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Neunzehnter Brief.

Der Genfersee. – Fahnen auf demselben. – Das Großartige und Schöne dieser Felsenmassen. – Sonnenuntergang. – Abendgemälde. – Wohnungen amerikanischer Familien längs den Ufern des See's. – Unterredung über Amerika mit einem Einwohner von Vevey. – Die Nullifikations-Streitfrage. – Entstellende Vorstellungen über Amerika in Europa. – Rowland Stephenson in den Vereinigten Staaten. – Unwürdige Bestrebungen, um Amerika in übeln Ruf zu bringen. – Falsche Ansichten in Europa, in Beziehung auf Amerika. – Die Kentuckier. – Fremdenverbindungen innerhalb der Vereinigten Staaten. – Unfreisinnige Meinungen mancher Amerikaner. – Vorurtheile.

Lieber – –

Unser Aufenthalt zu Vevey war bis jetzt reich an Ergötzlichkeiten aller Art. Der See mit seinen wechselnden Gegenden und seiner Lebhaftigkeit zieht längere Zeit an, als selbst der Anblick der Oberländer Alpen; und wir sind jetzt völlig überzeugt, daß wir eine fehlerhafte Wahl getroffen, als wir im Jahre 1828 uns bei Bern wohnlich niederließen, so schön auch jene Gegend wirklich ist. Ein Beweggrund war, daß wir mitten in der Schweiz wohnen wollten; die Schweiz ist aber überhaupt nicht groß, und die Entfernungen können daher nicht hoch angeschlagen werden. Ich würde also allen unsern Freunden, die einen Sommer in der Schweiz zubringen und sich nach einer Wohnung umsehen wollen, lieber rathen, sich irgendwo an den Ufern des Genfer See's niederzulassen. Zwei Dampfboote gehen täglich in verschiedenen Richtungen ab und zu, und an welcher Stelle des Ufers man sich auch ansiedle, das macht im Ganzen wenig Unterschied. Wenn man Alles erwägt, so bleibt der Ausspruch: » mon lac est le premier« durchaus wahr; obschon es noch eine große Frage ist, ob der Herr von Voltaire jemals alle Vorzüge dieses See's wirklich kannte, oder auch nur Gelegenheit gefunden, sie kennen zu lernen.

Der Leman hat für uns nichts Ermüdendes; täglich bringen wir zwei bis drei Stunden auf demselben im Nachen zu. Bisweilen rudern wir, die Stadt im Angesichte behaltend, welche an manchen Stellen wörtlich in's Wasser hineinragt, in Gedanken vertieft über die kunstlosen alten Mauern, oder auf die Worte des alten ehrlichen Johann horchend, der zwei hackenförmig gebogene Ruder mit der Gewandtheit einer Dame der Tropenländer bewegt, aber dabei auch in seinem Leben Zeuge großer Begebenheiten war. Zuweilen scheint uns selbst diese träge Handhabung der Ruder noch zu rasch für die Stimmung des Augenblicks, und wir lassen uns leise längs dem Ufer fortgleiten; denn die Strömung reicht hin, uns binnen einer halben Stunde längs Vevey in seiner ganzen Ausdehnung vorüberzutreiben. Bisweilen werden wir wie in einer Nußschaale umhergeschaukelt, denn etwas weiterhin bringen die Winde diesen Theil des Wasserspiegels bald in raschere Bewegung. Im Ganzen haben wir aber bis jetzt wenig mehr als Windstille gehabt, und, was in der Schweiz ungewöhnlich ist, wir hatten keinen Tropfen Regen.

Wir haben keinen Grund, den Aufenthalt am See für ungesund zu halten; denn wir sind öfter bis nach Sonnenuntergang unterweges, ohne irgend unangenehme Folgen davon zu spüren. Die Ufer haben um Vevey meistens ein kühnes Ansehen, obgleich Wiesen und Gewässer beim Einströmen der Rhone, etwa acht bis zehn englische Meilen weiter aufwärts, in einander verschwimmen; so daß man dort vielleicht an Binsen und Sumpflilien denken und ein Vorgefühl von Flußfiebern erhalten könnte. Die gesunde Luft und die treffliche Ausdünstung der Alpmatten hat uns allen bis jetzt recht wohlgethan, und wir sehen mit Sehnsucht der Jahreszeit der Trauben entgegen, welche jetzt näher rückt, und die, wie Jedermann behauptet, diejenigen, welche sich vollkommen wohl befinden, noch unendlich gesunder macht.

