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Am nächsten Tag oder vielmehr Abend saß Sir Miles St. John vor seinem frugalen Nachtmahl, einem mit Niemand zu theilenden Huhn, und war wirklich über sich selbst erstaunt, daß er sich in dem großen behaglichen Raum, in seinem alten Hotel Hanoversquare – wiederfand; Ja – er war entflohen. Hast aber auch Du, o Leser – schon jemals das selige Gefühl empfunden, einer Heimath zu entfliehen, wo der heilige Zauber, der sie früher umgab, gestört war? wo Dich Mißtrauen jeden Winkel als falsch und fremd – ach fremd betrachten ließ?
Vergebens hatte Dalibard dagegen protestirt, alle möglichen Gefahren heraufbeschworen, und zuletzt wenigstens darum gebeten, ihn begleiten zu dürfen. Seine Hunde und den alten wackeren Diener ausgenommen, der in seiner unerschütterlichen Treue fast selbst dem Hunde glich, sollte kein Gesicht von Laughton ihn begleiten – am wenigsten Dalibard. – Lucretia's Brief hatte auf Pläne und Absichten angespielt, und das war vielleicht unwahr, ungerecht und undankbar, aber schon der Gedanke peinigte ihn, der Mittelpunkt solcher hinterlistigen Triebwerke zu seyn. Das glatte Antlitz des Provençalen nahm dabei einen tückisch verschmitzten Ausdruck in seinen Augen an, ja sein Läufer sogar begann ihm verdächtig zu werden, und es kam ihm vor, als ob er schon überlege, wie lange es wohl noch dauern dürfe, bis er seinem Sarge folge. So, sich Allen auf kurze, unceremoniöse Weise mit einem Nicken des Kopfes und dem kurzen Vorwand von »Geschäften in London« entziehend, stieg er in seinen Wagen – seine alte rasselnde Junggesellen-Reisekutsche – und trieb die Postillone an, schnell – recht schnell zu fahren. Es war ihm einsam, recht einsam zu Sinn, und nur als sich die Thore der Halle hinter ihm schloßen, rieb er sich freudig die Hände, wie ein Schulknabe, der dem beengenden Raum der Schulstube entflohen, nicht allein das Gefühl seiner Freiheit, sondern auch den Genuß seiner List empfindet, als ob er mit dieser Flucht etwas außerordentlich Kluges und Gescheidtes gethan hätte.
Da er sich also so wohl und zufrieden in dem alten traulichen Zimmer wiedersah, in demselben Raum, wohin er einst von Weimouth's kühlen Lüften oder aus den »Brouillards« von Paris heimgekehrt, war es ihm ordentlich, als ob ihm ein Gruß aus früher Jugendzeit herübertöne. Alter und Lähmung, Apoplexie und Verrath, Alles war in dem Augenblick vergessen, und als diese grimmen Gespenster mit ihrer tödtenden Aufregung wiederkehrten, da fanden sie ihr Opfer bereit und gerüstet und stolz auf dem Herde stehend; für dessen Gastfreundschaft er täglich eine Guinee zahlte. Sein Aeußeres war wenigstens fest und unerschüttert. Er fühlte, daß er noch Kraft und Gewalt besaß, und daß eine Bewegung seiner Hand heben und stürzen konnte; ja, selbst noch am Rande des Grabes war er gewaffnet und konnte mit der Waage und dem Schwerte strafen und belohnen.
In diesem Augenblick trippelte der Kellner herein und meldete »Mr. Parchmount!«
»Setzt einen Stuhl und führt ihn herein!«
Der Notar betrat das Zimmer.
