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Epilog des ersten Theils.

Es ist ein Jahr seit dem Tag verflossen, an dem Lucretia das Haus Mr. Fieldens verließ. Zuerst müssen wir aber den Leser wieder einmal auf die altmodische Terrasse zu Laughton zurückführen; zu der hervorragenden Eingangshalle – den wunderlichen Balustraden, den breiten, dunkeln, unveränderlichen Cedern im Garten unten. Der Tag ist ruhig, klar und mild, denn auf dem Lande zeigt sich der November nicht selten freundlich. Auf der Terrasse geht Charles Vernon, jetzt bei seinem neuen Namen, St. John, gekannt, auf und ab. Ist es der Namenswechsel, der die Person so geändert hat? Kann der Heroldsstab jene eingefallenen Wangen ausgefüllt, jene Stärke und Elastizität der Gesundheit dem leichten Schritte wiedergegeben haben?

Nein, eine andere und bessere Ursache gibt es für diese glückliche Veränderung. Mr. Vernon St. John ist nicht allein, eine schöne Gefährtin hängt an seinem Arm. Sieh – sie bleibt stehen, sich fester an seine Seite zu lehnen und zu flüstern: »Wir thaten wohl – zu hoffen und zu vertrauen!«

Des Gatten Vertrauen war aber nicht so ganz makellos gewesen, als das seiner Maria – ein leichtes Erröthen färbte seine Wangen, wenn er daran dachte, wie leicht er sich damals des alten Sir Miles Wünschen gefügt und um Lucretia Clavering geworben. Doch den Fehler hatte er seiner Gattin aufrichtig gestanden und sie fühlte – sobald ihr die Worte entschlüpft waren, daß sie indiskret gewesen; nichts desto weniger fuhr sie, mit einem leisen Anflug weiblicher Malice leise fort –

»Und Miß Clavering – Du bestehst also noch darauf, daß sie wirklich nicht schön gewesen?«

»Liebes Weib.« erwiederte ihr Gatte ernst – »Du würdest mich sehr verbinden, wenn Du die trüben, mit jenem Namen verflochtenen Erinnerungen nicht wieder in mein Gedächtniß zurückriefst. Lass' ihn nie wieder in diesem Hause gehört werden.«

Lady Maria neigte gehorchend das zierliche Haupt – sie verstand des Gatten Gefühle. Denn wenn er ihr auch nicht Sir Miles' Brief und seinen Entschluß gezeigt, so hatte er ihr doch genug mitgetheilt, um sie über die unerwartete Erbschaft aufzuklären und seines Weibes Mitleiden der enterbten Nichte wegen zu mildern. Nichts desto weniger begriff sie leicht, daß ihr Gatte sich nicht wohl bei dem Gedanken fühlen konnte, hart gegen ein Mädchen zu handeln, dessen Hoffnungen und Aussichten er zerstört hatte. Lucretia's Verbannung von Laughton war eine nur zu gerechte Strafe, aber es that einem großmüthigen Herzen weh, sie auszuüben. So mußte in jedem Falle die Erinnerung an Lucretia dem Nachfolger des Sir Miles schmerzlich und unwillkommen seyn. Eine kurze Pause folgte. Lady Maria drückte ihres Gatten Hand.

»Sonderbar bleibt es doch,« sagte er jetzt, indem er bei diesem Zeichen des Mitgefühls seinen eigenen Gedanken Worte gab, – »sonderbar bleibt es doch, daß sie Mainwaring trotzdem nicht heirathete, sondern jenen listigen Franzosen wählte. Doch sie ist – zu meinem Troste – ausgewandert – vielleicht für immer. Laß uns also – nie wieder auf sie zurückkommen.«

»Glücklicher Weise,« setzte Lady Maria noch mit einigem Zögern hinzu, «scheint sie hier nicht viel Mitgefühl erweckt zu haben. Die Armen erwähnen sie selten und unsere Nachbarn nur mit Erstaunen, ihrer Heirath wegen. In noch einem Jahr wird sie vergessen seyn.«

St. John seufzte. Er fühlte vielleicht, wie viel leichter er selbst vergessen wäre, hätte das Schicksal ihrer Beider Loose verändert. Sein leichter Sinn entledigte sich aber bald aller dieser Gedanken und Quellen des Mißvergnügens, und er horchte jetzt mit beifälliger Aufmerksamkeit den freundlichen Plänen, die Lady Maria zur Unterstützung der Armen, der Kinderschule, der Hütten, die neu erbaut und der Arbeiter, die dabei verwandt werden müßten, entworfen hatte. Obgleich es sonderbar klingen mag, so schien doch Vernon St. John wirklich, durch seines Weibes sanfte Herrschaft und ihre läuternde Nähe bewogen, angefangen zu haben, Geschmack an unschuldigen Beschäftigungen zu gewinnen. Ja, er begann sogar schon das Land nicht mehr als einen Verbannungsort zu betrachten. Von Herzen brav, hatte er sich selbst gelehrt, die Arbeiten zu theilen, die seine Maria in ihrem freundlichen Eifer, »Gutes zu thun«, gefunden, und in die Brüderschaft der Liebe einzutreten, die gewöhnlich den Gutsherrn und den Armen seines Dorfes verbindet.

»Ich hoffe auch, Marie, daß wir mit einmal Jagd die Woche – (denn öfter möcht' ich es doch noch nicht unternehmen, bis dies Seitenstechen ganz nachgelassen hat,) und mit der Hülfe einiger guten Freunde zu Weihnachten den Winter ganz gut herumbringen werden.«

»Ach, diese ›guten Freunde‹ fürchte ich mehr, als die Jagd.«

»Wir werden aber Deinen ernsthaften Vetter und Deine wackere, akkurate Mutter hier haben, uns in Ordnung zu halten, und wenn ich länger als eine halbe Stunde nach der Mahlzeit sitzen bleibe, so soll mich der Haushofmeister bei den Ohren herausziehen. Maria, sag' einmal, was denkst Du davon, jenes Gebüsch dort auszuhauen? wir bekämen eine bessere Aussicht. – Nein – hol's der Henker – der gute alte Sir Miles hatte seine Bäume auch lieber, als die Aussicht – nicht ein Zweig soll herunter. Aber die Allee, die wir pflanzen, wird sicherlich eine treffliche Verbesserung werden.«

»In fünfzig Jahren, Charles!«

»Es ist unsere Pflicht, an die Nachwelt zu denken,« antwortete der ci-devant Verschwender mit einem Ernst, der wirklich ergreifend war. – »Aber horch – das ist zwei Uhr – drei, bei Jupiter – und ich sollte noch mein neues Vieh betrachten. Komm mit mir auf die Farm, Marie – das ist ein gutes Weibchen – Ah, Ihr feinen Damen macht doch am Ende keine so schlechte Hausfrauen.«

»Und Ihr feinen Herren –«

»Ausgezeichnete Farmer – Ich hatte, vor letzter Woche, noch keine Ahnung davon, daß ein Preisochse ein so interessantes Thier seyn könnte. Man lebt, um zu lernen. Uebrigens – erinnere mich doch gelegentlich daran, daß ich wegen der Schafe an Coke schreibe.«

»Hier herum, lieber Charles, wir können durch das Dorf gehen und Ponto und Dash besuchen.«

Die Thränen traten in St. Johns Augen. »Wenn der arme Sir Miles Dich nur gekannt hätte,« sagte er mit einem Seufzer, bog den Kopf nieder und – obgleich die Gärtner in dem Gange arbeiteten – küßte die erröthende Wange seines Weibes so herzhaft, als ob er ein wirklicher Farmer gewesen wäre.

Von der Terrasse zu Laughton wollen wir uns zu der bescheidenen Wohnung unseres Freundes, des Pastors und zwar an demselben Tage und in derselben Stunde, wenden. Auch hier liegt die Scene im Freien, wir sind in dem Garten der Pfarrwohnung – die Kinder spielen Suchen und Verstecken zwischen den Geländern, welche die Schlangenpfade von den mehr der Flora und Ceres geweihten Orten trennen, und der Pastor sitzt in seinem kleinen Parlour, von dem aus sich eine Glasthür in den Garten öffnet. Die Thür steht nun auf, der gute Mann hat in seiner Arbeit pausirt – (er entdeckte gerade eine neue Verbesserung in dem ersten Chor der Medea) und blickt hinaus auf die rosigen Gesichter, die über die Scene hin und her schlüpfen. Seine Frau steht, mit einem Korb am Arm, in der Thür, doch ein klein wenig zur Seite, um ihm die Aussicht nicht zu benehmen.

»Es thut einem im Herzen gut, sie so anzusehen, die kleinen theuern Dinger« sagte der Pastor.

»Ja – sie sollten aber auch in dieser Jahreszeit theuer seyn,« bemerkte ganz in den Inhalt ihres Korbes vertieft, Mrs. Fielden.

»Und so frisch.«

»Frisch? – das will ich meinen – wie verschieden von London. In London waren sie das Ansehen nicht werth, so alt wie– man kann gar nicht rathen wie alt; hier werden sie ja aber auch alle Morgen frisch gelegt.«

»Liebe Frau,« sagte Mr. Fielden, und blickte erstaunt zu ihr auf – »jeden Morgen frisch gelegt?«

»Zwei Dutzend und vier –«

»Zwei Dutzend und vier? von was, um des Himmels Willen, redest Du denn eigentlich?«

»Ih nun, natürlich von den Eiern, lieber Mann.«

»Ah,« – sagte der Pastor– – »zwei Dutzend und vier – ich erschrack ordentlich; aber – es hat nichts zu sagen – nur mein närrisches Mißverstehen. Immer klug und haushälterisch, meine wackere Sarah In der Vorlage: »Susanna«; gerade als ob uns der arme Sir Miles nicht das – Vermögen – wie ich es wohl nennen könnte, hinterlassen hätte.«

»Es wird nicht weit reichen, wenn wir erst für die Kinder sorgen müssen und – David ist schon jetzt so leichtsinnig – nein, das Loch, das er wieder in die Jacke gerissen hat –«

In diesem Augenblicke kamen zwei junge Leute den Kiesgang herab. Die Kinder huschten schreiend und jauchzend an ihnen vorüber und verschwanden in den hinteren Theilen des Gartens.

»Alles zum Besten – blinde Sterbliche, die wir sind – Alles zum Besten,« sagte der Pastor sinnend, während sein Auge auf dem näher kommenden Paare ruhte.

»Gewiß, lieber Mann – Du hast recht und es ist bös, wenn man murrt. Dennoch – wenn Du nur siehst, was es für ein Loch ist, es kann, glaub' ich, gar nicht wieder ausgebessert werden.«

»Sieh Dich um,« sagte Mr. Fielden freundlich – »sieh, wie wir uns um sie grämten – wie böse wir auf William waren, wie weh uns Susanna that – und jetzt – sieh sie an – sie werden nur ein so viel besseres Paar nach dieser Prüfung werden.«

»Hat denn Susanna eingewilligt? ich fürchtete schon, sie würde es nie thun. Wie oft bin ich fast böse auf sie geworden, auf das arme Kind, wenn ich hörte, wie sie sich selbst wegen ihrer Schwester Unglück anklagte und dann erklärte, sie hielte es für ein Verbrechen, an William Mainwaring auch nur als Gatten zu denken.«

»Ich hoffe doch, daß ich ihr dieses übertriebene Zartgefühl ausgeredet habe, denn es kann Lucretien nie glücklich, muß aber sie und William elend machen. Wenn aber Lucretia nicht geheirathet und so William's Reue selbst für immer vereitelt hätte (heißt das, wenn er wirklich bereute), so glaube ich doch fest, daß Susanna eher gebrochenen Herzens gestorben wäre, als daß sie ihre Hand Mainwaring gegeben.«

»Es war gewiß eine wunderliche Heirath von der stolzen jungen Dame,« sagte Mrs. Fielden – »er so viel älter wie sie – und ein Ausländer noch dazu.«

»Er ist aber doch ein sehr angenehmer Mann, und sie haben sich Beide schon lange gekannt. Das hat mir freilich, wie ich es mir erst später überlegte, nicht von ihm gefallen, daß er Lucretien so hinterlistig wieder zum Hause zurückbrachte. Es sieht aus, als ob er ihr von allem Anfang an eine Schlinge gelegt hätte.«

»Zehntausend Pfund sind kein schlechter Fang für einen Ausländer,« bemerkte Mrs. Fielden mit dem naiven Gefühl ihres Geschlechts, dann fuhr sie, mit fast ebenso charakteristischer Sympathie fort: »Du hast mir aber, wenn ich nicht irre, gesagt, daß Mr. Parchmount sie überredet hätte, die Hälfte des Vermögens sich selber vorzubehalten. So hat sie doch noch immer einen Halt an ihm.«

»Ein schlechter Halt, wenn das der einzige ist, Sarah – da gibt es einen bessern – er ist ein kluger und gelehrter Mann, und Gelehrte sind schon von Natur aus häuslich und werden gute Eheleute.«

»Du weißt aber, daß er ein Papist seyn muß,« sagte Mrs. Fielden.

»Hm.« murmelte der Pastor.

Während das würdige Paar so mit einander plauderte, schritt Susanna mit dem Geliebten, da sie ihren Spaziergang noch nicht beendet hatten, den Weg zurück.

»Wahrlich,« sagte William, während er ihren Arm fester in den seinigen zog – »diese Scrupel – diese Befürchtungen sind sowohl gegen mich, als gegen Dich selbst grausam. Und wenn Du auch nicht mehr lebtest, ich könnte und würde mich nie Deiner Schwester wieder nähern. Nein, wäre sie selbst nicht verheirathet, so müßtest doch auch Du ihren Stolz zu gut kennen, um nicht zu wissen, daß ich in ihrem Herzen nie wieder einen Platz einnehmen könnte. Was geschehen ist, war kein Verbrechen von unserer Seite. Vielleicht wollte der Himmel nicht allein uns, sondern sie selbst vor dem gewissen Elend einer Verbindung schützen, die den Keim ihres Verderbens schon in sich trug.«

»Wenn sie nur einen von meinen Briefen beantworten wollte,« seufzte Susanna, »oder wenn ich nur wenigstens erfahren könnte, ob sie glücklich und zufrieden ist –«

»Deine Briefe müssen sie verfehlt haben – Du weißt ja nicht einmal ihre Adresse genau. Verlaß Dich darauf, sie ist glücklich, oder glaubst Du, daß sie sich ein zweites Mal könne so › vergessen‹ haben« – Mainwarings Lippen preßten sich zusammen, als er die Phrase wiederholte, – »wenn ihr Gefühl nicht mit dabei im Spiele wäre? Nein – ich will Deiner Schwester nicht Unrecht thun, und werde ihr stets dankbar für die Vergangenheit seyn, wie Reue über meine eigene unverzeihliche Schwachheit fühlen, dennoch kann ich nicht anders glauben, als ihre Zuneigung zu mir war leidenschaftlicher als dauernd.«

»Ach William, wie kannst Du ihr Herz kennen?«

»Indem ich es mit dem Deinen vergleiche – da, ja – da mag ich meinen Glauben niederlegen. Susanna – wir – wir waren für einander bestimmt – unsere Naturen, unsere Charaktere sind gleich, nur hat der Deinige, trotz seiner Engels-Sanftmuth, noch größere Stärke in seiner einfachen Treue und Wahrheit. Du wirst mein Führer im Guten werden. Ohne Dich hatte ich kein Ziel in diesem Leben, keinen Muth, seine Kämpfe zu bestehen. – Oh – und noch immer zittert diese Hand.«

»William, William – ich kann eine dunkle Ahnung nicht zurückweisen – ein Aberglauben vielleicht. Nachts sucht mich das bleiche, schmerzdurchzuckte Antlitz heim, wie ich es zuletzt gesehen – bleich von niedergekämpfter Verzweiflung. Oh, wenn uns Lucretia nur je gebrauchen sollte, wenn wir nur je durch unsere Dienste, durch unsere Liebe den Schmerz vergüten könnten, den wir verursacht!«

Susannens Haupt sank an die Schulter des Geliebten – sie hatte ja gesagt: » uns gebrauchen – unsere Dienste.« In diesen einfachen Worten war die Verbindung geschlossen, ihre Loose lagen gemeinsam in der schwarzen Urne des Schicksals.