Von dem größten Zauber der landschaftlichen Reize von Vevey, welches uns vielleicht den höchsten Grad des Genusses gegeben hat, habe ich Ihnen noch nichts erwähnt. Das savoische Ufer, der Stadt unmittelbar gegenüber, stellt eine Folge prachtvoller Felsschichten dar, die sich etwa vier bis fünftausend Fuß über die Wasserfläche erheben. Diese Felsenriesen bilden durchgehends fast senkrechte Abstürze, deren äußere Flächen durch tiefe Spalten geborsten erscheinen, die man ihrer Größe und Tiefe wegen Schluchten und Thäler nennen könnte. Das ist die Felsengegend, welche über Meillerie, Saint Gingoulph und Evian emporragt, Städtchen oder Dörfer, die am Fuße dieser Felsenberge gleichsam sich festhalten und dadurch allein schon, von dieser Seite des See's betrachtet, einen schönen Anblick gewähren. Der Abstand von Vevey bis zum jenseitigen Ufer beträgt nach dem Zeugniß des alten Johann ungefähr fünf (englische) Meilen, doch die außerordentliche Reinheit der Atmosphäre und die Erhebung des Bodens läßt den Abstand weit geringer erscheinen. Die Gipfel der Savoyer-Alpen sind in den wunderlichsten Gebilden zerklüftet; sie sind in ihren Grundzügen so schön und gleichförmig aufgeführt, ohne alle sichtbare Regel und bestimmtere Ausführung, daß ich sie fast natürliche Arabesken nennen möchte. Keine Beschreibung vermag von dieser eigenthümlichen Schönheit eine deutliche Vorstellung zu geben; denn ich kenne Nichts in der Natur, womit ich sie vergleichen könnte. Da diese Berge uns gerade gegenüber im Süden sich befinden; so kann ich von dem ungewöhnlichen Glanze des Himmelraumes hinter ihnen bei jedem Sonnenuntergang keinen andern Grund angeben, als das Widerstrahlen von den Gletschern; der Montblanc liegt in dieser Richtung ungefähr fünfzig (englische) Meilen entfernt, kann aber hier nicht gesehen werden. Die Wirkung, welche die Umrisse dieser Berge während oder bald nach Sonnenuntergang hervorbringen, wenn dazu der Himmel in sanftem goldnen Schimmer prangt, ist nicht blos eine der schönsten Ansichten der Schweiz, sondern von Allem, was ich jemals sah, das vollkommenste Naturschauspiel. Es ist nicht gerade geeignet, plötzliche Bewunderung zu erregen, wie die rosigen Farbenspiegelungen und die gespenstigen Schauergebilde der Hochalpen zu gleicher Stunde in uns erwecken; aber allmählich wirkt der Anblick, wie die einsamen Schatten der Appeninen unser Gemüth mit steigender Macht bewältigen, ein Genuß, dessen wir nicht müde werden, der vielmehr bei jedem folgenden Sonnenuntergang noch gesteigert wird. Vielleicht erhalten Sie eine schwache Vorstellung von diesem Anblick, indem Sie sich ungeheure Arabesken in weiter Ausdehnung ausgeführt und von so kühner Erhabenheit, daß keine Kunst sie nachzubilden vermag, vorstellen; welche ungeheuer hoch hinauf ragen, ein finsteres, großartiges Hautrelief, ein Gemisch von Erhabenheit und sanfter Eindrücke; und dieses alles unter einem Himmel betrachtet, dessen Glanz aus der Gluthfarbe des Goldes allmählig in die zarten Farben der Abenddämmerung übergeht. Es ist schwer zu entscheiden, wann diese Scene am meisten ergötzt; wann die Felsen deutlich und braun erscheinen, ihren Bau erkennen lassen, und der Himmel sich glänzend darüber ausdehnt; oder, wann die schwarzen Massen nichts mehr unterscheiden lassen, und der Himmel nur noch kaum so viel Licht über sie verbreitet, um ihre Hauptumrisse anzudeuten? Vielleicht der letztere Augenblick macht das Gemälde vollkommen, denn die Düsterheit wirft dann einen Schleier schauerlichen Geheimnisses über das Ganze.

Diese Art von Ansichten enthält die großartigsten Züge der schweizerischen Landschaften. Die außerordentlichste unter ihnen ist vielleicht die Ansicht der hohen Gipfel, durch Wolken von der Erde abgetrennt, über diesen in den Himmel emporragend; doch glaube ich, daß die Scenerie der Savoyer Alpen von den Meisten bleibend vorgezogen werde. Dieses vermuthe ich aus der Erfahrung, daß Dinge, welche gleich das erste Mal in zu großes Erstaunen zu versetzen pflegen, in der Regel kein so dauerndes Vergnügen gewähren; ich sah jenes erstaunende Schauspielspiel nur zweimal, und das eine Mal nicht einmal vollkommen. Dagegen gleich den Musikfreunden, die beim Eröffnen des Orchesters nie fehlen können, verfehlten wir nie zur Betrachtung dieses Abendgemäldes uns zeitig einzufinden, das, gleich einem schönen, ausdrucksvollen Meisterwerke der Harmonie bei jeder Erneuerung derselben Eindrücke inniger unsere Seelen ergreift. Diese ganze Gegend des See's, wo wir träge im Angesichte der Stadt auf der Wasserfläche treiben, die ruhig und glatt, gleich einem Spiegel sich ausbreitet; der Abhang hinter der Stadt, aufwärts immer dunkler werdend mit der allmählich schwindenden Abendhelle; die Alpmatten, welche nur noch die braunen Sennhütten erkennen lassen; die Savoyer Felsen; die hehre Rhoneschlucht, mit dem Gletscher des Mont Velan in ihren tiefen Fernen, dessen weißglänzender Eisgipfel noch in den hellen Tag emporragt, wenn längst schon der Abend hier unten Alles in Schatten hüllt, dieses bildet ein Ganzes, ein vollkommen schönes Naturgemälde, wie ich noch nie eins gesehen habe.

