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Vorbereitungen zur Abreise aus Paris. – Reisezurüstungen. – Unser Reiseplan. – Schloß Ecouen. – Das Kreuzfenster. – Senlis. – Peronne. – Cambray. – Ankunft an der Grenze. – Abweichung des Nationalcharakters. – Mons. – Brüssel. – Ein Volksfest. – Die Gemäldegallerie. – Wahrscheinliche Theilung Belgiens.
Mein lieber – –
Wir hatten schon geraume Zeit Vorbereitungen zu unserem Sommerausfluge gemacht, waren aber nicht im Stande, vor dem 18. Juli Paris verlassen zu können. Das Ziel unserer Reise blieb unbestimmt, da Gesundheit und Vergnügen einzig unser Zweck war. Weil aber ein Theil unserer Gesellschaft Belgien noch nicht gesehen hatte, so war man darüber einig, dieß Land im Anfange zum Ziele unserer Reise zu wählen, möchte auch das Ende derselben sein, wo es wolle. Die alte Kalesche wurde daher zu diesem Zwecke ausgerüstet, mit einem Hintersitz für François und Jette (die sächsische in Deutschland gedungene Kammerzofe) eingerichtet, der Waschbehälter oberhalb befestigt, die Flaschenkeller gefüllt, die Pässe unterschrieben und die Postpferde bestellt. Wir pflegen uns auf die Leichtigkeit, in Amerika zu reisen, nicht wenig einzubilden; und es leidet keinen Zweifel, daß so lange einer dort im Dampfboote oder auf der Eisenbahn sich befindet, und mit der Schnelligkeit zu reisen sich genügen läßt, sich kein Theil der Welt mit uns messen kann, in Rücksicht der zurückgelegten Entfernungen; aber wir entbehren durchaus den höchsten Reisegenuß, der ohne Frage nur durch die Extrapostfahrt erreicht werden kann. Mittelst dieser Art zu reisen, bleibt der Reisende seiner eigenen Laune überlassen und kann über seine Zeit nach Gutdünken verfügen, kann sich hinbegeben, wohin es ihm gefällt, und sich aufhalten, wo und so lange es ihm gutdünkt; und was die Schnelligkeit betrifft, so kann man, wenn man will, gemächlich zehn (englische) Meilen in einer Stunde zurücklegen, wenn man eine Kleinigkeit mehr bezahlt, oder man kann auch mit halb so großer Eile reisen, wenn man solches vorzieht. Dabei darf ein guter Bedienter und ein guter Wagen nicht fehlen, und beide kann man recht billig in diesem Theile der Erde sich anschaffen.
Noch nie empfand ich die Vortheile dieser Art zu reisen, nachdem ich, wie ich glaube, bereits alle Arten des Reisens versucht habe, so wie die Vortheile der Pariser Lebensart überzeugender, als bei dieser Gelegenheit. Bis zum letzten Augenblicke war ich unentschlossen, welchen Weg ich wählen sollte. Der Hausrath in unserer Wohnung war mein Eigenthum, und unsere Absicht war, nach Paris wieder zurückzukommen, um den nächsten Winter hier zu bleiben. Unser Gepäck war am Morgen früh aufgepackt worden. Der Wagen stand im Hofe zum Anspannen bereit; und um zehn Uhr saßen wir noch gemächlich beim Frühstücke, wie gewöhnlich, ohne daß irgend etwas in unserer Umgebung den nahen Aufbruch erwarten ließ. Gleich alten Reisenden vom Fach, hatten wir unser Gepäck auf kundige Weise auf den kleinsten möglichen Umfang reducirt; so wurde in unserem Hausrath nichts verändert oder verstört, sondern Alles blieb in der gewohnten Ordnung. Hieraus können Sie sich vorstellen, wie wenig Umstände hier das Reisen macht, wenn Sie dabei berücksichtigen, daß hier überdieß von einer Familie von Fremden die Rede ist, die gleichwohl im Begriff war, in einer halben Stunde eine Reise von mehreren Monaten anzutreten, und die noch nicht wußte – wohin.
