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Zehntes Kapitel.

Die Aussöhnung zwischen Vater und Sohn.

Wir übergehen einen Zeitraum von einigen Monaten.

Ein Maler stand vor seiner Staffelei – ein menschliches Modell vor ihm. Er arbeitete an einer Nymphe – der Nymphe Galatea. Der Gegenstand war schon früher von Salvator aufgenommen, dessen Genius seine Elemente in den wilden Felsmassen, in verkrüppelt phantastischen Bäumen und stürzenden Wasserfällen der Landschaft – in der scheußlichen Häßlichkeit des liebenden Polyphem und in der Grazie, Anmuth und selbstvergessenen Hingebung der Nymphe fand, die sich ihre vom Bad träufenden Locken ordnet. Der Maler behandelte den Gegenstand des Meisters auf einer großen Leinwand, (Salvators Gemälde ist, so viel wir uns erinnern, unter den kleineren Skizzen jenes großen künstlerischen Schöpfers des Romantischen und Grotesken,) die Landschaft und den Riesen aber mehr als Nebensache, um seine ganze Kunst auf die Nymphe zu concentriren. –

Der Maler war nur von mittlerem Alter, aber er sah wie ein Greis aus – sein, wenn auch langes Haar hing ihm dünn und grau um die Schläfe, sein Gesicht verrieth deutlich die Zeichen der Unmäßigkeit und seine Hand zitterte, Gewohnheit hinterließ aber keine Spur dieses Zitterns auf der Arbeit.

Ein Knabe beschäftigte sich unfern davon mit demselben Gegenstand, aber mit rauher Kreide und groben doch kühnen Strichen. Er zeichnete seinen Umriß einer Galatea und eines Polyphem an der Wand, denn diese war nur beworfen und übertüncht und schien fast vollkommen mit den verschiedenartigsten Zerrbildern – von Meisters oder Lehrlings Hand, bedeckt. Carricaturen und Halbgötter, Hände und Füße – Rümpfe, Ungeheuer und Venusse, Alles verstümmelt, klein und groß, wild und toll durcheinander geworfen, ab hier dem Heiligthum der Kunst ein ganz eigenes cynisches, trotziges und doch wieder sorgloses Ansehen. Es glich dem Secirzimmer einer Anatomie, und des Knaben Skizze harmonirte mehr mit den Wänden des Ateliers, als die Leinwand des Meisters. Seine Nymphe, genau nach dem, bis zum Gürtel nackten Modell entworfen, endete in einen Fischschwanz. Die zackigen Baumzweige streckten sich dazu unheimlich und gespenstisch, wie die Hände eines Gerippes, empor und der über die Felsen herüberstarrende Polyphem hatte das Grinsen eines Dämons; in seinen massiven Zügen war aber eine gewisse verzerrte schreckliche Aehnlichkeit mit dem ernsten und symmetrischen Antlitz Olivier Dalibards gar nicht zu verkennen.

Die ganze sonstige Umgebung sah liederlich, schmutzig und ärmlich aus; wacklige, verbrauchte, binsengeflochtene Stühle – nicht verkaufte, unbeendigte und staubbedeckte Gemälde durcheinander in den Ecken – zertrümmerte Gypsfiguren – eine zerbrochene Gliederpuppe – mit ihrem ausdruckslosen und beschmutzten Holzgesicht – eine Flasche Porter und ein Fläschchen Wachholder auf einem unreinen Brettisch, nebst mehren rauchgeschwärzten Pfeifen – einige zerlesene Liederbücher, und alte Nummern des Covent-Garden Magazins, verriethen dabei den Geschmack des Künstlers, und erklärten die zitternde Hand und die verlebte Gestalt.