Von dieser Scene hinfort – wechselt das Glas in unserer Laterne – ein Zug– wir sind in Paris; im Vorzimmer der Tuilerien. Ein Schwarm harrender Hofleute und Abenteurer starren auf eine Figur, die mit bescheidenem, zu Boden geschlagenem Blick durch die Menge schreitet. – Der Mann hat gerade das Cabinet des Ersten Consuls verlassen.

» Par Dieu,« sagte B– »Macht, wie Elend macht uns mit wunderlichen Schlafkameraden bekannt; ich möchte wissen, was der Erste Consul mit Olivier Dalibard zu sprechen haben kann.«

Fouché Joseph Fouché (1759-1820), französischer Politiker, der Inbegriff des opportunistischen Wendehalses. Er bekleidete während der französischen Revolution verschiedene bedeutende politische Posten; u.a. kümmerte er sich während der Schreckensherrschaft um die blutige Niederschlagung gegenrevolutionärer Aufstände. Am Sturz Robespierres (9. Thermidor, 27.7.1794) war er ebenso beteiligt wie am Staatsstreich des 18. Fructidors (4.9.1797). Seit 1799 in der Direktorial-Zeit Polizeiminister, unterstützte er Napoleon Bonaparte beim Staatsstreich des 18. Brumaire (9.11.1799). Fouché organisierte in der Folge ein ausgedehntes Spionagesystem. In der Kaiserzeit war er wiederum Polizeiminister, ein Amt, das er dann auch zu Beginn der Restauration zunächst wieder erhielt. Der Protest der Monarchisten gegen ihn als einstigen ›Königsmörder‹ zwang Ludwig XVIII. allerdings, ihn im September 1816 aus dem Amt zu entlassen. Finanziell hatte sich sein Verhalten jedenfalls gelohnt. Er hinterließ seinen Kindern ein für damalige Zeit gewaltiges Vermögen von 14 Millionen Francs., der zu jener Zeit Pläne schmiedete, wieder in seine alte Stelle als Polizeiminister einzurücken, lächelte und erwiederte:

»Zu einer Zeit, wo die Luft mit Dolchen gefüllt ist, hat Einer, der mit Robespierre so wohl vertraut war, auch seinen Nutzen. Olivier Dalibard ist ein merkwürdiger Mann. Er ist Eines von den Kindern der Revolution, den seine große Mutter verbunden ist zu schützen.«

»Indem er seine Brüder verräth,« sagte B. trocken.

»Die Schlußfolgerung ist nicht richtig; näher kommt der Wahrheit: Dalibard hat viele Jahre in England gelebt – hat eine Engländerin von Geburt und Rang geheirathet und ist mit der englischen Sprache und dem englischen Volke genau bekannt. Da mag es denn wohl kommen, daß der Erste Consul gerade jetzt, wo er so besorgt ist, die allgemeine Stimme jener fremden Nation für sich zu gewinnen, während er mit der Regierung derselben einen Krieg beginnt, sehr wahrscheinlich viel mit einem so schlauen und scharfsinnigen Beobachter als Olivier Dalibard ist, zu reden habe.«

»Hm,« meinte B. »unter solchem Schutz könnte dann der Freund Robespierre's den Kopf ein wenig höher halten«

Indessen durchschritt Olivier Dalibard die Gärten des Palastes und wandte sich nach der Faubourg St. Germain. Keine Veränderung war aber in dem Aussehen und Betragen dieses merkwürdigen Mannes sichtbar – dieselbe sinnende Ruhe charakterisirte seine niedergeschlagenen Augen und gebogenen Brauen; dieselbe nette, aber einfache Kleidung, die auch dem Geschmacke Robespierre's zugesagt, bedeckte noch seine schlanke, etwas niedergebeugte Gestalt; kein freudigerer Blick, kein mehr elastischer Schritt verrieth die Rückkehr des Verbannten in sein Vaterland, oder jene kühnen Hoffnungen, nach denen ihm sein Geist die neue Carriere schaffen sollte. Dennoch, und allem Anschein nach, waren Dalibard's Aussichten trefflich und das Beste versprechend. Der Erste Consul befand sich gerade auf der Stufe seiner Größe, als er in seinem Dienste alle jene Talente zu beschäftigen suchte, welche die Revolution geboren – vorausgesetzt natürlich, daß sie sich nicht zu allbekannt mit Blut befleckt hatten oder dem Jacobinerclub zu eng verbündet gewesen waren. Sein scharfer Blick schien auch schon Dalibard's Fähigkeiten entdeckt, wie die Klugheit und Menschenkenntniß gewürdigt zu haben, mit der sich dieser schlaue Kopf Robespierre's Freundschaft zu erhalten wußte, ohne seine Verbrechen zu theilen. Manche geheime Unterredung hatte er mit Bonaparte gehabt und war zugleich der erklärte Protegé Fouché's. Denn wenn sich auch dieser zu jener Zeit nicht an der Spitze der Polizei befand Napoleon hatte im September 1802 das Polizeiministerium abgeschafft., so blieb er doch in den damals überall drohenden Gefahren, die noch durch das Gerücht einer geheimen und fürchterlichen Verschwörung erhöht wurden, zu nöthig, um ihn, wie der Erste Consul einmal beabsichtigt, entfernen zu können.

Nur ein Mann, von allen den Hochgestellten des Staats – mißtraute Olivier Dalibard – der berühmte Cambacérès ean-Jacques Régis de Cambacérès, (1753-1824), französischer Jurist und Staatsmann. Von 1805 bis 1814 und 1815 war bekleidete er unter Kaiser Napoleon I. das Amt des Regierungschefs von Frankreichs. Zum Zeitpunkt des gegenwärtigen Romangeschehens war er zweiter Konsul neben Napoleon Bonaparte und Charles-François Lebrun.. Doch dessen Hülfe konnte der Provençale entbehren. Was war aber überhaupt das Geheimniß von Dalibard's Macht? verdankte er sie wirklich nur seinem angebornen Talent und der besonders in England gesammelten Erfahrung? waren es ehrliche Mittel, die ihm das Ohr des Ersten Consuls gewonnen hatten? Wir können vom Gegentheil versichert seyn. denn es ist eine wunderliche Eigenthümlichkeit solcher, von ihren steten Listen und Intriguen durchdrungenen Menschen, daß sie förmlich blind all' die einfachen Wege des Ehrgeizes übersehen, die gewöhnliche Fähigkeit durch ihren schlichten Verstand erkennt. Wenn wir das Leben ausgezeichneter Verbrecher näher betrachten, staunen wir oft über den außerordentlichen Scharfsinn – die unübertreffliche Berechnung – die unermüdliche Energie, mit der sie ein Verbrechen beschlossen und ausführten; unwillkürlich fast drängt sich uns dann der Gedanke auf, daß solch geistige Kraft, würdig und zum Guten geführt, wohl Ausgezeichnetes geleistet haben müsse: stets aber finden wir, daß diese Verbrecher die sich ihnen bietende Gelegenheit zu wirklicher Größe förmlich von sich stießen oder wenigstens gar nicht beachteten. Oft sehen wir, wie sich ihnen breite Wege zu weltlichem Ruhme öffneten, die, bei gar nicht ungewöhnlichem Verstand und Eifer halb so gescheidte, ehrliche Männer zu Größe und Macht geführt haben würden; mit merkwürdiger Verblendung scheinen sie aber alle diese kaum ausweichbaren Straßen übersehen und in irgend eine dunkle Winkelgasse hineingestarrt zu haben, in der sie durch die schlaueste List und durch die größten ihnen drohenden Gefahren endlich den Erfolg eines Betrugs oder die Wollust eines Lasters genießen konnten. Das Verbrechen erst einmal gekostet – so scheint es einen fast wundersamen Reiz auszuüben, und zwar einen Reiz, der sich im Verhältniß zu den geistigen Fähigkeiten des Verbrechers selbst steigert. Es ist fast stets Hoffnung vorhanden, einen mehr stumpfen, ungebildeten und geistlosen Menschen zu bessern, da dieser vielleicht nur durch Zufall oder Verführung seine verbrecherische Laufbahn betrat; wo aber ein Mann von großen Talenten und vorzüglicher Bildung den Schlamm des Lasters und die trunkene Aufregung dunkler Thaten selbst und freiwillig wählt – da wendet sich der gute Engel auf immer von ihm ab.

Olivier Dalibard schritt sinnend weiter, erreichte ein Haus in einem der verlassensten Theile der Faubourg, stieg die geräumigen Stufen hinauf und klingelte an der Thür eines Dachstübchens. Nach einigen Sekunden wurde diese langsam und vorsichtig geöffnet, und zwei kleine stechende Augen, die unter einer Masse dunklen krausen Haares vorstarrten, zeigten sich in der Oeffnung. Der Blick schien genügend.

»Tritt näher, Freund!« sagte der Insasse mit einer Art wohlmeinenden Grunzens, und als Dalibard gehorchte, schloß und verrammelte jener den Eingang wieder.

Der innere Raum war fast bettelhaft ärmlich – die Decke, niedrig und schräg, von Rauch geschwärzt. Ein elendes Bett, zwei Stühle, ein Tisch, eine starke Kiste, ein kleines, gesprungenes Spiegelglas vollendete das Inventarium. Die Kleidung des Insassen harmonirte aber nicht mit seiner Umgebung – sie war allerdings nicht so, wie sie von den wohlhabendern Classen getragen wurde, verrieth aber auch weder Mangel noch Armuth. Ein blauer Rock mit hohem Kragen und halbmilitärischem Schnitt, war fest über eine kräftige Brust zugeknöpft – die Lederbeinkleider sahen ungemein sauber und solid aus, und schwere Reitstiefel reichten bis über die Knie hinauf. Ein stärkerer, untersetzterer, trotzigerer Bursche, als der war, hatte wohl noch nie die Bewunderung, die physische Kraft das Recht hat zu beanspruchen, erweckt. Der bleiche Gelehrte seufzte unwillkührlich bei dem Gedanken, welche Hülfe seinem eignen Intriguen spinnenden Kopfe ein solcher zäher Muskelbau hätte seyn können.

Weniger aber fast noch an seinem Körper als an seinem Schädel zeigte dieser Mann der Knochen und Sehnen seine Kraft und Stärke. Der hohen Stirn Dalibards mit ihrer vollen Entwickelung der Organe dreute der niedere Vorkopf eines Mannes entgegen, dem Denken fremd war, und der nur über den struppigen Augbrauen vorstand, wohin die Phrenologen den Sitz praktischen Begriffs legen, wie es sich auch bei manchen Thieren, vorzüglich bei Hunden, deutlich zeigt. Alle jene übrigen Organe, nach denen wir erkennen, schaffen und erfinden, fehlten gänzlich, dafür hingegen prädominirte das Thier im vollsten Maße in dem völlig ausgebildeten und ungeheuern Hinterkopfe. Und da sich das, vorn längere Haar hinten in krausen Locken fest an den stierähnlichen Nacken legte, so seht Ihr, auf den ersten Blick fast, Eines jener, dem Trug und Ehrgeiz so nützlichen Instrumente, die vor keiner Gefahr zurückbeben, kein Verbrechen kennen und dennoch nicht ohne ihre gewissen guten Eigenschaften – heißt das, unter tugendhafter Leitung sind – denn sie haben die Treue, Folgsamkeit und den wilden Muth des Thieres – wenden aber, unter böser Leitung, jene Eigenschaften zu unberechenbarem Verderben. Doggen, den Feind zu zerreißen oder – den Herrn zu beschirmen.

Einige Minuten lang starrten sich die Beiden schweigend an, endlich sagte Dalibard mit einer Miene ruhiger Ueberlegenheit:

»Mein Freund, es ist Zeit, daß ich jetzt den Häuptern Ihrer Partei vorgestellt werde.«

»Häupter? par tous les diables,« knurrte der Andere, »wir Chouans Mitglieder des bewaffneten Widerstand königstreuer Katholiken der Bretagne gegen die Erste Französische Republik in der Zeit von 1792 bis ca. 1804. sind Alle Häupter, wenn es zu Schlägen kommt. Ihr habt meine Vollmacht gesehen – Ihr wißt, daß Ihr mir vertrauen könnt – was wollt Ihr mehr?«

»Für mich selbst gar Nichts, aber meine Freunde sind eigener darin. Ich habe, wie ich versprach, die Häupter der alten Jakobiner-Partei erforscht – und sie sind günstig gestimmt. Dieser Soldaten-Glückspilz, der in seiner eisernen Faust so urplötzlich alle Früchte der Revolution zusammengegriffen hat, ist ihnen so verhaßt, als Euch. Aber, que voulez vous mon cher – Menschen sind Menschen. Es ist ein Ding, Bonaparte zu vernichten, es ist ein anderes, die Bourbons wieder einzusetzen. Wie können die Jakobiner-Häupter Ihrer oder meiner Versicherung trauen, daß die Bourbonen die alten Sünden vergessen und nur die neuen Dienste belohnen werden? Sie sowohl, wie Ihre Vollmacht, sagt nur, daß ein rechtmäßiger Prinz bei diesem Unternehmen betheiligt ist, und zur rechten Stunde erscheinen wird. Lassen Sie mich persönlich mit diesem Repräsentanten der Bourbons verkehren, und ich dagegen verspreche, wenn seine Versicherungen genügend sind, eine emeute zu schaffen, die von Paris bis Marseille gefühlt werden soll. Wenn Sie Das nicht thun können, bin ich nutzlos und ziehe mich zurück.«

»Zieht Euch zurück? – Garde à vousMonsieur le Savant! kein Mann zieht sich lebendig von einer Verschwörung, wie die unsere zurück.«

Wir haben schon früher gesagt, daß Dalibard nichts weniger als persönlich muthig war, und der Blick des Chouan, der diese Worte begleitete, hätte vielleicht das Blut in manches kühneren Mannes Adern erstarren gemacht; die ihm aber fast zur andern Natur gewordene Heuchelei ließ ihm auch seine aufsteigende Furcht verdecken und er erwiederte trocken:

» Monsieur le Chouan – nicht durch Drohungen werden Sie Anhänger an so verzweifelte Sache werben, die im Gegentheil freundliche Worte und lockende Aussichten verlangt. Wenn Sie eine Gewaltthätigkeit, einen Mord verüben, – mon cher – so ist Paris nicht die Bretagne; wir haben eine Polizei, und Sie würden entdeckt.«

»Haha – und was dann? glaubt Ihr, ich fürchtete die Guillotine?«

»Für sich selbst? – nein; aber für Ihre Führer? – ja. Wenn sie entdeckt und eines Verbrechens wegen verhaftet würden, glauben Sie da etwa, daß die Polizei nicht augenblicklich den rechten Arm des fürchterlichen George Cadoudal Georges Cadoudal (1771-1804) stammte aus einer wohlhabenden Bauernfamilie des Départements Morbihan. 1795 wurde er oberkommandierender Chef der »Katholischen und königlichen Armee des Departements Morbihan«. Nach den Niederlagen der Insurgenten bei Grandchamp und Elven (Januar 1800) verließ Cadoudal Frankreich und beteiligte sich von London aus an Vorbereitungen zum Sturz der republikanischen Regierung und Restauration der Monarchie. 1803 nach Frankreich zurückgekommen, wurde das Komplott aufgedeckt und Cadoudal festgesetzt, abgeurteilt und 1804 hingerichtet. in Ihnen erkennte? daß sie dann nicht eben so schnell erriethe, Cadoudal sey in Paris, und glauben Sie wohl, daß Sie Cadoudal dann nicht etwa mit zur Guillotine begleitete?«

Des Chouans Antlitz entfärbte sich – Olivier erkannte den errungenen Vortheil und sagte weiter:

»Ich verlangte von Ihnen, diesem Schatten von einem Prinzen, unter dem Sie zu einer Gegenrevolution marschieren wollen, vorgestellt zu werden, doch ich will jetzt mit Geringerem zufrieden seyn. Bringen Sie mich zu George Cadoudal, dem Helden von Morbihan; er ist ein Mann, dem ich vertrauen und mit dem ich verkehren kann. Was? – Sie zögern noch? Wie glauben Sie denn überhaupt, daß ein Plan solcher Art ins Werk gesetzt werden kann? Wenn aus Furcht und Mißtrauen gegen einander der Mann, den Sie verwenden wollen, nicht das Haupt finden kann, das ihm befiehlt, so entsteht Zaudern – Verwirrung, und ihr Alle endet durch Henkershand. Und was mich betrifft, Pierre Guillot – so nehmen Sie meine Lage. Ich stehe bei dem ersten Consul in einiger Gunst – ich habe eine achtbare Stellung – eine Laufbahn liegt vor mir. Können Sie glauben, daß ich dies Alles, und meinen Kopf dazu, wie ein tollwitziger Knabe aufs Spiel setzen werde, und – ehe ich einen so fürchterlichen Kampf wage, nur mit darin Untergeordneten verkehren werde? – das wäre Tollkühnheit, ja Wahnsinn. Nein, – sagen Sie Ihren Führern, daß ich mit ihnen direkt unterhandeln müsse, oder – je m'en lave les main

»Ich will Das ausrichten, was Sie sagen –« erwiederte Guillot mürrisch, »ist das Alles?«

»Alles für den Augenblick,« entgegnete Dalibard, während er langsam seinen Handschuh anzog und sich dann der Thür zuwandte. Der Chouan beobachtete ihn mit mißtrauischem finsteren Auge, und als des Provençalen Hand die Klinke berührte, legte er die eigene schwere Faust auf – dessen Schulter.

