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Wo der Elbstrom dem Meere sich naht, da weitet er sich zum mächtigen Busen. Dort mischt sich Sand und Schlamm der flachen Ufer mit den steigenden und fallenden Wassern der Nordsee. Hier wars auf einem flachen von der Flut eben noch nicht überspülten Eiland, wo die Normannen ihr Schiffslager aufgeschlagen hatten. Hierher kamen die Boten um Mittag; der alte Erik hörte sie, schüttelte seine grauen wilden Haare und befahl mit grimmigem Lachen, sich einzuschiffen auf seinen: Drachenschiff.
Als die Flut beginnt, da knirschen Kiele im Sande, dort gleitet ein Fahrzeug ins Wasser hinaus, von plätschernden Wellen empfangen, Ruder werden ausgestreckt, sie wühlen sich in die Flut ein, so kommt Bewegung in das Schiff, es fährt; ein zweites, ein drittes, mehrere folgen; sie steuern in langer Linie den breiten Strom hinauf. Die Flut geht vorüber, mühsam kämpfen sie gegen die Ebbe auf; endlich sinkt die Sonne, ihr scheidendes Licht fällt auf hohe Ufer und Hügel vor den Seefahrern. Abermals kommt die Flut, es ist Nacht geworden, durch die Finsternis steuert unaufhaltsam die Normannenflotte. Die Wasser rauschen unter Hunderten von Rudern, eilends strebt jedes Schiff vorauf, in breiten Schwärmen füllen sie den Strom.
Die ewigen Sterne wandeln leise in ihrer Höhe über Flur und Land. In dem nächtlichen Raum träumt die Donareiche, ihren Doppelgipfel streckt sie zu den Sternen empor; hoch über alle ihre Brüder hinaus. Still ist es zu ihren Füßen, nur der Nachtwind säuselt.
Jetzt rascheln Schritte im Laube; hier und dort taucht eine Gestalt aus dem Düster und erscheint auf der Lichtung. Im Walde ist einmal ein großer Baum gestürzt und hat mehrere jüngere Brüder mitgerissen: gerad in diese Lücke tritt jetzt der Mond und gießt sein Licht voll auf den Raum vor der Donareiche. Allmählich hat sich ein Ring von Kriegern gebildet. Immer dichter werden ihre Reihen. Sie setzen die breiten Holzschilde auf den weichen Waldboden und lehnen sich schweigend auf ihre Lanzen. Nur hier und dort werden wenige Worte geflüstert. Heut schaut nicht das goldene Auge des Tags auf die Heeresversammlung herab, heut zieht nicht ein blitzender Lanzenwald ins helle staubige Blachfeld hinaus. Heimlich und unheilsinnend kommen die Mannen, langverborgenen Zorn im Busen.
Nicht lange währte es, da trat ein hoher Krieger in die Mitte. Es ragten noch ungeschlachtere Recken im Kreis: doch dieser schritt stattlich und königlich einher. Stierhörner drohten auf seinem Helme. Einen Augenblick schaute er im Kreis umher, alle sahen auf ihn. Nun erhob er das Haupt, daß die vollen Locken zurück wallten und hub an. Wie Donner rollte seine Rede, als er sprach: »Volksgenossen, wir kommen zur Nachtzeit in den Wald, wo die alten Götter wohnen. Dies ist kein rechtes Volksthing. Die Not giebt ihm das Kleid des Rechts. Doch wir brauchen nicht noch zu beraten, wir kommen schon zum Heeresbann. Wäre unser aller Mund verschlossen, hätte nie gesprochen seit unserer Geburt: wir fühlten am Druck der Hand, am traurig gesenkten Blick unserer Augen, was uns fehlt. Wie die Kraft des Frühlings verborgen bleibt, bis sie tausendfarbig aufbricht, so quillt uns aus tiefem Herzen der Freiheitsdrang. Ists wahrhaft euer fester ernster Wille, die Freiheit von den Fremden zu erstreiten?«
