergegangen, und der Abend warf seine Schatten in die Tiefe des Thals, das noch an einigen Stellen durch die Schluchten unseres Pfades heraufdämmerte. Die Bläue des Himmels über uns und die braunen Gipfel, die gleich düstern Riesenhäuptern sich ringsum erhoben, waren im verbleichenden Lichte noch sichtbar, und ich sah, glaube ich, noch niemals ein mehr poetisches oder lebendigeres Gemälde der herannahenden Nacht. Indem wir der Richtung des Pfades aufwärts folgten, eine Spur, die nur an den zerbröckelten Felsstücken zu erkennen war, und die jetzt jäh aufwärts führte, da erblickten wir eine Oeffnung zwischen zwei dunkeln granitnen Massen, wodurch der Himmel noch glänzend und hell hereinschien. Diese Oeffnung schien nur eine Spanne breit. Es war der » col«, der Gipfel des Pfades, und während ich verwundert dahin blickte, in die reine Luftschicht hinein, so kam es mir vor, als ob der Gipfel nur noch eine halbe (englische) Meile über uns liege. Der Führer schüttelte aber den Kopf zu meiner Vermuthung und sagte, wir hätten noch eine müheselige Stunde vor uns.
Auf diese Mittheilung beeilten wir uns, wieder aufzusitzen; unsere Maulthiere waren indessen schon ziemlich matt und traurig, wie die Berge um uns her. Als wir diesen Zufluchtsort verließen, bemerkten wir keinen Sonnenstrahl mehr an irgend einem Felsen oder Gletscher. Ein düstereres Bergansteigen können Sie sich nicht wohl vorstellen. Pflanzenwuchs war nun durchaus nirgends mehr zu erspähen, und nichts sah man an ihrer Statt als Gebröckel des eisenrostfarbigen Gesteins. Die Farbe aller Gegenstände war so trübe, als gänzliche Verödung sie irgend hervorzubringen vermag, und die stets zunehmende Dunkelheit vermehrte das schaurige Gefühl, das uns tief ergriffen hatte. Obschon wir standhaft und unverdrossen immerfort dem Lichte entgegenstiegen, so wich es doch schneller, als wir ihm nachzuklimmen vermochten, vor uns zurück. Nach halbstündigem Abmühen überließ es uns der völligen Finsterniß. In diesem Augenblicke deutete der Führer nach einer Masse, die ich für ein vorspringendes Felsstück hielt, und sagte, es sei das Dach eines Gebäudes. Es schien mir so nahe, daß ich mir einbildete, wir seien zur Stelle; aber eine Minute nach der andern schwand hin, und auch dieser Gegenstand hüllte sich in die dunkele Nacht. Noch eine Viertelstunde war vorübergegangen, als wir an eine Stelle kamen, wo der Pfad, der, seit wir das Zufluchtshäuschen verlassen, immerfort steil bergan geführt hatte, jetzt uns eine Folge breiter Felsenstufen hinanleitete, wie die Felsentreppen auf dem Rigi, in die Steinmassen gehauen, aber weniger steil. Mein müdes Maulthier schien bisweilen unter meiner Last zusammenbrechen zu wollen, oder unschlüssig zögernd, sollte es dem Druck nach unten nachgebend fallen, oder noch eine Meile aufwärts fortschleichen. Es war völlig dunkel, und so hielt ich es für das Beste, mich seinem Instinkt und seiner Erinnerungsgabe völlig zu überlassen. Dieser bedenkliche Kampf zwischen den Kräften des Thieres und dem Zuge der Schwerkraft, worin ich unglücklicher Weise keine andere Rolle spielte, als die letztern zu befördern, währte fast noch eine Viertelstunde lang; und dann fühlten sich unsere Maulthiere plötzlich wieder erleichtert. Sie bewegten sich noch einige Minuten weit rascher vorwärts und standen vor einem Felsenbau still; ein zweiter Blick ließ in der Dunkelheit erkennen, er sei von Steinen aufgemauert, und dort gleichsam hingeschoben in der Gestalt eines großen rohen Gebäudes. Dieses war das berühmte Kloster des großen Sankt Bernhard! –
Ich dachte an die Römer, an die Stegreifritter des Mittelalters, an die tausendjährige Barmherzigkeit und an Napoleon, als ich, mein Bein über dem Schweifriemen schwingend, mit dem Fuße zuerst wieder den felsigen Boden berührte. Man hatte unser Kommen gehört; denn der Schall erstreckt sich weit durch eine solche Masse, und wir wurden an der Pforte von einem Mönch in schwarzer Tracht, in einer morgenländisch aussehenden Mütze, und mit einem so laienhaften Anstande empfangen, als sei er der Kellner eines Kaffeehauses. Er fragte hastig, ob wir auch Frauenzimmer bei uns hätten, und mir schien es fast, als thue es ihm leid, daß wir nicht Ja sagen konnten. Doch führte er uns sehr höflich in ein Zimmer, das mittelst eines Ofens geheizt war, und welches bereits zwei Reisende enthielt; sie hatten das Ansehen anständiger Handelsleute, die Geschäfte wegen über den Berg mußten. Ein Tisch wurde zu unserm Abendessen gedeckt, und einige Lampen verbreiteten ein trübes Licht umher.