»Ich weiß nicht wie es kommt, Monsieur Dalibard – aber ich – traue Euch nicht!«

»Mißtrauen ist für alle die, die sich verschwören, eine nothwendige Tugend,« antwortete der Gelehrte ruhig. »Ich verlange auch nicht von Ihnen, daß Sie mir vertrauen sollen – Ihre Herren trugen Ihnen auf mich zu suchen – und ich habe jetzt meine Bedingungen genannt – sie mögen entscheiden.«

»Ihr führt Eure Sache gut durch – Monsieur Dalibard, und ich habe einen Eid geleistet, den mir der arme George abnahm, weil er weiß, daß ich ein Bischen hitzköpfig, sonst aber ein ehrlicher Bursche bin, mauvaise tête, wenn Ihr wollt, ich soll, auf bloßen Verdacht hin, meine Hand weder an Dolch noch Pistole legen, und nur sein Wort oder deutlicher klarer Beweis von Verrath darf mich aus guter Laune in warmes Blut bringen. Nehmt Euch das aber zur Lehre, Monsieur Dalibard, – wenn ich je entdecke, daß Ihr unsere Geheimnisse benützt uns zu verrathen – wenn George Euch sieht, und ein Haar seines Hauptes nachher durch Eure Hand oder durch Eure Schuld gekrümmt wird – so drehe ich Euch den Hals um, wie es eine gute Hausfrau mit ihren Hühnern macht.« –

»Ich zweifle weder an Ihrer Stärke noch Wildheit, Pierre Guillot – aber mein Hals ist sicher – Sie haben auch genug zu thun, auf Ihren eigenen Acht zu geben. – Au revoir

Mit ruhiger und furchtloser Ironie in Ton und Blick sprach der Gelehrte und verließ das Zimmer; kaum war er aber auf der Treppe, als er stehen blieb, und nach dem Geländer griff; jenes lähmende Gefühl, das den Schwachen gleich nach einer überstandenen, oder vor einer zu bestehenden Gefahr erfaßt, kam mit seiner ganzen lähmenden Gewalt über ihn, und der Abstand zwischen der eben bewiesenen und eigentlich nur dem wahren Muth angehörenden Selbstbeherrschung und der jetzigen Schwäche natürlicher und körperlicher Feigheit würde wirklich groß gewesen seyn, hätte er es in einer edlen Sache gezeigt; so aber bewies es nur den doppelt gefährlichen Charakter, denn Verrath und Mord bargen ihre Brut in den Falten der Feigheit eines Heuchlers.

Während so die Unterredung zwischen dem Verschworenen und Dalibard endete, wollen wir einen Blick auf des Provençalen Heimath werfen.

In einem Zimmer, in einer der Hauptstraßen zwischen den Boulevards und der Rue St. Honoré, saßen ein Knabe und eine Frau dicht beisammen und unterhielten sich flüsternd mit einander. Der Knabe war Gabriel Varney, die Frau Lucretia Dalibard.

Das Zimmer war in dem modernen, den klassischen Formen schmeichelndem Geschmack meublirt und hatte, wenn, auch nicht ohne eine gewisse Eleganz, doch etwas Mageres und Unbehagliches in seiner ganzen Ausstattung. Jenes Streben nach äußerem Schein ließ sich zu deutlich darin erkennen – jenes Streben, das denen besonders eigen ist, die, mit mäßigem Einkommen einen Luxus zu affektiren suchen, den herzustellen ihnen dennoch wieder der Geschmack fehlt – jener einfache Geschmack, der unserer Heimath ihren Reiz verleiht, und den die Liebe zu erhöhen, wenn nicht zu erschaffen scheint – der sich in einer Menge von ganz unbedeutenden und werthlosen Kleinigkeiten zeigt und doch so freundlich und zierlich Alles herrichtet. Nirgends ließ sich die Spur der schaffenden fleißigen Hausfrau erkennen; keine Blumen, kein Instrument – kein Stickrahm – kein Arbeitstisch war zu sehen. Lucretia besaß keine jener schönen weiblichen Eigenschaften, die so liebenswürdig den Aufenthalt einer Frau verrathen. Alles war ordentlich, aber formell und starr. Alles glich einem Raume, den wir betreten und wieder verlassen, in dem wir aber nicht bleiben und wohnen möchten.

Lucretia selbst hat sich sehr verändert – ihr ganzes Benehmen ist mehr fest und bestimmt – ihr Antlitz etwas bleicher, jener schlimme Ausdruck ihres Mundes noch hervortretender geworden.

Gabriel, noch immer an Jahren nur ein Knabe, hat den frühreifen Blick eines Mannes. Der Flaum färbt seine Oberlippe.

Beide, wie vorhergesagt, flüsterten mit einander, Beide warfen von Zeit zu Zeit den scheuen Blick nach der Thür – Beide fühlten, daß sie einem Herde angehörten, an dem das Lächeln der freundlichen Grazien, Liebe und Wahrheit, nicht heimisch war.

»Aber,« sagte Gabriel, »wenn Sie sich sicher fühlen wollten, so dürfte mein Vater keine Geheimnisse mehr vor Ihnen haben.«

»Ich glaube auch nicht, daß dies der Fall ist. Er spricht offen mit mir von seinen Hoffnungen – von dem Antheil, den er an der Entdeckung jener Verschwörung gegen den ersten Konsul hat– von seinen Zusammenkünften mit Pierre Guillot, dem Bretagner.«

»Ach – weil ihn dort Ihr Muth unterstützt, und Ihr Scharfsinn dem seinigen hilft. Solche Geheimnisse gehören dem öffentlichen Leben. Seine politischen Pläne, ja – die wird er Ihnen vertrauen, aber die Geheimnisse seines Privatlebens – seine Privatzwecke, die müssen Sie erforschen.«

»Was aber verheimlicht er vor mir? Außer seiner Politik scheint er seine ganzen Kräfte, wie auch natürlich, darauf zu verwenden, die intime Freundschaft seines reichen Cousins, des Monsieur Bellanger zu kultiviren, von dem er später einmal eine Erbschaft zu erwarten hat.«

»Bellanger ist reich, aber er ist nicht viel älter als mein Vater.«

»Er ist kränklich.«

»Nein –« sagte Gabriel mit niedergeschlagenen Augen und einem unheimlichen Lächeln auf den Lippen – »er ist nicht kränklich, aber – er lebt vielleicht nicht lange.«

»Wie meinst Du das?« frug Lucretia und ihre Stimme wurde immer noch leiser und flüsternder, während ihr ein Schauder, sie wußte selbst nicht warum, über den ganzen Leib lief.

»Was thut mein Vater« – fuhr Gabriel fort – »stets in dem Stübchen unter dem Dach? Hat er Ihnen auch das Geheimniß vertraut?«

»Er macht chemische Versuche – Du weißt, daß das von je sein Lieblingsstudium war. Du lächelst wieder? Gabriel, lächle nicht so – es beunruhigt mich. – Glaubst Du, daß irgend ein Geheimniß in jener Kammer verborgen liegt?«

»Es kommt Nichts darauf an, was wir glauben, belle mère – aber sehr viel, was wir wissen, und wenn ich wie Sie wäre, so müßte ich herausbekommeu, was er in der Kammer treibt. Ich sage es noch einmal – um sicher zu seyn, müssen Sie alle seine Geheimnisse kennen, oder gar keine. Pst – das ist sein Schritt.«

Der Thürgriff drehte sich geräuschlos um und Olivier trat ein. Sein Blick fiel auf des Sohnes Antlitz, das aber nur Erstaunen über seine unerwartete Rückkehr verrieth; er blickte dann Lucretia an, deren Züge waren aber so kalt und starr als je.

»Gabriel,« sagte er jetzt freundlich, »ich komme Deinetwegen zurück – ich habe versprochen Dich zu Monsieur Bellanger zu führen, wo Du den Tag über bleiben kannst; Du bist ja ein großer Liebling von Madame. Komm, mein Sohn. Ich werde bald wieder hier seyn, Lucretia, nur im Vorbeigehen lasse ich Gabriel bei meinem Verwandten.«

Gabriel sprang fröhlich empor, als ob er sich nur auf die bonbons und Schmeicheleien freue, die er gewöhnlich von Madame Bellanger erhielt.

»Du kannst auch Deine Zeichnen-Geräthschaft mitnehmen,« fuhr Dalibard fort. »Der gute Monsieur Bellenger hat Dir erlaubt, seinen Poussin zu copiren.«

»Seinen Poussin – ah, der sich im Schlafzimmer Es ist kaum nöthig zu bemerken, daß Schlafgemächer in Paris, wenn sie einen Theil des Empfangszimmers bilden, sehr oft eben so sorgsam ausgeschmückt sind, als diese. ( Anm.d.Verf.) befindet, nicht wahr?«

»Ja.« antwortete Dalibard kurz.

Gabriel hob seine durchdringenden Augen zu des Vaters Antlitz empor – dieser wandte sich ab.

»Komm!« sagte er mit einiger Ungeduld im Ton, und der Knabe ergriff seinen Hut.

In der nächsten Minute war Lucretia allein.

Das Wort allein begreift aber in einem englischen Hause keineswegs den Begriff trostloser Einsamkeit und Oede für eine wackere Hausfrau in sich – aber allein in dem fremden Land – allein in jenen halbmeublirten – öden Zimmern, mit wenig Büchern – keinem musikalischen Instrumente – keinem Menschen, der sie den Tag über besuchte – jene Einsamkeit wurde unerträglich – noch dazu einem Geist unerträglich, der so unermüdlich – nimmer ruhend arbeitete. In den alten schottischen Sagen muß der Geist, der dem Hexenmeister dient, fortwährend beschäftigt werden – nur einen Augenblick müßig gelassen, und er zerreißt den Zauberer. Eben so ist es mit einem Gemüth, das auch fortwährend nach Aufregung strebt und, ohne den Trost eines einzigen Herzens, ohne Liebe und Freundschaft, nur in den geistigen Mühen lebt und wirkt.

Lucretia sann über Gabriels Worte und Warnung nach: ›Sicher zu seyn, müßte sie alle oder kein Geheimniß kennen.‹ Welches Geheimniß gab es, das ihr Dalibard noch nicht vertraut hatte?

Sie stand auf stahl sich die kalten – kahlen Treppen hinauf und befand sich bald darauf vor der Dachstube, die Dalibard erst kürzlich gemiethet hatte. Sie war verschlossen – sie bemerkte aber, daß das Schloß klein war – so klein – man konnte den Schlüssel bequem an einem Ring tragen. Sie stieg wieder hinab und ging in ihres Gatten gewöhnliches Gemach, das an die Wohnstube stieß. Alle die Bücher, die das Haus enthielt, standen hier – einige Werke über Metaphysik – besonders Spinoza – die großen italienischen Geschichtswerke – einige statistischen Bände – viele über Philosophie und einer oder zwei mit Biographieen und Memoiren. Keine leichte Lektüre, die Zierde und Blumen menschlicher Cultur – jene trefflichste Philosophie der Welt, die uns mit leiser, freundlicher Hand bildet, in ihrem Humor belehrt, in ihren Leidenschaften erhebt, und die Gefühle für unsere Mitmenschen schärft und kräftigt.

Sie nahm eines der Bücher, das weniger trocken als die übrigen aussah, herab und begann zu lesen, denn sie war der eigenen Gedanken satt. Zu ihrem Erstaunen fand sie gleich die erste Seite, die sie öffnete, interessant, obgleich der Titel nichts Einladenderes bot, als »das Leben eines Arztes von Padua im sechzehnten Jahrhundert.«

Es bezog sich auf jene wunderbare Schreckensperiode in Italien, da eine räthselhafte Krankheit, die in den verschiedenartigsten Symptomen auftrat, jede Heilung und Kunst zu Schanden machte – eine Krankheit, die fast einzig und allein das Familienhaupt, Vater und Gatten traf, und nur selten eine Frau dahinraffte. In einer Stadt starben siebenhundert Ehemänner, aber nicht eine einzige Frau. Die Krankheit war – Gift. Der Held des Memoirs schien der erste Entdecker der wahren Ursache dieser häuslichen Epidemie zu seyn und war später bei der Untersuchung eine Hauptautorität gewesen. Entsetzlicher waren aber die in dem Werk enthaltenen Einzelnheiten – die Anekdoten, die Erzählungen; wie fürchterlich die teuflische Kraft ihr Opfer täglich mehr und mehr ergriff – jene wunderbare Sicherheit in der Wirkung und zugleich die stete Veränderung des gewissen Mordes: hier schnell wie Epilepsie – dort langsam und allmälig dahinzehrend. Die Lektüre fesselte sie und ganz vertieft in das Buch hatte Lucretia Dalibard's Eintritt gar nicht bemerkt, bis sie, als er über ihre Schulter sah, seine Stimme hörte.