Ein Rufen und Waffenklirren ging durch den Ring. Da sprang Gerhard, der Bauer, in die Mitte und rief laut: »Es ist alter Sachsenbrauch beim Heeresauszug den Herzog zu küren. Erich sei Herzog!«
Noch heftiger rasselten die Waffen: »Erich sei Herzog,« wurde der Ruf aufgenommen. Einige boten einen Schild dar und viele Arme hoben Erich empor; er stand hochragend da, schwang das blanke Schwert und rief: »Ich grüße euch, mein Volk; beim Morgengrauen führe ich euch in die Schlacht. Schwört ihr mir die Treue vor Donars Eiche?«
»Wir schwören, wir schwören,« hallte es dumpf in der Runde. Da plötzlich entstand in den hintern Reihen eine Bewegung: ein Ruf ertönte: »eine neue Runde, hört, hört!«
Erich sprang hinab, auf seinen Wink ordnete sich der Kreis von neuem, und hinein trat Unni, und langsam und deutlich hub er also zu erzählen an: »Wir kamen von Osten her, unserer dreißig. Vorsichtig hatten wir Späher vorangeschickt. Die sahen Reiter durch den Wald kommen. Schnell ließ ich alle ins Dickicht sich verbergen. Ich selbst schlich mich mit den Knaben vor. Da schauten wir den ganzen Zug des Grafen Bernhard, über dreihundert wohlgerüstete Reiter. Die Richtung ihrer Reise war nach Norden. Nun müssen sie schon viele Stunden weit von hier rasten. Die Priester sah ich nicht darunter.«
»Die Priester,« fiel einer aus dem Kreise ein, »sah ich heut wie jeden Abend; sie sangen ganz wie sonst ihre Lieder.«
Ein abwartendes Schweigen folgte diesen Worten. Hinter Erich, unmittelbar am Fuße der großen Eiche, standen seine Mannen und Verwandten. Unter ihnen sprach der milde Brun, Erichs Blutsfreund und Waffengefährte: »Nun müssen wir gegen Waffenlose kämpfen. Das ist wenig ehrenvoll. Es ist wohl zu begreifen, wie es so kam. Der Bischof schickte jene Reiter fort, die nur unsern Haß erregten. Der Christ liebt den Frieden und haßt den Streit.«
So Brun. Hengist indes schürte mit Lust den Haß. »Die Priester sind nicht Krieger«, raunte er, »sie sind zu gut fürs Schwert. Man hänge sie an die Bäume. Wodan freut's.«
Schon redeten mehrere; »Wodan hat sie zu unserm Heil bethört«, hörte man hier und dort. »Schmach, wir kämpfen gegen Waffenlose!«
Jetzt hub Erich an, der zuerst stumm, wie gebannt dagestanden. Er bebte vor Zorn, als er sprach:
»Ja, gegen Waffenlose! Sie wußten unser Rüsten. Ha, falscher Mönch, du sanfter Fuchs, ich kenne deinen Plan. Sich vom Feind schlachten lassen wie ein Lamm, das bringt vor deinem Gott Lob und Ehre. Dazu sollen wir dir dienen, ja dir dienen, indem wir dich ermorden nach deinem Wunsch.« Alle horchten auf; Erich fuhr fort:
»Freunde, der Christ hat unsere Absicht erfahren; Verräter sind unter uns. Hinterlist ist unser ganzes Werk, nur Verrat hemmt es zuerst und lähmt den Nut. Wir haben den bösen Gott der List angerufen, und schnell wächst seine Herrschaft.«