»Mein theurer Sir Miles – das ist wirklich ein Erstaunen; was hat Sie in die Stadt gebracht?«
»Das gewöhnliche Steckenpferd der alten Leute, Sir – ich möchte mein Testament ändern.«
Drei Tage verwandten Notar und Client auf dies Geschäft, denn Sir Miles war genau und Mr. Parchmount genauer; kleine Schwierigkeiten entstanden, und selbst die erste Anlage wurde geändert, denn Sir Miles wollte, so tief ging sein Abscheu, nicht einmal leidenschaftlich in diesem Falle handeln. In dieser letzten That seines Lebens war der Greis aber wirklich groß – er versuchte sich über die Sterblichen zu heben und, seine Augen auf den Richter der Welten geheftet, Umstände und Entschuldigungen gleich billig abzuwägen und die Gerechtigkeit ihre gerade, aber strenge Bahn gehen zu lassen.
Indessen, unbewußt des Zündfadens, der fern von ihr gelegt worden, ruhte Lucretia auf der Mine. Ruhte ist aber freilich nicht das rechte Wort; sie war vielmehr bewegt und unruhig, daß Mainwaring ihrer Einladung nicht gefolgt. Sie schrieb ihm am dritten Tag nach ihrer Ankunft von Southampton aus, ehe aber die Antwort eintraf, erhielt sie folgende kurze Epistel von London.
»Mr. Parchmount empfiehlt sich dem Fräulein Clavering auf das Beste, und ersucht sie, nach Sir Miles eigenem Wunsch, nicht nach Laughton zurückzukehren. Fräulein Clavering wird das Weitere in einigen Tagen hören, sobald Sir Miles die Geschäfte, die ihn hier nach London riefen, vollendet hat.«
Dieser Brief, wenn er auch ihre Neugierde erregte, beunruhigte sie doch nicht weiter. Es war ganz natürlich, daß Sir Miles seine Geschäfte ordnen sollte, und eine Reise nach London schien dabei gar kein so übles Omen. Ihr Geist floh daher schnell zu dem Gedanken zurück, der sie jetzt allein in Anspruch nahm. Mainwarings zwei Tage später eintreffender Brief beunruhigte sie viel mehr. Er hatte den für ihn im Baume versteckten Brief nicht gefunden; er war von Besorgniß erfüllt und nannte es Unklugheit, ihn bei Mr. Fielden sehen zu wollen; er bat sie, dem Gedanken zu entsagen. Er wollte noch einmal nach Guy's Eiche zurückkehren und genauer suchen – hatte sie den Platz verändert, wo die früheren Briefe gelegen?
So lautete der Brief, aber selbst das Nichtfinden ihrer Zeilen ängstigte sie nicht so, als die offenbare Zurückhaltung, mit der Mainwaring schrieb; jenen hatte sie diesmal sorgfältiger als je unter Laub und Moos versteckt, und wohl war es möglich, daß er ihn bei flüchtigem Suchen übersehen haben konnte, aber wie sollte sie diese lauen Warnungen ertragen, die ihren leidenschaftlichen Ergießungen antworteten? Möglich ist's, daß gerade jene, zu Zeiten in ihr tobenden Zweifel die Glut verstärkten, die sie erfüllte, denn in manchen Naturen steigert die Furcht, den geliebten Gegenstand zu verlieren, die Zuneigung mehr, als ein stilles, festes Vertrauen. Mit dem Zweifel flammte aber auch zum ersten Mal die Vergeltung in ihr auf, und ihre Antwort an Mainwaring war heftig und streng.
Am nächsten Tag kam jedoch ein Bote von London mit einem zweiten Brief des Mr. Parchmount, der für den Augenblick selbst den wilden Strom ihrer Liebe hemmte.