»Eine sonderbare Wahl für eine schöne Studierende! – Enfant, spiele nicht mit solchen Waffen!«

»Ist dies aber Alles wahr Z«

»Wahr, wenn auch kaum ein Theil der Wahrheit. Der Arzt war ein armseliger Chemiker und ein noch schlechterer Philosoph. Er tappte in seiner Analyse über die Mittel im Dunkeln herum und – wenn ich mich recht erinnere – winselt wie ein Priester über die Motive. Weißt Du, was der Hauptgrund dieser Pestilenz war? eine Saturnalie der Schwachen – ein Ausbruch spottender Gewalt über die Stärkern – es war noch mehr, es war die natürliche Kraft des Individuums, die den Kampf gegen die Menge beginnt.«

»Ich versteht Dich nicht«

»In jenem Zeitalter waren die Gatten wirklich die Herrn ihres Haushaltes – sie heiratheten fast Kinder, ihrer Güter wegen, vernachlässigten und verließen sie dann und waren unerbittlich, wenn die Frau dieselben Fehler annahm, deren Beispiel sie bei ihnen selbst gesehen. Plötzlich fand das Weib eine Waffe gegen seinen Tyrannen – dessen Leben war in seiner Hand, und die Schwachen hatten kein Mitleiden mit den Starken. Aber auch die Männer waren damals, selbst mehr als jetzt, einsame Ringer in einer gedrängten Arena. Thierische Kraft allein verlieh ihnen Auszeichnung an Höfen – und nur Reichthum verschaffte ihnen Gerechtigkeit in den Hallen oder Sicherheit in ihrem eigenen Hause. Plötzlich sah der Schwache, Hülflose, daß er den sterblichen Theil seines riesigen Feindes treffen könne; die geräuschlose Schleuder hielt er in der Hand – er warf den Goliath aus der Ferne nieder. Plötzlich erkannte der Arme, in den Staub Getretene, und wie ein Hund Behandelte, durch die Masse reicher Verwandten hindurch, die ihn alle mieden und verderben ließen – plötzlich erkannte er die, deren Tod ihn zum Erben einer Herrschaft machen würde, und Geld und Paläste – Achtung und Rang lachten ihm entgegen. Wie eine Motte in der Kleiderkammer, so fraß sich der Mann durch Sammt und Hermelin hindurch, und nagte die Herzen derer aus, die in seinem Weg schlugen. Ja – ein starker Geist kann diese Sünder verstehen und sich ihre Verbrechen erklären. Es ist etwas Gewaltiges, in sich zu fühlen, daß man selbst und allein der Masse die Spitze bietet – das selbst und allein vollbringt, was Tausende und Millionen mit Trompeten und Bannern und unter der Weihe des Ruhms zu thun versuchen – einen Feind zu vernichten, und zwar mit kaum mehr als dem bloßen Willen – mit einem Tropfen – einem Korn – gegen ein ganzes Arsenal – ein einziger Mann.« Ein fürchterlicher Enthusiasmus sprach sich in diesem teuflischen Verstandesmenschen aus, als er so redete, seine Stirn hob sich – seine Brust athmete stolzer. Jene Begeisterung, die ein hoher Gedanke edlen Herzen verleiht, erglühte auf dem Antlitz des Vertheidigers der schwärzesten und fürchterlichsten menschlichen Verbrechen. Lucretia schauderte – aber auch ihre düstere Einbildungskraft war gefesselt – es mischte sich in diesen Schauder ein Interesse.

»Still – Du machst mich zittern,« sagte sie ängstlich,« – »doch existirt zum Glück für das Menschengeschlecht die gräßliche Verführung zu zerstören und zu vernichten nicht mehr?«

»Als eine reine vernunftwissenschaftliche Erfindung möchte es allerdings für den Chemiker interessant seyn, genau herauszubekommen, in was diese früheren Präparate bestanden,« sagte Dalibard, indem er die an ihn gerichtete Frage nicht direkt beantwortete. »Theile der Kunst sind allerdings verloren gegangen, oder es müßte denn, wie ich fast vermuthe, viel gläubige Uebertreibung in den uns überlieferten Berichten liegen. Durch eine Blume, ein paar Handschuhe, durch eine Seifenkugel zu tödten – durch Mittel ein Leben zu zerstören, die jedem möglichen Verdachte trotzen – ist es glaublich? Was meinst Du? eine interessante Forschung in der That, wenn man Zeit dazu hätte. Doch genug hiervon – es wird spät. Wir speisen heute beim Monsieur de ***. Er wünscht sein Hotel zu vermiethen. Ei Lucretia, wenn wir ein wenig von dieser alten Kunst verständen, so könnten wir bald selbst ein solches Hotel bewohnen. Ih nun, vielleicht überleben wir meinen Vetter Jean Bellanger.«

Drei Tage später stand Lucretia, an ihres Gatten Seite, in dem bis dahin geheim gehaltenen Zimmer. Von der Stunde an, wo sie es verließ, wurde eine Veränderung in ihren Zügen bemerkbar, die ihnen nach und nach den jugendlichen Ausdruck nahm. Bleicher konnten diese Wangen kaum werden, noch kälter und finsterer das rastlose Auge, aber es war, als ob sich eine schwere Sorge auf ihrer Stirn gelagert und die sich stärker gezeichneten Lippen zusammengezogen hätte. Gabriel bemerkte diese Veränderung, versuchte aber gar nicht ihr Vertrauen zu gewinnen. Eher bemühte er sich zu überlegen, ob es für ihn gerathen wäre, tiefer in das Geheimniß einzudringen, weswegen er Verdacht geschöpft, und zweitens, in welcher Ausdehnung und unter welchen Bedingungen es sein eigenes Interesse fordere, die Zwecke zu fördern, an denen er, durch Dalibard's Andeutungen und freundliche Behandlung, voraussah, daß er arbeiten solle.

Ein Wort jetzt über den reichen Verwandten des Dalibard. Jean Bellanger war Einer von jenen umsichtigen Republikanern gewesen, die aus der Revolution Nutzen gezogen. Von Geburt ein Marseillaise, hatte er sich als épicier, etwa im Jahre 1785, in Paris niedergelassen und sich zugleich durch seine Gewandtheit und Finesse, die dem in so trübem Wasser Fischenden am besten zusagte, hervorgethan. Zuerst hatte er nun mit Mirabeau, dann mit Vergniaux und mit den Girondins Partei genommen. Diese verließ er seiner Zeit für Danton und machte bedeutende Einkäufe in Besitzthümern der Emigranten, schloß auch einen Contrakt für die Bedürfnisse der Armee in den Niederlanden ab. Danton verließ er, wie er die Girondins verlassen hatte, ohne jedoch eine aktive Rolle in den späteren Verhandlungen der Jakobiten zu spielen. Seine nächste Verbindung war mit Tallien und Barras und er bereicherte sich jetzt sogar noch mehr unter dem Direktorium, als selbst früher in den ersten Stadien der Revolution. Unter der Decke einer Art bonhommie und guten Humors, eines offenen Lachens und einer freien Stirn, hatte Jean Bellanger stets gewußt sich populär und den guten Willen des Volkes zu erhalten, und war Einer von denen, der sich auch, der Politik des Ersten Consuls gemäß, mit diesem versöhnte. Seit längerer Zeit schon hatte er sich von der mehr niedrigen Beschäftigung seines Standes zurückgezogen, fuhr jedoch fort als Armee-Contrahent zu floriren, hatte ein großes Hotel, war prachtvoll eingerichtet, und einer der reichsten Capitalisten in Paris.

Die Verwandtschaft zwischen Dalibard und Bellanger war nicht sehr nahe – nur zweite Vetterschaft, und während Dalibard's früherem Aufenthalt in Paris hatte keiner von ihnen, da sie noch dazu verschiedenen Parteien angehörten und verschiedene Interessen verfolgten, an ein solches Nahestehen weiter gedacht, dennoch schienen sie stets gute Freunde geblieben zu seyn, und achteten einander auch wirklich der Discretion wegen, mit der sie sich Beide von den zu leidenschaftlichen Excessen jener Zeit fern gehalten. Da nun Bellanger nur wenige Jahre älter war als Dalibard, schon im Jahre 1791 geheirathet und deshalb mehr Aussicht auf eine Familie hatte, wie überhaupt seine Vermögensumstände zu jener Zeit, wenn auch im Wachsen begriffen, doch noch keineswegs begründet waren, und überdies nähere Verwandte in der Gestalt zweier kräftiger junger Neffen zwischen ihnen standen, so rechnete bis dahin Dalibard keineswegs darauf, seinen weitläufigen Vetter je beerben zu können. Bei seiner Rückkehr fand er aber, was die Zeit Alles geändert. Bellanger, obgleich schon viele Jahre verheirathet, sah sich durch keine Nachkommenschaft gesegnet; seine Neffen, durch die Conscription mit fortgerissen, mußten in Aegypten verderben und Dalibard wurde sein nächster Verwandter.

Sicherlich lag für Geldgier und weltlichen Ehrgeiz etwas ungemein Verführerisches in der so seinem Blicke sich eröffnenden Aussicht. Des reichen Mannes verschwenderische Art zu leben, die ungeheueren Capitalien, durch welche er seine Spekulationen begann und unterstützte, mußten den in Intriguen lebenden Gelehrten mehr und mehr in seine Maschen ziehen, da sich ihm ja hier, und wenn auch nur die leiseste Aussicht zu Reichthum eröffnete, während sein Geist sich stets jener fieberhaften Unruhe hingab, die beschäftigt werden wollte und mußte. Ja eben diese Rastlosigkeit schien seinen Charakter auf Verbrechen zu führen, die sonst gar nicht in seiner Natur lagen. Dalibard besaß nicht jene Geldgier, die entweder dem Verschwender oder dem Geizigen eigen ist; in seiner Jugend befriedigten ihn seine Bücher und das einfache Verlangen ungestörten Studiums; alle diese Bedürfnisse und eine gewisse Gewöhnung zu Ordnung und Accuratesse, eine fast mechanische Berechnung, die seine größten wie kleinsten Handlungen begleitete, bewahrten ihn, selbst in seinen ärmlichsten Verhältnissen, vor Mangel und Noth. Auch war er nicht einmal von Natur stolz und prunkliebend – diese Schwachheiten sind mehr verweichlichten Naturen eigen, nein, seine Philosophie verachtete eher solche Eitelkeit, als daß er geneigt gewesen wäre ihr selbst zu fröhnen. Dennoch wurde und blieb es seine einzige Erholung, seine einzige Beschäftigung, Pläne und Ränke zu schmieden; und was ist es denn, weswegen ein ganz mit sich selbst beschäftigter und keinen erhabenen Endzweck verfolgender Mann anders Pläne, und Ränke schmieden kann, als Gegenstände weltlicher Größe etwa? Darin glich nun auch Dalibard Einem, der von der Leidenschaft des Spiels erfaßt, weder den Preis gebraucht noch stark verlangt. der sich aber nicht mehr von dem Setzen und Wagen hinwegzureißen im Stande ist. Es war ein Wahnsinn, ähnlich dem jenes reichen Edelmannes in unserem eigenen Lande, der mit mehr Geld, als er verschwenden konnte und mit einer Fertigkeit in allen Spielen, wo nur Fertigkeit den mindesten Nutzen gewährt. und die ihm günstigen Erfolge versprochen haben müßte – die Kunst zu betrügen lernte, und nun dem Reiz nicht länger widerstehen konnte. Keine Gefahr, keine Warnung konnte ihn zurückhalten – er mußte betrügen – die Lust wurde zur riesenstarken Leidenschaft – er konnte ihr nicht länger widerstehen.

Daß die mögliche Aussicht auf eine so bedeutende Erbschaft Lucretiens und Gabriels Augen blenden konnte, war eher begreiflich und natürlich, denn in diesen begünstigte es mehr die direkte, wenn auch nicht mächtigere Neigung. Gabriel hatte jedes Laster, das die Geldgier weckt und reizt. Unbegrenzte Habsucht lag zum Grund, aber nicht, um den Schatz zu wahren, verlangte er ihn, sondern jede Lust, jedes Vergnügen zu genießen, wie in der Pracht und Herrlichkeit des Lebens zu schwelgen. Lucretia dagegen wäre vielleicht an der Seite eines Mannes wie Mainwaring ihren ehrgeizigen Plänen entrissen und einem reineren, geistigeren Leben wiedergegeben worden, jetzt aber durchtobten sie all' jene bitteren Gefühle einer von ihrer Höhe Herabgestürzten und ihr einziges Streben drängte und trieb sie, diese wieder zu erreichen. Bitterkeit und Haß, ja Verachtung gegen die Welt erfüllte sie und dennoch geizte sie nach jenen weltlichen Vortheilen, die allein eine Verachtung derselben rechtfertigen konnten.

Zu diesen krankhaften Schwächen des Stolzes und der Eitelkeit, ob sie sich nun bei Gabriel oder Lucretia zeigten, trug Dalibard ebenfalls noch, wenn auch scheinbar nicht absichtlich, viel durch seine Unterhaltung und all' seine Gewohnheiten bei. Er verkehrte mit denen, die zwar wohlhabender als er selbst waren, aber nicht durch Geburt und Geist über ihm standen – mit denen, die in der heiß und wild aufgährenden Zeit schnell in eine neue Aristokratie hineinwuchsen; glückliche Soldaten, unternehmende Spekulanten – die Plünderer so manchen reichen Schiffes, das der große Sturm zerschmettert hatte. Jeder von diesen wurde nur durch das Verlangen getrieben, schnell »sein Glück zu machen«. Das Verlangen war ansteckend.

Dalibard's waren nicht gerade arm, in dem vollen Sinn, den dieses Wort begreift, denn seine Rente, wie die Zinsen von seiner Frau Vermögen schützten sie schon davor, sie waren aber arm gegen die, mit denen sie verkehrten, – arm genug, um unzufrieden zu seyn.

So verfolgte sie denn das Bild jenes ungeheuren Reichthums, von dem sie vielleicht nur ein einziges Leben trennte, immer fürchterlicher, immer unerträglicher. Gabriels sinnlicher Leidenschaft versprach der Traum unbegrenzte Vergnügungen, unbeschränkte Befriedigungen seiner Gelüste – Lucretia sah in ihm die angebetete Majestät der Gewalt; für Dalibard selbst war es aber nur der verdiente Lohn seiner Intriguen und das glänzende Mittel zu neuen, höheren Plänen. So hatte der Teufel für jeden die passende Verführung.

Indessen verkehrten die Dalibards mehr und mehr mit den Bellangers. Olivier sprach oft dort vor, die Hoffnungen und Wechsel von Handel und Staat mit ihm zu besprechen; Lucretia saß Stunden lang und lauschte mit einer Engels-Geduld des Lieferanten Prahlereien von früher verübten Betrügereien, oder unterzog sich gar der Märtyrerschaft seiner siegreichen Tricktrackspiele. Gabriel, der verzogene Günstling, kopirte die Gemälde an den Wänden, schmeichelte der Frau, bekomplimentirte den Mann und preßte aus Beiden Geld und Spielereien. Wie drei Vögel der Nacht und des Omens, so ließen sich diese drei bösen Naturen auf des reichen Mannes Dach nieder.

War aber dieser selbst blind gegen die Beweggründe, die in solcher aufmerksamen Zuneigung keimen mußten? War sein Scharfsinn nicht vielleicht durchdringend, seine böse Meinung des Menschengeschlechts stark genug, ihn solchen sich selbst schmeichelnden Träumen zu überlassen? O nein, er nahm Alles in bester Freundlichkeit auf, benutzte Dalibard's Winke und Vorschläge in der Anwendung seiner Kapitalien, und war artig gegen Lucretia, ja, verurtheilte sie sogar häufig und gern dazu, im Tricktrack zu verlieren, wie er denn auch mit wahrer Bonhommie Gabriels geistreiche Kopien seiner Gemälde acceptirte. Nur zu Zeiten zuckte ein Blitz von Malice und Satyre in jenen kleinen grauen Augen auf, und er schien innerlich über die ihm gebrachten Freundlichkeiten und Schmeicheleien ein so unsägliches Wohlbehagen zu empfinden, daß Dalibard oft darüber bestürzt, Lucretia aber gedemüthigt wurde. Hätte sein Vermögen zu seiner eigenen Disposition gestanden, diese Zeichen wären bös und unheilbedeutend gewesen, so aber bestimmte das neue Gesetz so genau und unumstößlich über solchen Fall, daß Bellanger sein Vermögen nur seinen nächsten Verwandten hinterlassen konnte. War nicht Dalibard der nächste?

