Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Johannes hatte Anschar einige Worte ins Ohr geraunt. Der hatte sich, ohne Unruhe merken zu lassen, für einen Augenblick entschuldigt und war mit dem Mönch hinausgegangen. So waren Bernhard und Hermann ihren Gedanken überlassen. Langsam suchte der Bauer zu bewältigen, was er gehört und gesehen hatte: von einem großen Reiche redete der weise Mann. Hermann kannte eine alte Märe, es sei einmal ein mächtiges Reich gewesen, dessen Helden trugen goldene Schilde und Helme. Dies Reich sollte einst wiederkehren und dann sollten die Männer des Nordens es gewinnen.
Weniger sonnig waren die Gedanken des Grafen. »Diesen Bischof«, sann er bei sich, »möchte ich erschlagen. Doch ich fürchte ihn. Wenn ich ihm trotze, so betet er noch einen Engel mit flammendem Schwert auf mich hernieder. O wäre ich bei den süßen Reben der Mosel! Nach Franken möchte ich zurück, wo auch die Priester roten wein trinken, und wo in den reichen Königssälen nicht der Bauer neben dem Herrenmann sitzt.«
»Thorheit ist es, wie er freundlich handelt an diesem Volk. Zwingen sollte er sie in das Wunderbad der Taufe. Doch des Erzbischofs willen soll ich mich fügen. Der junge König gebot es streng. Ich bin des Königs Mann. Doch nimmer wird es frommen, wenn im Reiche die Bischöfe über die Grafen sich erheben! Und diese Schmach soll ich Tag für Tag ansehen! Ich kann nicht länger mit dem Bischof leben.«
Indes waren die beiden Priester hinaus gegangen, soweit in die gerodete Flur, daß ihr Wort nicht mehr gehört werden konnte.
Johannes hatte in großer Aufregung berichtet, was er durch Oskar wußte. Lange stand Anschar, den Blick gesenkt, in tiefem Sinnen. Dann begann er:
»Bruder und Freund, das Ende von allem ist bei Gott. Bei uns aber ist unsere Pflicht, Christi Reich auszubreiten, wir lassen Grafen und Reiter nach Norden ziehen und begegnen dem Sturm allein. Vor uns, den Sanftgesinnten, werden die Heiden sich scheuen, wir werden reden, und wir werden sie durch Worte besiegen. Die neue Kunde wühlt schon jetzt mächtig in ihren Seelen.«
»Vielleicht,« fuhr Johannes tief ergriffen fort, »erwartet uns das Martyrium, vielleicht werden unsere Namen aufgenommen unter die Blutzeugen unseres Herrn.«
»Nein, nein,« wehrte Anschar, »das dürfen wir nicht denken, Johannes, das dürfen wir nicht! Das giebt uns die Eitelkeit ein!«
Sie gingen wieder ins Haus zu den Zurückgebliebenen. »Wir waren eben im Zorn geschieden,« sagte Anschar, »ich trage mit mir einen Gedanken, der verwirklicht, uns beiden dienen könnte.« Er schwieg wieder und schien etwas zu überlegen. Dann sagte er: »Ja, Graf, es soll so sein. Es nutzt nicht, daß wir uns hier über jede Sache und stets entzweien, wir wollen unsere Wege scheiden.«
»Was sprichst du?« rief Bernhard erfreut, »da hast du den rechten Ratschlag.«
»Ja, wir wollen uns trennen,« erwiderte der Bischof, »ich achte deine Treue gegen deinen Herrn und deine Tapferkeit. Doch rate ich dir, ziehe nach der Dänengrenze, dort hast du freie Bahn. Ich aber bleibe hier und baue hier mein Feld auf meine Weise.
Du halte uns als ein treuer Wächter die wilden Nordmänner in ihrer Heimat fest und schütze die Dörfer am Eiderfluß.«
»Noch heute reite ich,« rief Bernhard, »ich will dir ein goldnes Geschenk für deine neue Kirche senden. Doch leg du eine Fürsprache für mich ein beim Himmelsherrn. Da wird er über mich und meine wilden Reiter huldvoll wachen, wenn wir in die Schlacht reiten.«
Alsbald sprengte der Graf in bester Laune nach seinem Lager zurück und gab Befehl, sofort zum Aufbruch zu rüsten.
