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Drittes Kapitel.

Konferenzen.

Am nächsten Tage erschien Sir Miles nicht beim Frühstück, aber keineswegs eines etwaigen Unwohlseyns wegen, nein, er hatte nur verschiedene Konferenzen zu halten und in solchem Falle liebte es der alte gute Gentleman, sich ordentlich darauf vorzubereiten. Er gehörte noch einer Schule an, die unter manchen guten und trefflichen Eigenschaften auch freilich andere besaß, denen man in unsern Zeiten das Beiwort »steif« und »formell« kaum vorenthalten hätte.

Das Zimmer nun, welches Sir Miles für sich gewählt, das sogenannte »Staatszimmer« war in den alten Inventarien als »König James' Zimmer« aufgeführt, befand sich im unteren Stock und stand mit der Bildergallerie in Verbindung, die wiederum an ihrem äußersten Ende auf einen Gang hinauslief, der zu den Thüren der Hauptschlafgemächer führte. Da sich aber Sir Miles nicht viel aus solchem Sonntagsstaat machte, so hatte er dies Gemach auch ganz unbekümmert zu seinem Cubiculum Nebenraum des Atriums im römischen Haus, meist als Schlafgemach genutzt. hergerichtet, denn es war ohne Zweifel, den Bankettsaal ausgenommen, das schönste im ganzen Haus. Er placirte also sein Bett mit einem ungeheuren Schirm davor, in die eine Ecke, füllte den übrigen Raum mit seinen italienischen Curiositäten und Antiquitäten aus, und beseitigte seine Lieblingsgemälde an den alten, mit verblichenem Gold bedeckten Ledertapeten. Die Hauptursache dieser Wahl lag dabei in der Verbindung mit der Gallerie, in welcher er bei schlechtem Wetter hinlänglichen Raum fand, seinen gewöhnlichen Spaziergang zu halten. Er wußte mit Hülfe seiner Krücke, wie viel Schritte zu einer Meile gehörten, und das war ihm bequem, überdies betrachtete er auch gern, wenn er sich allein befand, die alten Familienbilder seiner Vorfahren und hatte die florentinischen und venetianischen Meisterwerke lieber in die verschiedenen Schlafkammern und Gesellschaftszimmer gesteckt, ehe sie die alten Reifröcke, steifen Spitzkragen und Tressenwämse seiner Voreltern von ihren Plätzen verdrängen durften. Man flüsterte sich auch im Hause zu, daß der Baronet, wenn er je Einen seiner Pächter zurechtweisen oder einen Diener irgend einer Fahrlässigkeit wegen tadeln wollte, ihn jedesmal wohlweislich in dies Heiligthum und zwar die ganze Länge der Bildergallerie hindurch führe, so daß sein Opfer vollkommen Zeit und Gelegenheit bekam, ganz durchdrungen von Respekt zu werden. Alle die hier aufgepflanzten ernsten Gesichter eines ganzen ehrwürdigen Geschlechts mußten ja sein Herz mit Zerknirschung erfüllen, wenn er daran dachte, wie er jetzt dem zürnenden Blick ihres beleidigten Repräsentanten zu begegnen habe.

Durch diese Gallerie nun, den Schritten eines wohlbepuderten Dieners folgend, wanderte der junge Ardworth dann und wann den Blick zu einem der am grimmigsten oder drohendsten aussehenden Gesichter emporwerfend, wobei er sich aber im Stillen wunderte, daß gerade heute seine Stiefel so entsetzlich und so ganz außergewöhnlich knarren mußten. Uebrigens fühlte er mehr eine ruhige Neugierde wegen dem, was ihm der Alte sagen würde, als irgend Furcht oder Angst; freilich schwanden in ihm alle, bis jetzt vielleicht noch beherbergten, leichtsinnigen Gedanken, als er des Baronets Zimmer betrat, die Thür sich hinter ihm schloß und Sir Miles mit einem freundlichen Lächeln aufstand, ihm die Hand zu bieten, wobei er, das kalte »Mister« auslassend, sagte:

»Ardworth – Sir– wenn ich wirklich noch bis jetzt ein Vorurtheil gegen Sie gehabt hätte, so müßte es in diesem Augenblicke, da ich Sie sehe, schwinden. Sie sind ein wackerer, lebendiger, junger Bursche, Sir, und haben sich die guten Wünsche eines alten Mannes gewonnen, was bei dem Beginn Ihrer Carriere nur von heilsamen Folgen für Sie seyn kann.«

Ardworths Antlitz färbte eine höhere Röthe und zwei große Tropfen drängten sich ihm unwillkürlich in die Augen. Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken und er stammelte eine keineswegs sehr verständliche Antwort hervor.

»Ich wollte Sie gern sprechen, mein junger Herr, daß ich selbst urtheilen könnte, welche Lebensbahn Sie am liebsten wählen, am besten ausfüllen würden. – Ihr Vater ist bei der Armee. Wie würde Ihnen eine Uniform gefallen?«

»Oh Sir Miles – das wäre die Erfüllung meines schönsten Wunsches. Nichts scheue ich mehr als die Jurisprudenz– den geistlichen Stand ausgenommen, und Nichts mehr als den geistlichen Stand, ausgenommen Comptoir und Ladentisch.«

Der Baronet klopfte ihm lächelnd auf die Schulter.