Diese Hoffnungen und Spekulationen lenkten aber, wie wir gesehen haben, Dalibard's rastlos wilde Energieen nicht ab, der vorgezeichneten Bahn treu zu bleiben. Geduldig und schlau verfolgte er den Hauptzweck seines politischen Wirkens – die Entdeckung jener kühnen und weitverzweigten Verschwörung gegen den Ersten Konsul, die später so tragisch mit dem Tode Pichegru's, des Herzogs D'Enghien und dem wohl irrenden, aber berühmten Helden der Vendee – Georg Cadoudal endete. Inmitten dieser dunkeln Pläne für persönliche Größe und politischen Ehrgeiz verlassen wir für den Augenblick die Unheil brütende Seele Olivier Dalibard's.


Ein Zeitraum ist verflossen und der Frühling hielt seinen Einzug; die in der Mutter Erde begraben gelegenen Samen schwollen zu Knospen auf; nur des Mannes Brust kennt nicht den süßen Unterschied der Jahreszeiten. Im Winter wie im Sommer, im Frühjahr wie im Herbst säen seine Gedanken die Keime seiner Handlungen, und Tag nach Tag erndtet das Schicksal die Garben.

Die Freudenglocken schallen hell durch die laubigen Gänge von Laughton – ein Erbe ist dem alten Namen und den herrlichen Landen der St. Johns geboren, und wie gebräuchlich bewillkommt das schon lebende Geschlecht fröhlich und freudig das, das es einst ersetzen, die jetzt jubelnden Empfänger in die Gräber legen und für sich die herrlichen Güter der Welt in Empfang nehmen soll. Die Freudenglocke der Geburt seht der Todtenglocke voran, und die Würmer in der Gruft wachen auf, denn die Neugeborenen jeden Jahres drängen die Aelteren als ihre Opfer hinab. Und doch – wer kann vorher wissen, ob das Kind der Erbe werden wird? Wer kann wissen, ob nicht der Tod schon jetzt neben der Wiege sitzt? Kann der Mutter Hand den Faden messen, den die Parze spinnt? oder des Vaters Auge durch die Dunkelheit des »Morgen« das Blitzen der Schicksalsscheeren erkennen?

Es ist Markttag – in einer Stadt, in dem Mittel-Distrikte Englands. Dort hat der Handel seine kräftigste und belebteste Höhe erreicht. Du siehst nicht die niedergedrückte, hohläugige Gestalt des Handwerkers – den armen Sklaven der Kapitalisten, den unglücklichen Agenten und das Opfer der, jede Gleichheit aufhebenden, Civilisation. Dort schreitet die starke, breitschulterige Gestalt des Farmers, da wartet der rothbäckige Knecht mit seiner Heerde – dort sitzt geduldig der Müller mit seinen Korngarben, da drüben in den Buden glänzen die einfachen Waaren, aus denen die Luxusartikel von Farm und Hütten bestehen. Das Drängen der Menschen, das Klatschen von Peitschen und das dumpfe Rollen der Wägen und Karren, die die Menge theilen, sobald sie nahen; das Blöcken der Rinder und Schafe, das Alles sind geschäftige und regsame Laute, verschmelzen aber dennoch mit dem ländlichen Wesen des ursprünglichen Handels, wo die Kette, die Markt und Farm verband, noch direkt und kenntlich war.

Nach einem großen Haus in der Mitte jenes wogenden, schaffenden Lebens, könnt Ihr sehen, wie sich Strom auf Strom seine Bahn bricht. Die großen Thüren bewegen sich leicht in ihren Haspen, und die goldenen Buchstaben, die über denselben glänzen, wie die an der Außenseite mit Eisen beschlagenen und mit, großen Nägeln überdeckten Fensterläden verkünden, daß dies Haus die Bank der Stadt ist.

Herein mit dem Landmanne da, dessen breites, einfältig blödes Gesicht schon voraus verkündet, was er will; er ist nicht hierher gekommen, Geld niederzulegen, er will borgen. Was schadet's – es gibt wieder Krieg, das ist die Zeit der hohen Preise und des Papiergelds und Kredits. Ehrlicher Bauer, Du wirst nicht vergebens anfragen. Er kratzt sich das dicke Haupt – streckt die Glieder ein wenig und fragt, als sich der Buchhalter über den Zahltisch herüberlehnte, ob er nicht – »Muster Mahnwaring ganz selbst sprechen könnte.« Der Buchhalter deutet zu dem kleinen Comptoir des neuen jungen Compagnons, der zehntausend Pfund und einen klaren Kopf der Firma zugebracht hat.

Und des Landmanns schwere Stiefeln knarren gleichförmig hinein. – – – Ich sagte es Dir ja, ehrlicher Bursche – Du verläßt das Zimmer mit einem Lächeln, und Deine Hand, die einen Ochsen zu Boden fällen könnte, knöpft sich die vollen Taschen zu. Du wirst mit leichtem Herzen nach Hause reiten – geh – iß und sey vergnügt!

Der Yeoman kommt in das Speisehaus – Teller klappern, Zungen regen sich und des Borgenden volles Herz freut sich, diesem Luft machen zu können – er lobt den guten »Muster Mahnwaring.« – Aber Wunder! – Alle stimmen ein – »Er ist eine Ehre für die Stadt – ein Freund in der Noth – und so ein Geschäftsmann. Der macht die Bank ›ane Million warth‹ – und wie schön er bei der letzten County-Versammlung über den Krieg und das Land und die blutdürstigen ›Monschiers‹ sprach. – Wenn die Andern wären wie ihm – ›Muster Fuchs‹ – (die Franzosen) käme schlecht an.«

Der Tag neigt sich seinem Ende zu – die Stadt wird leer – Einspänner – Karren und Pferde beleben die Straßen, der Markt ist verlassen und die Bank geschlossen. William Mainwaring kehrt zu seiner Wohnung am äußersten Ende des Städtchens heim. Es ist keine Villa – kein Pavillon – es ist ein einfach Englisches Haus, mit dem wohnlichen rothen Backstein-Angesicht und der soliden viereckigen Gestalt – ein Symbol des Bestehens in den Glücksumständen des Eigenthümers. Dennoch, als er dahinschreitet, sieht er durch die fernen Bäume die Halle des Wahlmannes der Stadt. Er bleibt einen Augenblick stehen und seufzt unruhig. Die Pause und der Seufzer verrathen den Keim des Ehrgeizes und der Unzufriedenheit. – Warum sollte nicht er, der so gut sprechen konnte, Wahlmann der Stadt seyn, anstatt jenes alten stotternden Squires? Sein Verstand bringt aber bald das unwirsche Murren zu Ruhe – er beeilt seine Schritte – er ist zu Hause. Und da – in dem freundlichen Wohnzimmer, das in den Garten hinaussieht, da zischt der willkommene Theekessel – das Piano ist offen, auf dem Tisch liegt ein Paket neuer Bücher, und – das Beste von Allem – da lächelt ihm das fröhliche Antlitz seines lieben, lieben Weibs entgegen. Diese Scenen des Glückes charakterisirten jene Zeit – die einfachen und unschuldigen Luxusartikel der höheren Klassen erstreckten sich auch weiter hinab, den Mittelstand – nicht zu verderben, sondern zu veredeln. Der Anzug, das ganze Wesen, selbst die Bewegungen des jungen Paares, die anspruchslose, einfache Eleganz des Hauses, der Blumengarten, die Bücher und Musik, das Alles schien nur ein Zeichen veredelten Geschmacks, nicht Putz und Prunk zu seyn. Alles das verrieth auch das leise Ineinanderschmelzen der Stände, ehe noch rüde und rohe Geldmacht hereinbrach, und den Gentleman für immer von dem Parvenu trennte.

* * *

Frühling lächelt über Paris – über Notre-Dame, über die gedrängten Alleen der Tuilerien, über Tausende und Tausende von fröhlichen – muthigen – lebensfrohen Menschen – über das neue Geschlecht von Frankreich – jetzt an das Schicksal eines Mannes gebunden – Kinder des Ruhms und des Mordes – deren Blut der gierige Wolf und Aasgeier aus weiter Ferne wittert.

Die Verschwörung gegen das Leben des Ersten Consuls Cadoudal und Pichgru landeten er am 21. August 1803 mit anderen an der Küste der Normandie in der Absicht, ein Attentat auf den Ersten Konsul Napoléon Bonaparte auszuführen. Sie gelangten in Verkleidung bis nach Paris. Die Verschwörung wurde aber entdeckt und Pichegru am 28. Februar verhaftet. Die Suche nach Cadoudal führte dann dazu, dass der Anführer am 9. März 1804 verhaftet wurde. Im Kriminalprozess eines Mordanschlags auf den Ersten Konsul für schuldig befunden, wurden er und seine Mitverschworenen am 10. Juni 1804 zum Tod verurteilt und am 25. Juni durch die Guillotine hingerichtet. ist entdeckt und vernichtet. Pichegru im Gefängnisse – Georg Cadoudal erwartet sein Verhör – der Herzog von D'Enghien schläft in seinem blutigen Grabe; die Kaiserkrone harret des großen Kriegers und des großen Kriegers Kreaturen strecken sich in der Sonne seines Glücks. Olivier Dalibard lebt in guter und einträglicher Stellung; sein Steigen wird seinen Talenten, seinen Meinungen zugeschrieben. Kein mit der Entdeckung des Complotts verbundener Dienst ist vor das Auge und Ohr des Publikums gekommen. Hat er ihn wirklich geleistet, so wissen es nur die, die schwerlich Verlangen tragen werden, es zu entdecken. Die alten Räume sind beibehalten, aber sie sehen nicht länger trüb und trostlos aus – sie glänzen von Draperien, Vergoldungen und Spiegeln, und Madame Dalibard hat ihre Empfangsabende wie Monsieur schon seine Schaar von Klienten. In jener ungeheuren Koncentrirung von Egoismus, der, unter Napoleon, der Staat genannt ward, hat Dalibard seinen Platz gefunden. Er hat dazu beigetragen, die Macht des Ganzen zu heben; und die Zahl gewinnt durch ihre Stelle in der Summen-Bedeutung.

Jean Bellanger ist nicht mehr – er starb. – Nicht plötzlich etwa, und doch an einer schnell dahinraffenden Krankheit – an einer Art nervöser Erschöpfung. Man sagte sich, seine endlosen Pläne hätten ihn aufgerieben. Aber Dalibard's Vermögen, wenn auch nicht unansehnlich, verdankt er nicht der Erbschaft des todten Millionairs. Was ist das? – »Die Summe dieses Vermögens muß auf den nächsten Verwandten übergehen« – lautet nicht so das Gesetz? Aber das Testament wurde verlesen, und zum ersten Mal in seinem Leben erfährt Olivier Dalibard, daß der Todte – einen Sohn hatte – einen Sohn aus früherer Heirath, und diese unveröffentlicht – unbekannt – und zwar unter dem Toben der Revolution geschlossen – denn jene Frau war die Tochter eines Proscribirten gewesen.

Den Sohn hatte der Vater in Lyon erziehen lassen und seine Existenz der zweiten Frau gar nicht genannt. Diese brachte ihm ein recht hübsches Vermögen zu, und er fürchtete, jene Entdeckung möchte sie vielleicht von einer Verbindung mit ihm zurückschrecken. Der Sohn, in's öde Leben hinausgestoßen, sah erst nach Vaters Tode seine Rechte anerkannt und verkündet, und Olivier Dalibard fühlte, daß Jean Bellanger umsonst gestorben ist. Tagelang hat sich der bleiche Provençale mit Advokaten eingeschlossen – aber keine Hoffnung lacht ihm. Die Beweise der Heirath – die Geburt – die Identität kommen klarer und immer klarer zu Tage, und der unbärtige Knabe in Lyon erntet all' die Vortheile jener namenlosen Intriguen und jenes geheimnißvollen Todes.

Olivier Dalibard wünscht jetzt die Freundschaft – die innige Freundschaft des jungen Erben; aber dieser ist der Vormundschaft eines Lyoner Kaufmanns übergeben – eines nahen Verwandten der Mutter, der nur kalt und höflich Oliviers Briefe beantwortet.

Plötzlich scheint der so in all' seinen Erwartungen Getäuschte ganz zufrieden mit dem Verlust. Die Wittwe Bellanger hat ihr eigenes, von jenem getrenntes Vermögen, und es ist über Erwarten groß. Außer dem aber, was sie ihm zugebracht, hat die Liebe des Verstorbenen auch noch beträchtliche Summen auf ihren Namen deponirt. Die Wittwe ist also reich – reich wie der Erbe selbst. Sie ist auch schön – die arme Frau braucht Trost. Indessen aber sind die Nächte Olivier Dalibard's gestört und unruhig. Sein Auge ist eingefallen und schweift scheu umher – er läßt sich selten bei Tage zu Fuß in den Straßen sehen. Die Furcht ist da sein Begleiter und kauert Nachts auf seinem Kissen. Der Chouan, Pierre Guillot, der zu Georg Cadoudal wie zu einem Gotte aufsah, weiß, daß Cadoudal verrathen wurde und hat Olivier Dalibard in Verdacht – der Chouan hat einen eisernen Arm und ein gegen jedes Mitleiden gestähltes Herz. Oh wie dürstete der bleiche Gelehrte nach dem Blute jenes Chouan, – mit welcher rastlosen Beharrlichkeit setzte er alle Spürhunde des Gerichts auf die Fährten des einzelnen Mannes – aber vergebens – vergebens. Ein Rächer lebt noch, und Dalibard erschrickt vor dem eigenen Schatten. Trotz dem aber ließ er mit seinen Intriguen und Plänen nicht nach, eine solche Beschäftigung wurde ihm gerade jetzt zur Nothwendigkeit, nur um sich selbst zu entfliehen.

Uebrigens war auch etwas, was Olivier in all' seiner Todesfurcht tröstete und beruhigte. – Der Chouan hatte, wie er ihm selbst gesagt, einen Eid geleistet (und er wußte, daß die Bretagner ihre Schwüre heilig hielten), seine Hand von Messer und Waffe zurückzuhalten – bis er klare Beweise des Verraths erhalten. Solche Beweise existirten nur in Dalibards Pult oder in den Papieren Fouchés. – Pah – er war sicher genug! So aber, wenn er von Träumen der Furcht aufschreckte in stiller Nacht, flüsterte wohl sein kühneres Weib mit fester und kalter Lippe –

»Olivier – Du fürchtest die Lebenden. – Hast Du nie vor den Todten Furcht? Deine Träume zeigen Dir stets ein Schreckbild – warum nimmt es nicht die Form und Gestalt Deines modernden Verwandten an?«

Dalibard antwortete darauf, denn er war trotz seiner Feigheit ein Philosoph – » Il n'y a que les morts, qui ne reviennent pas.«

Es ist bei uns Erzählern etwas sehr Gewöhnliches, daß wir die Gedanken unserer handelnden Personen in einem »Selbstgespräche« kund geben, und das wird fast stets das Meisterstück eines Geschichts-Erzählers; denn geschieht es wirklich in Worten, was für dunkle, geheime Gänge und Höhlen giebt es da nicht aufzudecken in dem wunderlichen menschlichen Herzen! Bei Olivier Dalibard können wir uns aber dieses Urtheils kaum oder doch nicht oft bedienen, denn er verhandelte selten mit sich selbst. Unaufhörlich arbeitete und schaffte wohl eine Art geistiger Berechnung in ihm, aber das war fast mehr zu einem wirklich mechanischen Trieb geworden und wurde nur selten durch jenes Bewußtseyn des Gedankens mit seinen Kämpfen von Furcht und Zweifel – Genüssen und Verbrechen gestört, das dem Selbstgespräch der Tragödie solch spannendes Interesse gibt. In dem geheimnißvollen Dunkel jenes fürchterlichen Geistes regten sich nur, wie auf dem Grunde des Meeres, entsetzliche Schreckbilder und Ungeheuer – Raubthiere, das warme Leben zerstörend; aber in jene Tiefen tauchte Olivier selbst nimmer hinab! Er wagte es nicht seiner eigenen Seele entgegenzutreten – sein äußeres und inneres Leben schienen getrennte Individualitäten, gerade so wie in manchem komplicirten Staat, wo sich die gesellschaftliche Maschine durch all' ihre zahllosen Kreise von Lastern und Schrecken wälzt, wie auch die Gesetze der Regierung – die nun einmal den Staat in dem flachen Urtheile der Geschichte repräsentirt – dagegen wirken und schaffen.