An diesem Abend suchte Anschar noch einmal die Einsamkeit. Er hatte gehandelt; aber nun brachen Zweifel und Besorgnis erschütternd in ihm hervor. Die Sonne goß ihr letztes wunderbares Licht in die hohen Buchenhallen und über den großen einsamen Beter, der den Gott in den Tiefen seiner Seele suchte. So sprach Anschar:
»Ich bin wieder bei dir, Gott, du labtest meine bange Seele. Ach, wäre ich stets so bei dir. Hier ist der Wade, hier hausen Unholde, das besiegte Geschlecht der Finsternis; die lauern auf den Frommen und breiten ihm ihre Netze aus. Doch du Herr, zerreißt sie leicht. Sonnenschimmer und Lichtglanz berücken hier die Sinne; doch deine Herrlichkeit strahlt heller in meinem Herzen, Gott. Schwebte ich im Sturmwind durch kalte Wolken, tief unter mir das erregte, schwarze Meer, ich brauchte nichts zu fürchten. Denn du fassest mich stark und warm.«
So redete der Heilige, in der Seligkeit der Andacht alle seine Sorgen vergessend.
»Bei dir, Gott,« murmelte er weiter, »da möchte ich immer weilen; meinen Leib will ich abtöten, nicht mehr fühlen die Wonnelust, in dieser Welt zu leben. In Harm und Hunger trinke ich dann schon hier den Kelch ewiger Seligkeit. So malt es die stille Hoffnung lange vor meinen Augen. Mit wenigen treuen Jüngern bauen wir Hütten im wilden Walde. Dort harren wir ohne Sünde und Sorge auf die Herrlichkeit des Herrn, bis er die Sterbenden in seinen sonnenhellen Saal aufnimmt.«
Der Beter hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er wieder fort: »Dies Volk ist störrisch. Den verfluchten Zauberinnen ihrer Unholde und Gespenster trauen sie nicht mehr. Da nehmen sie denn dein heiliges Kreuz an ihr Gewand und ziehen aus und rauben Witwen und Kinder aus brennenden Dörfern. Ja Herr, dein Knecht ist ihrer Frevelthaten satt. O, darf ich nicht dies Volk verlassen und ganz mit dir allein sein!«
So betete er und sehnte sich fort von Beruf, Predigt, Martyrium. Doch in den Tiefen der Seele, noch unbewußt, da wühlte und drängte eine andere Strömung, die Macht der Liebe, das Gefühl der Pflicht. Sie sollte hervorbrechen und den ganzen Menschen betäuben, den Körper erschüttern, die Nerven packen, die Sinne beherrschen.
Ein Schwindel faßte den Beter, er sank in die Knie, an einen Baum gelehnt. Ihm war es, als würde er aufgehoben und weit fortgetragen. Er sah vor sich ein finsteres, widriges Thal. Darin wühlten viele nackte Menschen. Einige wurden von Engeln emporgetragen. Und Anschar hörte eine laute Stimme, die sprach:
»Die emporgetragen werden, das sind die Seelen der Seligen. Was siehest du weiter?« Und Anschar sah in dem Thal einen schwarzen, sumpfigen Ort; daraus wanden sich Menschen empor. Und die Stimme sprach wieder: »Dort entsproßt das Menschengeschlecht. Woher kann der Mensch irgend einen Grund haben, sich zu rühmen, wenn alle aus so niederm Ursprung hervorgehen? Die aber erhoben werden, erhebe ich selbst durch meine Engel. Was willst du dich erheben über sie?« Das Gesicht verschwand wieder. Anschar ging durch einen Zustand der Dunkelheit hindurch, er sah nichts, er glaubte ein fernes Brausen zu hören. Da mit einem Schlage lagen der Wald und der moorige Boden wieder vor ihm. Die Vision war zu Ende. Er atmete tief und oftmals. Dann sprach er: »Die Erde kehrt zurück. Im Staube liege ich wieder. Vater, ich danke dir: du mahntest mich, daß ich vom Staub genommen ward. Ja, Herr, ich will dir dienen, dienen, wie du es willst.«
Er stand auf und trat langsam den Heimweg an. Es war dunkel und kühl geworden im Walde. Der Wind wehte, leise anhebend als Flüstern, anschwellend zu mächtigem Rauschen und fernhin leise vergehend in den Wipfeln. Unter ihnen schritt ein Mann, der sich nicht vor den eigenen Zweifeln und Wünschen zu fürchten brauchte. Als er den Grafen fortsandte, wußte er, was er wollen mußte; jetzt wollte er es wirklich. Sein Eigenwille war gebrochen. Dem Begehren seines Herzens hatte er entsagt. Er war stark und bereit, ganz und gar zu kämpfen und sich zu opfern, sei es im Tode, sei es im Leben.