Sie können sich leicht vorstellen, wie sehr wir die Zeit benutzten, alles dieses recht zu genießen. Fast jeden Abend seit unserer Ankunft hierher hat der alte Johann und sein Kahn in Bereitschaft sein müssen, und der alte Mann geht auch so gutwillig in unsere Empfindungen ein, daß seine Ruder sich heben und senken, ohne etwas mehr als ein kaum hörbares schwermüthiges Geräusch zu erregen. Sein mit uns einstimmiges Benehmen läßt nichts zu wünschen übrig, und fast möchte ich mir einbilden, seine Ruder krümmten sich jeden Abend mehr und würden immer malerischer. Indessen sind wir nicht allein im ausschließlichen Besitz so vieles Schönen. Nicht weniger als sieben amerikanische Familien, mit Einschluß der unsrigen, haben entweder auf einige Zeit am Rande des See's oder doch in dessen Nähe ihren Wohnsitz gewählt, oder sie schweifen nach Muße längs den Ufern ab und zu. Der Ruf der Schönheit ihrer Frauen ist bereits zu unseren Ohren gedrungen, doch ein solcher Ruf ist in dieser Weltgegend nicht schwer zu erlangen. Mit einer dieser Familien lebten wir in Italien in recht vertrautem Umgang, die vaterländischen Bande knüpfte der Umstand noch fester, daß einige ihrer Verwandten auch die unsrigen waren. Sie begaben sich von Lausanne aus eilig auf den Weg, um uns zu treffen, sobald sie versichert waren, daß wir hier angelangt wären, und die frühern freundschaftlichem Verhältnisse wurden hier aufs neue fortgesetzt. Seit unserem Zusammentreffen sind einige kleine Ausflüge verabredet worden, und vielleicht werde ich nächstens über diese etwas mittheilen können.

Vor einigen Tagen begegnete ich auf dem öffentlichen Spaziergange einem Einwohner von Vevey, mit welchem ich Geschäfte halber flüchtig bekannt geworden war. Wir grüßten einander und setzten den Spaziergang mit einander fort. Die Rede kam bald auf die Neuigkeiten von Amerika, wo eben jetzt die Nullifikation Zwistigkeiten befürchten läßt. Die Schweizer scheinen mir das einzige Volk in Europa zu sein, die mit einiger Theilnahme sich um das bekümmern, was im Allgemeinen dafür gilt, als müsse solches eine Krise in unsern Angelegenheiten hervorbringen. Ich will damit keinesweges behaupten, daß nicht Einzelne unter andern Völkern nicht denselben Antheil an unserem Wohlergehen nähmen; denn man könnte deren wohl eine Million unter den verschiedenen europäischen Nationen aufzählen, und die Ultra-Liberalen stützten sich immerfort auf unser Beispiel, um ihren Lehren Eingang zu verschaffen; aber wenn ich die Masse des Volkes ausschließe, welche zu viel mit der Noth um die Fristung des eignen Lebens zu thun hat, als daß sie sich um solche fernliegende Dinge bekümmern könnte, so sieht man auf dieser Seite des atlantischen Meeres, so weit ich darüber mich belehren konnte, fast überall, nur die Schweiz ausgenommen, dem Zeitpunkte mit berechnendem Vertrauen und höhnender Ungeduld entgegen, wann unser Staatenverein endlich in sich selbst zusammenstürzen könnte. Zwar könnte ich Ihnen manche alberne und falschgemeinte Versicherungen des Gegentheils anführen; doch ich halte dergleichen für nichts weiter als für gesellschaftliche Phrasen, auf welche Niemand, der einigermaßen mit der Welt bekannt ist, das geringste Gewicht legen kann; solche Redensarten haben mich noch nie getäuscht, und ich hoffe, Sie werden sich ebensowenig von denselben hintergehen lassen. Die Menschen nehmen sich in der Regel in Acht, wörtlich die Selbstsucht und die Unfreisinnigkeit einzugestehen, welche alle ihre Wünsche und Handlungen in Bewegung setzt. Wer leichtgläubig genug ist, Worte statt Thaten zu nehmen, oder selbst bloße Worte für aufrichtig gemeint zu halten, wird in dieser Weltgegend sich in weit mehr als der Hälfte derer täuschen, mit welchen er zusammentrifft. Ich glaube, ich habe Ihnen den Fall von Sir James Mackintosh, der hierher gehört, noch nicht mitgetheilt. Bei einem Gastmahle des Herrn – – fragte ihn Jemand, ob er (Sir James Mackintosh) vielleicht dem Verfasser einer Schmähschrift gegen ihn auf die Spur gekommen sei? – »Nicht zuverlässig«, sagte er, »wie wohl ich nicht zweifle, daß – – der Verfasser dieser Schmähschrift ist. Ich hatte gleich Anfangs Verdacht auf ihn; aber wir trafen in Pall-Mall zusammen, bald nachdem der Artikel öffentlich erschienen war; er drehte sich gleich herum, und ging die ganze Straße entlang mit mir, indem er mich mit Betheurungen seiner Bewunderung und Hochschätzung meiner Person überhäufte; da erkannte ich meinen Mann ganz sicher!«