– – – Den ganzen Tag hatte Oskar zugeschaut, wie man rüstete. Erich sprach nicht mit ihm. In Oskars Herz brannte die Unruhe. Nachts schlich er den Männern nach in den Wald. Unter Fremde mischte er sich und erlebte alles mit. Jetzt hielt es ihn nicht mehr. Er fühlte sein Herz pochen; seine Wangen glühten. Er stürzt vor und ruft: »Ich, Oskar, Lindolfs Sohn, bin der Verräter.« Alle hörten es mit Staunen. »Ja, Bruder«, erzählte Oskar, »ich hab es gethan. Vorige Nacht war ich zum Fischen. Am Morgen ruhte ich unter Weiden. Da hörte ich, wie du die Boten zu Erik sandtest. Dem Johannes sagte ich drauf alles. Er war immer gut gegen mich.«
Sprachs und erwartete ruhig das Urteil des Bruders. Unruhig, neugierig drängten die Männer heran, manche voll Ingrimm. Floß jetzt Blut, so war schon hier das unerhörte Unternehmen begonnen. Die furchtbarsten Geister des Hasses schienen entfacht zu werden, als Erich also begann:
»Als ich dich heut an der Seite des Christen sah, da habe ich erkannt, was mich lang verwunderte. Ich sah dich einsam streifen, in stillem Sinnen wandeln. Da glaubte ich gern, der Väter Bardengeist läge auf dir; und ich freute mich am Leuchten deines Auges. Doch der schlimme Grund war die niedere Freundschaft mit dem Knechtefreund. Ich wähnte, ich hätte einen Bruder. Nur Auge, Faust und Schenkel waren' s, nichts vom Geist. Du hast Knechtssinn. Ich will den dürren Zweig vom gesunden Heldenstamm abhauen.«
Der Held zog schon das Schwert. Da schritt Unni aus den Reihen des Volkes vor, stellte sich an seine Seite und bat: »Der neue Herzog hat nur einen Bruder. Der ist so schlecht nicht, um ihn wie einen feigen Buben abzuschlachten.« Auch Winfried, der besonnene, mahnte: »Das Urteil über ihn gebührt dem Volk.« Doch nichts beirrte den Zornigen. »Ich bin Kläger«, sprach er, »und einziger Richter in meiner Sippe, die von den Göttern ihr eigenes Recht empfangen hat.«
Selbst Hengist will dazwischen springen. Doch Unni streckt ihm den eisenfesten Arm vor: »Laß ihn, in ihm ist die ganze Wut der Asen.«
Erich wendet den Blick zu den Sternen, nun umfaßt er fest den Schwertgriff. Keine feierliche Formel spricht er, aber er ruft laut: »Tritt vor mich, Oskar.« Der Jüngling gehorcht; dann richtet er sich schlank auf.
Er steht da, nur das Haupt ein wenig geneigt. Die Brüder bleiben allein im Kreis. Es ist totenstill. Das Mondlicht umfließt die schönen Gestalten. Erbleicht Oskar? Keiner vermag es zu unterscheiden. Sieht er das Schwert der Väter blinken?
Da schreitet ein Mann in den Kreis und stellt sich neben ihn. Es ist Brun. Lr legt den Arm um die kräftigen Schultern des Knaben. Er soll in treue Arme sinken. Mit kaltem Ton spricht Brun: »Stoß zu! Du siehst es im fahlen Licht nicht. Der Bruder meines Häuptlings zittert nicht.« Erich zuckte zusammen. Er senkt das Schwert und ruft: »Nein, Wodan, nein! Er ist aus deinem Blut. Des soll der fremde Gott sich nicht rühmen, daß ich um seinetwillen den Sohn deines Stammes ermordete!«
In die Scheide stieß er sein Schwert und schüttelte lachend die Locken.
»Und willst du jetzt«, frug Brun, »die Waffenlosen überfallen? Der rauhe Krieger birgt sein noch blutiges Schwert, wo verwaiste Kinder vor ihm jammern und trocknet Thränen.« Aber mit einem teuflischen Hohnlachen antwortete ihm Erich: »Schonen soll ich die Listigen?