Ein jovialer, unordentlicher – liederlicher Kumpan von einem Maler war Tom Varney – natürlich Junggeselle – humoristisch und drollig – ein prächtiger Gesellschafter und schrecklicher Borger. In seiner Kunst dabei ganz geschickt, denn mit einigem Fleiß und Methode hätte er sieh leicht seinen Lebensunterhalt verdient und einen Namen erworben. Er that aber etwas, das ihn in dem Geschäftswesen seiner Kunst bald ruiniren mußte – er ließ sich nämlich den vierten Theil seines angesetzten Preises für jedes bestellte Bild vorauszahlen, und fühlte er erst einmal das Geld in seiner Tasche, dann konnte der arme Kunde zum Teufel gehen mit seinem Bild. Die einzigen Gemälde, die Tom Varney stets ordentlich beendete, durften nicht bestellt seyn; für die fing er sich, wunderbarer Weise, ganz besonders an zu interessiren, und auf die verschwendete er dann den Geschmack, den er wirklich besaß. Die Gegenstände aber, die er freiwillig malte, waren trotzdem selten verkäuflich. Nackte Nymphen und Göttinnen finden wenig Verehrer in England unter denen, die »Meubles-Gemälde« kaufen, und – die Wahrheit zu sagen, so hatten Nymphen sowohl wie Göttinnen stets einen etwas sehr zweideutigen Blick, und wenn sie wirklich von den Göttern stammten, so hättet Ihr darauf schwören mögen, es seyen die Götter der Gallerie in Drury. Die Drury Lane war im 18. Jh. zu einem der schlimmsten Slums von London heruntergekommen, in dem Prostitution, Cockpits (Arena für Hahnenkampf) und Pubs das Bild prägten.

Seine einträglichsten Arbeiten bestanden in kleinen Gemälden auf Elfenbein, die von den Juwelieren ungemein gesucht, auf Schnupftabaksdosen gefaßt, und nachher an ältliche Herren verkauft wurden

Sobald Tom Varney ein Gemälde abgesetzt hatte, so lebte er im Klee, bis das Geld verthan war. Schöne Zeiten für seine Modelle, denn er hatte die eines Künstlers ganz unwürdige Schwachheit, sich in seine Fornarias Margherita Luti, genannt La Fornarina (ital. »die kleine Bäckerin«), war das bevorzugte Modell des Malers Raffael und vermutlich dessen Geliebte. – Nur der erste Satz dieses Absatzes findet sich im englischen Original: »When Tom Varney sold a picture, he lived upon clover till the money was gone.« Das Übrige ist freie Zutat des Übersetzers. zu verlieben, und da er nicht die persönlichen Reize Raphaels besaß, so wurden sie gewöhnlich sehr kostspielige bonnes fortunes.

Die ärmeren und weniger geschickten Alumni der neuen Schule, besonders die mit der Academie verfeindeten, von welcher Varney ebenfalls ausgeschlossen war, bedauerten und verachteten ihn, hatten ihn aber dennoch gern und suchten ihn auf. Außer seinen trefflichen Eigenschaften als lustiger Liedersänger, komischer Geschichten-Erzähler und wackerer Bachusfreund, war Tom Varney auch gutherzig genug in der Mittheilung wirklich werthvollen Wissens, was für solche wenigstens belehrend genug seyn konnte, die eine, ihm schon fast werthlos gewordene Kunst zu benutzen verstanden. Er war ein scharfer, doch gutmüthiger Kritiker und wußte manche kleinen Geheimnisse in Farbenmischung und Composition, die ihm ein gutes Abendessen oder etwa geborgte zehn Schilling nicht selten entlocken konnten. Zerlumpt aber, unrasirt – in Schlappschuhen und mit wirrem Haar hatte er doch seine Gesellschaft unter den Jungen und Fröhlichem – freilich ein herrlicher Meister – ein treffliches Exempel für seinen Neffen, Master Honoré Gabriel.

Doch der arme Wüstling trug ein braveres Herz, als mancher ehrliche, arbeitsame Mann. Sobald ihn Gabriel gefunden und um Schutz aus Furcht vor seinem Vater angefleht hatte, drückte ihn der Maler in seine mit Lumpen behangenen Arme, verkaufte eine Venus um halben Preis, um ihm ein Bette und einen Waschtisch anzuschaffen, und schwur einen fürchterlichen Eid, »daß der Sohn seiner armen guillotinirten Schwester den letzten Schilling aus seiner Tasche, den letzten Tropfen aus seiner Kanne theilen solle.«

Gabriel, gerade aus der guten Kost in Laughton und durch die reichlichen Gaben Lucretia's verdorben, fand wenig Geschmack an Schillingen und Porter, nichts destoweniger ließ er sich herab, zu nehmen, was er kriegen konnte, während er aus der Tiefe seines Herzens, in dem Gier und Eitelkeit die vorherrschenden Leidenschaften geworden, nach einer seinem Geist mehr angemessenen, und der mehr ähnlichen Sphäre seufzte, die er erst so kürzlich verlassen.