Fünf Minuten vor Zehn zeigte das Knallen der Peitsche uns die Ankunft der Postpferde an. Die portecochère öffnet sich, und zwei Anhänger der alterthümlichen Stiefel kommen herein, jeder ein Pferd reitend, das andere führend. Alles dieß geschieht in der Stille, und als müsse es so sein; die Rosse werden eingespannt, ohne unnützes Ausfragen, und die beiden gerüsteten Reisigen stellen sich jeder neben sein Gespann. Unterdessen sind wir in die Kalesche gestiegen und haben der Köchin Lebewohl gesagt, welcher die Obhut der Wohnung anvertraut wird, ein Auftrag, der auch eben so gut blos dem Portier hätte gegeben werden können; wir winkten der Familie des Herrn von V – – unsere Abschiedsgrüße zu, so wie den übrigen Bewohnern des Hotels, die gedrängt aus den Fenstern blickten, um uns abreisen zu sehen. Noch bis zu diesem Augenblicke war ich nicht mit mir einig, welchen Weg wir nehmen würden! Unser Paß lautete nach Brüssel, und in jenem Jahre, wie Ihnen erinnerlich sein wird, reisten wir dahin über Dieppe, Abbeville, Douay und Arras. Das: » Par quelle route, Monsieur?« des Postilions, der das Sattelpferd ritt und mit einem Fuß im Steigbügel stand, im Begriff, sich aufzuschwingen, brachte mich zum Entschluß. – »A St. Dénis!« Die Frage machte eine Antwort nöthig, und meine Zweifel endigten, wie Zweifel zu endigen pflegen, indem man den nächsten betretenen Pfad einschlägt.
Der Tag war kühl und äußerst windig, während das Thermometer am vorigen Nachmittag unverändert auf 98° im Schatten gestanden hatte. Wir waren genöthigt, mit geschlossenen Kutschenfenstern zu reisen, da das Wetter durchaus winterlich sich anließ. Als wir durch die Straßen fuhren, riefen gemeine Weiber hinter uns her: »die dort flüchten vor der Cholera;« eine Beschuldigung, die, wir wußten es wohl, unverdient war, da wir in den schrecklichen Monaten April und Mai nicht von der Stelle gewichen waren. Aber die leidenschaftlichen Aeußerungen des großen Haufens beobachten eben so wenig richtige Unterscheidungen, als die Lieblingsmeinungen der Großen; der irrige Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß man den einen Theil für besser hält, als den andern.
Als wir den Ort erreichten, wo die Könige von Frankreich begraben liegen, so faßten wir den Entschluß, in Senlis zu übernachten, das nur noch vier Stationen weiter entfernt lag, nehmlich die kleine Stadt, die uns bei unserem Besuch im Jahre 1827 so sehr gefiel. Diese Abschweifung von der geraden Richtung führte uns an Gonesse vorüber und durch einen Bezirk von Kornfluren, der weniger einförmig war, als die meisten Heerstraßen, die von Paris ausgehen. Wir hatten eine hübsche Aussicht nach dem Schlosse Ecouen, welches sich groß und stattlich ausnahm in seiner Lage auf einem freien Hügel. Ich weiß nicht, in welche Hände dieser ausgedehnte Bau seit dem unglücklichen Abscheiden des letzten Prinzen von Condé gefallen ist; doch hoffe ich, daß es dem jungen d'Aumale zugefallen ist, denn dieser rühmt sich, wenn ich nicht irre, der Abstammung von den Montmorency's mittelst irgend einer Zwischenheirath, und ist dieses nicht der Fall, so stammt er doch aus einem Geschlechte, das gewohnt ist, in Palästen zu wohnen. Ich glaube wenigstens nicht zu erleben, daß diese historischen Bauten sämmtlich in Manufakturgebäude umgewandelt werden; noch bin ich nicht so sehr den neuern Nützlichkeitsansichten ergeben, um zu glauben, daß die Poesie des Lebens nicht ebenfalls beitragen könne, die Welt zu bessern oder ihr zu nützen. Der kalte nakte Utilitarier trägt ein Schwerdt, das eben so wohl Beulen schlägt, als es schneidet; und der athemlose, schachernde Aristokrat, gleich dem Taschendiebe, der im Gedränge wider uns anrennt, ehe er seinen Diebstahl begeht, trägt eines, das eben so gut schneidet, als es Beulen versetzt.