Als das Geschäft beendet, das Testament unterzeichnet, versiegelt und abgegeben war, schien es dem alten Mann, als ob eine Last von seinem Herzen genommen sey. Drei oder vier seiner alten Freunde, bons vivans wie er selbst, hatten seine, pflichtschuldigst in den Blättern gemeldete Ankunft gelesen und eilten nun herbei, ihn zu bewillkommnen. Durch den Anblick jener Züge aber belebt, an die sich die frohsten Scenen seiner Jugend knüpften, fand Sir Miles, wenn er die Rathschläge Dalibards auch noch nicht wirklich vergessen hatte, doch eine Art stolzen Vergnügens darin, sie zu verachten. Weshalb noch solche Sorgfalt auf seinen schon fast zerstörten Körper wenden? Sein Testament war gemacht, gab es in diesem Leben etwas, das noch eine Anziehungskraft für ihn gehabt hätte? Nichts. – Er lud seine Freunde zu einem, der alten Erinnerungen würdigen Feste ein, und alte, wackere, zähe Kumpane waren es, mit einer prächtigen Gicht allen Ausschweifungen den nöthigen Abfluß zu geben. So kamen sie, und sie tranken und lachten und schwatzten von ihren jungen Tagen, aber sie bemerkten nicht jene nervöse Reizbarkeit, jene dem Geist an1gethane Gewalt, die Sir Miles zu dem fröhlichsten der Zecher machte. Es war eine Nacht der Nächte, und die alten Herrn wurden wieder in ihren Stühlen oder Tragsesseln zurückgeschafft. Sir Miles allein schien so ruhig und nüchtern, als ob er mit Diogenes zu Nacht gespeist. Sein Diener, dessen respektvolle Warnungen streng abgewiesen wurden, führte ihn zu Bett, aber Sir Miles legte sich kaum nieder. Am nächsten Morgen, als der Diener (der in demselben Zimmer schlief,) erwachte, begegnete zu seinem unbegränzten Erstaunen der Glanz eines Lichtes seinen Augen – er rieb sie – sah er wirklich recht? Sir Miles saß an dem Tisch. Er mußte wieder aufgestanden seyn und das Licht angezündet haben, um zu schreiben – aber wie leise. – Der Diener schaute und schaute, denn die Ruhe, in der Sir Miles verharrte, kam ihm unheimlich vor – er saß zurückgelehnt in dem Armstuhl. Jener Schauer wurde zu einem Verdacht – er sprang auf – näherte sich seinem Herrn – ergriff seine Hand – sie war kalt und fiel schwerfällig zurück. Sir Miles mußte schon mehrere Stunden todt seyn.
Die Feder lag auf der Erde, wie sie ihm aus der Hand gefallen war, den Brief auf dem Tische hatte er kaum begonnen; die Worte lauteten also –
»Lucretia – Du wirst nie mehr in mein Haus zurückkehren. Du bist so frei. als ob ich todt wäre, aber ich werde gerecht seyn. Wollte Gott, daß ich es gegen Deine Mutter, Deine Schwester gewesen wäre. Aber ich bin alt jetzt, – wie Du sagst, und –«
O wer in diesem Augenblick in das arme, stolze Herz hätte schauen können, als die Hand für immer sank – dem wäre klar geworden, was jetzt hier ungeschrieben blieb. Zuerst war da der harte Kampf, den Widerwillen, den er empfand, zu überwinden – den Brief zu beginnen, und die Falsche – Entlarvte überhaupt anzureden; dann kam der herbe Schmerz der Undankbarkeit – dann die Idee des mißgönnten Lebens, des für ihn ersehnten Grabes, dann der starke Sieg über den Haß – der Entschluß, gerecht zu seyn – dann der Vorwurf des Gewissens, für so viel geringere Schuld die Schwester verstoßen, die vielleicht durch das arme, vernachläßigte Kind erhaltene Liebe trotzig zurückgewiesen zu haben, – dann die Ueberzeugung aller irdischen Nichtigkeit und Erbärmlichkeit, – die Aussicht auf das Leben, daß er von jetzt an jeder Liebe entsagen müsse, da er keinem, keinem Herzen wieder vertrauen könne – daß er zu alt auch sey, neue Bande zu knüpfen und dann – als sich alle diese, erst einzeln gefühlten Gedanken vereinigten – da sprengten sie den angespannten Lebensfaden morsch entzwei.