»Haha, wir Gentlemen, sehen Sie, (denn die Ardworths sind von sehr guter Geburt– sehr guter) wir Gentlemen verstehen einander. Uebrigens bin ich den Juristen auch nicht besonders gewogen – hat mir nie in den Kopf gewollt, daß ein Mann von Geburt dazu gehören solle. Nehmen Geld für's Lügen – schrecklich – gemein. Doch das bleibt unter uns. – Dann die Kirche – die Mutter Kirche – ich ehre sie – Kirche und Staat gehen Hand in Hand; man muß aber sehr brav und gut seyn, wenn man Anderen predigen will – besser wenigstens, als wir alle Beide sind, ah? haha. Also der Soldatenstand gefällt Ihnen – da, hier ist ein Brief für Sie – an die Leibwache. Kehren Sie jetzt zur Stadt zurück. – Ihr Geschäft hier ist abgethan und was Ihre Equipirung betrifft, so studiren Sie dies kleine Buch nach Ihrer Bequemlichkeit.« Sir Miles drückte bei diesen Worten ein Taschenbuch in Ardworth's Hand.

»Aber Sir Miles,« sagte der junge Mann, und stand erröthend und fast außer Fassung vor ihm, »welche Ansprüche habe ich auf solche Großmuth von Ihrer Seite? – Ich weiß sogar, daß mein Oheim Sie beleidigte.« –

»Darin bestehen die Ansprüche,« erwiederte Sir Miles sehr ernst. »Ich kann nicht lange mehr leben,« fuhr er dann mit leisem, fast weichem Tone fort – »und möchte gern mit der ganzen Welt in Frieden sterben – vielleicht habe gerade ich Ihren Oheim beleidigt – wer weiß es. Doch wenn es geschehen ist, so hört er mich jetzt und verzeiht mir.«

»Oh Sir Miles« – rief der leicht- aber gutherzige junge Mann – »und meine kleine Spielgefährtin – Susanna, Ihre eigene Nichte –« Sir Miles richtete sich etwas stolz und kalt empor – der Ausruf war aber so warm und unbedacht aus dem Herzen gekommen und durch seine Beweggründe so zu entschuldigen, daß der alte Herr, des jungen Mannes Unbekanntschaft mit der Welt und ihren Verhältnissen ebenfalls bedenkend, bald mit wieder milderer, wenn auch noch ernster Stimme erwiederte:

»Kein Mann, mein guter Sir, wird Anderen das Recht zugestehen, seine eigenen Familienangelegenheiten zu berühren; ich hoffe aber gegen die arme, junge Dame gerecht zu seyn; so lassen Sie uns also, wenn wir uns vielleicht nicht wiedersehen sollten, gut von einander denken. Gehen Sie, Ardworth – gehen Sie und dienen Sie Ihrem König und Vaterland.«

»Nach besten Kräften, Sir Miles, und wäre es nur, mich Ihrer Güte würdig zu zeigen.«

»Noch einen Augenblick – Sie sind, wie ich höre, genau mit dem jungen Mainwaring bekannt?«

»Noch alte Schulkameradschaft, Sir Miles.«

»Die Armee würde dem wohl nicht zusagen?«

»Er ist zu gescheidt dafür, Sir.«

»Ah, der müßte also einen guten Advokaten geben – glatte Zunge wahrscheinlich – kann gut reden und – lügen wenn er dafür bezahlt wird.«

»Ich weiß nicht, wie Advokaten darüber denken, Sir Miles, so viel aber ist gewiß, wenn Sie keinen Advokaten aus ihm machen, so müssen Sie ihm auf jeden Fall den Namen eines rechtschaffenen Mannes lassen.«

»Wahr und wahrhaftig?«

»Das ist, auf mein Ehrenwort, meine feste Ueberzeugung.««

»Leben Sie wohl denn, leben Sie wohl, und gut Glück auf den Weg – den Wagen werden Sie übrigens am Schloß erwarten müssen – denn ich sehe aus den Zeitungen, daß sie, trotz dem ewigen Reden von Frieden, doch wie das Ungewitter Regimenter ausheben.«

Wie freudig hatten sich aber Ardworths Gefühle verändert, seit er das Gemach betreten; er flog nun zu seinem eigenen Zimmer zurück, sein Felleisen schnell zu packen, und während er noch damit beschäftigt war, trat Mainwaring ein.

»Wünsche mir Glück, mein wackerer Bursche – wünsche mir Glück – ich gehe zur Stadt – zur Armee – in die Welt, um nach mir schießen zu lassen, Gott sey Dank. Dieser prächtige alte Gentleman – bitte, wirf mir einmal den Rock herüber.«

Wenige Worte noch genügten, Mainwaring mit all' dem Vorhergegangenen bekannt zu machen; dieser aber seufzte, als sein Freund geendet hatte: »Ich wollte ich könnte mit.«

»Wirklich? Nun, Sir Miles brauchte nur noch so einen Brief an die Leibwache zu schreiben; aber nein, Du bist zu Besserem bestimmt als Futter für Pulver; und überdieß, Deine Lucretia. Hol's der Henker, es thut mir doch leid, daß ich nicht noch länger hier bleiben kann, um sie, wie ich versprochen hatte, zu erforschen, doch eigentlich habe ich auch genug gesehen, um wenigstens zu wissen, daß sie Dich liebt. Ach – wie Du die Blumen mit ihr tauschtest – Du glaubst wohl, ich hätte Dich nicht gesehen, ja, ich war schlau, eh'? Mit Vernon spielte sie nur Komödie, so viel weiß ich. Aber höre, weißt Du wohl, Will, daß ich, seit Sir Miles wirklich so herzlich mit mir gesprochen hat – die Thränen kamen mir ordentlich in die Augen – weißt Du wohl, daß ich seitdem fast böse auf Dich bin, weil Du dem Mädchen hilfst, ihn zu hintergehen? – ja auch böse auf mich selbst – und –«