Wir befanden uns in Ecouen kurze Zeit vor dem Tode des letzter Besitzers, und besuchten seine weiten aber verlassenen Hallen mit warmer Theilnahme. Diese Burg war zuerst von einem Montmorency, wie ich glaube, während oder doch um die Zeit der Kreuzzüge erbaut worden, hat aber seither viele Veränderungen erlitten. Noch jetzt enthält es manche merkwürdige Spuren des Geschmackes jener alten Zeiten. Der alte Diener, der uns durch das Gebäude herumführte, war ein eben so treues Ueberbleibsel, als wir eins irgend an dieser Stelle sahen. Er hatte die Familie des Besitzers ins Exil begleitet und viele Jahre mit ihr in England zugebracht. Im geschmeidigen, ehrfurchtsvollen und zarten Benehmen würde er dem Hofe Ludwigs des Vierzehnten Ehre gemacht haben: auch war sein Verstand seines feinen Betragens nicht unwürdig. Dieser Mann war übrigens der einzige Franzose, von dem ich jemals erfahren, daß er einen Engländer, (oder, wie dieß mit mir der Fall war, den er für einen Engländer hielt) nach der ehemaligen Weise, mit Mylord angeredet hatte. Dieser Gebrauch ist nehmlich, so viel ich erfahren, ganz abgekommen.
Ich erinnere mich, daß ich von diesem höflichen Alten den Ursprung der gewöhnlichen Benennung croisée gelernt habe, die häufig in großen Gebäuden statt des sonstigen Ausdruckes fenêtre gebraucht wird. Zu jener Zeit nehmlich, als jedes Mannes Herz und Wunsch von der Aufregung und der Theilnahme für die Kreuzzüge erfüllt war, und man noch wähnte, sich mit dem Schwerdt den Weg in den Himmel zu erkämpfen, da war das Kreuz ein Sinnbild, das in keinem Schmucke fehlen durfte. So ließ man in der Mauer die Oeffnung für das Fenster auch nicht der Zierde eines steinernen Kreuzes in der Mitte entbehren. Die verschiedenen Abtheilungen der Gemächer wurden ebenfalls der Gestalt des Kreuzes nachgebildet, wie das Wort croisée von croix. Alles das ist ziemlich einfältig, und es giebt wohl wenig Leute, die dieses nicht wüßten; aber während ich die Verzierungen im Schlosse Ecouen betrachtete, fielen meine Augen auf dessen Thüren, und da entdeckte ich Kreuze in den gebräuchlichsten Dingen. In Amerika giebt es kaum irgendwo eine panellirte Thüre, die älter als zwanzig Jahre wäre, die nicht ebenfalls augenscheinlich diesen uralten Eifer bekundet, oder, wenn Sie wollen, von dem frommen Aberglauben entschwundener Jahrhunderte Zeugniß giebt. Die Form der Thüre besteht aus dem äußeren Rahmen, in dessen Mitte ein Kreuz eingefügt ist, und die Zwischenräume sind mit dem Getäfel gefüllt, wie das Gestelle eines Fensters mit Scheiben. Die Genauigkeit in der Form, das Alterthum dieser Gewohnheit, seine Uebereinstimmung mit dem gewöhnlichen Geschmack und das Unthunliche, eine andere Ursache für diese gebräuchliche Einrichtung sonst woher aufzufinden, lassen über den von mir angegebenen Ursprung derselben, wie ich meine, keinen Zweifel übrig; obschon ich mich nicht entsinne, bei irgend einem Schriftsteller eine ähnliche oder abweichende Meinung über diesen Gegenstand gelesen zu haben. Wenn meine Vermuthung gegründet ist; dann haben wir Protestanten, obschon wir aus Widerwillen, um nicht zu sagen, aus Thorheit, dieses Sinnbildes uns begeben hatten, weil wir