Mein Bekannter that manche Fragen über den wahrscheinlichen Ausgang des jetzt bestehenden Kampfes, und schien wirklich recht erfreut, als ich ihm sagte, ich fürchte keine ernste Gefahr für unsere Republik. Ich erregte sein Lachen, als ich ihm die Aeußerung des witzigen Abbé Correa mittheilte, welcher einst sagte: »Die Amerikaner erhitzen sich außerordentlich im Wortkampfe über politische Gegenstände; man meint, jetzt gleich würden sie in Wuth zu den Waffen greifen, und, während man voller Erwartung ist, jetzt werde gewiß eine Revolution ausbrechen, so gehen sie nach Hause, um Thee zu trinken.« Mein Bekannter erkundigte sich mit Besorgniß, ob wohl unsere Regierung hinreichende Kraft besitze, um die Unruhen mit Gewalt zu unterdrücken. Er hatte nämlich gehört, in dem unruhigen Landestheile befinde sich blos eine einzige Kriegsschaluppe und ein kaum vollzähliges Bataillon Truppen. Ich sagte ihm, wir seien im Besitze aller Mittel, die man in andern Ländern habe, um einen Aufruhr zu unterdrücken, obschon wir es nicht für nöthig gefunden hätten, zu demselben Systeme ihrer Organisirung unsere Zuflucht zu nehmen. Unsere Regierung sei dem Staatsgrundsatze gemäß milde, und strebe gar nicht danach, einzelne widerstrebende Faktionen zu unterdrücken; dagegen sei eine große Mehrzahl der Bevölkerung der einzelnen Staaten der Vereinsverfassung innig ergeben, und wenn wirklich eine Entscheidung durch die Waffen herbeigeführt werden müßte, und eine freundliche Ausgleichung durchaus nicht mehr möglich wäre, so würden in diesem Falle von jeder Zehnzahl ihrer Neun sich zur Vertheidigung der Verfassung vereinigen. Selbst ein Bürgerkrieg würde in Amerika keine andern Folgen haben, als sonst überall. In einer Republik würden die Menschen, wie in monarchischen Staaten ebenfalls, nicht länger wider einander fechten, als bis sie dessen überdrüssig wären, und darauf würden sie freundliche Ausgleichung versuchen. Auch sei nicht zu erwarten, eine Bevölkerung gleicher Abstammung und Lebensgewöhnung, im beständigen gegenseitigen nachbarlichen Verkehr, werde ihr Gebiet durch bürgerliche Kriege zerreißen, wenn nicht äussere gewaltsame Aufhetzung sie widereinander treibt, und wenn nicht fremde Eroberung den Weg zur allgemeinen Entzweiung bahnt. Ich glaubte keinesweges, daß wir für alle Zeit mit den menschlichen Drangsalen unbekannt bleiben würden, die ebenfalls andere Völker befallen hätten, und wüßte auch nicht, warum sie uns härter heimsuchen sollten, so lange sie nur aus ähnlichen Ursachen, wie bei den übrigen Nationen, entständen. Was die geringen Streitkräfte in Karolina betreffe, das, sagte ich, sei vielmehr ein Beweis der vergleichungsweise größern Kraft, als wie der Schwäche unserer Regierung. Hier bestünden zwar laute Drohungen des Widerstandes; selbst gehörig vorbereitete und sogar rechtlich einigermaßen zu vertheidigende Mittel seien vorhanden, den angedrohten Widerstand auszuführen; und doch würden die Gesetze geachtet, obgleich nur eine Kriegsschaluppe und nur zwei Kompagnieen Artillerie ihnen äußere Achtung verleihen. Wollte Frankreich seine Bataillone aus der Vendee, Oesterreich die seinigen aus Italien, Rußland die seinigen aus Polen zurückziehen, wollte England seine Truppen aus Indien oder Irland entfernen, so wüßten wir sämmtlich, daß alsdann nicht sechs Monate vergehen würden, bis diese Länder sämmtlich für ihre jetzigen Besitzer verloren sein würden. Da wir also keine so außerordentliche Truppenmacht nöthig haben, so scheine es in der That, daß die Unruhen bei uns entweder gänzlich verschieden von den Unruhen in europäischen Ländern sein müssen, oder daß in unsern Institutionen sich ein erhaltendes Prinzip befinde, das man auf dieser Halbkugel gar nicht antreffe. Jetzt wünschte mein Bekannter von Vevey zu wissen, welchen von beiden Ursachen ich die jetzige Ruhe in Karolina zuschreibe. Ich antwortete ihm, beiden zugleich. Die widerstrebende Partei in dem genannten Staate sei in ihren Absichten redlich und offen, und wenn auch Einige solche wirklich durch eine Trennung vom Bunde durchsetzen zu müssen meinten, so sei doch die Mehrzahl nicht dieser Meinung. Der leitende Grundsatz unseres Systemes sei, daß wir die nöthige Ausgleichung entstandener Streitigkeiten vom Volke erwarteten, welches die Quelle aller Gewalt sei, und die Mehrzahl sei noch immer im vollen Vertrauen auf diese Entscheidung. Bei andern Verfassungen könne man freilich Neun gegen Eins setzen, daß ein Aufruhr durch ein ähnliches ruhiges Abwarten nicht zurückgehalten werde.