Schon vor dieser Zeit hatte sich aber Olivier Dalibard's Betragen sehr gegen seinen Sohn geändert; der kalte, fremde Ton, den er so oft in England gegen ihn angenommen, war verschwunden, und er selbst freundlich und liebreich, ja fast zärtlich gegen ihn geworden; während anderer Seits Gabriel, als ob er im Besitz eines Geheimnisses wäre, das ihm Gewalt über seinen Vater gab, einen unabhängigern, ja fast frecheren Ton gegen diesen annahm und sich oft Tage lang von Haus entfernte. Er schloß sich da den Gelagen junger Wüstlinge, die dennoch älter als er selbst waren, an, verpraßte und schwelgte und stürzte sich so frühreif in den Strom lasterhafter Vergnügungen, der sich durch den Schlamm von Paris dahinwälzte.

Eines Morgens, als Dalibard von einem Besuche bei Madame Bellanger zurückkehrte, fand er Gabriel allein im Salon, und zwar in der Beschäftigung, seine schöne Gestalt und Kleidung in einem der Spiegel zu betrachten und sein Haar dabei niederzustreichen, das er lang und glatt trug, wie er es an den Portraits Raphael's gesehen. Dalibards Lippe warf sich, über des Knaben Ziererei, verächtlich empor, doch hatte er selbst gerade den Geschmack für solchen Putz bei ihm erweckt und genährt, – es war sein alter Grundsatz »um Jemand zu regieren, mußt Du eine schwache Seite an ihm finden oder erschaffen.« Das höhnische Lächeln machte aber bald einem freundlichern Platz und er sagte mit aufmunterndem Tone:

»Nun, mein joli garçon, bist Du denn mit Dir selbst zufrieden?«

»Wenigstens hoffe ich, Sir, daß Sie sich meiner nicht zu schämen brauchen, wenn Sie mich förmlich als Ihren Sohn anerkennen. Die Zeit ist, wie Sie wissen, herangerückt, in der Sie Ihr Versprechen halten wollten.«

»Und es soll gehalten werden – fürchte Nichts. Zuerst aber habe ich eine Beschäftigung für Dich – eine Mission. Deine erste Gesandtschaft, Gabriel!«

»Ich bin ganz Ohr, Sir!«

»Ich muß eine Nachricht von größter Wichtigkeit nach England senden – und zwar an den Agenten der französischen Regierung. Wir sind im Begriff, einen Einfall in England zu machen und in Correspondenz mit Jemand in London, auf dessen Hülfe wir zählen können. Ein Mann möchte untersucht werden – verstehe wohl, untersucht, Du aber, ein Knabe, mit englischem Namen und fehlerloser Aussprache, wirst mein bester Gesandter seyn können. Bonaparte billigt meine Wahl und nach Deiner Rückkehr erlaubt er mir, Dich ihm vorzustellen. Er liebt die aufwachsende Generation. In wenigen Tagen wirst Du bereit seyn aufzubrechen.«

Trotz dem ruhigen Ton seines Vaters hatte der Sohn, durch den Instinkt der Furcht und Selbstvertheidigung, so jeden Ausdruck, jeden Blick Oliviers beobachtet, sich so als ein Spion gegen das Herz gerichtet, dessen Falschheit stets gewaffnet war, daß er auch bald irgend einen, seinen eigenen Interessen feindseligen Plan hierin entdeckte. Er widersetzte sich jedoch dem Befehl mit keinem Wort, und scheinbar durch seinen Gehorsam befriedigt, entließ ihn sein Vater.

Sobald er auf der Straße war, eilte Gabriel geraden Weges zum Hause der Madame Bellanger. Das Hotel war in ihrem Namen gekauft worden, und sie behielt es deshalb bei. Seit ihres Gatten Tode hatte er das früher ihm so befreundete Haus gemieden und selbst jetzt wurde er bleich und athmete schwer, als er, an des Portiers Stube vorbei, den geräumigen Treppen zu schritt.

Er wußte von seines Vaters häufigen und regelmäßigen Besuchen hier, und ohne genau zu verstehen, was Oliviers Absichten eigentlich waren, verband er diese doch in der nun einmal erlangten und ihm fast natürlichen Verschmitztheit mit der reichen Wittwe. Er beschloß, auch das Geringste zu beobachten und nachher seine eigenen Schlußfolgen zu ziehen.

Als er Madame Bellanger's Zimmer, eigentlich ein wenig unerwartet, betrat, sah er, wie sie unter ihren Papieren etwas bei Seite schob, das sie betrachtet hatte – etwas, das ihm in die Augen blitzte. Er setzte sich dicht neben sie, warf, in der gewöhnlichen zärtlichen Art, die er gegen das schöne Geschlecht angenommen, und inmitten der Plaudereien, mit denen Damen wohl Knaben beehren, die Papiere plötzlich zurück und sah hier – seines Vaters in Diamanten gefaßtes Miniaturbild. Das Erschrecken der Wittwe – ihr Erröthen und ihr Ausruf verstärkte nur noch das Licht, das plötzlich vor seinem innern Geiste aufstieg.

»Oho,« sagte er lachend, «jetzt begreife ich auch, weshalb mein Vater immer die schwarzen Haare rühmt. Ih nun, in Paris mag schon ein Gentleman eine Dame bewundern«

»Puh, mein liebes Kind – Dein Vater ist ein alter Freund meines verstorbenen Gatten und noch dazu ein naher Verwandter. – Aber Gabriel, mon petit ange! Du brauchst gerade zu Hause nicht zu sagen, daß Du dies Bild hier gesehen hast. Madame Dalibard könnte thöricht genug seyn, ärgerlich zu werden.«

»O gewiß nicht – ich habe schon Geheimnisse vor dieser Zeit bewahrt.« Und des Knaben Antlitz erbleichte wieder, während sein Blick scheu den Boden suchte.

»Du hast Madame Dalibard auch sehr lieb, also darfst Du ihr damit nicht weh thun!«

»Wer sagt, daß ich sie lieb habe, Madame Dalibard? – meine Stiefmutter?«

»Ih nun, Dein Vater natürlich – il est si bonce pauvre Dalibard – und alle Männer lieben gern fröhliche Gesichter; aber sie freilich, die arme Dame, eine englische Frau – so fremd hier – es ist wohl ganz natürlich, daß sie sich grämen sollte – und noch dazu mit so schwacher Gesundheit.«

»Schwacher Gesundheit – ah ja – ich erinnere mich – sie scheint auch wohl nicht lange mehr leben zu können?«

»So fürchtet Dein armer Vater wenigstens. – Ach ja – wie unsicher das Leben ist. Wer hätte wohl gedacht, daß mein theurer Bellanger –«

Gabriel stand schnell auf und unterbrach der Wittwe wehmüthige Betrachtungen »Ich kam nur her, um bon jour zu sagen – ich muß wieder fort.«

»Adieu, mein theurer Junge – aber kein Wort von dem Miniaturbild. – Apropos, hier ist eine Tuchnadel für Dich – tu es joli comme un amour

Alles lag jetzt klar und offen vor Gabriel's Augen; es war nöthig, ihn, und wo möglich auf immer, zu entfernen. Dalibard konnte seine Zuneigung zu Lucretia, vielleicht noch mehr seine nähere Vertraulichkeit mit der Wittwe Bellanger fürchten, sollte diese Wittwe wieder heirathen und Dalibard – (ebenso wie sie befreit, aber durch welche Mittel?) – ihre Wahl treffen. In diesen Abgrund von Verbrechen, dem Unschuldigen und Unverdorbenen unergründlich, starrte das Auge des jungen Verbrechers, und durchforschte die Tiefe. Schrecken erfaßte ihn – Schrecken und Angst des Todes. – Würde Dalibard selbst den eignen Sohn schonen, wenn dieser Sohn die Macht hätte ihm zu schaden? Diese Botschaft – war es nur Verbannung – nur ein Zurücktreiben zu dem alten Schmutz in seines Onkels Atelier – nur das Beiseitelegen eines unnützen Werkzeugs? – oder war es eine Schlinge zum Grabe? Teufel, wie Dalibard war, der Knabe that ihm da doch wohl unrecht. Schuld hielt aber Schuld des Schlimmsten fähig.

Gabriel hatte früher gern und oft den Gedanken gepflegt, sich mit Dalibard zu messen, wenn Gefahr nahen sollte. – Die Gefahr war jetzt da, er fühlte jedoch seine Ohnmacht. Seinem Vater trotzen und Frankreich nicht verlassen? selbst seine rücksichtslose Keckheit schrack davor, als unausweichbarem Verderben zurück. Aber abzureisen – das arme Opfer, der Betrogene zu seyn, jetzt zu Arbeit und Noth zurückzukehren, wo er einmal den wilden Taumel des Vergnügens gekostet – seine Sinne wie seine Eitelkeit empörten sich offenbar gegen diesen Schritt. Und Lucretia? das einzige Wesen, das ihm mit wirklicher Zuneigung ergeben schien – durch all' den fast grenzenlosen Egoismus seiner Seele empfand er ein dankbares Gefühl für sie, und selbst auch da hinein mischte sich wieder sein Egoismus, denn nur zu gut wußte er, daß, erst einmal fort, sein Aufenthalt im väterlichen Hause vorbei sey, und die Heimath ihrer Nachfolgerin wohl nie die seinige würde. –

Während er so still vor sich hin seinen düstern Gedanken nachhing, sah er empor und erkannte Dalibard in einem Wagen vorbei- und den Tuilerien zufahrend – das Haus war jetzt frei, und er konnte Lucretia allein sprechen. Sein Entschluß war schnell gefaßt, und er eilte seiner Wohnung zu. Während er dies that, bemerkte er einen Mann an der Ecke der Straße, dessen Augen Dalibards Wagen mit unverkennbarem Ausdruck von Haß und Rache folgten; kaum hatte er aber nur die Züge in sich aufnehmen können, als auch Jener, der sich scheu und flüchtig umsah, hinwegfloh, und in der Menge verschwand.

Jene Züge waren Gabriel nicht unbekannt – er hatte sie, wie er sie jetzt sah, schon früher gesehen – schnell und – wie es geschah, – in flüchtigen Momenten. Einst als er in der Dämmerung heimkehrte, bemerkte er eine am Hause schleichende Gestalt, und Etwas, das in der Schnelle lag, mit der sie sich seinem Blick zu entziehen suchte, ließ ihn, da er auch Dalibard's Befürchtungen kannte, dies gegen ihn, sobald er eingetreten war, erwähnen. Dalibard bat ihn, mit einer in aller Schnelligkeit geschriebenen Note zum Polizeiagent zu eilen, den er ganz in der Nähe wohnen ließ. Der Mann stand noch immer auf der Schwelle, als der Knabe hinaustrat seinen Auftrag zu besorgen, und es wurde ihm möglich einen flüchtigen Blick auf sein Antlitz zu werfen, ehe jedoch der Beamte das Haus erreichte, hatte jene Böses kündende Erscheinung das Weite gesucht. Gabriel nun, als er jetzt so deutlich diese drohende Stirn und die funkelnden Augen erkannte, zweifelte keinen Moment länger, daß er den fürchterlichen Pierre Guillot vor sich sähe, dessen Name allein schon seines Vaters Wange bleichte. Sobald sich also die Gestalt zurückzog, beschloß er ihr zu folgen, und warf sich ebenfalls in die Volksmenge, in der Jener so eben verschwunden war. Hier drängte er sich hindurch und starrte aufmerksam in die Gesichter derer, die ihn bei Seite schoben; manchmal erblickte er auch in der Ferne eine Gestalt, die der, die er suchte, zu gleichen schien – die Aehnlichkeit schwand aber stets, wenn er näher kam. Diese Jagd führte ihn, so wild und erfolglos sie gewesen, weit aus seiner früher bestimmten Richtung fort, daß er seinen Weg in all' den engen, ihm gänzlich unbekannten Straßen bald verlor, und endlich erhitzt und durstig vor einem kleinen Café hielt und eintrat, um sich mit einem Glas Limonade wieder zu erfrischen.

Aber stehe da – das Glück war ihm günstig – der Mann, den er suchte, saß dort, vor einer Flasche Wein, und las aufmerksam die Zeitung. Gabriel ließ sich am nächsten Tische nieder. Wenige Minuten darauf schloß sich noch ein Zweiter dem Ersten an – die Beiden sprachen, und sprachen viel zusammen, aber so leise flüsternd, daß Gabriel nicht im Stande war ihrer Unterhaltung zu folgen, obgleich er mehr als einmal das Wort »Georg« unterschied. Beide Männer schienen auf das Höchste erregt und der Ausdruck ihrer Gesichtszüge war finster und drohend. Der Erstgekommene deutete oft auf das Blatt und las dem Anderen Stellen daraus vor. Das machte Gabriel ein zweites fordern. Als es der Kellner ihm brachte, fiel sein Auge auf einen langen Paragraphen, in welchem der Name »Georg Cadoudal« häufig vorkam; in der That waren auch alle Journale in jenen Tagen mit weitläufigen Verhandlungen über die Verschwörung und das Verhör Georg Cadoudals, des trotzigen Märtyrers eines edeln, freilich falsch geleiteten Princips, gefüllt.

Seine Gehörsorgane schärften sich durch fortwährende Anstrengung, und endlich vernahm er deutlich, wie der Erstgekommene sagte: »Wenn ich nur gewiß wüßte, daß ich sein Schicksal herbeigeführt hätte, als ich ihm diesen verfluchten Dalibard zuführte – oh ließe mich nur mein Schwur – ich wollte –« der Schlußsatz ging ihm verloren. Wenige Minuten später standen die beiden Männer auf, und nach den vertraulichen Worten, die zwischen ihnen und dem Besitzer des Café's getauscht wurden, der zu ihnen trat um sein Geld zu empfangen, erkannte der schlaue Knabe bald, daß dieser Platz nicht selten von ihnen besucht würde. Er glitt näher und näher und da der Wirth zuletzt seinen Gästen die Hand zum Abschied reichte, hörte er deutlich, wie er den Ersten bei Namen und zwar, Pierre Guillot, anredete.

Als sich die Männer entfernt hatten, folgte ihnen Gabriel in einiger Entfernung (nachdem er sich vorher jedoch wohl den Namen des Café's und der Straße gemerkt) und wie er glaubte, unbemerkt, er hatte sich aber geirrt. Plötzlich, in einer mehr als gewöhnlich stillen Straße, drehte sich der Mann, den er vorzüglich im Auge behalten, herum, kam auf dieselbe Seite, auf welcher er selbst ging und legte ihm so schnell und unerwartet die eisenschwere Faust auf die Schulter, daß sich Gabriel wirklich im ersten Augenblick für völlig ertappt hielt.

»Wer hat Dich uns folgen heißen?« sagte Jener, mit dunkeldrohendem Blick – selbst Gabriels Muth sank – »keine Ausflüchte – keine Lügen – heraus mit der Sprache, nun, wird's?« – und die Finger legten sich um des Knaben Kehle.

Gabriels Geistesgegenwart und schneller Witz ließ ihn aber nicht lange im Stich.