Der Knabe beendete seine Skizze, warf sich mit einem unverschämten Blicke nach dem Modell – in seinen Stuhl, schlug die Arme ineinander, schaute höchst mißmuthig auf die weißgewordenen Näthe seiner Aermel nieder, und schien bald in seine eigenen Betrachtungen vertieft. Der Maler arbeitete schweigend weiter. Das Modell, durch Gabriels unbescheidenen Wink Im englischen Original steht nur ein attributloses »wink«, das nicht »Wink« bedeutet, sondern »Zuzwinkern«. halb geschmeichelt, halb beleidigt, fiel wieder in seine alte, halb träumende Stellung zurück. Draußen vor dem Fenster ließ sich der Gesang eines Canarienvogels vernehmen – es war ein dunkles, rauchfarbnes Thierchen, das in der Mauser seyn mußte, denn es sah so ruppig aus wie sein Herr, dennoch sang und zwitscherte es sein trill trill – trill trill – trill trill so frisch und fröhlich, als ob es frank und frei in seinen heimathlichen Wäldern umher flattere, oder von schönen Händen in einem güldenen Käfig gefüttert würde. Der Vogel war hier der einzige wirkliche Künstler – er sang, wie der Dichter singt, der Natur und der Stimme seines Herzens zu gehorchen. Trill – trill – trallala – la – la – trill – trill ging der Sang – lauter – fröhlicher als je, denn ein Strahl der Aprilsonne stahl sieh über die Hausdächer herüber. Der Gesang störte Gabriel endlich aus seinen Träumen auf – er drehte seinen Stuhl herum, bog den Kopf auf eine Seite, horchte und schaute aufmerksam dem Vogel zu.

Endlich schien eine neue Idee in ihm aufzusteigen – er sprang empor, öffnete das Fenster, hob den Käfig herein, stellte ihn auf einen Stuhl und nahm dann eine von seines Oheims Pfeifen vom Tisch. Mit dieser ging er zum Feuer und schob den Stiel derselben in's Kamin. Als er rothglühend war, holte er ihn, nachdem er sich vorher die Hand mit dem Tuch umwickelt hatte, am Kopfe heraus und kehrte damit zum Käfig zurück. Dies Alles hatte aber das schläfrige Modell erweckt und sie beobachtete ihn zuerst mit stumpfer Neugier, dann aber mit lebhaft erwachendem Verdacht, und fuhr plötzlich mit einem Ausruf von ihrem Sitz empor, wie ihn kein Novellist als Fielding, in den Mund eines Frauenzimmers, noch viel weniger einer Nymphe von solchem Ruf als Galatea, legen darf. Sie sprang durch den Saal, warf beinahe Maler und Staffelei um, und erfaßte Gabriels Schultern mit derbem Griff.

»Das Ungethüm,« rief sie dabei heftig, »das nichtsnutzige Ungethüm, – wenn es noch ein Hahn oder ein häßlicher Rabe gewesen wäre, aber einen armen Canarienvogel.«

»Hallo Neffe – was gibt's da? was fehlt wieder?« sagte Tom Varney, während er dem Schauplatz näher rückte. Und in der That schien es die höchste Zeit, denn Gabriels Zähne waren in seinen katzengleichen Kinnladen fest zusammengebissen und mit seiner Waffe, so gefährlich, wie einfach, die er der Angreiferin wieder entrissen, und jetzt drohend gehoben empor hielt, schien er nur noch zu überlegen, welchen Theil dieser zarten Gestalt er wohl am fühlbarsten mit der noch immer glühenden Spitze des Pfeifenstiels treffen könne.