Der Schweizer hörte auf dieses Alles mit vieler Aufmerksamkeit und sagte: Amerika sei oftmals schlecht in Europa vertreten worden, und daß man in seinem Lande jetzt allgemein anfange zu glauben, es müßten lichtscheue Ursachen dabei zu Grunde liegen, Er sagte mir, es sei Viel über den Vorfall mit Rowland Stephenson gesprochen worden, und offen bat er um nähere Aufschlüsse darüber; denn da er selbst der handeltreibenden Klasse angehöre, so seien die beleidigenden Einwirkungen dieser Geschichte an ihm nicht unbemerkt vorübergegangen. Das war der dritte Schweizer, der diese Angelegenheit berührte; die beiden andern Male war es in Rom, wo davon die Rede war, und wo ich so viel deutlich abnehmen konnte, daß man das Gerücht verbreitet hatte, daß die Amerikaner, um ihrem Wunsche nach reichen Uebersiedlern nachzugehen, den Verbrecher in Sicherheit gesetzt hätten, um die Früchte seiner Reichthümer zu genießen!

 

Ich setzte ihm daher die Sache auseinander, indem ich nichts that, als die einfachen Thatsachen anzuführen. Und dann, fügte ich hinzu, dieser Fall sei ein trefflicher Beleg zu der Art und Weise, wie man Amerika seit 1776 behandelt habe. Ein Engländer, ein Parlamentsmitglied sogar, war aus seinem Lande verschwunden, und hatte in dem unsrigen Zuflucht gefunden, als er zufällig auf der See einer schwedischen Brigg begegnete, deren Reise dorthin ging. Es wurde eine Belohnung auf dessen Habhaftwerdung gesetzt. Darauf unternahmen es einige Leute, ich weiß nicht, auf wessen Antriebe, sich dieses Mannes auf einem wenig befahrenen Wege in Georgien zu bemächtigen, und ihn unerkannt in das Gebiet von Newyork zu schaffen, um ihn von dort aus ganz in der Stille auf einem Paketboot nach Europa überzusetzen. Ein ärgerer Frevel als eine solche Handlung konnte nicht wohl begangen werden. Keine gesetzliche Form war hier beobachtet, das ganze Benehmen eine Verhöhnung des Rechts und der Selbstständigkeit der beiden betheiligten Staaten. Zwar war so viel wahr, der Verfolgte wurde eines bedeutenden Betruges beschuldigt; wenn aber dergleichen geheime Schleichwege erlaubt wären, dann würde es bald keiner Schuld mehr bedürfen, um Gewaltthätigkeiten auszuüben. Selbst ein Unschuldiger dürfte alsdann widerrechtlich in Gewahrsam geschleppt werden. So wie die Umstände näher bekannt wurden, wandte man sich an die geeignete Behörde um Schutz. Dieser wurde auch gestattet nach dem Grundsatze, der bei allen gebildeten Völkern gilt, wo das Recht stärker ist, als die Macht. Wenn Jemand unter ähnlichen Verhältnissen von Canada nach England gebracht worden wäre, so würde er denselben Anspruch gehabt haben, auf freien Fuß gesetzt zu werden; und es gibt keinen Juristen in England, der diesen Fall anders beurtheilen würde. Wenn dieser Vorfall irgend einer der beiden Nationen, als solchen, zum Nachtheil gereichen könnte, welches übrigens, wo doch nur Einzelne fehlten, eine schreiende Ungerechtigkeit sein würde, dann müßte der Nachtheil doch offenbar nur diejenige treffen (wenn man an solcher Uebertreibung festhalten wollte), die diese Uebertretung der Gesetze und Verletzung alles rechtlichen Gefühls gewagt hatte, die den Verbrecher zu den ihrigen zählte, und ihn noch dazu durch die höchste Auszeichnung im Staate geehrt hatte. Die Sache aber ist so verschiedentlich geschraubt und gezwängt worden, bis man seinen Zweck erreicht hatte, ein ungünstiges Vorurtheil wider Amerika zu erwecken.

Und jetzt sage ich Ihnen, mein lieber – –, wie meinem Bekannten in Vevey, welch ein treffliches Beispiel der erzählte Fall für die Behandlungsweise abgibt, die uns in Europa widerfährt; seit sieben Jahre hatte ich hinreichende Gelegenheit, alle die Listen und Ränke zu beobachten, die man ausgesonnen und ins Werk gesetzt hat, um uns einen schlechten Namen zu machen. Die Macht der Verläumdung, welche den Interessen der Selbstsucht dient, das ist es, was die von alters her begründeten, größern Staaten vor einem wie dem unsrigen voraushaben; diese Macht der Verläumdung wird aber bei uns nicht als besonders wichtig betrachtet, und wir pflegen keine sonderliche Erfolge auf dieselbe zu bauen. Ich fühle mich durchaus nicht dazu geeignet, zu unsern eigenthümlichen National-Gebrechen die Augen zu schließen, zumal da ich hinreichende Gelegenheit gefunden, durch angestellte Vergleichungen ihr Dasein und ihre Natur kennen zu lernen. Nichts kann indessen für jeden Menschen, dem selbst nicht mehr als die gewöhnlichsten Fähigkeiten zu Theil geworden sind, wenn er die Gelegenheit nicht versäumt hat, sich in der Bildung richtiger Schlußfolgerungen zu üben, offenbarer einleuchten, als die immer neu sich bestätigende Wahrheit, daß alle Fehler, die uns in Europa gewöhnlich angedichtet werden, wie der Mangel an Moralität, Rechtschaffenheit, Ordnungsliebe, Schicklichkeitsgefühl, Freisinnigkeit und Religiosität, gerade, – so ist der Lauf der Welt – geradezu die starken Seiten des amerikanischen Charakters ausmachen; während dagegen manche von den Eigenschaften, deren unsere Landsleute bisweilen sich hoch zu berühmen pflegen, – z. B. höhere Geistesbildung, guter Geschmack, geselliger Ton, feine Erziehung, was für Alle, die über dem ungebildeten Haufen stehen, gelten mag, – in Wahrheit zu den schwachen Seiten unseres Nationalruhmes gehören, und wovon wir lieber bescheiden still schweigen sollten. Hiergegen werden viele Andere gar Vieles einwenden, besonders diejenigen, die unter dem Einflusse derjenigen Leutchen stehen, bei denen die Menschenliebe eine Handelsspekulation ist, eine Klasse Menschen, die entweder den Mantel der Liebe über lichtscheue Dinge ziehen, oder mit unzähmbarem Eifer, alles was ihnen nicht zusagt, anfallen, jenachdem das Zünglein der Waage auf Vortheil oder Schaden hinweist.