Hier trat ein Bedienter ein und sagte, sich an Mainwaring wendend, er hätte ihn schon überall gesucht – Sir Miles wünsche ihn in seinem Zimmer zu sprechen. Mainwaring erschrack wie ein Verbrecher, Ardworth flüsterte ihm aber zu: »Fürchte nichts– er hat auf Dich nicht den mindesten Verdacht, das bin ich fest überzeugt. Aber komm, gib mir die Hand, wann werden wir uns wohl wiedersehen? Sonderbar ist's dabei auch, daß ich, nach jeder Theorie Republikaner, nun König Georgs Sold nehme, um gegen die Franzosen zu kämpfen; doch jetzt ist freilich nicht die Zeit, über solche Widersprüche zu philosophiren. John – oder Tom, wie heißt Ihr? kommt, hebt Euch einmal den Mantelsack auf die Schulter und folgt mir!«

Und so gesund und kräftig, voll Hoffnung und Frohsinn, ging John Walter Ardworth seiner neuen Laufbahn entgegen.

Indessen folgte Mainwaring langsam dein Rufe Sir Miles'. Als er sich der Gallerie näherte, traf er Lucretia, die eben aus ihrem eigenen Zimmer kam. »Sir Miles hat nach mir geschickt,« sagte er zu ihr, mit bedeutungsvollem Blick – weiter blieb ihm aber keine Zeit, denn der Diener stand, bereit ihn zu seinem Herrn zu führen, an der Thür der Gallerie.

»He – hüte Deine Zunge, daß sie uns nicht verräth – auch Deine Blicke,« flüsterte Lucretia schnell –«nachher treffe ich Dich bei den Cedern.«

Sie ging der Treppe zu und blickte zu der dort angebrachten Wanduhr empor. «Eilf vorbei – Vernon erscheint nie vor zwölf. Ich muß ihn sprechen, ehe mich mein Oheim rufen läßt, was sicherlich geschieht, wenn er Verdacht geschöpft hat.« Sie blieb stehen, kehrte in ihr Zimmer zurück, schellte ihrem Kammermädchen. kleidete sich wie zu einem Spaziergang an, und sagte hingeworfen: »Wenn Sir Miles nach mir fragen sollte – ich – ich bin auf die Rektorei Die »rectory« ist in der englischen Hochkirche das Pfarramt, »rector« der Pfarrer. gegangen und werde wahrscheinlich durch das Dorf zurückkehren, so daß ich etwa um Eins wieder hier bin.« Der Rektorei schritt auch Lucretia zu, aber auf halbem Wege drehte sie um, und, die Anpflanzung hinter dem Hause durchschneidend, erwartete sie auf der Bank unter den Cedern Mainwaring, der sich auch bald ihr anschloß. Sein Antlitz war aber traurig und nachdenkend, und als er sich an ihrer Seite niederließ, geschah es mit einem solchen Schmerz in seinem ganzen Wesen, daß es sie zugleich erschreckte und beunruhigte.

»Nun?« frug sie ängstlich, als sie ihre Hand auf die seinige legte.

»Oh, Lucretia!« rief er aus und drückte mit dieser Hand, aber mit einer Empfindung, deren Schöpferin nicht die Liebe war, »oh, Lucretia, wir – oder vielmehr ich, habe gar unrecht gehandelt. Ich bin die Ursache gewesen, daß Du Deines Onkels Vertrauen verriethst, daß sich Deine Dankbarkeit gegen ihn in Heuchelei verwandelte. Ich habe meiner selbst unwerth gehandelt. Ich bin arm – bin niedrig geboren, aber – bis ich– hieher kam, war ich reich und stolz an Ehre. Jetzt nicht mehr. Lucretia – verzeihe mir – verzeihe mir – aber– laß den Traum vorüber seyn – wir dürfen nicht länger also sündigen, denn das ist Sünde und die entsetzlichste Sünde – Verrath. Wir müssen scheiden – vergiß mich –«

»Dich vergessen? nie – nie – nie! –« rief Lucretia mit zwar unterdrückter, aber dadurch nur um so leidenschaftlicherer Heftigkeit; ihr Busen hob sich, ihre Hände, als er die eine, die er bis jetzt gehalten, los ließ, preßte sie zusammen, doch ihre Augen standen voll Thränen, und ihr ganzes Wesen wandelte sich plötzlich, wenn auch von Leidenschaft und Verzweiflung erregt, in Wehmuth und Schmerz.

»Oh, William – sage, was Du willst – mache mir Vorwürfe – schilt – verachte mich, denn mein ist all die Schuld, aber sprich das eine Wort nicht aus – scheiden. Dich habe ich gewählt, Dich mir von Allen ausgesucht, um Dich habe ich, wenn Du so willst, geworben; aber an Dir hänge ich auch, Du, Du bist mein Alles – Alles, was mich – vor mir selbst schützt.« –« setzte sie leise und schaudernd hinzu. »Deine Liebe – O Du weißt, Du ahnst nicht, was mir diese Liebe ist – wußte ich es doch bis jetzt kaum selbst; aber jetzt, jetzt fühle ich es in seiner ganzen fürchterlichen Kraft, jetzt, da Du das eine Wort aussprachst – scheiden

Erregt, erschüttert von dieser glühenden Rede, bog Mainwaring sein Antlitz nieder und barg es in seinen Händen.

Er fühlte sich von den ihrigen gefaßt und niedergezogen, gab nach und sah sie zu seinen Füßen – knieen. Sein Gefühl – seine Dankbarkeit – sein Herz Alles von dem Anblick des sonst so stolzen Wesens ergriffen, übermannte ihn – er öffnete die Arme, und sie sank an seine Brust.