»Was es gibt?« erwiederte Gabriel mürrisch – »ih nun, ich wollte nur ein kleines Experiment versuchen.«

»Ein Experiment? doch nicht an meinem Canarienvogel. dem armen kleinen Ding? Stunden nach Stunden hat sich das Thierchen abgequält ›Sing und sey fröhlich‹ zu singen, wenn ich nicht einen Heller mehr in der Tasche hatte – es hätte einen Stein erbarmen müssen, das mit anzuhören.«

»Aber ich glaube, ich kann ihn viel besser singen machen – laßt mich nur einmal versuchen. Ein Canarienvogel soll, wenn man ihm die Augen ausbrennt, viel –«

Gabriel konnte seine Reden nicht vollenden, denn hier gewann bei Maler wie Modell Abscheu und Unwillen die Oberhand– was gewöhnlich bei jeder philosophischen Entdeckung der Fall ist, wenn diese nämlich praktisch angewandt werden soll – und in der Mitte des Lärmens fing der arme Vogel, der durch Hin- und Herflattern versucht hatte, seinem freundlichen Operateur zu entgehen, nicht mehr sein altes fröhliches trillala – trill, sondern ein ängstliches, herzbrechendes scharfgellendes, twit – twit – twitter – twit an.

»Verdammter Vogel – o haltet die Mäuler.« rief Gabriel Varney endlich unwillig aus, während er der Uebermacht wich, den Vogel aber noch immer mit jenem wissenschaftlichen Bedauern ansah, mit welchem der berühmte Majendie André de Majendie fütterte bei seinen Tierversuchen Hunde mit Zucker und destilliertem Wasser, mit Olivenöl, Butter oder sogar Gummi, was jeweils nach einigen Wochen zu deren Tod führte. einen Hund betrachten mag, den sein Ungeheuer von einem Herrn nicht hat zum Besten menschlicher Cholik auswaiden lassen wollen.

Das Modell erfaßte den Käfig – schloß die kleine Drahtthür und trug ihn fort. Tom Varney trank den Rest seines Porters, und wischte sich mit dem Aermel den Mund

»Und meine Pfeife zu solcher Barbarei benutzen zu wollen – Knabe, Knabe, das hätt' ich im Leben nicht geglaubt. Aber – Du hast wohl nur Spaß gemacht – Suckey – meine Theuere – Galatea die Göttliche – beruhige Deine Brust –

›Laß sie schlummern, die schneeigen Wogen‹ Zutat des Übersetzers.

Cupido scherzte nur.

›Amor ist der Gott des Scherzes
Witz – Gelächter – Spaß – Sir.‹«

»Wenn Du die kleine Bestie nicht halb todt prügelst, so findet sie ihr Ende am Galgen – so viel weiß ich,« erwiederte Galatea.

»Geh – Cupido – geh und küß Galatea und schließt Frieden.

›O laß den Kuß nur in dem Glas,
Was frag ich dann nach Wein++–‹

Es ist auch gar nicht nöthig nach Wein zu fragen – und nach Wachholder eben so wenig – kein Tropfen mehr da –«

Während dieser ganzen Zeit war Gabriel, der keinen der ihm empfohlenen Auswege nur einer Antwort würdigte, emsig beschäftigt, mit einer sehr räudig aussehenden Bürste seine Jacke zu reinigen, und als er diese Operation vollendet hatte, näherte er sich seinem Oheim, und griff ruhig in die Westentaschen dieses Gentleman.

»Oheim, was habt Ihr mit den sieben Schillingen angefangen? ich will heute spazieren gehen.«

»Wenn Du sie ihm gibst, Tom, kratze ich Dir die Augen aus,« schrie das Modell, »nachher will ich doch einmal sehen, wie Du singst. – Prügele ihn, sag' ich – prügele ihn.«

Sonderbarer Weise öffnete aber diese Unverschämtheit des Knaben ihm ganz das Herz seines Oheims wieder. – Dieser, der so oft die eigene Hand in fremder Leute Taschen schob, fühlte gewissermaßen Vergnügen daran, sich selbst einen solchen Streich gespielt zu sehen.