 

Ich sagte zu meinem Schweizer, eine der Ursachen, warum man in Europa so arge Mißgriffe in dem Vorhersagen des Schicksals von Amerika sich zu Schulden kommen lasse, bestehe in den schlechtere Quellen, woraus man in Europa seine Nachrichten schöpfe, woher weder die Möglichkeit genauer noch die Bereitwilligkeit wahrhafter Mittheilungen erwartet werden dürfe. Die meisten Nachrichten dieser Art, die theils aus Amerika herüber, theils nach Amerika hinüber befördert würden, kämen wie ihre Waaren durch zwei oder drei große Kanäle oder Seehafen, und diese wimmeln noch dazu von den Eingebornen wenigstens der Hälfte der sämmtlichen europäischen Länder, größtentheils handeltreibenden Abenteurern, von denen kaum Einer unter Fünfen jemals dahin gelangt, zu fühlen, daß er ein Amerikaner sei. Diese Leute haben nicht selten an manchen Orten auf manche öffentliche Blätter einigen Einfluß, und eben dadurch, so wie durch ihren ausgebreiteten Briefwechsel, vermögen sie manche falsche Vorstellungen über unser Land zu verbreiten. An und für sich sind es nicht die Städte, nicht die vorzügliches Aufsehen erregenden Individuen in den Städten, welche das Nationalgefühl, das Benehmen des Volkes überhaupt, die Gesinnung des ganzen Landes repräsentiren. Dieses beweist jeder Fall, wo entscheidende Angelegenheiten zur Sprache kommen, wo alsdann die Städte immer die Minorität erhalten, aus dem einfachen Grunde, weil sie sämmtlich weiter nichts als Handelsgemeinden darstellen, die dem Instinkte ihrer wechselnden Vortheile folgen, und ohne alle andere Rücksicht dem Ersten zujauchzen, der ihnen einen Vortheil zu zeigen bemüht ist. Daher finden wir diese Klasse von fremdher angesiedelten Kaufleuten immer auf der Seite derer, die sich mit dem ruhigen und besonnenen Gang unserer Institutionen nie ganz befreunden, sondern demselben mehr oder weniger fremd bleiben. In Amerika ist höhere geistige Ausbildung nicht auf die Städte beschränkt, vielmehr kann man als Regel annehmen, daß deren weit mehr außerhalb der Städte auf dem Lande zu finden ist. Als einen Beleg für die Irrthümer, die man in Europa über Amerika unterhält, führte ich die Meinung an, womit man in England, eine Nation, die uns am besten hätte kennen müssen, sich selbst im Kriege von 1812 betrog. Sich selbst bewußt ihrer Handelseifersucht, suchte die englische Regierung naturgemäß ihre wahren Feinde unter den Kaufleuten in den Städten, und meinte dagegen im Innern des Landes desto wärmere Freunde zu finden. Der Erfolg würde freilich diese Meinung widerlegt haben; eine Meinung, die vielfältig in sich selbst verrieth, zumal in den öffentlichen Blättern jener Zeit. Diese vorgefasste Meinung veranlaßte unsere Angreifer, die Kentuckier um ihre Hülfe anzusprechen! Nun gab es damals wohl kaum einen Winkel der Erde, wo weniger Theilnahme für England gefühlt worden wäre, als eben in Kentucky, oder überhaupt längs der ganzen westlichen Grenze von Amerika, wo man (ob mit Recht oder mit Unrecht, kann hier nicht untersucht werden), die meisten Feindseligkeiten der indianischen Stämme dem Einfluß der Engländer aufbürdete. Zu wenig fremde Reisende fanden hinreichendes Interesse an unserem Lande, um dergleichen Meinungen zu berichtigen, und England, seinen eigenen unverbürgten Voraussetzungen überlassen, so wie seinen auf nichts sich gründenden Theorien, wurde auf diese Weise zu den ungereimtesten Fehlgriffen verleitet, die es jemals hätte aussinnen können. Ich glaube, daß ein großer Theil der irrthümlichen Vorstellungen, die man in Europa über Amerika festhält, von den Vorurtheilen dieser Klasse von Einwohnern herrührt Dieses war des Verfassers Meinung, so lange er in Europa sich aufhielt. Seit seiner Heimkehr fand er seine Meinung durch mehre Gründe bestärkt. Im verflossenen Jahre hatte er eine Unterredung mit einem fremden diplomatischen Agenten, in Bezug auf die öffentliche Stimme über gewisse politische Maßregeln. Der Diplomat machte ihm die Bemerkung, alle Leute von Talent, Vermögen und Ansehen seien im Lande gegen die Regierung eingenommen. Denn das ist der abgenutzte Widerspruch Englands; und so wie die beabsichtigte Reform dem Prüfstein der öffentlichen Meinung wirklich unterworfen wurde, da fand es sich, daß allein die parvenûs die ärgsten Gegner der Regierung waren. Als der Diplomat aufgefordert wurde, einzelne Personen zu nennen, so nannte er drei Kaufleute von Newyork, die sämmtlich Fremde von Geburt waren, deren keiner reines Englisch spricht, keiner bei Abstimmungen einen Einfluß auszuüben vermag, keiner jemals unsere Verfassungsurkunde gelesen, oder wenn er sie gelesen, sie jemals verstehen konnte; keiner irgend etwas mehr war, als ein Reflex der alltäglichsten und abgedroschensten Vorstellungen des Standes, zu dem sie in andern Ländern gehörten, worin sie aufgewachsen waren, und wovon sie bei ihrer Herkunft in dieses Land den bleibenden Einfluß empfanden..

