Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Nicht fern von Erichs Hofstätte trafen Anschar und Brun den Helden. Alles Volk strömte gespannt und teilnahmsvoll zusammen.

Stumm eilte der Held dem Christen entgegen und sank vor ihm ins Knie. Dieser ahnte, was in dem Innern des Mannes geschehen war. Um ganz deutlich zu sehen, beschloß er, mit scharfen Worten sein Herz zu treffen:

»Wilder, stolzer Mann,« begann er, »dir hatte unser Gott schon lange ins Herz gegriffen; aber du wolltest es nicht fühlen, und tobtest nur um so ärger dagegen. Du hast es nicht wahrhaftig geglaubt, daß du die Franken besiegen könntest. Ganz leise aber deutlich hat dir eine Stimme ins Ohr geraunt: du wirst es nicht vollbringen, du wirst nur einen Brand anzünden, der wird nicht ablassen, bis alle Hütten deines Volkes in Asche liegen. Aber da riefest du, um jene Stimme nicht zu hören: Rache, ich will nur Rache! und wenn du deine Rache hättest, wenn die Priester erschlagen hingestreckt waren: dann winkte dir das Meerschiff; als Räuber ließest du die zerstörte Heimat hinter dir. Ja, du wolltest dieses Ende nicht sehen, aber ganz im Geheimen, da hast du es doch geahnt.«

»Halt ein, halt ein!« rief jetzt Erich, und angstvoll, verzweifelnd schaute er zu Anschar empor, »du siehst in alle Tiefen meiner Seele hinein, wohin ich selbst nicht zu blicken wagte. Laß als Knecht mich fortziehen, auf dem ödesten Heidehofe will ich dienen, nicht mehr soll mir das edle Brod munden, keine Freude und Wonne will ich kennen; nur eines bitte ich: sage, daß der große Christ mir verzeiht, dem ich seinen besten Mann geraubt habe.«

In ein angstvolles Angesicht schaute Anschar. Da vermochte er es nicht mehr zu ertragen. Er beugte sich zu ihm nieder und hub ihn empor. »Du armer, wunder Mann, komm zu mir,« sagte er, »du bist mein Bruder. Der gütige Christ wird dich heilen. Bleibe bei uns! Weib, Kind und Ehre giebt er dir zurück.«

Mit beiden Händen hielt Erich des Christen Rechte umfaßt. Und der zog sie nicht zurück. Da fühlte Erich, daß er Glück und Leben zurückempfangen habe.

Schweigend stand die Menge um die beiden. Endlich brach Erich die Stille, er sah Oskar unter dem Volke. Da ging er auf ihn zu, faßte herzlich seine Hand und sprach:

»Du bist von uns allein ohne Zweifel mit starkem, beharrlichem Gemüt deinen Weg gegangen, und dein Weg war der rechte. Kühn war er und grad, wie denn auch der Weg der Christenmänner. Verstoßen hatte ich dich, ich habe dich wiedergewonnen, Bruder. Wohl bist du wert, den Schwertgürtel zu tragen. Willst du dennoch dem Ring der Volksgenossen entsagen, noch eh du hinein trittst? Willst du dich dem Christengott weihen zum eigenen Mann, wie es Johannes war? Als ein lebendig Dankopfer bringen wir dich unserm neuen Gott.«

Oskar antwortete mit leiser Stimme zu Anschar gewandt: »Ich bin ein wilder Sachsenknabe und nicht gewohnt der Sitten des milden Friedefürsten. Ich kenne nur den Brauch der Jagd und der Rosse und der See. Doch willst du mich eure Weisheit lehren?«

»Der Mannendienst vor dem Himmelskönig ist schwer,« antwortete Anschar ernst »und nur wer sich freiwillig darbringt, den heißt er willkommen.«

Da zog Oskar mit der Linken aus seinem Gürtel den Dolch, und die wunde Rechte langsam erhebend faßte er eine seiner blonden Locken und schnitt sie ab, bot sie Anschar und sagte nun laut und fest: »So trenne ich mir der alten Freiheit Zeichen vom Haupt, dem König Jesus will ich ganz gehören.«

Die zitternden Hände legte ihm Anschar segnend aufs Haupt.