»Das ist recht! Cupido – Sohn der Cythere– alles ist Gemeingut zwischen Freunden. Sieben Schilling? ich habe sie nicht – ›es sind jetzt fünf, die einst zu sieben‹ – was aber da ist, wollen wir theilen.

›Timotheus gebe den Preis zurück
Oder Beide theilen die Krone.‹«

»Kronen lassen sich nicht theilen, Oheim,« sagte Gabriel trocken, und steckte die fünf Schillinge ein. Dann, nachdem er vorher seinen Rückzug gedeckt, indem er sich auf die Schwelle stellte, ergriff er plötzlich einen der zerbrochenen Stuhle beim Beine, und sandte ihn, jede Rücksicht gegen das schöne Geschlecht hintansetzend, mit aller Kraft dem Modell zu, das ihm mit der Faust drohte. Ein Schrei, ein Fall, und ein scharfes Zirpen im Käfig, der fast in den Kamin hineingeschleudert wurde, verrieth, daß das Wurfgeschoß getroffen hatte. Gabriel wartete aber nicht auf die mögliche Rückwirkung – er war im nächsten Augenblick in der Straße.

»Das thut's nicht länger,« murmelte er hier zu sich selbst – »dabei komme ich nicht weiter, Thörichter – trunkener Vagabund – der kann mir Nichts nützen. Mein Vater ist gefährlich, aber er wird sich seinen Weg in der Welt bahnen. – Hm, wenn ich's nur mit ihm aufnehmen könnte – und warum nicht? Ich bin muthig, und er ist es nicht. Selbst in der Gefahr liegt ein eigener Reiz.«

So überlegend schlenderte er nach Dalibards Wohnung zu. Sein Vater war zu Hause. Obgleich dies nun aber nur eine Miethwohnung war, und die Straße in keinem der fashionablen Quartiere Londons lag, so hatte Olivier Dalibard's Zimmer doch einen Anstrich von Nettigkeit, ja selbst Eleganz, der stark gegen die schmutzige Armuth, die Gabriel so eben verlassen hatte, wie gegen Dalibard's frühere Wohnung in London, abstach.

Die Veränderung schien anzudeuten, daß der Provençale es schon zu etwas Besserem gebracht habe, und – die Wahrheit zu sagen, so war doch stets, selbst in den Zeiten, wo es ihm am traurigsten ging, etwas in seiner ganzen Umgebung, was die unbeschreibliche Sauberkeit und Accuratesse verrieth, die der ci-devant Freund des alten Robespierre nie unterließ seinem Aeußern und seiner Umgebung mitzutheilen, eine Eigenschaft, die selbst dem Mangel eine gewisse Würde verleiht.

Als das Zimmer und dessen Bewohner vor Gabriels Augen stand, auf welches Sinne das Aeußere überhaupt starken Einfluß übte, so erinnerte sich der undankbare junge Taugenichts seines gütigen, aber abgerissenen Oheims, dessen Tasche er so eben geleert, mit keinem andern Gefühle mehr, als dem des Widerwillens.

Olivier Dalibard – der sich stets achtsam, wenn auch einfach, in seiner Kleidung trug, mit seiner geistvollen Stirn und wirklich imponirenden Miene, die jenes gewisse Etwas an sich trug, das nie verfehlt, dem Gelehrten das Ansehen eines Gentleman zu geben – Olivier Dalibard konnte er fürchten – ja selbst verabscheuen, aber er brauchte sich seiner nicht zu schämen.

»Ich sagte Ihnen, daß ich Sie, wenn Sie es mir erlauben, besuchen würde, Sir,« begann Gabriel mit achtungsvollem, aber doch nicht ganz von Trotz freiem Tone, als ob er noch ungewiß wäre, welches Empfanges er sich zu gewärtigen habe. Des Vaters großes ruhiges Auge – so ganz verschieden von dem flüchtig-scheuen Seitenblick Lucretia's, ruh'te auf dem Sohn, als ob er bis in sein innerstes Herz dringen wolle.