das Vorurtheil hegten, es vertrage sich nicht mit der Reinheit unserer Glaubensmeinungen, dennoch, ohne es selbst zu wissen, das Kreuz in unsern gewohnten Umgebungen immer beibehalten. Indessen sind die Tage der puritanischen Vortrefflichkeit, wie der puritanischen Gebrechlichlichkeit gezählt (und es ist Nichts gebrechlicher als Selbstüberschätzung und der daraus hervorgehende Mangel an an Nächstenliebe), denn die Menschen fangen allmählig an, einen Unterschied zwischen den Uebertreibungen der Religionsschwärmerei und der sanften Duldung des reinchristlichen Sinnes zu machen. Ich kann wohl sagen, daß ich niemals niederträchtigere, entwürdigendere und gemeinere Schlechtigkeit, sowohl in Worten als in Werken, anzutreffen das Unglück hatte, als ich bei Leuten, mit denen ich auf der Schule bekannt wurde und in nähere Berührung kam, Söhnen jener frömmelnden Vorfahren, entdeckte, die nicht allein sich selbst für Heilige hielten, sondern auch wähnten, die Stammväter ganzer Heiligengeschlechter werden zu müssen. Es ist eine traurige Wahrheit, daß eine anständige ehrenfeste Sitte weit mehr zur Unterdrückung jener Verkehrtheiten beiträgt, als alle Dogmen, welche jene Frommen in das Land eingebracht haben.
Wir erreichten Senlis noch zu rechter Zeit, um unser Mittagsmahl zu halten, und während dieses bereitet wurde, strichen wir im Orte umher, um die Gefühle in uns zu erneuern, mit welchen wir vor fünf Jahren diese Umgebungen betraten. Aber, leider! diese Freude, wie jede andere Freude der Jugend, läßt sich nicht nach Launen wieder zurückrufen. Kaum konnte ich mich überzeugen, daß es noch dieselbe Stadt sei. Die Mauern, die ich mir damals mit den bewaffneten Mannen der Karle von Frankreich und der englischen Heinriche und Eduarde besetzt träumte, hatten jetzt alle einzelnen Reize für mich verloren und erschienen mir unansehnlich und ganz gewöhnlich; und das Thor, von welchem wir damals die Trompetenklänge der Herolde vernahmen und die stolzen Antworten auf die kecken Aufforderungen zur Uebergabe, konnten wir kaum für dasselbe wieder erkennen. Halb Europa war aber seit der Zeit durchzogen worden, seit wir, als Neulinge von Amerika gekommen, jenen ersten Besuch hier machten, und noch eben recht aufgelegt waren, jeden Ueberrest früherer Jahrhunderte und verschollener menschlicher Verhältnisse anzustaunen.
Nachdem wir durch das Gefühl der Fehlschlagung verstimmt, von der Alterthümerschau aus der Stadt zurückkamen, wurden wir im Gasthofe desto angenehmer überrascht. Wir fanden alles sauber, erhielten ein gutes Mahl, und, was in Frankreich fast durchgehends der Fall ist, wir bekamen auch gute Betten. Ich entsinne mich nicht, jemals ermüdeter gewesen zu sein, als mich diese kurze Strecke der fünf Stationen von Paris aus bis hierher gemacht hatte. Das schlechte Pflaster, das achtungslose und nachlässige Fahren der Postilione, bei denen es ein Ehrenpunkt ist, über das schlechte Pflaster in den Dörfern im Galopp zu jagen, und die überdieß ein ausgezeichnetes Mitgefühl für die Schmiede haben, machen immer die acht oder zehn, Paris zunächst befindlichen Stationen zu den unangenehmsten Reisen aus oder nach der französischen Hauptstadt.