Die kleine Gemeinde versammelte sich bald, den Prior ausgenommen, und das Abendessen wurde aufgetragen. Ich hatte einen Brief an den Bruder Beschließer bei mir, der das Amt eines Proviantmeisters versieht, und gelegentlich durch die Thäler zu streichen pflegt, um die frommen Spenden einzutreiben; und ich hielt es für die schicklichste Zeit, jetzt meinen Brief abzugeben, da unser Empfang eine linkische Kälte hatte, die mir nicht sonderlich behagte. Der Brief wurde gelesen, brachte aber keine sichtbare Veränderung in der sich vielmehr jetzt, wie vorher gleichbleibenden Wärme oder Kälte unserer Bewirther hervor. Ich vermuthe fast, der Verfasser des Briefes hatte unwillkührlich den Frost, den der Name eines Amerikaners gewöhnlich zu erregen pflegt, über unsere Bewillkommung verbreitet.
Damals waren sieben Augustiner beisammen; vier waren eingekleidet, und drei noch im Noviziat. Die ganze Gemeinde zählt ihrer dreißig, die bereits Profeß gethan, und eine hinreichende Anzahl Novizen; aber nur acht bewohnen im Ganzen gewöhnlich abwechselnd das Kloster, die übrigen wohnen in einem Kloster im Flecken, le bourg, wie das eigentliche Städtchen Martinach schlechthin genannt zu werden pflegt. Man sagt, die feine Bergluft greife die Lungen ziemlich an, und wenige könnten daher ihren Einfluß eine längere Zeit anhaltend aushalten. Sie werden sich erinnern, daß dieses Gebäude das am höchsten liegende beständig bewohnte Gebäude ist, das in Europa oder in der ganzen alten Welt zu finden ist, es steht auf einer Höhe von ungefähr 8000 englischen Fuß über dem Weltmeere.
So wie das Abendessen aufgetragen war, trat der Obere, oder der Prior herein. Er sah frischer aus, als die meisten seiner frommen Brüder, und zeichnete sich vor ihnen durch eine goldene Kette mit einem Kreuze aus. Die übrigen begrüßten ihn, indem sie ihre Mützen abnahmen; wornach er nach der Oberstelle der Tafel hinschreitend, sogleich die gewöhnliche Liturgie lateinisch begann, während die Mönche und Novizen die üblichen Responsen mit lauter Stimme vorbrachten. Darauf wurden wir eingeladen, unsere Plätze an dem Tische einzunehmen, an welchem man uns Fremden höflicherweise die obern Plätze eingeräumt hatte. Das Mahl war einfach, ohne Thee oder Kaffee, und der Wein war auch nicht sonderlich. Aber es verdiente hinreichenden Dank, daß man in einer solchen Wüste noch so viel bekam, und hier war durchaus nicht der Ort begehrlich zu sein. Während der Abendmahlzeit bestand eine ungezwungene allgemeine Unterhaltung, und wir wurden um Mittheilung der Tagesneuigkeiten gebeten; denn die Bewegungen in der Vendee waren allerdings von der Art, die Mönche zu interessiren. Unser französischer Reisefährte auf dem Brienzer See hatte mit begeistertem Lobe von dieser Klostergemeinde gesprochen, und indem ich seine Reden mit den hier an mich gerichteten Fragen in Verbindung brachte, blitzte die Vermuthung in mir auf, diese Brüder müßten mit ihm in geistiger Verwandtschaft stehen. Wenige Bemerkungen befestigten mich bald in dieser Meinung, und ich fand, was bei Leuten ihres Standes nicht zu verwundern war, daß diese Glieder einer geistlichen Republik Die Menschen gewöhnlichen Schlages meinen hieraus die natürliche Folgerung ziehen zu können, Auszeichnungen seien etwas Natürliches, und müßten beibehalten werden. Diese gescheidten Leute vergessen aber, daß die Gesetze der Menschen zur Beschränkung der Leidenschaften bestehen müssen, und daß eine Erweiterung des Zugeständnisses eines höheren Ranges auch einem Stärkern das Recht einräumen müsse, den Schwächern todt zu schlagen, oder