»Du siehst blaß und elend aus, Kind. Gesundheit wie Schönheit scheint Dich gleich schnell zu fliehen. Gute Gaben das, die nicht so leichtsinnig verschwendet werden sollten, ehe man sie verwandt hat. Doch Du hast gewählt. Sey ein Künstler – ahme Tom Varney nach und – möge es Dir gut gehen.«

Gabriel schwieg, während seine Blicke am Boden hafteten.

»Du kamst gerade recht, Abschied von mir zu nehmen,« fuhr Dalibard endlich wieder fort. »Es ist wenigstens ein Trost für mich, daß ich Deine Jugend so ehrenvoll beschützt weiß. Ich will in mein Vaterland zurückkehren; noch einmal liegt das Leben vor mir.«

»Ja Ihr Vaterland? nach Paris?«

»Es gibt schöne Bilder im Louvre – ein herrlicher Platz, einen Künstler zu begeistern.«

»Gehen Sie allein, Vater?«

»Du vergißt, mein junger Herr, daß Du mich nicht mehr als Vater anerkennst. Allein? ich dächte, ich hätte Dir, noch in der Zeit meines Vertrauens gesagt, daß ich Lucretia Clavering heirathen würde? Ich verfehle selten meine Pläne. Sie hat allerdings Laughton verloren, aber zehntausend Pfund können ebenfalls einen schönen Grundstein zu Glück und Ehre legen; selbst in Paris. Nun, was wünschest Du von mir, würdiger Pathe des Honoré Gabriel Mirabeau?«

»Sir – ich gehe mit Ihnen, wenn Sie mir's verstatten.«

Dalibard stützte sein Haupt in die Hand und überlegte des Sohnes Antrag. Auf der einen Seite mochte es gut, ja auch ökonomisch seyn, von dem Knaben, der schon einmal die väterliche Autorität abgeschüttelt, befreit zu werden, andererseits war aber auch wieder Manches in Gabriel, so widersetzlich und unbändig er sich auch in letzter Zeit gezeigt, das entweder ein gewissenloses Werkzeug oder einen durchtriebenen Gefährten versprach, wenn er nur erst erkannte, wie seine eigenen Interessen mit denen seines ränkeschmiedenden Vaters Hand in Hand gingen. Diese letzte Aussicht, die noch vereint, daß ihn wenigstens wenn nicht die Bande der Zuneigung, doch die der Gewohnheit und des Blutes an ihn fesselten, die sich selten so ganz abwerfen lassen, gab endlich den Ausschlag. Er streckte gegen Gabriel die weiße, zarte, blaudurchäderte Hand aus, die Lawrence Thomas Lawrence (1769-1830), führender englischer Portrait-Maler seiner Zeit., hätte er sie gesehen, so gern zu der eines Kardinals kopirt haben würde, und sagte freundlich:

»Ich will Dich nehmen – wenn wir uns ordentlich verstehen. Einmal wieder unter meiner Gewalt, kann ich Dich, es ist wahr, zu meinem Willen zwingen, aber ich handle lieber mit Dir als Mann zu Mann, wie als Mann zu Knabe.«

»Es ist das Beste,« erwiederte Gabriel fest.

»Ich will nicht rauh gegen Dich seyn, Dich nicht strafen, Du hättest es denn reichlich durch Ungehorsam oder vorbedachten Betrug verdient; finde ich aber diesen, dann verfaultest Du lieber auf dem Dünger, ehe Du mit mir kämst. Ich verlange unbedingtes Vertrauen zu all' meinen Vorschlägen – genaue Unterwerfung jedes ausgesprochenen Verlangens. Gestehe mir das zu, und ich verspreche Dir, Dein Glück wie das meine zu befördern, – Deinen Geschmack, soweit es meine Mittel erlauben, zu befriedigen, Dir Deine Vergnügungen nicht zu mißgönnen, und Dich, wenn Du das Alter des Ehrgeizes erreichst, zu heben – wenn ich selber steigen kann. Ja, ich will, wenn zufrieden mit Dir, den Flecken von Deinem Namen nehmen und Dich förmlich als meinen eigenen Sohn anerkennen und adoptiren.«

»Angenommen, und ich danke Ihnen!« rief Gabriel. »Also auch Lucretia geht – o wie ich mich danach sehne, sie wieder zu sehen!«

»Sie sehen? – jetzt noch nicht – in nächster Woche.«

»Fürchten Sie ja nicht, daß ich etwas wegen des Briefs verrathen würde – das hieße mich selbst verrathen,« sagte der Knabe, sein Mißtrauen wegen des Vaters Zögern geradezu aussprechend.