Um den Einfluß einer solchen Menschenklasse richtig abschätzen zu können, müssen wir unsere Aufmerksamkeit ein wenig bei der Zahl, bei dem Reichthum und bei den Verbindungen dieser fremden Kaufleute verweilen lassen. Mir ist es oftmals ein Anlaß zu kränkenden Gefühlen gewesen, wenn ich die Spalten der am meisten gelesenen Blätter der volkreichsten Städte unseres Bundesstaats mit den prahlenden Empfehlungen Englischer, Irländischer, Deutscher, Französischer, Schottischer Gesellschaften angefüllt sah, und deren darin ausgesprochene Gesinnungen weit mehr Fremdländisches als eigentlich Amerikanisches aussprechen. Mildthätige Vereine, so lange Mildthätigkeit ihr Zweck ist, verdienen zwar alles Lob; allein die Institutionen des Vaterlandes, die an sich so großartig und menschenfreundlich sind, werden durch jeden gekünstelten Versuch verletzt, uns die Vorurtheile und die Bräuche eines uns fremden Zustandes der Dinge durch wiederholte Anpreisung aufzudringen. Wenigstens könnten wir den Anpreisungen derselben in den öffentlichen Blättern entbehren, überhaupt der beleidigenden Zurschaustellung, als stehe ihnen das Monopol durch das ganze Land zu. Verständige Reisende beobachten dergleichen, und machen ihre Bemerkungen darüber, und einer von ihnen fragte mich einmal gerade zu: »ob es denn wirklich in Amerika gar keine Amerikaner gebe?« Können wir uns noch verwundern, daß, wenn ein Fremder diese Art Menschen in öffentlichen Blättern und in Gesellschaften sich so hervordrängen sieht (und das mitunter so wohlverdienter maßen), daß ein Fremder solche Leute in ihrem Einfluße überschätzen, und ihren Aeußerungen ein Gewicht beilegen muß, das sie durchaus nicht verdienen? Daß die Europäer aus irgend einer Quelle die falschen Nachrichten geschöpft haben müssen, von denen sie ein halbes Jahrhundert hindurch bethört wurden, ist hinreichend durch die von ihren offenen Vorhersagungen durchaus abweichenden Erfolge bewiesen. Selbst einzelne Amerikaner haben unschuldiger Weise, so viel ich weiß, wirklich zu diesen Täuschungen mitgewirkt, und ich bin überzeugt, daß sie hauptsächlich durch die fremden Handelsleute in den Städten zu solchen Irrthümern verleitet worden sind.