»Laßt mich los und ich will's Euch sagen – Ihr erstickt mich.«

Der Mann öffnete ein klein wenig seine Hand und Gabriel rief jetzt schnell– »Meine Mutter endete, in der Schreckensherrschaft, auf der Guillotine – ich bin für die Bourbons – Ich glaubte im Café einzelne Worte zu überhören, die Sympathie für den armen Georg, den braven Chouan, zu verrathen schienen. Ich folgte Euch, denn ich dachte ich folgte Freunden.«

Der Mann lächelte, als er sein festes Auge auf den nicht zuckenden Blick des Knaben heftete.

»Mein armes Kind,« sagte er dann freundlich – »ich glaube Dir – verzeihe mir meine Rauhheit – aber folge uns nicht weiter – wir sind gefährlich.« Er winkte mit der Hand, schritt fort, schloß sich seinem Gefährten an, und Gabriel mußte, wenn auch höchst ungern, die Verfolgung aufgeben. Es war aber ein weiter Weg und dauerte lange, ehe er seines Vaters Haus wieder erreichte, denn er hatte sich in ein ganz fremdes Viertel von Paris verloren, und mußte oft die rechte Richtung erfragen. Endlich erreichte er die Wohnung und stieg die Treppe zu dem kleinen Zimmer hinauf, in welchem Lucretia gewöhnlich saß, und das durch einen schmalen Gang von ihrem und Dalibards Schlafzimmer getrennt wurde. Seine Stiefmutter, den Kopf in die Hand gestützt, saß am Fenster, war aber so in Gedanken vertieft, die einen düstern, der starren Verzweiflung ähnlichen Schatten über ihr kaltes, gemüthloses Antlitz warfen – daß sie die Ankunft des Knaben gar nicht bemerkte, bis er seine Arme um ihren Nacken schlang; dann fuhr sie, wie erschreckt, empor.

»Du? Nur Du?« sagte sie gleich darauf mit erzwungenem Lächeln – »sieh, meine Nerven sind doch nicht mehr so stark als früher.«

»Sie sind aufgeregt, belle mère; hat er Sie geärgert?«

»Er – Dalibard – nein, in der That nicht – wir haben noch erst an diesem Morgen Geschäftssachen verhandelt.«

»Geschäftssachen – das heißt Geldsachen.«

»Gewiß!« erwiederte Lucretia. »Geld ist die Triebfeder des Geschäfts, wie des Lebens. Trotz seiner neuen Ernennung braucht Dein Vater einige Summen baar. Hier muß eine Gunst erkauft, dort eine Spekulation schnell benutzt werden, und –«

»Und mein Vater,« unterbrach sie Gabriel, »wünscht Ihre Einwilligung, den Rest Ihres Vermögens erheben zu dürfen –«

Lucretia blickte ihn erstaunt an, erwiederte aber ruhig:

»Er hatte meine Einwilligung schon lange, aber die Bevollmächtigten jenes damaligen Deposits – trockene Geschäftsmenschen, meines Oheims Banquiers – verweigern es, oder machen doch wenigstens so viele Schwierigkeiten, daß es einer Weigerung ziemlich gleich kommt.«

»Diese Antwort traf aber schon vor einigen Tagen ein –«

»Woher weißt Du das? Hat es Dir Dein Vater gesagt?«

»Arme belle mère,« sagte Gabriel fast mitleidig, »können Sie in diesem Hause leben, und nicht alles das beobachten, was darin vorgeht? – jeden Fremden, jede Botschaft, jeden Brief? Was hat er aber sonst noch von Ihnen verlangt?«

»Er hat mir vorgeschlagen, ich solle nach England zurückkehren und selbst mit den Bevollmächtigten sprechen. Sein Einfluß kann mir einen Paß verschaffen.«

»Und Sie haben sich geweigert?«

»Ich habe nicht eingewilligt.«

»Willigen Sie ein – Pst – Ihre Zofe Marie – wartet sie nicht draußen?« und Gabriel stand auf und sah hinaus.

»Nein – die Pest über diese Thüren – keine im ganzen Hause schließt, wie sie eigentlich sollte. Steht nicht in Ihrem Kontrakt eine Klausel, nach der die Hälfte Ihres jetzt angelegten Vermögens dem Ueberlebenden anheim fällt?«

»In der That,« erwiederte Lucretia, zugleich überrascht und erschreckt durch die Frage, »aber wie hast Du auch das erfahren?«

»Ich sah wie mein Vater die Kopie las. Wenn Sie zuerst sterben, dann hat er Alles – wünschte er nun das Geld, so würde er Sie nicht fortschicken.«

Eine fürchterliche Pause entstand – Gabriel fuhr fort.

»Ich vertraue Ihnen jetzt vielleicht mein Leben an, aber ich will sprechen. Mein Vater besucht häufig Bellangers Wittwe – sie ist reich und schwach. Kommen Sie nach England – ja – kommen Sie, denn er ist im Begriff auch mich zu entlassen. Er fürchtet, daß ich ihm im Wege bin. – Sie vielleicht zu warnen – oder zu – zu – kurz, Beide sind wir ihm im Wege. Er öffnet Ihnen einen Ausweg zur Flucht – einmal erst in England, so schneidet Ihnen der wieder ausbrechende Krieg jede Rückkehr ab; die Gesetze der Ehescheidung kann er dann leicht zu seinen Gunsten verdrehen – er wird wieder heirathen. Was dann? – er erspart Ihnen, was Ihnen jetzt noch von Ihrem Vermögen bleibt – er spart Ihr Leben. Bleiben Sie hier – kreuzen Sie seine Pläne – und – Nein, nein – kommen Sie nach England – Sie sind überall sicherer als hier!«

Während er noch sprach, hatten sich Lucretiens Züge ganz wunderbar verändert. Zuerst war es der Strahl der Ueberzeugung, der sie durchzuckte, dann der plötzliche Schlag des Schrecks; jetzt hob sie sich zu voller, stolzer Höhe empor und ein lebendig tödtlicher Schein glühte in ihren Augen – es war der selbstbewußte Muth, war die Kraft und Rache, die in ihr schlief. »Thor« murmelte sie – »Thor – Thor mit aller Deiner List. Als ob nicht in jeder häuslichen Verrätherei die Frau stets den Sieg davon trüge. Des Mannes einzige Rettung ist die Ehre.«

»Aber Sie vergessen,« sagte Gabriel, der die Worte verstanden, »Sie vergessen, gegen was Sie hier zu kämpfen haben – es ist Nichts, das Sie sehen, und gegen das Sie sich waffnen könnten. Es ist nicht ein Feind gegen Feind – es ist Tod in der Speise – in der Luft – in der Berührung. Sie strecken die Arme im Dunkeln aus – fühlen Nichts und – sterben. O glauben Sie ja nicht, daß ich nicht an alle Mittel gedacht hätte (denn ich bin jetzt schon fast ein Mann), an alle Mittel, die uns zum Widerstand bleiben – es gibt keine. Ebenso gut könnten Sie sich gegen die Pest schützen – sie liegt in der Luft. Kommen Sie nach England – leben Sie lieber in Armuth, wenn Sie müssen, aber leben Sie, leben Sie nur!«

»Ich – arm und verachtet nach England zurückkehren, und – immer noch an ihn gebunden – oder ein entehrtes – geschiedenes Weib? – entehrt von dem niedrig geborenen Vasallen aus eines Verwandten Haus? zurückkehren, um das Gnadenbrod vom Tische meiner Schwester und ihres Gatten zu essen? nein! Ich stehe auf meinem Posten und will nicht fliehen.«

»Brav! brav!« rief der Knabe und schlug in die Hände – ein so kecker, dem seinigen überlegener Muth, ergriff ihn, »o wie ich wünsche, daß ich Ihnen helfen konnte.«

Lucretia's Auge ruhte, was so selten bei ihr der Fall, war, voll und fest auf ihm – sie zog ihn zu sich und küßte seine Stirn.

»Knabe, wir sind – was auch unsere Schuld und ihre Folgen seyn mögen, für dies Leben an einander gefesselt. – Noch mag ich leben und Reichthümer erwerben, wenn so, so sind sie Dein, wie eines Sohnes. Ich mag Andern Eisen werden – aber nie Dir. Doch genug – genug – ich muß nachdenken.« Sie strich sich mit der Hand über die Augen und fuhr nach einer Pause wieder fort – »Du wolltest mir bei meiner Selbstvertheidigung helfen? – ich glaube, Du kannst es – Du bist wachsamer gewesen als ich – Du mußt Mittel besitzen, die ich mir nicht verschafft habe. – Dein Vater hütet seine Papiere wohl!«

»Ich habe Schlüssel zu jedem Pult – mein Fuß überschritt die Schwelle jenes Zimmers unter dem Dach vor dem Ihrigen. Aber nein – seine Kräfte können nie die Ihrigen werden. Er hat Ihnen nicht die Hälfte seiner Geheimnisse vertraut. Er hat Gegenmittel für jedes – jedes –«

«Hst – was ist das für Geräusch? – nur der Regen am Fenster. Nein, nein Kind – das ist nicht mein Plan – Cadoudals Verschwörung. Dein Vater hat Briefe von Fouché, sie künden, wie er Andere verrathen hat, die stärker und mehr im Stande sind sich zu rächen, als ein Weib und ein Knabe.«

» Eh bien –«

»Ich muß diese Briefe haben – gib mir die Schlüssel. – Aber halt – halt – Gabriel, Du kannst ihm noch Unrecht thun. – Jene Frau – die Frau des Todten – seine Frau – Entsetzen. Hast Du keine Beweise Deines Verdachts?«

»Beweise?« echote Gabriel verwundert – »ich kann nur sehen und darnach schließen. Sie sind gewarnt – wachen Sie nun und fassen Sie einen Entschluß; aber nochmals bitte ich Sie, o kommen Sie nach England – ich gehe gewiß.«

Ohne Antwort nahm Lucretia die Schlüssel aus Gabriels nur halb widerstrebender Hand und glitt in ihres Gatten Arbeitszimmer. Als sie eingetreten war, verschloß sie die Thür, und schritt jetzt auf einen gewaltigen Sekretär zu, an dem der Schlüssel so klein wie Elfenarbeit war. Sie öffnete ihn leicht mit Hilfe des Dietrichs. Keine Liebesbriefe – der erste Gegenstand, den sie suchte, denn sie war Frau – begegneten ihrem Blick. Wozu auch Briefe, wo ihrem Begegnen Nichts im Wege stand. Sie entdeckte aber bald ein Dokument, das ihr Alles und mehr sagte, als Liebesbriefe je hätten sagen können, es war ein Verzeichniß der Kapitalien und Besitzungen der Madame Bellanger, und an dem Rand befanden sich Bleistiftanzeichnungen:

»Vautran bietet 400,000 Franken für das Land in der Auvergne – anzunehmen.«

»Sich zu unterrichten, ob das Recht des Verkaufs dem zweiten Manne zusteht.«

»Frage – ob es nicht möglich ist, daß der gesetzliche Erbe die in Madame B.'s Namen angelegten Kapitalien beanspruchen könnte.«

und solcher Memoranda mehr, wie sie ein Mann in der Liste eines bald sein zu nennenden Eigenthums notirt. In diesen Notizen lag aber auch wieder ein fürchterlicher Spott aller Liebe – wie die leuchtenden giftigen Schwaden, verriethen sie die schwarze Pesthöhle des Herzens. Die bleiche Leserin sah, was ihre eigene Anziehungskraft gewesen, und – gesunken wie sie war – sie lächelte verächtlich in der Bitterkeit ihres Zorns. Bald fand sie jetzt, genau und sorgsam wie Geschäftsbriefe arrangirt, die Briefe, die sie suchte; einer, der Dalibards Dienste in der Entdeckung der Verschwörung anerkannte, und ihn bevollmächtigte, die Polizei zur Auffindung Guillots zu verwenden, genügte ihrem Zweck. Sie zog sich zurück, verbarg ihn und wollte eben wieder den Sekretär verschließen, als ihr Auge auf den Titel eines kleinen eingebundenen Manuskripts fiel, das in einer Ecke lag; wie sie ihn las, preßte sie die eine Hand krampfhaft auf das Herz, während die andere zweimal nach dem Bande zuckte, und zweimal wieder zitternd zurückbebte. Der Titel lautete harmlos folgendermaßen:

»Philosophische und Chemische Untersuchung der Art und Bestandtheile jener zwischen dem 14tenund 16ten Jahrhundert gebräuchlichen Gifte.«

Erst nach merklichem Zögern, als ob sie sich vor sich selber fürchte, ließ sie das Manuscript an seinem Platz, schloß den Sekretär und verließ das Gemach.

»Haben Sie das Papier gefunden, das Sie suchten?« frug sie Gabriel.

»Ja«

»Dann thun Sie nur, was Sie thun wollen, schnell, er wird den Verlust bald entdecken.«

»Ich werde nicht säumen.«

»Aber ich werde es seyn, auf den sein Verdacht fällt,« rief jetzt Gabriel plötzlich, als ihm dieser Gedanke zum ersten Mal durch das Hirn zuckte – »o Lucretia – meinethalben nehmen Sie den Brief nicht eher, bis ich fort bin. Fürchten Sie nichts indessen – er wird nie etwas gegen Sie unternehmen, so lange ich hier bin.«

»So will ich den Brief denn zurücktragen,« erwiederte Lucretia mild – »Du hast Ansprüche auf meine ersten Gedanken.« Damit schritt sie zurück und Gabriel (mißtrauisch vielleicht) schlich hinter ihr her.

Als sie das Dokument wieder an seine Stelle legte, deutete er auf das Manuskript, das sie schon vorher gereizt, und flüsterte:

»Das habe ich schon früher gesehen; o wie ich es mir wünsche – Lucretia – wenn ihm jemals etwas zustoßen sollte, das hier beanspruche ich als mein Erbe.«

Ihre Hände begegneten sich, als er dies sagte und faßten einander krampfhaft. Lucretia verschloß den Sekretär dann wieder und als sie das nächste Zimmer erreicht, sank sie zitternd in einen Stuhl. Ihre starken Nerven erschlafften für den Augenblick – sie stieß keinen Schrei aus, an der bleichen Farbe ihrer Haut nur sah Gabriel, daß sie besinnungslos war – besinnungslos für etwa eine Minute – nicht länger. Das Wiederkehren ihres Bewußtseyns aber, mit geballter Hand, trotzig zusammengezogener Stirn und einem Blick, der Grimm und Verzweiflung aussprach, glich eher dem Erwachen aus einem wilden entsetzlichen Traum von Kampf und Gewalt, als dem langsamen allmäligen Erholen von einer Ohnmacht. Ja – von nun an zu schlafen hieß neben einer Schlange ruhen – zu athmen hieß dem Stürzen der Lawine lauschen. Du, die Du so leichtsinnig mit Verrath gespielt, jetzt, jetzt begegne dem grimmen Gefährten, den Du Dir gewonnen – Ränke schmiedende Entheiligerin der Laren, jetzt lerne, bis zum letzten Blatt jener dunklen Künste, was der Herd ist ohne sie.