Der Franke schlägt uns Wunden und der Christ verbindet sie. So ist es meist. Diesmal schickt der Christ die blanken Reiter fort, damit wir ihn ehren und schonen wegen seiner Milde. Herr sein will er auch so. Doch wollt ihr das ertragen?«
So rief er dem Volke zu. »Nein, nein, nie!« scholl es mit Klirren und Rasseln zurück.
»Nun, dann«, sprach der Herzog feierlich, »schwört es mir, die Fremden schonungslos zu morden, ob waffenlos oder in Waffen.«
»Wir schwören!« klang es abermals dumpf ringsum. Da hub Oswin an, vom Geist der alten Götter ergriffen; unheimlich hallten seine Worte:
»Wir riefen am Anfang den Normann zum Genossen, mit Unehre begann's, mit Unehre geht's fort. Schon erfüllt sich das Zukunftswort: Offenheit gilt nichts mehr im Kampf der Männer. Ehre wankt und die List frohlockt. Rasende kämpfen mit waffenlosen Göttern. Schon bereitet sich furchtbar der Welt Geschick. Über brodelndem Meer erhebt sich dämmernd aus finsterer Nacht der jüngste Tag mit feurig, gierigen Augen. Böse Thaten peitschen zerschmetternd mit schwarzen Flügeln Himmel und Erde.«
So sang der Barde. Das Unheil sollte nicht lange fern bleiben. Abermals entstand im Hintergrund ein Drängen und Rufen, ein gellender, entsetzlicher Schrei durchtönte die dunkle Nacht. Die Männer wichen auseinander, und gestützt auf zwei Bauern trat ein wunder Knecht hervor. Entsetzt drängen sich die Hörer herum. Mit stöhnender Brust erzählt der Verwundete: »Ich komme von den Höfen der Alten Au – der Wiking ist da – erschlagen sind die Knaben – geraubt die Weiber – die Häuser brennen – ich allein bin übrig, wie ein wunder Bär brach ich durch und rannte her – – es war ein großer Haufe, gräßlich anzusehen – auf Speeren trugen sie vier Sachsenhäupter.« Erschöpft sank er zusammen.
Erschrocken umgeben ihn die Bewohner jenes Dorfes. »Helft uns, befreit unsere Weiber und Kinder« klagten sie.
»Die Sachsenhäupter, das sind deine Boten,« ruft Unni, »Erik hat sie umgebracht.« Es ist überall ein Drängen, Zürnen und Klagen. Laut auf schreit Erich: »Weh, Weh, das war die Dänenfreundschaft; er hatte mich sicher machen wollen durch seine Bundesgenossenschaft, um uns desto gründlicher zu überraschen!«
Winfried legte die Hand auf des Herzogs Schulter und tröstete ihn: »Du hast nicht Schuld. Wir sind treu; führ uns, daß wir die Volksgenossen retten!«
Da raffte sich der Held auf, Kraft und Mut brauste in ihm empor; rasch Gefahr und Gunst des Augenblicks überschauend, schickte er Brun und Oswin unter die Menge, Ruhe zu gebieten. Dann hub er an: »Freunde, dies Unheil schickt uns Wodan, daß wir ein Glück daraus machen. Sagt, wozu wollten wir den Beistand des Wiking? Um stark zu sein für den ersten Angriff. Morgen rufen wir ohne Verdacht in hellen Scharen unsere Brüder zusammen. Nun aber gegen den Normann! Hernach wird der Franke verjagt. Wohlan zur Schlacht! Die rote Lohe flammt und spiegelt sich im Strom. Weiber und Kinder schreien. Hört ihr den reinen Nachtwind rauschen! Wodan ist's selbst. Sein Odem spielt wollüstig um das blanke Eisen eurer Waffen. Das ist sein tiefes Atmen vor der Schlacht. Wohlan, mein Volk, zum Sieg!«
»Zum Sieg, zum Sieg!« erscholl es zurück. Sie wendeten sich alle. Die Scharen ordneten sich; ein Treten vieler Füße klang im Walde; ein schneller Heerbann wälzte sich durch die Nacht.