ihm sein Brod vor dem Munde wegzunehmen, weil dieses leicht auch zu den ausschließlichen Bevorrechtungen gezählt werden könnte, sofern die Menschen ja doch in ihren Ansprüchen nicht gleichgestellt werden sollen! sehr warmen Antheil an den Fortschritten der Karlisten nehmen mußten. Menschen mögen in der Welt vorstellen, was sie wollen, sie mögen sich unter irgend einer Maske verborgen halten, die List oder Noth ihnen aufnöthigt, so werden ihre politischen Gespräche, wie der Instinkt sie eingibt, so wie Liebe und Haß, wie jede andere heftige Leidenschaft sich unbewußt verräth, eben so dem erfahrenen Beobachter ihr Inneres verrathen. Wie manche unserer Republikaner vom reinsten Wasser habe ich nach Ordenssternen und Bändern stille Seufzer ausströmen gesehen, – und Männer noch dazu, die vor den Augen der Nation als enthusiastische Verehrer der Verfassung und als die wärmsten Vertheidiger der Volksrechte durchgehends bekannt sind. Die römisch-katholische Kirche kann nicht anders, als geheime Anhängerin des Despotismus sein, möge ihre scheinbare Anhänglichkeit an freisinnige Institutionen sich auch noch so sehr zur Schau stellen; denn die geistliche Verfassung dieser Kirche, die katholische Hierarchie, steht selbst in so naher Beziehung zur Despotie, daß sie ihre Verwandtschaft nicht verläugnen kann. Ich will zwar nicht durchaus behaupten, daß der Umstand, daß wir Amerikaner waren, diese geistlichen Brüder vermochte, uns mit weniger Wärme zu empfangen, als sie sonst gewohnt waren; nur das wollte ich bemerken, daß unser Reisegesellschafter, der Karlist auf dem Brienzer See, uns eine viel zu beredte Schilderung von der herzlichen Aufnahme und der inniggemeinten Gastlichkeit dieser guten Väter gemacht hatte, als daß uns das Benehmen derselben gegen uns nicht hätte auffallend werden müssen. Kurz, das einzige Mittel, sie etwas zu erwärmen, war, daß wir sie mit der Anthracitkohlengrube einheizten, welche die frommen Väter, wie wir gehört, auf dem Berge entdeckt hatten. Dieses war natürlich ein sehr wichtiger Fund für sie, denn Sie müssen bedenken, daß, ausgenommen das Wasser, alles zu ihrem Unterhalte Erforderliche, selbst die unentbehrlichsten Bedürfnisse, stundenweit her, den äusserst beschwerlichen Weg, den wir heraufgekommen, auf den Rücken von Maulthieren heraufgeschleppt werden müssen, und daß ungefähr 8000 Menschen jahraus jahrein über den Berg ziehen, die alle, wenigstens fast alle nothgedrungen in dem Kloster übernachten. Die hohe Lage des Orts macht das beständige Heizen durchaus nöthig, um hier bequem ausdauern zu können, ohne des zum Kochen erforderlichen Brennmaterials erwähnen zu wollen; und eine Goldgrube hätte daher einer solchen gastlichen Gemeinde kaum so wichtig werden können, als eine Kohlengrube. Zum Glück verstand C – – als ein ächter Pennsylvanier sich ein wenig auf Anthracit, und indem er einige Einleitungen vorausschickte und weitere Mittheilungen versprach, gelang es ihm, einige von den geistlichen Brüdern, wie man sagt, in Feuer und Flamme zu setzen.
Ein wenig vor neun Uhr wies man uns ein einfaches aber bequemes Zimmer an, mit zwei Betten und einer Menge Decken, und wurden unserm Schlummer überlassen. Ehe wir einschlafen konnten, kamen C – – und ich darin überein, daß wenn man das Kloster nicht als solches betrachten wolle, so könne es recht gut für eine »Rum-Stube« gelten, und daß mehr als gewöhnliche Einbildung dazu gehöre, um über das Ganze den dichterischen Zauber mönchischer Zurückgezogenheit und der schönen einfachen Gastlichkeit patriarchalischer Einsamkeit zu verbreiten.