Indem Mr. Parchmount diesen traurigen Todesfall mit mehr Gefühl anzeigte, als man von einem Notar wohl hätte erwarten können, (aber selbst sein Advokat liebte Sir Miles,) bemerkte er noch schließlich, daß der Verstorbene in einem Hotel läge, und da Miß Claverings Gegenwart bei der letzten feierlichen Handlung nicht nöthig wäre, so würde sie wohl die Reise zur Stadt unterlassen. Da es jedoch Sir Miles Wunsch wäre, daß sein Testament so bald als möglich nach seinem Tode eröffnet würde, indem es auch zweifelsohne Anordnungen zu seinem eigenen Begräbnisse enthielt, – so möchte es wohlgethan seyn, daß Miß Clavering und ihre Schwester ohne weiteren Verzug Jemanden zur Stadt sendeten, der der Vorlesung des Testaments in ihrem Interesse beiwohnen solle. Vielleicht übernähme Mr. Fielden dieses schmerzliche Amt.
Um Lucretia Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so kann nicht verschwiegen werden, daß ihr erstes Gefühl bei Empfang dieses Briefes das des scharfen, reuevollen und wahrlich unvorbereiteten Schmerzes war. Welch' ein Unterschied aber liegt darin, Das zu überlegen, was dem Tod folgen soll, und zu wissen, daß er wirklich erschienen sey. Susannens Schluchzen, Mr. Fieldens frommes, gottergebenes Zureden – Alles blieb umsonst; ihre eigenen sündhaften Gedanken und Hoffnungen kehrten zurück und verfolgten sie streng und ernst, wie die Furien der Rache. Sie bestand zuerst darauf, selbst nach London zu gehen, und die irdischen Ueberreste ihres alten, ach so schwer gekränkten Oheims noch einmal zu sehen. Alle gaben auch ihrer Heftigkeit nach, ja der Wagen, der sie dorthin führen sollte, stand schon vor der Thür – da sank ihr aber der Muth – sie wagte es nicht, jenen Zügen wieder zu begegnen. Ihr Gewissen schreckte sie, sie barg das Antlitz in den Händen und floh in ihr Zimmer zurück. Mr. Fielden nahm ungebeten die Verantwortung auf sich.
Nur Vernon (von Brighton hieher gerufen), der wackere Geistliche und der Notar, dem die Vollstreckung des Testaments allein übertragen war, befanden sich gegenwärtig, als das Siegel gebrochen wurde. Das Testament war lang, wie das gewöhnlich der Fall ist, wenn der Staub, den es vertheilt, einige vierzehn- bis fünfzehntausend Acker deckt. Aus der Masse von Wiederholungen und technischen Ausdrücken aber heraus, ließen sich bald diese vorragenden Hauptpunkte erkennen. Charles Vernon von Vernon Grange Esq. und seine ehelichen Erben sollten alle jene Lande und Holzungen gehören, die auf der Hampshirekarte den unter dem Namen Laughton bezeichneten Raum deckten, unter der Bedingung, daß er und seine Erben Namen und Wappen St. Johns annähmen. Sollte er sich dessen weigern, so ging das Vermögen zuerst an Susanne Mivers. nachher an Lucretia Clavering über. Dort stockte die Erbfolge, und wäre dann dem Scharfsinne und der Spürkraft des Advokaten in die Hände gefallen, irgend einen der fernen und vergessenen Abkömmlinge des alten Geschlechts der St. Johns als rechtmäßigen Erben aufzufinden. An Lucretia Clavering waren, jedoch ohne ein Wort der Liebe, 10,000 Pfd. vermacht – das gewöhnliche Erbtheil, das das Haus St. John seinen Töchtern bisher hinterlassen hatte; an Susanne Mivers dieselbe Summe, aber mit der Beifügung der bei ihrer Schwester zurückgehaltenen Worte: » und meinen Segen.«