»Du willst nie – nie wieder das Wort scheiden aussprechen, William?« schluchzte sie convulsivisch.

»Was aber sollen wir thun?«

»Sage mir erst, was zwischen Dir und meinem Onkel vorgefallen.«

»Wenig zu erzählen – ich kann Worte, nicht Ton und Blicke wiederholen. Sir Miles sprach zuerst gütig und zuvorkommend mit mir, redete von meinen Aussichten und meinte, es sey Zeit, daß ich mir eine Existenz gründe, äußerte aber auch einige Worte, und zwar mit drohender Betonung, gegen das, was er ›thörichte Träume und wilden Ehrgeiz‹ nannte, und wurde, da ich die Farbe wechselte – denn ich fühlte selbst, wie ich erbleichte – ernst, und sogar abstoßend gegen mich. Lucretia, wenn er unser Geheimniß noch nicht entdeckte, so hat er wenigstens fast mehr als Verdacht über meine – Anmaßung geschöpft. Endlich schloß er ziemlich trocken, daß ich lieber nach Hause zurückkehren und mich mit meinem Vater berathen möchte, er selbst hätte dann, wenn ich vielleicht den Staatsdienst irgend einer kaufmännischen Beschäftigung vorziehen sollte, wie er glaube, hinlänglichen Einfluß, meine Aussichten zu fördern. Nur das Eine wurde mir aber klar und deutlich – daß meines Bleibens hier nicht länger seyn kann.«

»Erwähnte er meiner? – Mr. Vernons?«

»Ach, Lucretia, kennst Du ihn, kennst Du sein Zartgefühl, seinen Stolz so wenig?«

Lucretia schwieg und Mainwaring fuhr fort:

»Ich fühlte, daß ich verabschiedet war, beurlaubte mich von Deinem Oheim, und kam in der einzigen Absicht hierher, Dir Lebewohl zu sagen.«

»Nein – nein – der Gedanke ist vorüber, aber Du kehrst zu Deinem Vater zurück. Vielleicht ists auch besser so – die Hoffnung bleibt uns ja doch, und in Deiner Abwesenheit kann ich um so leichter jeden Verdacht zerstören, wenn solcher wirklich erwacht seyn sollte. Aber Du mußt mir schreiben, wir müssen uns wenigstens schriftlich unterhalten, und – nicht wahr William – theurer William – – Du schreibst oft – recht oft – und recht freundlich und herzlich – schreibst, daß Du mich liebst – in jedem Briefe – daß Du mich ewig, ewig lieben und geduldig seyn und mir vertrauen willst?«

»Theure Lucretia,« sagte Mainwaring zärtlich und durch das tiefe Gefühl ihrer innigen, bittenden Stimme ergriffen. »Du vergißt aber, daß die Briefe stets Sir Miles zuerst eingehändigt werden – er würde meine Hand erkennen, und wem dürftest Du Deine eigenen anvertrauen?«

»Wahr,« erwiederte Lucretia traurig und sah schweigend vor sich nieder, plötzlich aber hob sie ihr Antlitz zu ihm empor und rief: »Deines Vaters Haus ist nicht weit von hier – kaum zehn Meilen, an dem entfernten Ende des Parkes werden wir aber irgend einen Platz finden, dicht an dem Wege, der durch das große Gehölz führt, wo ich meine Briefe verbergen, die Deinigen abholen kann.«

»Doch das darf nur selten geschehen– wenn mich einer von Sir Miles Dienern sähe – wenn –«

»Oh William, William, das ist nicht die Sprache der Liebe.«

»Verzeihe mir – ich dachte nur an Dich –«

»Liebe denkt an Nichts, als an sich selbst – sie ist tyrannisch – egoistisch – ja vergißt selbst den Gegenstand in ihrer Gluth. Durch Gefahr aber wird sie nur genährt, Schwierigkeit vermehrt nur ihre Stärke,« sagte Lucretia, und während sie ihre Locken zurückwarf und mit lächelndem Blick zu ihm aufschaute, fuhr sie fort:

»Fürchte nicht für mich – ich selbst bin vorsichtig genug – und – ja – selbst während ich mit Dir sprach, habe ich den Versteck für unsere Liebesboten gefunden. Du erinnerst Dich jener hohlen Eiche, unten in der Schlucht – dieselbe, in welcher sich Guy St. John, der Chevalier, vor Fairfax Soldaten verborgen haben soll; an jedem Montag werde ich einen Brief in jene Höhlung verbergen; an jedem Dienstag kannst Du ihn dort holen und den Deinigen dafür zurücklassen Das ist nur einmal die Woche, und sicherlich nicht gefährlich.«

Mainwarings Gewissen machte ihm noch immer Vorwürfe, er besaß aber nicht die Kraft, dem ernsten energischen Wesen Lucretia's zu widerstehen. Die Stärke ihres Charakters besiegte die schwache Seite seines eigenen, sein Zartgefühl – seine Furcht ihr wehe zu thun, seine Unfähigkeit ein ernstes nein zu sagen – die Ursache alles Elends für den Schüchternen.

Noch wenige Worte voll Muth, Vertrauen und Leidenschaft von ihrer – andere, halb zurückhaltend und doch voll inniger dankbarer Liebe, von seiner Seite, und die Verlobten schieden.