Um sechs Uhr speisten wir, durchmusterten die Sehenswürdigkeiten von Senlis, und es war noch heller Tag, als wir uns niederlegten!
Der folgende Morgen war erfrischend und angenehm, und so wandelte ich dem Wagen voraus. Ein Holzhauer war auf einen Gang in den Wald begriffen, um Reisig zu hauen, und wir knüpften ein Gespräch mit einander an. Der Mann versicherte mich, er könne nur zehn Sous mit seinem Tagewerk verdienen! Die Aussicht nach dem Kirchthurme von Senlis war herrlich, und dieses weckte leise Erinnerungen an das fünfzehnte Jahrhundert.
Sie sind ebenfalls gereist, und mit mir so oft von und nach Paris gekommen, daß ich nichts weiter hinzufügen kann, als daß wir dieselbe Eintönigkeit bei dieser Gelegenheit, wie sonst jedesmal, empfanden. Wir kamen bei guter Zeit nach Peronne und bestellten gute Betten. Vor dem Essen spazierten wir um die Wälle, die für sich allein recht hübsch sind, wiewohl die Stadt sich in einer Moorgegend befindet, wodurch sie eben so wenig leicht einzunehmen ist, als sie uns für sich einzunehmen vermochte. Vergebens forschten wir nach einigen Zügen, um das Gemälde von »Quentin Durward« wiederaufzufrischen. Nichts, das einem Soldaten ähnelte, war im Orte zu sehn, obschon man mit dem Bau von Baracken beschäftigt war. Die Franzosen sind augenscheinlich an dieser Grenze weit weniger auf ihrer Huth, als an der östlichen, oder der Oesterreich berührenden Linie.
Am nächsten Morgen darauf frühstückten wir in Cambray. Hier fanden wir eine Garnison und bemerkliche Lebhaftigkeit. Die kleine Veste hat eine hübsche Lage und die Esplanade bietet einen angenehmen Spaziergang dar. Wir besuchten die Hauptkirche und sahen ein Denkmal Fenelons von unserem Freunde David; dieses Kunstwerk erfreute uns nicht wenig; es gehört zu seinen vorzüglichsten Arbeiten. In der Nähe von Valenciennes brach uns etwas am Fuhrwerk entzwei, und wir mußten uns deßhalb zwei Stunden aufhalten. Hier befand sich eine weit zahlreichere Garnison, der Ort selbst war in besserm Vertheidigungszustande, und die Truppen zogen mit ihrem auf einem Marsche erforderlichem Gepäck auf die Wache; die Ursache von dem Allen war, daß dieses die letzte befestigte Stadt an der Straße ist. Vor sieben Uhr konnten wir die Grenze nicht erreichen, und die französischen Postilione brachen nochmals eine Felge entzwei, ehe wir ihrer los werden konnten, wodurch wir wieder eine Stunde lang aufgehalten wurden. Jetzt befanden wir uns in einer niedrigen sumpfigen Gegend, eben recht für die Cholera geeignet; es war gerade die Stunde, in welcher die kleinen miasmatischen Unholde am thätigsten sein sollen, und was das Maß voll machte, wir hörten, die Cholera sei wirklich im Dorfe. Die Kutschenfenster wurden zugemacht, während ich von Thür zu Thür weiter spazirte, um meine Unbehaglichkeit durch den Reiz der Neugier zu mildern. Die Gewöhnung hatte uns aber ziemlich gleichgültig gestimmt, und unser kleiner P – – brachte Alles ins Reine, indem er bemerkte, es habe hier gar nichts zu sagen; denn hier stürben täglich nur zwei oder drei Menschen, statt daß deren in Paris tausende hingerafft würden! Aeltere Köpfe beruhigen sich bisweilen auch in bedenklichen Lagen durch keine triftigeren Gründe.
Die Verschiedenheit des Nationalcharakters ist, sobald man Belgien betritt, so offenbar, daß solches allen Reisenden auffallen muß. Die ganze Gegend gehörte vor nicht gar langer Zeit zu Flandern. Dieselbe Sprache wird noch gesprochen; dieselbe Religion in beiden Ländern heilig gehalten, und dennoch scheint ein eigenartiger moralischer Einfluß von beiden Hauptstädten aus sich durch jedes derselben zu verbreiten, bis sie einander an der Grenze begegnen, wo man sich beiderseits durch die geographische Trennung abgesondert hält. In dieses Dorf zogen wir im Gallopp ein, während wir mit der leichtherzigen französischen »étourderie « darauf los fuhren, und verließen den Ort ganz gelassen, unter der Leitung von Postilionen, welche in philosophischer Ruhe schmauchten, während ihre ungeschlachten Rosse gleich Elephanten trabten.
Es war schon spät, als wir in Mons ankamen und in ein Gasthaus einkehrten, das ohne die geringste Ausnahme reinlich war; daher eilten wir am andern Tage auch ganz und gar nicht mit der Weiterreise. Der Abstand von Brüssel war zu gering, so daß wir ganz nach Bequemlichkeit uns auf den Weg machten, und schon um drei Uhr im Hotel de l'Europe uns befanden. Es war gerade ein festlicher Tag; die Jahresfeier des Einzugs von König Leopold, der jetzt gerade ein Jahr lang regiert hatte. Während wir noch bei Tische saßen, kam er an den Fenstern vorüber, um sich ins Theater zu begeben. Das königliche Gefolge war nicht sonderlich glänzend, es bestand aus vier zweispännigen Wagen, die übrigens dem Kutscher hinreichende Arbeit machten, als sie den furchtbaren Abhang von dem großen Platze herabkamen.
Jetzt sind Sie mit mir schon dreimal in Brüssel und ich werde den alten Weg nicht nochmals durchmustern. Blos einige vorzüglich interessante Stellen besuchten wir von neuem, und nahmen auch einige früherhin übersehene Gegenstände in Augenschein. Unter andern thaten wir einen Blick in die frühervergessene Gemäldegallerie, die unsern Erwartungen durchaus nicht entsprach. Die flanderische Schule erregte bei uns natürlich große Erwartungen; aber nur ein herrliches Werk von Gerard Douw und einige andere Gemälde machten auf uns einen guten Eindruck; was aber die ganze Sammlung betrifft, so räumten wir der Malerei der neuern Zeit den Vorzug ein.
Es scheint, daß der König eine große persönliche Popularität besitzt, denn selbst diejenigen, welche meinen, der jetzige Zustand der Dinge werde nicht lange dauern, und die deßhalb seine politischen Gegner sind, pflegen mit Achtung von ihm zu sprechen. In der Stadt befinden sich nur wenige Fremde, obgleich es hier durch die Anwesenheit des Hofes jetzt viel lebhafter geworden ist, als dieß in frühern Jahren der Fall war. Die Aussichten des Publikums sind indessen ziemlich trübe; denn dieses Reich kann vielleicht schon in einer Woche zu einem Kriege um seiner Selbsterhaltung willen gezwungen werden. Gar Viele halten dafür, die Sache werde durch eine Theilung beendigt werden, wobei Frankreich, Preußen und Holland die Hauptantheile erhalten würden. Ich zweifle übrigens nicht, daß Jedermann aus einer Veränderung der Dinge Vortheil ziehen könne, diejenigen ausgenommen, welche diese Veränderung veranlassen mögen.