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Eine Stille und Weite, deren Unfaßbarkeit an das Grenzenlose eines Weltausklanges gemahnte, lag über den Hainen und Gebäuden, über den italiotischen Bergen und dem Meere, als der Sonnendiskos, von Streifen Dunstes zerschnitten, seinen Weg vollendet hatte und hinabgetaucht war.
Gläserne Röte überzog aufsteigend sogleich die westlichen Nebelzonen und schob sich höher und höher hinauf zum Scheitelpunkte des Himmelsbogens.
Pythagoras aber saß träumend und versunken in einem Thronsessel auf dem flachen Dache des großen Saalbaues. Und nur ab und zu hob ein leises schweres Atmen seine Brust.
Theanó kniete vor ihm und lehnte wehmütig ihr Haupt an sein Knie, während die Hand des Philosophen leicht und zärtlich auf ihrem Haar ruhte.
Leiser und leiser wurden die Atemzüge des Erhabenen, und die Dämmerung senkte sich nieder.
Unbewegt blickte er gegen Osten, wo die ersten Sterne in sonderbar glitzerndem Glaste aufblinkten.
Doch die Röte des Westens erlosch nicht.
Greller wurde ihr Schein und erfüllte die ganze Halbkugel des Niedergangs. Und sosehr wallte die rote Wand, daß Theanó die flüsternden Worte des Weisesten nicht sogleich verstand, da sie entsetzt in die Lohe blickte, die über Kroton aufstieg.
»Hörst du sie nicht, die herrliche Harmonie der Sphären?« hauchte noch einmal Pythagoras. »Was läßt du dich blenden vom Scheine verzehrender Flammen? Höre, Theanó, wie sie rauschen und klingen! – Wie sie vollbrausend mich beflügeln! – Die Erde sinkt zurück! – Lichter wird es um mich – der Äther schimmert – die Wand des äußersten Sphärenkreises bricht klaffend entzwei. – Der Thron des Guten! – Er, der Unerforschliche! – Auf Wiedersehn im Lichte!– – – Leb wohl, du Große, du Herrliche, du Treue!«
Verwehend in den kühlen Hauch des Abends verklangen die Worte.
Sein Auge aber strahlte selig und leuchtend zum verborgenen Lichte und sein Antlitz erschimmerte in mystischer Verklärung.
Die Zeit war zersprengt und glitt unmerklich an der Stunde höchster Erlösung vorüber.– – –
Da kniete, atemlos und zitternd, plötzlich der Knabe Lysis vor dem Erhabenen.
Theanó aber stand steinern auf, als sie den Epheben wahrnahm, und fragte leise:
»Was schuf das Entsetzen, das in deinem Antlitze sich spiegelt?«
Lysis aber schlug die Hände verzweifelt vor die Augen und flüsterte:
»Ein neues Chaos brandet heran, o Theanó!«
Theanó jedoch sann lange vor sich hin. Dann sagte sie plötzlich mit lauter Stimme:
»Du irrst, Knabe! Vielleicht nur strebten seine Schüler, er selbst, ich, wir alle, noch zu sehr nach irdischer Macht und unterwarfen so den sterblichen Teil unsres Werkes dem irdischen Kreislaufe. Was aber unser Geist dem Chaos abrang, wird stehen bleiben; wird das, was du das neue Chaos nanntest, wieder zum Kosmos bilden. – Was aber geschieht dort, Knabe, wo der lodernde Schein emporkriecht?«
»Der Demos hat das mächtige Haus der großen Hetairie in Brand gesteckt, o Theanó! Sie kämpfen sich zu den Schiffen durch, die Brüder, zu den Schiffen, die uns die Freunde aus Rhegion sandten. Ich aber rannte, gehetzt und verfolgt, auf Umwegen hieher!« Und der Knabe schluchzte wild auf. Dann seufzte er in die Nacht hinaus: »Und er, er, der Erhabene, hört nicht mehr meine Stimme!«
Da lächelte Theanó durch all die Tränen, die auch in ihren Augen schimmerten. Und legte dem Knaben die Hand auf das Haupt. Dann erwiderte sie fest:
»Er hört dich, Ephebe! Denn
selig den Leib verlassend, schwang er sich
empor in den Äther,
ist der Unsterblichen einer, ein lichter Gott
und kein Mensch mehr!«
Lysis aber begann zu beben. Dann sagte er dumpf und traurig:
»Was sprichst du, Erhabene? Lästerst du nicht die Gottheit?«
Da hob sich die Gestalt des Weibes plötzlich zu all ihrer Größe und Schönheit. Und sie antwortete mächtig und unbezwinglich:
»Ich lästere nicht, Knabe! Denn, was sterblich an ihm war, was auf Erden zu tun blieb, werde ich weiterführen. Er aber ist eingegangen in das Reich des unterbrechungslosen Lichtes. Autós épha! Verstehst du mich, Ephebe? Er selbst hat es gesagt!«
Da beugte sich Lysis tief gegen die Fliesen und betete zum Geiste, der den Kreislauf der Wiedergeburten vollendet hatte. Und er flüsterte scheu und gläubig: