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Fünftes Kapitel.

Verrath am eigenen Herd.

Der Provençale nahm den Brief aus seines Sohnes Hand und schaute ihm mit halb freundlichem, halb ironischem Blick in die Augen.

»Mon fils,« sagte er – und streichelte leise des Knaben Haupt, »weßhalb sollten wir auch nicht Freunde seyn? wir brauchen einander – wir haben gegen die ganze Welt zu kämpfen.«

»Doch nicht dann, wenn Sie der Herr dieses Platzes sind?«

»Gut geantwortet – nein – dann haben wir die Welt auf unserer Seite und brauchen nur noch gegen Proletarier und Lumpen Krieg zu führen.« Hierauf entließ er seinen Sohn mit einer leisen Bewegung der Hand und starrte ernst und schweigend auf den Brief nieder. Sein Puls – sonst gewöhnlich so langsam und regelmäßig, flog schneller, seine Lippen preßten sich fest zusammen; die Eifersucht zuckte durch dieses Herz, und wie ein Licht in dumpfer Gruft flackert und flammt, so stieg die Liebe in diese verbrecherische Brust hinab und kämpfte mit der dort herrschenden Nacht – es war wirklich, wenn auch nur ein einziger Strahl jenes himmlischen Feuers.

Dem gefährlichen Mann war übrigens jede List bekannt, die den Verräther des Heiligsten, des eigenen Herdes vor Entdeckung sichert – er fürchtete nicht, daß ihn das erbrochene Siegel verrathen werde, und mit fest auf die Zeilen gerichtetem Blick las er das Folgende:

 

»Theuerster und ewig Theuerster!

Wo weilst Du in diesem Augenblick? wo schweifen Deine Gedanken? sind sie bei mir? Ich schreibe dies in stiller Mitternacht, aber meine Seele malt sich Dein Bild aus, während die Hand über das Papier gleitet. O ich sehe Dich, wie Du diese Zeilen liest und beneide sie, daß sie dem Blick dieses dunkelen Auges begegnen dürfen. Presse Deine Lippen auf sie. Fühlst Du den Kuß, den ich darauf verlassen? Aber sieh – wir werden nicht lange mehr getrennt seyn; o wie mein Herz vor Freude schlägt, daß ich Dich bald wieder sehen soll. Noch zwei Tage – höchstens drei und wir werden uns finden – nicht wahr mein Lieb? Ich bin im Begriff meine Schwester zu besuchen und füge hier die Adresse hinzu. O komm – komm – komm, mich drängts mit unendlicher Sehnsucht, Dich wiederzusehen.

Sagte ich Dir nicht – ›harre und sey geduldig?‹ wir werden nicht mehr lange zu harren brauchen – ehe das Jahr verflossen ist, bin ich frei. Mein Oheim hat einen dritten und gefährlicheren Anfall gehabt, die Folgen desselben sehe ich in seinem Antlitz, seinem Gang, seinem ganzen Wesen; das einzige Hinderniß in unserer Bahn schwindet langsam dahin. Kann ich trauern, wenn ich daran denke? Trauern, wenn das Leben an Deiner Seite sich lächelnd und liebend jenseits jenes alten Mannes Grabes vor mir ausbreitet? Warum sollte sich auch das Alter, das seine Leidenschaft überlebte, mit dem erkältenden Zürnen und jenen ärmlichen Vorurtheilen, welche die Welt nicht vernichtete, sondern die sich nur zu wirklichen unvertilgbaren Grundsätzen erhärteten, zwischen Jugend und Jugend drängen?

Ich fühle, wie Deine milden Augen verweisend auf mir ruhen, wenn sie diese Zeilen durchfliegen, aber zürne mir nicht, daß ich weiter Nichts auf dieser Erde sehe als Dich. Aus meiner Hand wirst Du dann Rang und Reichthum empfangen und sehen werde ich, wie sich mein eigenes Herz in der Verehrung der Menge widerspiegelt, die nicht die Statue, die nur das was sie trägt verehrt. O wie ich mich Deiner Rache an jenen Stolzen freuen weide, denn sieh – ich habe in den Bildern meiner Zukunft keinen schwärmerischen Gedanken von Land- und Hirtenleben: nein – ich sehe Dich, wie Du, unter den Großen der Beste, die Thoren in ihrer eigenen Thorheit verlachst. Ich aber – ich bleibe an Deiner Seite – Schritt für Schritt, wie Du die Höhe ersteigst – denn Du weißt, William, ich bin ehrgeizig und deshalb etwa nicht weniger, weil ich liebe, nein, eher mehr – zehntausendmal mehr. Ich möchte Dich auch gar nicht groß und vornehm geboren wissen, denn auf was könnte ich dann noch hoffen – wozu alle meine Pläne und Gedanken verwenden? Ein solches Glück hätte uns den größten Reiz dieses Lebens geraubt, und der ist – Verlangen.

Wenn ich Dich spreche, muß ich Dir auch sagen, daß ich diesen Olivier Dalibard fürchte; er hat augenscheinlich irgend ein Ziel, dem er zustrebt. Er, der bis jetzt noch nie jenem bramarbasirenden Quacksalber in den Weg trat, thut es jetzt, stellt sich, als ob er den alten Mann gerettet habe und geht ihm nicht mehr von der Seite. Wagt er es vielleicht gar einen Einfluß gewinnen zu wollen, den er dann gegen mich gebrauchen könnte? gegen uns? Wahrscheinlich, und zu unserem Glück wird, bis ich zurückkehre, mein Oheim jene ihn selbst täuschende Stärke und Lebenskraft wieder gewonnen haben, wird Dalibard weniger brauchen und dann – mag sich der Franzose hüten. Ich habe schon einen Plan, der durch seine List seine eigene Verbannung bewirken lassen soll. Komm denn, so schnell Du kannst, nach Southampton, wenn es möglich ist noch an demselben Tag, wo Du diese Zeilen erhältst – spätestens am Mittwoch.

Dein letzter Brief tadelt mich wegen der List, mit der ich Vernon entfernt – aber ich muß es Dir wiederholen, es ist nöthig, daß ich meinen Oheim bis zum letzten Athemzug hinhalte. Ehe aber Vernon irgend einen Anspruch geltend machen kann, haben wir Trauer in Laughton. Auch ich werde vielleicht trauern, aber es werden sich mit den Thränen des Schmerzes auch die der Freude vermischen, denn dann, wenn ich Deine Hand fasse, kann ich sagen, sie ist mein, endlich mein, und für ewig.

Adieu – nein, nicht adieu – auf Wiedersehen, Geliebter, auf Wiedersehen.

Deine Lucretia.«

 

Miß Clavering war etwa seit einer Stunde abgefahren, als Dalibard seinem Sohne den Brief wieder einhändigte und ihm befahl, denselben an den Platz zurückzutragen, wo er ihn gefunden habe; ihn aber so zu legen, daß ihn der Erste, der die Höhlung beträte, entdecken müßte. Dann theilte er ihm den Plan mit, den er zu seinem Wiederauffinden entworfen hatte – ein Plan, der es Lucretia unmöglich machte, auch nur zu ahnen, er sowohl als sein Sohn haben das Mindeste zu diesem Verrathe beigetragen. Als das geschehen war, suchte er Sir Miles wieder in der Gallerie auf.

Bis dahin hatte er sich stets gescheut, dem Baronet das vertrauliche Einverständniß Miß Claverings mit Mainwaring zu entdecken, denn diese Entdeckung hätte sie einer Erbschaft beraubt, der seine Geldgier, ja sein Ehrgeiz noch nicht entsagen wollte. Jetzt aber waren durch diese Zeilen alle Teufel seiner Eifersucht und Rache erweckt, und er änderte sein ganzes Gewebe von List und Tücke. Er mußte Lucretia vernichten, oder sie verdarb ihn selbst, ihre Drohung ließ darüber keinen Zweifel; seine eigene Stellung aber konnte, wie jetzt die Sachen standen, keinen Schaden leiden, wenn Lucretia wirklich von Sir Miles verstoßen, das Haus verlassen mußte. Freilich bekam er sie in seine Gewalt – blieb er fest in Laughton, so konnte er jeden vorschnellen Schritt, auf jeden Fall eine Vereinigung mit Mainwaring verhindern, er durfte ja nur gerade denselben Ehrgeiz benutzen, der sich in diesen Zeilen so klar und deutlich aussprach. Dadurch wurde er auch ein unentbehrlicher Verbündeter, und dann – dann – ein ironisches Lächeln spielte um seine Lippen. Ueber diese Bilder hinaus entdeckte aber sein scharfes Auge die herrlichsten und weit trefflicheren Aussichten für sich selbst. Lucretia, erst einmal verstoßen, das Erbtheil ihr entzogen, das Testament geändert, Dalibard dem Leben des Baronets unentbehrlich – was konnte da noch einem wenigstens bedeutenden Vermächtniß im Wege stehen?

Nachmittags wurde Besuch, und mit diesem Fremde von London erwartet, die Sir Miles eingeladen hatte, das Haus zu sehen (das oft einzelner Merkwürdigkeit wegen gezeigt wurde). Das wußte Dalibard, und bat den Baronet, sich ruhig zu verhalten, bis jene kämen.

»Nachher,« sagte er so flüchtig hingeworfen, »wird es Ihnen eine recht angenehme Unterhaltung gewähren, sie ein wenig mit in den Park zu begleiten. – Sie können sich ja in den Gartenstuhl setzen; dann haben Sie neue Gefährten zum Plaudern und am Abhang des Hügels, gegen das Ende des Parks zu, ist es stets warm und sonnig.«

Sir Miles willigte gern darein; die Gäste kamen, schlenderten durch das Gebäude, bewunderten die Gemälde und Waffen und die Halle und Treppe, erwiesen dann dem noch altmodischen, aber auch gehaltvollen Frühstück alle Ehre und waren nachher, erfrischt und in bester Laune, freudig bereit, Sir Miles Vorschlag, den Park ein wenig zu durchziehen, anzunehmen.

Der arme Baronet war lebendiger als je; das junge Volk drängte sich tändelnd um seinen durch den Bedienten gezogenen Stuhl; belachte seine Scherze und freute sich der guten Laune des alten Herrn. Etwas weiter zurück kam Gabriel und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem hübschesten und muntersten Mädchen der ganzen Gesellschaft zu, das zugleich, und vielleicht eben aus diesem Grunde, auch ein Liebling Sir Miles' war.

»Welch ein prächtiger alter Mann,« sagte das liebe Kind – »wie beneide ich Miß Clavering um solchen Oheim.«

»Ah – Sie haben es aber heute ein wenig mit ihm verdorben, so viel kann ich Ihnen sagen,« lachte Gabriel, »Sie standen dicht bei Sir Miles, als er durch die Bildergallerie schritt und Sie fragten ihn mit keiner Sylbe nach dem alten Ritter in dem ledernen Wams und der blauen Schärpe.«

»Ja, aber was schadet denn das?«

»Ei, das war der brave Obrist Guy St. John, der Chevalier– der Stolz des guten Sir Miles – Sie kennen ja seine Schwäche – es gefiel ihm gar nicht, als Sie meinten: ›wie komisch die Figur hier aussieht‹ – ich stand auf Nadeln.«

»O Gott, wie leid mir das thut – ich möchte den theuren Sir Miles nicht um eine Welt kränken.«

»Nun, das läßt sich leicht wieder gut machen. Gehen Sie hin zu ihm, und bitten Sie ihn, Sie zu Guy's Eiche in der Schlucht unten zu führen. Sagen Sie ihm nur, Sie hätten so viel davon reden hören. Haben Sie ihn erst einmal auf seinem Steckenpferde, dann können Sie leicht Frieden mit ihm schließen.«

»O gewiß und gern will ich das thun, Master Varney,« und die junge Dame verlor auch gar keine Zeit, dem Winke Folge zu leisten. Gabriel hatte aber schon andern Lippen dieselben Lieder gelehrt, so daß, als nur Eines den Baum erwähnte, fast Alles rief:

«Oh, nach Guy's Eiche – bitte – bitte, nach Guy's Eiche!«

Sir Miles fühlte sich denn auch durch den allgemeinen Enthusiasmus nicht wenig geschmeichelt, den Einer seiner liebsten Vorfahren erweckte, und führte sie bis an den Rand der Schlucht, hier aber ließ er halten und sagte:

»Ich fürchte, ich werde nicht die Freude haben können, Sie hinunter zu begleiten – der Abhang ist zu steil, auf jeden Fall zu steil für den Stuhl.«

Gabriel flüsterte der holden Jungfrau, an deren Seite er sich noch immer hielt, leise etwas zu.

»Nein, mein theurer Sir Miles,« rief diese – »ich rühre mich ohne Sie hier unter keiner Bedingung von der Stelle. Wir bringen den Stuhl sicherlich ganz gut und ruhig hinunter. Sehen Sie nur, wie allmälig hier der Abhang nieder geht. Jane, Lucy – kommt her, Kinder, laßt uns Sir Miles helfen – faßt an – so.«

Der galante alte Herr wäre, so geführt, noch einmal einer Bresche entgegengestürmt; er küßte die schönen Hände, die so verführerisch auf seinem Stuhl lagen und dann, indem er sich mit einiger Schwierigkeit erhob, sagte er:

»Nun, meine lieben Kinder – Sie haben mich wieder jung gemacht, ich denke, ich kanns jetzt, bergab, mit den Schnellsten von Ihnen aufnehmen.«

So, theilweise auf seinen Diener gestützt, andererseits durch die Hülfe der nach ihm ausgestreckten Arme gehalten, stieg Sir Miles nicht ohne bedeutende Anstrengung, in die Schlucht hinab, bis an den Fuß der Eiche.

»Früher war die Höhlung viel kleiner,« erzählte er hier, »damals konnte man auch einen Mann nicht so leicht darin entdecken, wie das jetzt wohl der Fall wäre: diese verdammten Stutzohren aber – bitte um Verzeihung, meine jungen Damen – diese schurkischen Rebellen stießen ihre Schwerter durch die Oeffnung und zwei drangen, eines durch sein Wams, das andere durch seinen Arm. Er hütete sich aber wohl, dieser genommenen Freiheit wegen zu fluchen, und die Feinde zogen, ohne Verdacht zu schöpfen, wieder ab.«

Während er noch sprach, hatte sich das junge Volk scherzend schon darum gestritten, wer das Innere der Eiche zuerst betreten sollte. Zwei erhielten den Vorrang und gingen, Eine nach der Anderen, hinein und wieder heraus. Gabriels Herz klopfte fast hörbar. »Die blinden Eulen,« dachte er – »habe ich doch den Brief so gelegt, daß ihn ein Maulwurf sehen würde.«

»Kennen Sie den Zauberspruch, den Sie sagen müssen, wenn Sie eine alte Eiche betreten, in der die Elfen hausen?« frug er seine schöne Nachbarin. »Sie müssen sich dreimal herumdrehen und fest dabei auf den Boden schauen, dann werden Sie das Antlitz sehen, das Ihnen das liebste ist. Wenn ich nur ein klein wenig älter wäre, o wie ich bitten würde –«

»Unsinn!« sagte das Mädchen erröthend, aber sie glitt durch die Menge und betrat schüchtern das Innere. Gleich darauf stieß sie einen leisen Ruf des Erstaunens aus.

Der galante Sir Miles bückte sich diensteifrig, um zu sehen, was vorgefallen, reichte ihr dann auch die Hand, ihr beim Herauskommen behülflich zu seyn, stutzte aber, als er bemerkte, daß sie einen Brief trug.

»Denken Sie nur, was ich gefunden habe.« lachte die Jungfrau – »welch' ein wunderlicher Platz für einen Briefkasten! – Nein wahrlich – er ist an Mr. Mainwaring adressirt.«

»Mr. Mainwaring?« riefen drei oder vier Stimmen – aber der Baronet war stumm – sein Auge hatte Lucretiens Schriftzüge erkannt – die Zunge klebte ihm am Gaumen; das Blut schoß ihm wie Flammengluthen durch die Adern, sein Antlitz wurde feuerroth. Da blickte Gabriel plötzlich über die Schulter des jungen Mädchens, und riß ihr, ohne Weiteres, den Brief aus der Hand.

»Das ist mein Brief.« rief er – »der ist von mir. O wie schlecht von Mainwaring – er hatte mir doch so gewiß versprochen ihn abzuholen.«

Sir Miles sah auf und athmete freier.

»Der Ihrige? Master Varney?« frug die junge Dame ganz erstaunt– »was könnte denn zwischen Ihnen und Mr. Mainwaring für eine so geheime Correspondenz bestehen?«

»Oh – Sie werden mich auslachen – aber – aber – ich habe auf Guy's Eiche ein Gedicht gemacht und Mr. Mainwaring versprach mir, es für mich in die Zeitung setzen zu lassen, und da er hier, als er am letzten Sonnabend nach D– ging, dicht vorbei mußte, so verabredeten wir uns, daß er es hier abholen wollte; jetzt hat er es schändlich vergessen, wie ich sehe.«

Sir Miles erfaßte und preßte des Knaben Arm in unbeschreiblicher Dankbarkeit. Von allen Seiten wollte man aber nun das Gedicht vorgelesen haben, Gabriel machte jedoch ein etwas albernes Gesicht und hing den Kopf; er sah eher aus, als ob er weinen wie vorlesen würde. Sir Miles dagegen, mit einer Kraftanstrengung, die er trotz all' seiner Weltschule nicht bewiesen haben könnte, hätte nicht in diesem Augenblick sein Alles – die Ehre seines Hauses wie seines Blutes auf dem Spiel gestanden, kam seinem jungen Retter nun gleichfalls zu Hülfe.

»Nein,« sagte er fast ruhig – »da kenne ich unsern jungen Poeten, er ist zu schüchtern, Ihnen den Gefallen zu thun; ich selbst werde aber Deine Verse prüfen, mein junger Sir;« und mit ernstem Blick nahm er den Brief aus des Knaben Hand und schob ihn in seine Tasche.

Die Rückkehr war weniger heiter als der Marsch zur Eiche. Der Baronet selbst machte zwar einen verzweifelten Versuch, so fröhlich zu scheinen als vorher, aber es gelang ihm nicht. Glücklicherweise hielten die Wagen schon alle vor dem Thor, als sie die Halle erreichten, und da das Frühstück vorüber war, so hielt Nichts mehr das Abschiednehmen der Gäste auf. Als der letzte Wagen davon rollte, winkte Sir Miles Gabriel, ihm in sein Zimmer zu folgen.

Dort entließ er seinen Diener und sagte:

»Du weißt also, wer den Brief geschrieben hat? sag', weißt Du überhaupt um das Geheimniß, mein wackerer Bursche? – sprich ohne Furcht – es soll Dir Nichts geschehen.«

»Oh, Sir Miles,« rief Gabriel – »Nichts – gar Nichts weiß ich, als das, was ich hier sah. Als ich die Hand meiner theuern gütigen Lucretia erkannte, da fühlte ich, ich weiß selbst nicht warum, daß es weder Ihnen noch ihr lieb seyn würde, wenn es fremde Menschen entdeckten, und das wäre sicher geschehen, sobald der Brief von Hand zu Hand ging, da doch gewiß Jemand so gut als ich die Züge kannte; deshalb fuhr mir das, was ich sagte, ich weiß selbst nicht wie heraus – es war das erste beste was mir einfiel.«

»Du – Du hast mir und meiner Nichte einen großen Gefallen gethan, Kind,« sagte der Baronet zitternd, dann aber, mit einem mühsamen und erzwungenen Lächeln fuhr er fort: »wahrscheinlich ist das wieder so ein toller Scherz Lucretia's – ich werde sie auszanken müssen. Sprich übrigens gegen Niemanden davon.«

»Nein, gewiß nicht, Sir.«

»Adieu, mein lieber Gabriel.«

»Und der Knabe rettete die Ehre von meiner Nichte Namen, meiner Mutter Enkelin. Oh Gott, das ist hart – und noch dazu in meinen alten Tagen.«

Er barg sein Antlitz in den Händen, und große Thränen drängten sich zwischen den Fingern hindurch. Es dauerte lange, ehe er Muth faßte den Brief zu lesen. obgleich er wohl wenig ahnte, wie entsetzlich ihn dessen Inhalt berühren würde. Zugleich war es der erste, nicht an ihn gerichtete Brief, dessen Siegel er löste – selbst das machte die Hand des alten rechtschaffenen Mannes zögern, seine Pflicht aber, als Oberhaupt des Hauses und Schützer seiner Nichte, lag klar und offen vor ihm. Dreimal reinigte er die Gläser seiner Brille – dreimal waren sie trübe – immer wieder stiegen die Thränen auf in seinen Augen. Er stand zitternd auf – ging zu dem Fenster und sah die stattlichen Hirsche ruhig äsen im Park – sah den Kirchthurm, der sich über der Gruft seiner Vorväter erhob, und sein Muth sank tiefer und tiefer, während er murmelte – »thörichter Stolz – thörichter Stolz!« Dann mühte er sich zur Thür – verschloß sie und setzte sich endlich, wie ein Verwundeter zu entsetzlicher Operation, fest nieder in den Stuhl und las den Brief.

Der Himmel stärke Dich, alter Mann, Du sollst die ärgste Prüfung bestehen, die Ehre und Liebe bestehen kann – Verrath im eigenen Hause. Wenn das Weib die Stirn frech gegen den Gatten erhebt und seiner Schuld sich kalt und trotzig rühmt, wenn das Kind mit lauter Stimme jeden Zwang abwirft, und mit seinem Ungehorsam prahlt, dann zürnt vielleicht der Mann solcher Kühnheit, sein Geist waffnet sich gegen das Unrecht – denn dessen Visir ist wenigstens offen – der Schlag – und wenn er das Heiligste entweihe – frei und gerade zu. Wenn aber sanfte Worte und zärtliche Küsse den schlimmsten Feind verbergen, den das Schicksal gegen uns waffnen kann, wenn inmitten aus heiligem Vertrauen Verrätherei sich riesig hebt, wenn die Brust, an die wir uns traulich, Liebe bietend und Liebe verlangend, lehnten, die giftige Viper verbirgt, sie auf den Verdachtlosen zu schleudern, sobald er schlummert, wenn wir erfuhren, daß Tag nach Tag das Leben, das wir mit dem unsrigen verflochten glaubten, nur Lüge und Trug umschloß, dann fühlt das Herz nicht den sanften, in seinem Erguß selbst sich lindernden Schmerz, dann faßt es nicht die wilde, grimmige Wuth – nein, ein Gefühl ergreift es, das mächtiger als der Schmerz, entsetzlicher als jenes Toben trifft – ein Schrecken ist's, der Geist und Glieder lähmt. Das Herz blutet, die Thräne fließt nicht, nein, es ist als ob etwas Fürchterliches den Gesetzen der Natur Widerstrebendes geschehen sey. Der Verräther am eigenen Herd hat aber auch mit dem Criminalverbrecher nichts gemein. Der Mörder, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt ist, hat keine Furcht vor seinen unschuldigen Kindern, er legt sein schuldiges Haupt ruhig in ihren Schooß. In seinem eigenen Hause kann ja dann auch das Vertrauen des Klügsten und Vorsichtigsten, wie des Einfältigsten mißbraucht und verrathen werden – kein Herz sucht dort den Verräther, und wären solche Ausnahmen nicht wirklich so selten, diese Erde müßte schlimmer als der Abgrund der Hölle seyn.