Schwer war es, um dieses Volk zu werben. Aber stark waren seine Männer in der Treue und völlig gaben sie sich hin, wenn sie gewonnen waren. Wohl erkannte es Anschar: »Noch manchen Mann,« so sprach er, »braucht der neue Volksherr und liebe Fürst Jesus Christ. Noch viele Helden wird er sich rufen, daß sie ihm dienen mit ihrem Leben und ihrem Blut, und für ihn alle Völker werben. Denn siehe, er wird herrschen stark und milde über die ganze Erde. Ja, Oskar, ich will dich bilden zu einem Streiter des Christ. Als sein Mann sollst du stehen in deinem Volke und sollst es ihm bewahren mit deiner Kraft, deiner Treue, deinem Leben. Sehet, über dem Haupte dieses Knaben, der sich darbringt ein freiwillig Opfer, schließt der große Friedefürst seinen Bund mit euch.«

Jetzt, wo die Menge freudig bewegt durcheinander flutete, drängte es Erich, die Eine zu begrüßen, deren Anblick in den Reihen des Volkes ihn schon lange erquickt und getröstet hatte über die Trümmerstatt, die er an Stelle seines väterlichen Hofes sah. Noch geschmückt mit den goldenen Spangen und Halsketten, die sie nachts in solcher Weise gerettet, stand Bertha. Still umarmte Erich die Gattin, dann flüsterte er ihr zu: »Geziert wie eine Königin steht mein Ehegemahl unter dem Volke.« »Deine Schätze sind gerettet,« erwiderte sie, »und dein Erbe thront schon wieder auf seiner Burgstatt, die er in Flammen verließ.« Sie ergriff Erich bei der Hand und führte ihn zu ihrem Hofplatz hinüber. Am Thor des Walls saßen die zurückgekehrten Mägde, einige den Feinden entronnene Kühe waren wieder eingefangen. Eine der Mägde wartete den kleinen zappelnden Liudolf. Erich kniete neben seinem Kinde und küßte es, das dem Vater entgegenjauchzte.

Über die Trümmerstätte schritten Mann und Weib, und Bertha erzählte, wie sie selbst den Brand angelegt, um die Feinde zu täuschen, und wie sie glücklich entkommen. Als sie geendet, da standen sie Arm in Arm; neue Hoffnung, neue Zuversicht zog ein in ihrem Herzen. Da sprach sie, indem sie zärtlich seine blonden, frei wallenden Locken strich: Siehe, wir waren geworden wie lose Blätter, die von herbstlichen Winden dahingetragen werden. Nun haben wir gefunden einen neuen Stamm und frischen Saft. Nun jubeln alle Finken in doppelter Lust und herrlicher umwallt uns die Himmelsluft.«

Freundlich küßte Erich sein Weib, dann sprach er: »Jetzt muß ich dessen gedenken, der für uns gestorben ist. Noch liegt des Treuen Leib am Seegestade.« – – –

Ein kleiner Trupp stieg zum Strom hinab und wanderte auf dem Ufersande zu der Stelle zurück, wo Johannes gefallen war. Die Sonne war untergegangen, das letzte Lied der Drossel verklungen. Dunkel wurden allmählich die Wasser, unhörbar leckten sanfte Wellen wie flüssiges Krystall auf den Sand. Das war das leise Atmen des Stromes. Lämmerwölkchen tauchten aus dem blauen Himmel hervor. Im Osten strahlte schon milde der Abendstern über den schweigenden Wäldern, die die Gestade des Flusses geleiten. Noch lagen die gefallenen Streiter unbeerdigt hier und dort am Ufer, und kreischend aufflatternde Raubvögel und Krähen störten den Frieden des Abends, als die Schritte der Männer im Sande knirschten.

Sie waren bei Johannes Körper angekommen. Erich hatte sein Haupt mit dem eigenen mächtigen Schilde gedeckt und andere Schilde Erschlagener herzugetragen. Nun hub er den schützenden Schild fort; Blut klebte in dem kurzen blonden Haar und auf der weißen Stirn. Aber das Angesicht war nicht entstellt, ja, ein Lächeln des Sieges glaubten sie auf den schönen Zügen zu sehen. In stiller Andacht sahen sie auf den Toten, die Brüder getreu aneinander geschmiegt, Anschar zu Häupten mit gefalteten Händen, Brun zu den Füßen, nachdenklich auf die Lanze gestützt.

Jetzt knieten die Brüder neben dem Toten und richteten sein stilles Haupt empor, als wollten sie ihn zum Zeugen machen des neuen Bundes.

Aus dem dunkleren Himmel brachen die Sterne hervor; sie mochten wohl schon viel tausendmal in der feierlichen Pracht der Sommernacht über diesen mächtigen Strom hingezogen sein, seit die Gletscher des Nordens von hier zurückwichen, und Eiche und Buche diese Gestade besiedelten. Auch schon unzählig oft, seit zuerst der Jagdruf germanischer Männer in dem tiefen Waldesschatten erklang. Aber heute zuerst sahen sie an diesem wilden, schönen Strande Menschen, die durch heilige werbende Liebe und herbes, schweres Leid überwältigt wurden und nun ahnten das tiefste Geheimnis, das höchste Ziel der Schöpfung, daß Gott lebt und herrscht in den Seelen seiner Menschenkinder.


 << zurück