Gabriel fühlte sich wundersam ergriffen, als er jene stolze einsame Verzweiflung sah. Ein natürlicher Instinkt hatte ihn auch bis jetzt noch abgehalten, Lucretien wirklich aktiv in ihrem Kampf gegen seinen Vater zu unterstützen, der auf jeden Fall nur mit dem Verderben des einen oder anderen Theils enden konnte. Er hatte sich begnügt sie zu warnen und ihr Winke zu geben und Vermuthungen mitzutheilen, die sie darin selbst zu ihrem Vortheil benutzen mochte. Jetzt aber wurde sein Mitgefühl so stark für sie erweckt, daß auch der letzte Skrupel kindlichen Gewissens in jenen Abgrund von Blut versank, an dessen Rande die einsame Verbrecherin stand. Er trat auf sie zu und flüsterte, ihre Hand ergreifend, mit schneller unterdrückter Stimme:

»Horch – Sie wissen, wo Sie die Beweise von meines Va – von Dalibard's Verrath der Verschwornen finden können; Sie kennen auch den Namen des Mannes, den er als seinen Rächer fürchtet – Sie wissen, daß dieser nur auf die Beweise des Verraths wartet, den tödtlichen Streich zu führen; Sie wissen aber nicht, wo Sie jenen Mann finden können, wenn Sie seiner Rache bedürfen. Die Polizei hat ihn nicht finden können, wie wollen Sie es? Der Zufall hat mich mit einem seiner Aufenthaltsörter bekannt gemacht. Geben Sie mir ein einziges Versprechen und ich bringe Sie auf diese Spur, die, wenn auch schwach, doch die einzige ist, der Sie zu folgen vermögen. Versprechen Sie mir, daß Sie nur in Vertheidigung Ihres eigenen Lebens, nicht aus bloßer Eifersucht, Gebrauch von dieser Kenntniß machen wollen – versprechen Sie mir das und Sie sollen Alles erfahren.«

»Glaubst Du,« sagte Lucretia mit ruhiger, kalter Stimme, »daß ich aus Eifersucht – die Liebe ist – jede Hoffnung, jeden Frieden morden würde? denn wir haben hier (und sie schlug sich an ihre Brust) hier – wenn nicht anderswo, einen Himmel und eine Hölle. Sohn – ich thue Deinem Vater kein Leides an, in Selbstvertheidigung ausgenommen. Aber sage mir Nichts, das den Sohn zum Mitschuldigen an seines Vaters Schicksal machen könnte.«

»Der Vater erschlug die Mutter,« knirschte Gabriel zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch – »mir haben Sie fast deren Platz ausgefüllt. – Führen Sie – wenn es seyn muß – den Schlag in ihrem Namen. Wollen Sie, zum Aeußersten getrieben, den Arm Pierre Guillot's suchen, so hören Sie von ihm in dem Café Dufour, Rue S–, Boulevard du Temple. Seyn Sie ruhig jetzt – ich höre Ihres Gatten Schritt.«

Wenige Tage später und Gabriel war fort – Gatte und Gattin sind mitsammen allein. Lucretia hat sich geweigert abzureisen. Da kam jene stumme Zeit der Angst – jene Erwartung zweier Feinde zum entscheidenden Kampf – denn auch das scharfe, durchdringende Auge Dalibard's hat entdeckt, daß er selbst beobachtet werde – weiter mag er jedoch nicht forschen. – Der Blick sucht den Blick und schweift dann lächelnd ab – aus dem Becher grinst eine Todtenlarve hervor – vor dem Speisetisch steht warnend ein Gespenst; aber wie gütig und liebevoll klingen noch diese Worte, und Seite an Seite legen sie sich in's Ehebett nieder. Hirn schmiedet gegen Hirn Verrath, und Herz haßt Herz, wie auch die Lippen lügen. Es ist ein Zweikampf auf Leben und Tod zwischen denen, die sich am Altar Treue in diesem Leben, bis über das Grab hinaus geschworen haben; aber es wird mit all' jenen Formen und Höflichkeiten gekämpft, wie es in den alten ritterlichen Zeiten der Fall war. Kein ehelicher Zank – kein Wortwechsel – das Oel liegt glättend auf der Woge, aber die Ungeheuer der Tiefe kämpfen unsichtbar unter seiner Decke. Endlich erfaßt – immer noch allmälig ein matter Stumpfsinn die Frau – sie fühlt den Verderber in ihren Adern – der langsame Sieg ist begonnen. Was hilft ihr jetzt alle Wachsamkeit und Vorsicht – was hilft es den Fängen der Schlange zu entfliehen – schon ihr Athem tödtet. Rein scheint der Trank – gesund die Speise; der Meister jener Wissenschaft des Mordes verschmäht die Mittel des Pfuschers.

Da aber, wild und stark aus ihrer sie mehr und mehr ergreifenden Lethargie auffahrend, erwachte auch der Trieb der Selbsterhaltung und – der Rache. Noch ist Rettung möglich, denn jene feinen Gifte, die der Entdeckung Trotz bieten sollen, arbeiten sich nur langsam zu ihrem Erfolg hin.

Es ist Abend und eine dicht in ihren Mantel gehüllte Frau steht harrend an der Ecke eines Hauses. Ein Licht leuchtete trüb und ungewiß aus dem Fenster des dicht daneben befindlichen Café's hervor, – der Wiederschein desselben schlief in dem Schatten des düsteren Pflasters und kein Strahl – eine einsame Lampe ausgenommen, die in einiger Entfernung und inmitten der engen Straße schaukelte, durchbrach die unheimliche Finsterniß. Die Nacht war sternenlos – der Himmel umwölkt – der Wind heulte und tobte um die Giebel und der Regen fiel in schweren kalten Tropfen nieder; aber die Dunkelheit und Einsamkeit ängstigte nicht das Auge, der Wind kältete nicht das Herz, der Regen fiel unbeachtet auf das Haupt der Frau an ihrem Posten. Zu Zeiten hielt sie in ihrem langsamen, Schildwachen ähnlichen Gang auf und ab, ein, um durch das Fenster des Café's zu schauen, ihr Blick fiel aber immer nur auf eine Gestalt, die entfernt von den Uebrigen und allein, da drinnen saß. Da endlich begann ihr Puls schneller zu schlagen und die geduldige Lippe verzog ein zufriedenes Lächeln. Die Gestalt war aufgestanden, sich zu entfernen. Ein Mann kam aus der Thür und schritt schnell die Straße hinauf; die Frau folgte ihm, und als Jener sich gerade unter der einsamschwankenden Lampe befand, fühlte er seinen Arm berührt. Die Frau stand an seiner Seite und sah ihm starr ins Angesicht.

»Ihr seyd Pierre Guillot – der Bretagner – der Freund von Georg Cadoudal – und wollt ihn rächen?«

Des Chouans erstes Gefühl war gewesen, seine Hand rasch unter die Weste zu schieben, und im Lampenlicht blitzte ein heller Stahl fest gezwängt in diese eisernen Finger. Die Stimme und Rede beruhigte ihn aber wieder, und er antwortete schnell.

»Ich bin der, den Sie suchen, und lebe nur, um zu rächen!«

»So les't denn Dies und handelt –« sagte die Frau, und sie drückte ihm ein Papier in die Hand.

* * *

Zu Laughton liegt der Säugling an der Brust der schönen Mutter und der Vater sitzt neben dem Bett; und Vater und Mutter streiten sich ordentlich, ob Vater oder Mutter auf jene sanften lieblichen Züge des schlummernden Kindes die meisten Ansprüche habe.

In dem rothen Hause dicht an dem Marktflecken herrscht ein gar geschäftiges, gastfreundliches Treiben. William ist viel früher als gewöhnlich nach Hause gekommen. Seit der letzten Stunde war Susanna dreimal in jedem Zimmer des Hauses. Mann und Frau warten nun am Fenster. Die Fieldens, mit einer ganzen Kutsche voll Kinder werden jeden Augenblick und wenigstens auf den Besuch einer ganzen Woche, erwartet.

In dem Café auf dem Boulevard du Temple sitzt Pierre Guillot, der Chouan, und ein Anderer jener alten Bande der brigands, die Georg Cadoudal in Paris gemustert hatte. Auf Guillots Antlitz liegt ein Ausdruck ungewöhnlicher Zufriedenheit – es scheint offener als je, und ein Lächeln öffnet die breiten Lippen. Er verzehrt mit allem Anschein von bedeutendem Appetit sein Mahl und flüstert während der kurzen Pausen, die er sich von dieser Beschäftigung absparen kann, seinem Freunde leise etwas zu. Sein Freund aber scheint diese heiteren Gefühle seines Gefährten nicht zu theilen – er sieht blaß aus, und Schreck und Angst liegen auf seinem Angesicht – Ihr könnt bemerken, daß die in seiner Hand ruhende Zeitung wie ein Espenblatt zittert.

In dem Garten der Tuilerien schaaren sich mehre der umherwandernden Spaziergänger zusammen.

»Nichts über den Mörder gehört?« fragte der Eine.

»Nein – aber ein Mann, der ein Freund Robespierre's war, muß sich heimliche Feinde genug gemacht haben.«

» Ce pauvre Dalibard! Er hat sich doch nicht mit den Schreckensmännern eingelassen.«

»Ah, – aber er war deshalb vielleicht um so gefährlicher. Ein schlimmer Bursche war Olivier Dalibard.«

»Was gibt's? sprechen Sie von Olivier Dalibard?« sagte ein employé, der eben zur Gruppe heranschlenderte. – »Erst vor wenigen Tagen bekam er Marsans Stelle, jetzt soll er Pleyels haben. – Ich hörte es vorgestern etwa – kapitales Ding das – Peste, il ira loin! Wir werden ihn bald als Senator sehen.«

»Reden Sie lieber per ich,« fiel ein ci-devant Abbé lachend ein; »mir wenigstens sollte es sehr fatal seyn, ihn bald wieder zu sehen, wo er auch ist.«

» Plait-il? Ich verstehe Sie nicht.«

»Wissen Sie denn nicht, daß Olivier Dalibard ermordet ist? erstochen gefunden und noch dazu in seinem eignen Haus?«

» Ciel! o bitte, erzählen Sie mir Alles, was Sie darüber wissen. Seine Stelle ist also leer?«

»Ih nun, es scheint, als ob Dalibard, der früher Medizin studirt hatte, noch immer gern seine chemischen Experimente fortsetzte. Er miethete sich eine kleine Dachkammer für solche wissenschaftliche Unterhaltungen, über denen er dann manchmal einen ganzen Teil der Nacht zubrachte. Morgens fanden sie ihn todt, in Blut gebadet, mit drei fürchterlichen Wunden in der Seite, und die Finger bis auf die Knochen zerschnitten. Er muß hart mit dem Messer, das ihn erschlug, gekämpft haben.«

»In seinem eignen-Haus?« – sagte ein Advokat– »vielleicht ein Diener oder ein verschwenderischer Verwandter.«

»Er hat keinen Erben als den jungen Bellanger, der nun Millionen reich wird, und der ist – noch auf der Schule in Lyon. Nein, es scheint, daß das Fenster aufgelassen war, das mit den Dächern der benachbarten Häuser in Verbindung steht. Dort war der Mörder hereingekommen und auf dem Weg ist er auch wieder entflohen, denn sie fanden die Dachrinnen voll Blut. Das Nachbarhaus ist unbewohnt. – Wie leicht war es dort hineinzukommen und den Tag über versteckt zu bleiben.«

»Hm!« sagte der Advokat – »der Mörder konnte doch aber Dalibard's Gewohnheiten nur von Jemandem im Haus erfahren haben. War der Todte verheirathet?«

»Ja – an eine Engländerin.«

»Sie hatte vielleicht Liebhaber –«

»Puh – Liebhaber – das glücklichste Paar, was ich je gekannt habe. Sie sollten sie nur zusammen gesehen haben. Ich speiste letzte Woche da.«

»Sonderbar,« meinte der Advokat.

»Und er stand sich so ausgezeichnet,« murmelte ein etwas hungrig aussehender Mann.

»Und sein Platz ist leer,« wiederholte der Emploés, als er die Menge, in Gedanken vertieft, mied.

Im Hause Olivier Dalibard's sitzt Lucretia allein und in ihrem eigenen gewöhnlichen Morgenkabinet. Der zu solchem Zweck durch das französische Gesetz bestimmte Beamte hat seinen Besuch gemacht, seine Bemerkungen notirt, gegen die Wittwe sein Bedauern ausgesprochen, ihr Gerechtigkeit und Vergeltung zugesichert und sein Siegel auf die Schlösser gedrückt, bis die Repräsentanten des gesetzlichen Erben eintreffen konnten, und dieser gesetzliche Erbe ist gerade jener Knabe, der so ganz unerwartet zu dem Reichthum Jean Bellanger's, des Lieferanten, kam. Lucretia hat aber schon vorher alles das erhalten, was sie von dem Uebrigen zu behalten wünscht. Ein offener Kasten steht auf der Diele und ihre Hand legt leise ein gebundenes Manuskript hinein. Am Zeigefinger dieser Hand befindet sich ein Ring, doch ist er größer und massiver, als die gewöhnlich von Frauen getragenen – Lucretia trug ihn früher nie. Weshalb hatte sie diesen Ring mit solcher Sorgfalt aus dem Nachlasse des Todten hervorgesucht? welcher Reichthum liegt indem matten, unscheinbar gefaßten Opal? Mit dieser Hand legte sie leise das Manuscript in den Kasten, so leise wie die, die Euch das Buch lehrt zu verderben, in das Grab sinken mögen. Die Spuren einer kürzlichen und gefährlichen, noch jetzt nicht einmal ganz besiegten Krankheit haben Linien in das junge Antlitz gegraben und das Feuer dieser Augen gedämpft. Aber Muth – der Kraft des Giftes ist begegnet – der Vergifter lebt nicht mehr – ein Geist, wie er Deine, Du ernste Frau, ist in Decken von Stahl gekleidet und der Rost hat bis jetzt noch nicht tiefer als die Oberfläche gefressen.

So spielt über das vom körperlichen Schmerz der jungen Frau gezeichnete Antlitz ein ruhiges, triumphirendes Lächeln. List hat über List gesiegt.

Aber jetzt wende Dich zur Rechten – vorbei an diesem engen Corridor – Du bist im Schlafzimmer des Gatten. Die Fenster sind geschlossen – große Kerzen brennen am Fuße des Bettes. Nun gehe zu jenem engen Corridor zurück – unbeachtet, bei Seite geworfen liegt dort ein Tuch und ein Besen; das Tuch ist noch feucht, nur hie und da sind rothe Flecke, trocken und zusammengeklebt, wie von geronnenem Blut, und die Borsten des Besens starren zerfetzt und verbraucht empor, als ob auch sie hier Sinne hätten und Entsetzen fühlen könnten, als ob selbst leblose Dinge Theil nahmen an Menschenfurcht, wenn sie Zeugen so gräßlicher menschlicher Thaten wurden. Wenn Du durch den Corridor gingst und dort zufällig im Schatten der Mauer das einfache Stück der Haushaltung wie weggeworfen und vergessen erblicktest, hättest Du vielleicht über die nachläßige Hausordnung gelächelt. Sobald Du aber erfährst, daß eine Leiche hier diese Stufen zur Linken herunter und durch den Gang hin in das Ehebett getragen ward, während das Blut noch hervorquoll und strömte und – als die Träger mit ihrer Last hier vorbei passirten – den Boden näßte – dann erregt das todte Ding da auch schnell jenes Grausen, eines Todten – es erzählt seine eigene Geschichte von Gewalt und Mord – es war in das Blut des erschlagenen Mannes getaucht – es ist ein Zeuge des Verbrechens geworden. Kein Wunder, daß ihm die Borsten dort im Schatten der Wand so wild und starr emporstehen.

Der erste Theil der Tragödie endet hier – laßt den Vorhang fallen. Wenn er wieder aufsteigt, sind Jahre entschwunden – ungezählte Gräber haben neue Höhlen in unsere fröhliche Gruft in die grüne Erde gewühlt. Nimm ein Sandkorn vom Ufer, nimm einen Tropfen aus dem Ocean – weniger als Sandkorn und Tropfen ist auf der Menschen Planet ein Tod und ein Verbrechen. Auf der Karte aber folge den Seen – überfliege alle Ufer – und mehr als Seen – mehr als alle Länder wird vor Gottes Gericht ein einziger Tod, ein einziges Verbrechen gelten.

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