Olivier Dalibard war mit einer Rente von 200 Pfd. bedacht; Gabriel Varney erhielt 3000 Pfd.; der Ehrw. Matthew Fielden 4000 Pfd. und John Walther Ardworth dieselbe Summe. Sein Lieblingsdiener Henry Jones erhielt eine für ihn ausreichende Rente, und ihm wurde auch die Sorge für Ponto und Dash übertragen, doch auch für diese war eine ihm zu zahlende Vergütung ausgestellt, die erst mit dem Tode der Hunde aufhörte. Armer alter Mann – er legte es in das eigene Interesse ihres Wärters, ihnen wenigstens ihr Bischen Brod und Leben nicht zu mißgönnen. Seiner anderen Dienerschaft bestimmte er ihrer Dienstzeit angemessene, aber freigebige Spenden. Sein Körper sollte in der Gruft seiner Väter, doch ohne Gedränge, aber auch ohne eine zu große zur Schautragung von Einfachheit, die er in seinem Leben nie bewiesen hatte, beigesetzt werden, nur ein kleines, in seinem Pult befindliches Miniaturbild verlangte er mit in seinen Sarg.
Das letzte war aber mehr als ein bloßes Gefühl, es sprach die moralische Ueberzeugung aus, welch Glück das Original des Bildes seinem eigenen Leben verliehen haben würde, hätte es an seiner Seite gelebt. Sein eigener Stolz war es freilich gewesen, der ihn von diesem Glück ausgeschlossen; auch bereute er ihn nicht, denn er hielt Stolz für Pflicht, das todte Bild aber, mit ihm in seinen Sarg begraben – das kündete die Stärke des von ihm gebrachten Opfers. Der Tod vernichtet jeden Rang, und der Sarg des Lords von Laughton durfte sich seine Gefährtin wählen.
Als das Testament gelesen war, zog der Notar zwei Briefe hervor, von denen der eine die Handschrift des Verstorbenen, an Mr. Vernon adressirt, trug, der andere, von des Advokaten eigener Hand, an Miß Clavering gerichtet war. Der letzte schloß die wenigen, auf Sir Miles Tische gefundenen Zeilen, wie ihren eigenen Brief an Mainwaring in sich – an sie in Sir Miles schönster und festester Handschrift zurückadressirt. Ohne Zweifel hatte er beabsichtigt, ihr diesen Brief in dem unvollendet gelassenen zu übersenden.
Der Brief an Vernon enthielt eine Kopie von Lucretia's fataler Epistel, und die folgenden Zeilen an Vernon selbst.
Mein theuerer Charles!
Nach reiflicher Ueberlegung und mit wirklich starkem, aber ganz natürlichem Widerstreben, enthülle ich Dir hier meiner Nichte Schmach; ich halte es für meine Pflicht, Dir eine von meiner eigenen Hand (die diese Abschrift befleckte) genommene Kopie des Originals zu senden. Ich thue das erstlich deshalb, weil Du es sonst vielleicht, wie ich das auch gethan hätte, für Deine Schuldigkeit als Gentleman gehalten haben würdest, ihr Deine Hand auch jetzt noch anzutragen – noch eher vielleicht, da Miß Clavering – nicht meine Erbin ist; zweitens aber, wäre ihre Liebe stärker gewesen als ihr Eigennutz, so hättest Du sie am Ende gar für ungerecht behandelt gehalten und sie in dem Hause meiner Vorfahren als einen geehrten und willkommenen Gast aufgenommen. So, Charles Vernon, glaube ich aber nach meinem besten Wissen und Willen gethan zu haben, was recht und gerecht ist. Ich habe bedacht, daß dies junge Frauenzimmer als eine Tochter meines Hauses erzogen worden, und was die Töchter meines Hauses früher erhalten haben, das vermache ich auch ihr; ich entsage, so viel mir das irgend