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An einer Bucht des breiten Sees, den der kleine Alsterfluß bildet, auf einem flachen grünen Hügel erhoben sich Rasenwälle und starke Pallisaden, daneben ein hölzernes Kirchlein und einige strohgedeckte Blockhütten, ein Glockenturm und ein neues großes Haus, an dem noch gebaut ward. Das war Hammaburg, das war die dürftige Wiege der üppigen Seekönigin. Mitten in die Wildnis von Urwald, Sumpf und ungeregelten Wasserarmen war sie gestellt, preisgegeben den finsteren Winternächten, dem krachenden Frost, den heulenden Stürmen, und den noch viel schrecklicheren Stürmen heidnischer Normannen, Dänen und Slaven. Sorgenschwer schritt an diesem Morgen Anschar aus seiner Hütte, der große Erzbischof, den Kaiser Ludwig der Fromme ausgesandt, den Völkern des Nordens den Christenglauben zu bringen. Tiefauf seufzte Anschar, als er auf die leeren, verfallenden Hütten sah. Alle seine Mönche hatten ihn verlassen, Angst und Not hatte alle Zucht gelockert, der Mangel an der notwendigsten Nahrung und die stete Gefahr.
Heute schaute ein blauer Sommerhimmel auf die brüllenden Herden und die jungen Kornfelder ringsum: geschwindes Wild sprang aus dem dichten Walde hervor, warf einen verwunderten Blick auf die Schöpfung der Menschen und verschwand wieder.
Der hohe, bleiche Mönch schritt still den Hügel hinab, dem See zu. Wo eine Eichenwaldung dem Wasser ganz nahe rückte, da ließ er sich nieder, auf seinen Schoß breitete er ein Evangelienbuch, bald legte er die Hände zusammen zu inbrünstigem Gebet, bald versenkte er sich in die Schrift. Er sah nichts von dem schönen Sommertage, fühlte nicht den Wind, der weich und warm über die roten und blauen Buchstaben des Pergamentes strich, er hörte nicht die Vögel singen und das leise, feierliche Rauschen des Eichwaldes.
Am Ufer entlang näherte sich, gewandt die gestürzten Stämme überspringend, ein Knabe. Er zählte wohl noch nicht fünfzehn Jahre. Doch es war ein großer, starker Knabe. Die anliegende Gewandung zeigte eine schöne Gestalt. Jetzt hörte sich Anschar von einer hellen Stimme angerufen: »Du weiser Mann«.
Er blickte auf und sah überrascht vor sich den schönen Knaben, der ihn vertrauensvoll mit seinen blauen Augen anschaute.
»Wer bist du? Was willst du, Knabe?« sprach der Bischof.
Darauf der Knabe: »Ich bin Oskar, Erichs, des Häuptlings, Bruder, kommt nicht dein Mann bald zurück. Er war so freundlich, und er weiß Runen und schöne Mären.«
»Und woher weißt du das, mein Junge?«
»Er lehrt mich die weisen Zeichen der Christen. Auf vielen Runentafeln standen sie schön gemalt. Sie bedeuteten eine herrliche Geschichte von einem König, dessen Burg im Himmel ist.«
Gar wohl begriff Anschar diese Worte. Vor kurzem hatte ein sächsischer Mönch nach der Art seines Volkes die heilige Geschichte des Heilands im Liede erzählt. Der junge Priester Johannes nun hatte dieses Lied mit hierhergebracht und klug benutzt. Anschar hieß den Burschen sich neben ihm setzen auf den gestürzten, halb überwucherten Eichstamm und forderte ihn auf, die Geschichte zu erzählen.
»Von einer Königstochter,« begann Oskar, »wurde ein Held geboren in einer Burg, die hieß Bethlehem. Er wurde ein hochgewachsener Heldensohn mit feuerflammenden Augen. In die vermochte nur hineinzuschauen, zu wem er in Milde sprach. Er sammelte um sich viele tapfere Mannen. Die Besten, das waren Petrus und Johannes. Petrus war klein und breit wie ein wendischer Seemann und ging auch in bunten Kleidern. Johannes hatte langes, schwarzes Haar und Bart. Sein Gewand war von Seide, wie sie es im fernsten Süden tragen. So weit habe ich die Märe gelernt:
Auf einem Berge sammelte der hehre König seine Mannen.