Wir brauchen blos in unsere Zeit zurückzublicken, die Fortschritte der öffentlichen Meinung zu beobachten, und den Einfluß mancher frühern Ansichten, welche von Manchen noch jetzt festgehalten werden, wohl zu erwägen. Vor dreißig Jahren war die Meinung, es sei gefährlich, die niedern Stände im Lesen zu unterrichten, denn dadurch gewönnen sie nichts als die Möglichkeit, schlechte Bücher zu lesen, bei den höhern Ständen in England allgemein im Gange, und gehörte zu den Lieblingsansichten der bevorrechteten Stände. Heutigestages gehört auch in Oesterreich der Volksunterricht zu den festen und bleibenden Grundsätzen der öffentlichen Verwaltung. Ich gestehe, daß es mich kränkt und betrübt, wenn ich bisweilen einem redlichen Amerikaner begegne, der nicht völlig freisinnige und menschenfreundliche Ansichten in Ansehung der Rechte und Ansprüche seiner Mitmenschen äußert. Ich selbst war nie illiberal, wie ich mir zutraue, doch behaupte ich nicht, daß meine eignen Ansichten sich nicht geändert hätten. Denn seit ich aus dem sich täglich wiederholenden Treiben, aus den sich ziemlich gleichbleibenden Verhältnissen, aus den nähern Beziehungen, die mich in meinem Geburtsorte umgeben, herausgetreten, das Treiben, die Verhältnisse, die Beziehungen mehrer fremder Länder zu betrachten Gelegenheit fand, so stehe ich jetzt auf einem Standpunkte, um besonnener um mich blicken zu können, ohne den Einfluß so vieler Nebenumstände, wie dies sonst gewöhnlich ist, zu empfinden. Eine der stärksten Ueberzeugungen indessen, die sich bei mir, durch eine Abwesenheit von mehren Jahren aus meinem Vaterlande, immer mehr befestigt hat, ist die Ueberzeugung, kein Amerikaner könne mit Recht darauf Anspruch machen, daß er wirklich sei, was er sein könnte und sein sollte, der größte unter allen menschlichen Charaktern, die sanfteren Eigenschaften des allgemein christlichen Sinnes unbeschadet, – daß er wirklich ein amerikanischer Gentleman sei, wenn nicht ächte Freisinnigkeit sein ganzes Inneres durchglüht. Unter Freisinnigkeit verstehe ich durchaus nicht jene blendenden Ausdrücke, mit welchen man leichtgläubige Gemüther irrezuleiten pflegt, sondern die geläuterte männliche Ueberzeugung, verbunden mit dem kräftigen, unerschütterlichen Streben, daß Jedermann seine gerechten Ansprüche gleichmäßig erfüllt sehen möge, und daß diejenigen, welchen nothwendigerweise die öffentlichen Angelegenheiten übertragen werden sollen, so viel als irgend möglich, denen, welchen sie dienen, verantwortlich bleiben müssen. Solche Ansichten haben durchaus Nichts mit den Wahlsprüchen jener elenden Partheihäupter gemein, die den Satz aufstellen, das Volk sei untrüglich, aber daß die Vereine nicht untrüglicher Bestandtheile, sogar wenn sie mit verminderter Verantwortlichkeit handeln, zusammen ein untrügliches Ganze zusammensetzen. Diese Lehre ist fast eben so ungereimt, als die Lehren derer, welche behaupten: das Volk sei selbst sein ärgster Feind; wäre letzteres wahr, so müßten diejenigen, die solches lehren, Jedermann abrathen, seine eigenen Angelegenheiten zu verwalten, sondern sie lieber der Verwaltung Anderer anzuvertrauen; denn der Grundsatz findet sowohl bei Gemeinden als bei Einzelnen seine Anerkennung, und was die Interessen der Einen wie der Andern betrifft, so können sie nur dadurch gefährdet werden, daß man die Einen wie die Andern um das Ihrige betrügt.

Ich kann Ihnen den Verdruß und den Unwillen nicht bergen, den mir in dieser Entfernung die Entdeckung verursachte, ich sage Entfernung, und in der That lassen sich solche Entdeckungen immer besser in der Entfernung als in, der Nähe machen, – die Entdeckung, wie weit, wie noch sehr weit die besser erzogenen Stände in Amerika in ihren Ansichten, wenigstens nach meinem einfachen Urtheil, über die Reichthümer ihres Landes zurückgeblieben sind. Noch werden manchmal Meinungen bei uns zu Hause fortwährend unterhalten, die man hier in Europa bereits ganz aufgegeben hat, an die kein verständiger Mensch, zu welcher politischen Sekte er auch gehören mag, mehr denken will; und Behauptungen und Beweisführungen hat man bei uns wiederholt aufstellen gehört, sogar von Mitgliedern des Kongresses, welche der beschränkteste Tory im englischen Parlamente zu äußern nicht wagen dürfte. Auch in England bestehen noch manche wichtige Vorurtheile, die bei uns längst abgeschüttelt worden sind; also darin liegt mein eigentlicher Vorwurf nicht. Meine Bemerkung zielt vielmehr auf gewisse alte liebgewonnene Regierungsmaximen; die noch als Theorien in England lebhaft unterstützt werden, während man sie bereits in der Ausübung als unbrauchbar erkannt hat, und von welchen einige, wie die Theorie von dem Gegengewicht zwischen den verschiedenen Staatsgewalten auch niemals einen andern, als einen blos theoretischen Werth haben konnte. Die eben erwähnte ungereimte Behauptung hat mehre gläubige Anhänger noch jetzt in Amerika, und eine blos augenblickliche Prüfung reicht hin, ihre Falschheit außer Zweifel zu setzen. Die Demokratie irgend eines Landes wird jedenfalls ihre physischen Kräfte haben. Jetzt gebe man der physischen Kraft einer Gemeinde eine gleiche politische Kraft. In dem Augenblicke, wo diese einen erheblichen Vortheil dabei sieht, irgend eine Maßregel zu unterstützen oder unwirksam zu machen, in demselben Augenblicke wird diese Gemeinde ihre Kräfte in Anspruch nehmen, allen übrigen Gemeinden Trotz bieten, und euer gerühmtes Gegengewicht dem Spiele der Winde preisgeben! Noch niemals hat in der englischen Verfassung der geringste reindemokratische Zug bestanden; noch nie haben die einzelnen Gemeinden oder deren Vertreter im Unterhause bei dem Scheine von Unabhängigkeit sich wirklich derselben erfreut, sondern sie sind vielmehr blos Hülfstruppen der Aristokratie gewesen in einer blos veränderten Form. So lange der König noch hinreichende Gewalt besaß, vereinigten sich jene beiden Körperschaften, bis sie ihn aller Macht beraubt hatten, und seit der König immer schwächer ward, so wurden sie nach und nach Eins mit ihm, um alle Vortheile für sich zu behalten. Was nun noch geschehen wird, das werden wir ja erleben.



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