Mainwaring hatte schon vorher den Befehl hinterlassen, ihm den Koffer nach seines Vaters Haus zu senden, und als ein tüchtiger Fußgänger schritt er jetzt gerade durch den Park, passirte die Schlucht und den hohlen Baum – gewöhnlich Guys Eiche genannt – und wanderte dann durch Holz und golden reifende Saatfelder, der Stadt zu, in deren Mitte, breit, massiv und stattlich, das achtbare Wohngebäude seines thätigen, geschäftigen, stets Wahlbetreibenden Vaters stand. Lucretia's Auge folgte seiner Gestalt, so schön und edel, wie sie je einer Jungfrau Blick gefesselt, bis sie hinter den laubigen Büschen verschwunden war, dann aber, als sie wieder aus dem Schatten der Cedern in den offenen Theil des Gartens trat, war auch die sonst ihren Zügen eigene, gedankenvolle Ruhe ganz auf ihr Antlitz zurückgekehrt. Auf der Terrasse wurde sie Vernon gewahr, der eben aus seinem Zimmer, wo er stets allein frühstückte, gekommen war, und nun gedankenlos auf einer Bank ausgestreckt lag und sich einzig und allein zu sonnen schien. Wie alle aber, die ihr Leben im Uebermaß genossen, war Vernon nicht derselbe Mann des Morgens als Abends. Jener Geist, der sich in der dritten Stunde Nachmittags zu einer mäßigen Wärme erhob und erst dann zu erglühen anfing, wenn die Kerzen fröhliche Zechergruppen beschienen, zeigte sich Morgens matt und erschöpft. Mit hohlen Augen und jenem Erschlaffen der Backenmuskeln, das den Verehrer des heiteren Weingotts, den geselligen »Drei Flaschen Mann« verräth, zwang Charles Vernon, als er sich mit augenscheinlicher Anstrengung erhob und drei Finger gegen seine Cousine ausstreckte, ein Lächeln auf die bleichen Lippen, das im Ganzen ungezwungen, aber jetzt auch schelmisch aussehen sollte.

»Und wo hast Du Dich versteckt gehalten, mein Blümchen? Den sanften Hauch von den Rosen gestohlen? Du hast schon genug der Farbe, nicht die Idee zu viel; und Sir Miles Diener ist indessen nach der Rektorei, der fette Läufer keucht dem Dorfe entgegen und ich selbst wie eine treue Wacht, stehe hier auf dem Posten und Alle, Alle sehen sich nach dem schönen Flüchtling um.«

»Wer aber hat nach mir verlangt, Cousin?« sagte Lucretia mit dem vollen Spiel ihres reizenden, bezaubernden Lächelns.

»Seiner Aussage nach verlangt Dich der Ritter von Laughton, o Dame, aber der Ritter vom blutenden Herzen möchte sich noch heißer nach Dir sehnen; darf er es gestehen?«

Und mit einer Hand, die ein klein wenig zitterte – wenn auch nicht von Liebe, denn sie zitterte immer etwas von dem Madeira beim Frühstück – hob er die ihrige an seine Lippen.

»Wieder Schmeicheleien – Worte – leere Worte,« sagte Lucretia, indem sie verschämt vor sich nieder sah.

»Wie kann ich Dich anders von meiner Aufrichtigkeit überzeugen, Mädchen von Laughton, wenn Du nicht mein ganzes Leben als ihr Unterpfand nehmen willst?«

Und sehr müde von dem langen Stehen, zog sie Charles Vernon leise auf die Bank nieder, und setzte sich an ihre Seite. Lucretia's Augen hafteten noch immer auf dem Boden, und da sie kein Wort erwiederte, so fühlte Jener, der ein Gähnen unterdrückte, daß er fortfahren müsse. In Lucretia's Benehmen lag aber nicht das mindeste, was ihn hätte abschrecken können, und bei sich selbst dachte er –

»Hilf Himmel, ich werde die Erbin am Ende doch noch nehmen müssen; nun, je eher es abgemacht ist, desto schneller kann ich nach Brockstreet zurückkehren.«

»Es möchte für Voreiligkeit gelten, meine schöne Cousine,« sagte er endlich laut, »daß ich nach kaum wöchentlichem Besuch und nur vierzehn- oder höchstens fünfzehnstündiger näheren Freundschaft und Vertraulichkeit schon frei heraussage, was mich am meisten beschäftigt; wir Verschwender sind aber in Nichts, nicht einmal im Werben zurückhaltend. Bei der süßen Venus denn, mein liebes Cousinchen, Du siehst verführerisch schön aus und Sir Miles, Dein guter Onkel, will mir unter der Bedingung alle meine Thorheiten und Fehler vergeben, daß Du selbst das leichte Geschäft übernimmst, mich zu bessern. Willst Du das, mein schönes Cousinchen? wie ich bin, siehst Du mich hier, ich bin kein Sünder in dem Rocke eines Heiligen – mein Vermögen ist dahin– meine Gesundheit nicht übermäßig stark, eine junge Wittwe ist aber auch kein übler Stand und so lange ich gesund bin, bin ich fröhlich, gutmüthig, wenn krank, und habe nie ein Vertrauen mißbraucht. Willst Du Dich mir selber anvertrauen?«

Das war eine lange Rede, und Charles Vernon freute sich, als er sie überstanden hatte. Es lag auch so viel Ehrlichkeit darin, daß sie selbst ein ihm verschlossenes Herz berührt haben müßte, während zugleich ein augenblickliches, aber wirklich ächtes Gefühl seinen Augen Glanz, seinen Wangen Farbe verlieh. Trotz aller der Verwüstung, die ein wildes Leben in seinen Zügen angerichtet, war ihm doch etwas Interessantes, etwas Männliches in Ton und Bewegung geblieben; Lucretia hörte aber nur das Eine in seinen Worten, ihr Oheim hatte in seine Werbung gewilligt; das war Alles, was sie zu wissen wünschte, und gegen das suchte sie sich nun zu schützen.