möglich ist, jeder Rache reinen Familienstolzes; ich thue das auch dadurch, wenn ich meine Härte gegen meine arme Schwester wieder gut mache, und ihren beiden Kindern gleichen Antheil hinterlasse. Wenn Du also das überschreitest, was ich für Lucretia gethan habe, ausgenommen Du glaubtest wirklich aus Gründen, die meinen eigenen Verstand übersteigen, ich hätte unrecht gehandelt, so beleidigst Du mein Andenken und hältst meinen strafenden Arm auf; ich bitte und beschwöre Dich aber, ja, ich verbiete es Dir sogar, nie, wenigstens nicht mit Deinem Wissen und Willen an den bis jetzt durch Treue und Wahrheit geheiligten Herd unseres Stammes ein Wesen zuzulassen, das diesen Altar durch Verrath befleckte. Als Gentleman gegen Gentleman nehme ich Dir hier dieses feste Versprechen ab. Ich hätte gewünscht, die Kinder dieses Frauenzimmers ebenfalls von der Erbfolge auszuschließen, unser alter Stamm hat aber so wenige Zweige – Du bist unverheirathet – Susanna ebenfalls, so muß ich es denn dem Schicksal überlassen, ob Miß Claverings Kinder, wenn sie je erben, nicht auch ihrer Mutter Charakter und Geist geerbt haben; wahrscheinlich wird sie diesen Mainwaring heirathen und die Kinder dann einen niedrig geborenen Vater haben. Nun – ihr Stamm ist wenigstens rein. Clavering und die St. Johns sind Namen, die bisher Ehre und Treue verbürgten – doch Du siehst, was sie ist. Charles Vernon, wenn ihr Sohn die Seele eines Gentleman erbt – so kommt sie dennoch nicht von der hochgeborenen Mutter – o daß ich leben mußte, das zu sagen, ich, der ich – doch vielleicht haben wir den Stammbaum dieser Claverings nie so genau untersucht.
Heirathe aber auch Du, mein Sohn – heirathe bald, Charles Vernon, mein theurer Verwandter – halte das alte Haus im alten Stand und treu seinem Ruf. Sey gütig und mild gegen die Armen– drücke die Pächter nicht – Und noch eins – Farmer Strongbow schuldet mir drei Jahre Pacht – ich erlasse ihm denselben – und überhaupt Charles – versetze ihn in Ruhestand – gib ihm eine kleine Pension; er kann dem Lande nichts mehr nützen, aber er wurde darauf geboren und soll nicht darben oder der Gemeinde zur Last fallen. Wenn Du aber auch gütig und großmüthig, wenn Du auch milde gegen Deine Pächter bist, mein lieber Charles, so lerne doch ja nicht zu verschwenden. Ein Mann, dessen Vermögensumstände untergraben sind, kann nicht großmüthig seyn, ohne ungerecht zu werden. Wie könntest und dürftest Du dem Armen geben, wenn Du Schulden hättest? Beherzige das, Charles, beherzige es jetzt – jetzt, wo Dein gutes Herz noch gerührt, wo Dein Gemüth noch ergriffen ist.
Charles Vernon, ich bin überzeugt, Du wirst eine Thräne vergießen, wenn Du meinen Armstuhl leer und einsam stehen siehst. Ich würde auch die Hunde Deiner Sorgfalt anvertraut haben, aber Du denkst an andere Sachen – gehst oft nach London, und die Thiere sind nun einmal ans Land gewöhnt. Der alte Jones wird ein kleines Häuschen im Dorfe beziehen; er hat mir versprochen, dort zu leben – geh manchmal hin und sieh, wie es Dash und Ponto geht. Doch es ist zu spät – alte Freunde kommen, bei mir zu essen: sollte mir also etwas Menschliches begegnen, und wir uns nicht wieder sehen, – so lebe wohl, und möge Gott Dich segnen.
Dein Dich liebender Vetter
Miles St. John.