Der böse Mann lächelte.

»Du wirst wohl thun. das Geheimniß schon um Deinetwillen zu bewahren; was mich betrifft, so fürchte ich es wenig. Gehe jetzt zu Deinem Herrn zurück. – Gabriel, Du hast Recht – wie die Ratten verläßt Du das den Einsturz drohende Haus. In nächster Woche werde ich Dich holen lassen.«

In das Atelier ging der Knabe aber noch nicht zurück; ruhig wanderte er durch die lebhaftesten Straßen, betrachtete die Läden und Equipagen, die schönen Frauen und elegant gekleideten Herren – und zwar mit Neid und Verlangen, und Visionen von ähnlicher Pracht und Herrlichkeit. Dann, als der Tag sich seinem Ende neigte, suchte er einen jungen Maler auf, den wildesten und tollsten der Schaar, welcher sein Oheim den künftigen Kameraden und Nebenbuhler vorgestellt hatte, und ging mit diesem für halbes Entree in's Theater; nicht aber die Schauspieler zu sehen und das Spiel zu studieren, sondern im Salon umherzuschlendern. Ein Abendessen beendete dann zum Schluß die gänzliche Räumung seiner Taschen, wie dieses Tages Rang in gemachter Lebenserfahrung. Mit der Morgendämmerung stahl er sich in sein Bett zurück, und als er sich niederlegte, dachte er mit sichtlichem Verlangen an die Freuden von Paris – an seine herrlichen Gärten, glänzenden Läden und volkreichen Straßen; er dachte auch an seines Vaters ruhiges, festes Vertrauen auf glücklichen Erfolg, an den Triumph, den alle seine Listen bis jetzt errungen, und die ja auch seine Achtung und seinen Nacheifer erweckt und seinen Entschluß bestimmt hatten. Er dachte ebenfalls mit einer Art Zuneigung an Lucretia, rief sich ihre Lobpreisungen und Geschenke zurück – wie ihr häufiges Pläneschmieden mit seinem Vater, und fühlte jetzt, daß sie einander wohl gebrauchen würden.

Nein wahrlich – den ihr gespielten Streich in Guy's Eiche hatte er nicht Lust ihr zu verrathen, selbst dann nicht, wenn er sich mit seinem Vater veruneinigen sollte. Eine Art Instinkt sagte ihm, daß diese Kränkung nie verziehen werden könnte, und daß von jetzt an Lucretia's Schicksal mit dem eigenen verflochten sey. Er dachte auch an Dalibards Warnung und Drohung; mit der Furcht ergriff ihn aber zugleich eine eigene Aufregung, ein wilder Reiz – er ein Kind noch, wenn es nöthig sey, mit einem Manne, mit seinem Vater zu ringen – sein Herz hob sich bei dem Gedanken. So schlief er endlich ein und träumte, daß er seiner Mutter körperloses Haupt bluttriefend und zürnend auf sich niederblicken sah – träumte, daß er sie sagen hörte: »Und gehst Du zu dem Orte meiner Hinrichtung, nur um meinem Mörder knechtisch zu dienen?« – Dann kamen wilde, alpähnliche Bilder von Schaffotten und Henkern – drängenden Volksmassen – und entsetzlichen – angsterregenden Antlitzen über ihn. – Alles das wild – dunkel und unbestimmt. Und er erwachte mit gesträubtem Haar und – hörte unten, in der aufsteigenden Sonne, den fröhlichen Sang des armen Canarienvogels: trill – lill – lill – trill – trill – lill – lill – la. Freute er sich, daß seine grausame That verhindert worden?


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