»Ihr Vertrauen, Mr. Vernon,« erwiederte sie ihm, ohne jedoch seinem Blick zu begegnen – »erweckt Vertrauen. Ich darf mich nicht stellen, als wären mir Ihre Worte dunkel geblieben, aber Sie haben mich überrascht – ich war hierauf so wenig vorbereitet, – geben Sie mir Zeit – ich muß mich sammeln – muß überlegen.«

»Mein bestes Cousinchen – auf dem Lande ist es ungemein langweilig zu überlegen, so etwas thut sich viel besser in der Stadt.«

»So will ich damit warten, bis ich wieder in der Stadt bin.«

»Oh, Du machst mich zum Glücklichsten, zum Dankbarsten aller Sterblichen!« rief Mr. Vernon, und hob sich mit einer halben Kniebeugung empor, was etwa sagen zu wollen schien als: Nehmen Sie hiermit an, daß ich vor Ihnen auf den Knieen gelegen habe, wie etwa ein hochmüthiger Feind mit einer entsprechenden Bewegung der Hand sagen würde: »Betrachten Sie sich hiermit als gepeitscht.«

Lucretia, die, trotz all' ihrem Verstand, nicht die Fähigkeit besaß, solche Sache von der humoristischen Seite aufzunehmen – bog sich zurück und erwiederte mit unverkennbarem Erstaunen und strengem Ernst:

»Ich verstehe Sie nicht, Mr. Vernon.«

»So erlaube mir wenigstens, holde Blume, den süßen Glauben, mir schmeicheln zu dürfen, Dich verstanden zu haben,« entgegnete Charles Vernon mit unverwüstlicher Zuversicht, »Du willst mit Ueberlegen warten, bis Du in der Stadt bist, das soll heißen bis zu dem Tag nach unsern Flitterwochen, wenn Du im Freudenfest erwachst.«

Ehe ihm Lucretia hierauf antworten konnte, sah sie den rastlosen Diener ihres Oheims mit abgemessenen Schritten und der, schon geahnten, Botschaft nahen, daß Sir Miles sie zu sprechen wünsche. Sie erwiederte flüchtig, daß sie sogleich bei ihrem Onkel erscheinen würde, und wandte sich dann, als der Laquai zu dem Hause zurückgekehrt war, mit einem etwas erzwungenen Versuch von Freimüthigkeit an ihren Bewerber.

»Mr. Vernon,« sagte sie dabei, »wenn ich auch Ihre Worte mißverstanden habe, so glaube ich doch nicht, daß ich mich in Ihrem Charakter irre. Sie werden auf keinen Fall von meiner Liebe für meinen Oheim Vortheil ziehen und mich durch den Gehorsam, den ich ihm schulde, zu einem Schritte zwingen wollen, von dem ich – von dem ich die Folgen noch nicht im Stande war, zu erwägen. Wenn Sie wirklich wünschen, daß auch mein Gefühl, auch mein Herz gefragt werde bei dieser Verbindung, wenn ich mich nicht soll – verzeihen Sie mir den Ausdruck – als ein Opfer betrachten, das dem Familienstolz meines Vormunds und dem Interesse meines Bewerbers gebracht wird –«

»Madame!« rief Vernon, während ihm das heiße Blut in Wangen und Schläfe stieg.

Zufrieden mit der Wirkung, die ihre Worte hervorgebracht, fuhr Lucretia ruhig fort – »wenn ich, mit einem Worte, freies Spiel bei einer Wahl haben soll, von der das ganze Glück meiner Zukunft abhängt, so treiben Sie Sir Miles für den Augenblick nicht weiter, halten Sie selbst mit Ihrer Werbung um mich ein. Geben Sie mir nur wenige Monate Zeit und ich werde dann wissen, wie ich Ihre Delicatesse zu würdigen habe.«

»Miß Clavering,« entgegnete Vernon mit einem Anflug des St. John Stolzes, »ich bin in Verzweiflung, daß Sie einen solchen Anruf an meine Ehre auch nur für nöthig hielten. Wohl kenne ich Ihre Aussichten und meine eigene Armuth, aber glauben Sie mir, lieber wollte ich in einem Gefängniß verfaulen, ehe ich mich dadurch bereicherte, Ihrer Neigung Zwang anzuthun. Sagen Sie ein Wort, und ich selbst will (wie es mir als Gentleman und Mann von Ehre zusteht) Sie vor jeden weitern Folgen des Unwillens Ihres Onkels schützen, indem ich es auf mich nehme, eine Ehre zurückzuweisen, die ich, wie ich recht gut weiß, ohnedies nicht verdiene.«

»Ich habe Sie gekränkt,« flüsterte Lucretia, während sie leise den Kopf wandte, das fröhliche Blitzen ihrer Augen zu verbergen; »verzeihen Sie mir, und zum Beweis, daß Sie es thun, geben Sie mir Ihren Arm bis zu meines Onkels Zimmer.«

Vernon, mehr jedoch mit der etwas veralteten Formalität von Sir Miles als seiner ihm sonst eigenen Nonchalance bot, sich tief verbeugend, seiner Cousine den Arm, und sie schritten so zusammen dem Hause zu; aber kein Wort wurde auf dem ganzen Wege, selbst bis sie in die Gallerie kamen, zwischen ihnen gewechselt, dann erst sagte Vernon:

»Aber, Miß Clavering, was ist Ihr Wunsch – auf welchem Fuße werd' ich fortan in diesem Hause bleiben?«

»Wollen Sie mir erlauben Ihnen das vorzuschreiben?« erwiederte Lucretia und blieb dann plötzlich in trefflich erkünstelter Verwirrung stehen, als ob sie in diesem Augenblicke erst fühle, wie das Recht zu befehlen auch das Recht zu hoffen gäbe.

»So betrachten Sie mich wenigstens als Ihren Sklaven,« flüsterte Vernon, während sein Auge auf den herrlichen Conturen des makellosen Halses ruhte, der theilweise, aber sehr vortheilhaft von ihm abgewandt war. Jetzt erst begann er auch mit seiner ihm überhaupt eigenthümlichen Bewunderung für das Geschlecht ein Interesse an dem Erfolge seiner Werbung zu nehmen, die ihn nicht allein ihres Widerstands wegen fesselte, sondern auch seiner Selbstliebe schmeichelte.

»Dann werde ich mich dieses Vorrechts bedienen, wenn wir uns wieder treffen,« erwiederte Lucretia, und ihren Arm leise dem seinigen entziehend, schritt sie die Gallerie entlang, auf ihres Onkels Zimmer zu und ließ Vernon etwa in der Mitte stehen

Die verblichenen Gemälde schauten aber mit jenem stillen, melancholischen Ernst auf sie nieder, der den Bildern unserer todten Voreltern stets einen so eigenthümlichen, fast unheimlichen Zauber verleiht. Für wackere und edle Herzen gibt es dabei keine stärkere Mahnung zu Treue und Ehre, als eben diese stumme und doch so beredte Leinwand, von der herab uns unsere Väter, seit langen Jahren fast unsere Herzensgötter – still und mahnend betrachten. Sie scheinen uns ihre reinen, unbefleckten Namen anzuvertrauen – sie sprechen zu uns aus ihrem Grabe, und wenn wir nur hören wollen, so wird gerade unser Familienstolz der Schutzengel unseres Lebens. Lucretia aber, mit ihrem herben, unbeugsamen Geist, haßte als die ärgste, unverzeihlichste Schwäche all' jene Poesie, die aus dem Gefühl reiner Abstammung entsprang und verachtete, selbst die Stolzeste der Stolzen, Tugend, Tapferkeit und Weisheit derer, die vor ihr gelebt.

So wandelte sie mit Betrug und Arglist im Herzen hin, unter den Augen der einfachen schuldlosen Todten.

Vernon, so plötzlich sich selbst überlassen, blieb noch einige Secunden stehen und dachte über das nach, was zwischen ihm und der Erbin verhandelt worden, dann aber, als er langsam wieder zurückschritt, glitt sein Auge über die stattlichen Träger seines Namens, und er murmelte leise vor sich hin:

»Beim Himmel, hätte ich meine Knabenzeit hier in dieser alten Gallerie verlebt, so würde Se. Königliche Hoheit wohl einen guten Gesellschafter und harten Trinker verloren, Se. Majestät aber vielleicht einen besseren Soldaten, auf jeden Fall einen besseren Unterthanen gewonnen haben. Wenn ich diese Dame heirathe und wir werden durch einen Sohn gesegnet, so soll er mir, ehe er in das Lateinische hineingeprügelt wird, einmal durch diese Gallerie gehen.«

Lucretia's Unterredung mit ihrem Oheim war ein Meisterstück der Kunst. Wie schade aber, daß solch schlauer, gewandter Geist in unserer kleinlichen Zeit und an solchen ärmlichen Gegenstand verschwendet wurde; unter den Medicis hätte dieser sich seine Geschichte erschaffen. Von ihres Oheims Offenheit überzeugt, daß er ihr augenblicklich die Ursache enthüllen würde, derentwegen sie schon vermuthete, gerufen zu seyn, blieb sie auch ganz ruhig, als er, sie zärtlich küssend, frug: ›Ob Charles Vernon Hoffnung habe, ihre Gunst je gewinnen zu können.‹

Sie wußte jetzt, daß sie mit einem einfachen »Nein« sicher war, denn ihr Oheim hatte ihrer Neigung nie Zwang angethan. Sicher, heißt das, soweit es Vernon betraf, aber sie wollte mehr, sie wollte auch jeden Verdacht beseitigen, daß ihr Herz vielleicht schon vergeben wäre, sie wollte aus Sir Miles Gedanken Mainwarings Bild gänzlich verbannen, denn die Zurückweisung eines Liebhabers konnte sonst des Baronets Verdacht leicht auf die Verheimlichung eines Andern bringen. Ueberdies konnte ja auch Sir Miles wünschen, sie noch vor seinem Tode verheirathet zu sehen, und das mußte sie denn der Bewerbung neuer Kandidaten aussetzen, die vielleicht schwieriger abzuweisen waren, als Vernon. Dem zu begegnen sollte ihr dieser ein Schild gegen alle übrigen, noch möglichen Feinde werden, und als Sir Miles daher seine Frage wiederholte, so antwortete sie freundlich und mit anscheinender Bescheidenheit, daß Mr. Vernon Manches hätte, was für ihn spräche, ja das sogar, für sie das Höchste, ihres theuren Onkels Fürwort und Beistimmung, aber – sie zögerte mit natürlichem und wohl zu entschuldigendem Mißtrauen – war nicht Mr. Vernon ein Lebemann? – leichtsinnig und seinen Vergnügungen ergeben? – So sagte man wenigstens, denn sie selbst wußte es nicht – und war er wirklich gesonnen, sich zu bessern? Sie wollte ihr Glück in ihres Oheims Hände legen – aber keimten in jenes Mannes Busen in der That so gute Vorsätze, war es da nicht zweckmäßig, ja sogar nothwendig, ihn erst zu prüfen, und zwar zu prüfen, wo ihn Verführung wirklich umgab? Nicht in der stillen, ländlichen Ruhe Laughtons, sondern in seinen eigenen Umgebungen, in London? Sir Miles hatte Freunde dort, die ihm gewiß das Resultat ehrlich und aufrichtig mittheilen würden. Doch dies war von ihrer Seite nur ein Vorschlag. sie überließ das Alles ihres theuren Oheims Erfahrung, seinem Gefühl für Recht und seiner Liebe zu ihr.

Der gute alte Mann, von ihrer scheinbaren Folgsamkeit gerührt und zugleich von solcher Klugheit entzückt, die ein richtiger Urtheil gezeigt, als er es selbst bewiesen, schloß sie in seine Arme und vergoß Thränen, indem er sie lobte und ihr dankte. – Sie hatte, wie immer, zum Besten entschieden. und der Himmel verhüte es, daß sie einem unheilbar Vergnügungssüchtigen zum Opfer fiele.

»Und« – fuhr nun der wackere, offenherzige, alte Herr, der nicht im Stande war, etwas, was ihn bedrückte, lange zu verbergen, fort, »ordentlich weh thut mir's, daß ich, und wenn auch nur für einen einzigen Augenblick, meinem eigenen, edeln Kinde solch Unrecht thun – daß ich, thöricht genug, glauben konnte, – das gute Aussehen jenes Knaben Mainwaring hätte es, selbst nur auf kurze Zeit vergessen lassen, was – doch Du wechselst die Farbe –«

Er hatte recht – Lucretia liebte zu heiß und innig, um nicht, trotz all' ihrer Verstellungskunst bei der so plötzlichen Nennung des theuren Namens, zurückzubeben.

»Oh,« – fuhr der Baronet da fort, indem er sie jetzt nur noch fester an sich zog, ihr Kinn aber emporhob, um so viel deutlicher den Ausdruck ihrer Züge erkennen zu können, »oh, ist es wirklich so gewesen, ist es noch so, dann will ich Dich, mein Kind, bedauern, nicht tadeln, denn meine eigene Nachläßigkeit trägt die Schuld – bemitleiden will ich Dich, denn einen ähnlichen Kampf habe ich selbst gekämpft, und in diesem Mitleid Dich noch bewundern, denn Du hast den Geist Deiner Vorfahren und wirst diese Schwäche beherrschen. Sprich – nicht so, ich habe die Wahrheit berührt? sprich ohne Furcht, mein Kind, Du hast keine Mutter mehr, aber im Alter bekommt auch der Mann oft einer Mutter Herz.«

Ueberrascht und bestürzt war Lucretia gewesen, wie die Lerche, wenn sich der Schritt eines Feindes ihrem Neste nähert, aber all' die dunkle List ihrer Natur rief sie zu Hülfe, den, der den Schleier ihres Heiligthums zu lüften wagte, irre zu führen.

»Nein Onkel, nein, ich bin nicht so unwürdig – Du hast das, was mich erregte, mißverstanden.«

»Ach – Du wußtest denn, daß er die Frechheit gehabt, Dich zu lieben, der Bube– Du wußtest es, und fühlst nun dasselbe Mitleiden für ihn, was Ihr Frauen in solchem Falle immer fühlt? War es das?«

Schnell überlegte Lucretia, ob es klug gehandelt seyn würde, ihn in diesem Wahne zu lassen. Einerseits entschuldigte es jene augenblickliche Schwäche, und wenn Mainwaring je einmal beim Umtausch der Briefe in der Nähe des Gutes entdeckt wurde, so konnte das für die thörichte, hoffnungslose Romantik der Jugend gehalten werden, die, wenn auch nur die Heimath des geliebten Gegenstandes umkreist. Aber nein – andererseits hätte es seine Verbannung auch fest und unwiderruflich bestätigt. Ihr Entschluß war daher mit solcher Schnelle gefaßt, daß die dadurch entstandene Pause kaum bemerklich wurde.

»Nein, mein theurer Oheim,« sagte sie so heiter und unbefangen, daß es auf einmal jeden Zweifel aus dem Herzen des alten Mannes bannte, – »nein, wahrlich nicht, aber Monsieur Dalibard hat mich früher deshalb geneckt, und ich war damals so ärgerlich auf ihn, daß ich, als Sie die Sache erwähnten, mehr an meinen Zank, als an den armen, schüchternen Mr. Mainwaring selbst dachte. Nicht wahr, Sir – gestehen Sie es nur, Monsieur Dalibard hat Sie ebenfalls auf diesen wunderlichen Gedanken gebracht.«

»Nein, in der That nicht. – Ei bewahre – hätte er sich diese Freiheit erlaubt, so wäre ich jetzt um einen Bibliothekar ärmer – wirklich nicht – eher Vernon. Du weißt, wahre Liebe ist eifersüchtig.«

»Vernon« – dachte Lucretia, »der muß fort und das sogleich.« Aus ihres Oheims Arm dann auf den Sessel zu seinen Füßen niedergleitend, führte sie die Unterhaltung zu dem Kapitel zurück, von dem sie ausgegangen war, und als sie endlich das Zimmer verließ, geschah es nun nach dem vollständigen Uebereinkommen, daß, ohne weitere feste Zusicherung oder Verweigerung, Mr. Vernon ungesäumt nach London zurückkehren solle, um dort einer Probe unterworfen zu werden, die er, wie sie fest überzeugt war, schwerlich bestehen würde.


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