Deshalb scheint aber auch am Verrath im eignen Hause Gottes Fluch in allen Ländern, in allen Zeiten zu haften, und der Mensch überläßt ihn dem Zorn der Gottheit; er ehrt die Schande nicht mit seinem Haß – noch weniger mag er die Schuld durch seine Rache theilen. Im Innersten verletzt und erschüttert wendet er sich ab und überläßt es der Natur, die Erde von einem Gespenst zu befreien, vor dem sie selbst zurückschaudert.

Alter Mann, daß sie Dich hinterging – daß sie Deine Gutmüthigkeit benutzte, Dein Vertrauen täuschte, Deine Vermuthungen leugnete, das Alles möchte Dich vielleicht erbittert haben und gekränkt; dem Allen sind aber alte Leute unterworfen – es ist gerade das, was unsern Lustspielen die Würze verleiht – der Liebhaber und die Geliebte sind privilegirte Betrüger. Daß sie aber die Körner Deines Stundenglases zählte, daß sie bei Deiner Seite saß und berechnete, wie bald Dich die Würmer haben würden; daß sie lächelnd in Dein Antlitz blickte und nach den Zeichen Deines Todes forschte, o stirb schnell alter Mann – Dein Henker sehnt sich nach dem Henkerslohn!

Es standen keine Thränen in den Augen, als sie den Brief beendet hatten, das Papier fiel nur geräuschlos zu Boden, der Kopf sank auf die Brust und die Hände auf die armen verkrüppelten Glieder nieder, ob deren Regsamkeit – o entsetzlicher Spott – die starke rüstige Jugend noch zürnte. Er fühlte sich gedemüthigt – niedergeschmettert – zermalmt – sein Stolz, sein ganzer Stolz war verschwunden – die grausamen Worte hatten in's innerste Leben getroffen.

In diesem Augenblick stand Ponto, der alte Hühnerhund auf, schüttelte sich, sah empor und legte den Kopf in seines Herrn Schooß; und Dash – eifersüchtig, hob sich ebenfalls – aber nicht schnell, denn Dash war auch alt – richtete sich an seines Herrn Knie auf und leckte ihm die Hände. Die Leute lobpreisen immer die Treue der Hunde in's Blaue hinein – Niemand aber weiß, was uns ein Hund seyn kann, bis ihn die Menschen erst einmal hintergangen haben, dann aber, wenn er das ehrliche Gesicht die aufrichtige Liebkosung sieht, das schmeichelnde Winseln hört, das niemals log, dann – nun dann?

Ein Hund wird alt, wenn er zehn Jahre lebt – freilich ein kurzer Raum für Treue und Freundschaft. Als Sir Miles fühlte, daß er nicht ganz verlassen war, und sein Blick den vier treuen auf ihn gerichteten Augen begegnete, die in jenem eigenen Feuer glühten, das wir so oft beim Hunde sehen, wenn er den Schmerz in seines Herrn Brust ahnt, da durchzuckte ihn ein, für den Moment gewiß wunderlicher Gedanke, aber er zeigte mehr als seitenlange Elegien, wie schwarz, wie düster schon die Welt ihn umgab.

»Wenn ich todt bin« – dachte er – »wo wird sich da wohl ein menschliches Wesen finden, dem ich die Sorge für des alten Mannes Hunde anvertrauen kann?«


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