Er saß und schwieg und sah sie lange an, und war ihnen hold in seinem Herzen und milde in seinem Gemüte.«
Des klugen Knaben freute sich Anschar.
»Willst du nun auch die Dienstgebote des Königs hören?« sagte er, »sein Dienst ist schwer. Das ist ein altes Wort:
Wohlgesinnt sei der Sippe
Und freudig diene dem Blutsfreund.
Aber unser Himmelsfürst sagt:
In Liebe seid fleißig wider den Feind,
Und in Demut duldet wilde Gewaltthat.
Frommen und Vorteil
Schaffet jedem der Volkeskinder,
Dann giebt Gott gütig entgegen.«
Oskar hörte es aufmerksam und antwortete: »Christ muß ein mächtiger Mann gewesen sein. Denn dem Schwachen, wenn er milde waltet, gehorcht das Volk nicht.«
»Es werden dem Christ alle Völker dienen,« sagte Anschar, »so machtvoll ist er. Jetzt wohnt er selbst im Himmel. Aber er hat einen Vogt gesetzt in seinem Reiche, der schirmt alle seine Mannen. Und einen andern hat er gesetzt, der lehrt an seiner Statt die Völker; der wohnt in Romburg. Dort sind viele Runenbücher und alle Weisheit und Kunst. Der weise Mann in Rom ist milde und gerecht. Er grüßt euch alle, die ihr hier am fernen Ostmeer wohnt. Auch dich, mein lieber Knabe. Es schmerzt ihn sehr, daß ihr noch in vielem Streit lebt. Er will nur, daß die Krieger sein Volk gegen die argen Räuber beschirmen. Doch reicht das Reich des großen Christ erst bis an die Enden der Erde, dann wird überall Friede sein. Dann springt das Thor der Himmelsburg auf und der große Friedefürst steigt im Goldglanz nieder auf die weiten Länder.«
Gespannt hatte Oskar gehorcht; nun fuhr er lebhaft auf und rief: »Sollen dann die Helden nicht mehr streiten? Wir wollen auch in den Hallen der Götter noch kämpfen.«
»Hader und Haß würden nie ein Ende haben,« antwortete Anschar in ernstem Ton, »es bliebe immer noch einer zu rächen.«
Der Knabe sann eine Weile, dann sagte er: »Der Friedefürst fordert sehr schweren Dienst.«
Anschar darauf: »Das Liebste fordert er von seinen Mannen.«
»Der treue Mann opfert Leib und Leben,« meinte Oskar. Anschar sagte langsam: »Du mußt dem Christ die freien Locken geben.«
Oskar sprang erschrocken auf und warf den Kopf zurück, daß die dichten Locken aus der Stirne flogen. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach der Seite. Freilich umspannte ihm noch kein Schwertgurt die schlanken Hüften. Unwillig rief er: »Der Locken Zierde willst du mir nehmen. Ich bin ein Edelkind! Wie werden mich die Knaben verhöhnen, wenn ich nicht mehr die langen Haare des Freien trage.«
»Sei ruhig, fürchte dich nicht!« sagte Anschar freundlich, indem er den Knaben an sich zog und ihm seine Hand ins blonde, schimmernde Gelock legte, »Christ nimmt nichts mit Gewalt. Nur, was du mit Lust schenkest. Vernimm noch ein Wort des großen Christ:
Selig, wer duldet um meinetwillen
Haß und Harmrede, dem wird gegeben,
Auf Gottes Au ein wonnig Leben
Für ewige Zeit.«
Der Knabe sah unsicher und wie beschämt vor sich hin während der Priester diese Worte sprach und langsam wiederholte.
»Selig, wer duldet um meinetwillen Haß und Harmrede,« murmelte auch Oskar. – –