Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorwort.

Es sind ungefähr vier Jahre verflossen, seit ich vor dem Publikum als Verfasser einer Dichtung auftrat, welche ich damals als meine wahrscheinlich letzte bezeichnete; allein üble Gewohnheiten sind stärker als gute Vorsätze. Gil Blas verläßt Fabricio in dessen Hospital, vollkommen überzeugt von dem Jammer, den sein poetisches Talent ihm bereitete und mit dem feierlichen Versprechen, einem so undankbaren Berufe zu entsagen, um ihn – am nächsten Morgen in voller Glut der Begeisterung zu finden, indem er seine verzweifelte Laufbahn mit einem Lebewohl an die Musen wieder antritt; – die Anwendung ergibt sich von selbst.

Indeß muß ich gestehen, daß ich seit längerer Zeit den Wunsch genährt habe, in irgend einem Werke die seltsamen und geheimen Wege zu schildern, mittelst deren jener Urherrscher der Civilisation, den man gemeinhin »Geld« nennt, sich in unsere Gedanken und Motive, unsere Herzen und Handlungen eindrängt, indem er ebensowohl auf diejenigen, die seinen Werth unterschätzen, als auf jene, die seine Bedeutung überschätzen, einwirkt, und nicht minder im Verschwender Tugenden vernichtet, als im Geizigen Laster erzeugt. Allein während ich meinen Abschied vom Beruf eines Novellisten halb andeutete, war ich der Meinung, daß sich die angeführte Idee am besten zu einer Bearbeitung für die Bühne eignete. Nach einigen unveröffentlichten und unvollkommenen Versuchen, um meinen Plan zu verwirklichen Dieser Plan entstand nach der Veröffentlichung des » Geld« betitelten Lustspiels, und dieses war demnach trotz seines Namens keineswegs ein Versuch, den oben angedeuteten umfassenderen Gegenstand zu bearbeiten. ( Anm.d.Verf.), fand ich, daß entweder der Gegenstand zu umfangreich für die engen Gränzen des Drama's, war, oder daß mir das Talent für die Concentration abging, welches allein den Dramatiker befähigt, vielgestaltige und mannigfache Gruppen auf einen engen Raum zusammenzudrängen. Mit diesem Plane wünschte ich eine Darstellung dessen zu vereinigen, was mir ein Hauptfehler in dem heißen und eifersüchtigen Jagen nach Glück oder Ruhm, Vermögen oder Kenntniß zu seyn scheint – fast synonym mit der gewöhnlichen Phrase »geistiger Fortschritt« in der gesellschaftlichen Krisis, zu welcher wir gelangt sind. Der Fehler, den ich meine, ist Ungeduld. Dieses eifrige Verlangen, vorwärts zu drängen, nicht sowohl, um Hindernisse zu überwinden, als sie zu umgehen; dieses Spiel mit den ernsten Bestimmungen des Lebens, indem man den Erfolg auf den Fall eines Würfels setzt; dieses Eilen vom Erwachen des Wunsches zum vollendeten Ziel; dieser Durst nach schneller Vergeltung geistiger Mühe; dieses athemlose übereilte Treiben nach dem Ziel, welches wir überall um uns her bemerken in Handel und Wandel, welches in der Erziehung beim Abc-Buch beginnt, und uns mit populären wissenschaftlichen Lehrbüchern überschwemmt; welches die Bücher unserer Schriftsteller, die Reden unserer Staatsmänner nicht minder als das Verfahren unserer Spekulanten bezeichnet: dies scheint mir, ich muß es gestehen, ein sehr mißliches und sehr allgemeines Zeichen der Zeit zu seyn. Meiner Ansicht nach ist der größte Freund des Menschen Arbeit; und Kenntniß ohne Mühe, wofern überhaupt möglich, würde werthlos seyn; Mühe im Streben nach Kenntniß ist die beste Kenntniß, die wir erlangen können; die fortwährende Bemühung nach Ruhm ist edler, als der Ruhm selbst; und nicht der rasch erworbene Reichthum verdient Bewunderung, sondern vielmehr die Tugenden, die ein Mann, während er allmälig Reichthum erstrebt, ausübt, die Fähigkeiten, die dabei geweckt, die Entsagungen, die dadurch auferlegt werden – mit einem Wort, Arbeit und Geduld sind die ächten Lehrmeister auf Erden. Während ich mich mit diesen Ideen und dieser Ueberzeugung, sey sie nun richtig oder irrig, beschäftigte und allmälig einsah, daß ich nur in der Art der Bearbeitung, mit welcher ich am vertrautesten war, einen Theil des Planes, den ich zu bilden begann, ausführen könnte, wurde ich mit der Geschichte von zwei Verbrechern bekannt, die unserem Zeitalter angehören, und die so merkwürdig sind – theils durch die Größe und das Düster der begangenen Verbrechen, theils wegen der glänzenden Eigenschaften und des lebhaften Charakters des Einen, und wegen der tiefen Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten des Andern – daß die Prüfung und Analyse so verderbter Charaktere zu einem Studium von starkem, hohem, wenn auch traurigem Interesse ward.

Diesen Personen scheinen so wenige versöhnende Züge eigen gewesen zu seyn, als man in der menschlichen Natur finden kann, insofern sich dergleichen Züge in den freundlichen Trieben und edlen Leidenschaften erkennen lassen, welche bisweilen die Verübung großer Verbrechen begleiten und, ohne das Individuum zu entschuldigen, doch die Gattung rechtfertigen. Gleichwohl war anderseits ihre blutgierige Schlechtigkeit nicht die stumpfsinnige Rohheit wilder Thiere; – sie war von Unterricht und Bildung begleitet; ja, mir schien es, während ich ihr Leben studierte und über ihre eigenen Briefe nachdachte, daß wir eben durch ihre Bildung in das Geheimniß der furchtbaren und entsetzlichen Höhe im Bösen, welche diese Kinder der Nacht erreicht hatten, gelangen – und daß sich hier die Erscheinungen, welche Abweichungen von der Natur schienen, erklärten.

Ich vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen, die Materialien in einer Erzählung zu verarbeiten, welche mein Interesse so gefesselt und meine Forschung so beschäftigt hatten. Und bei diesem Versuche traten verschiedene zufällige Gelegenheiten ein, um meinen frühern Plan, wo nicht vollständig auszuführen, doch gelegentlich zu erörtern; den Einfluß des Mammons auf unser geheimstes Innere zu zeigen und die Ungeduld zu tadeln, welche durch eine Civilisation erzeugt wird, die bei vielem Guten auch alle entsprechenden Uebel mit sich bringt; – und in solchen Nebenfällen wird die Moral auch jedenfalls deutlicher hervortreten, als in der Schilderung des düsterern und seltneren Verbrechens, welches den Stoff meiner Erzählung bildet. Denn bei außerordentlichen Verbrechen erkennen wir nicht leicht gewöhnliche Warnungen, wir sagen vielmehr zu dem ruhigen Gewissen: »das betrifft dich nicht« – während wir in jedem Beispiele gewöhnlicher Schuld und häufigen Vergebens eine direkte und merkliche Warnung erkennen. Gleichwohl haben in der Zeichnung gigantischen Verbrechens die Poeten mit Recht ihre Sphäre gefunden und ihre Bestimmung als Lehrer erfüllt. Jene furchtbaren Wahrheiten, die uns in der Schuld Macbeth's oder der Schurkerei Jago's erschrecken, haben nicht minder ihren moralischen Nutzen, als die gemeinen Schwächen Tom Jones oder die alltägliche Heuchelei Blifils.

So unglaublich es scheinen mag: die hier erzählten Verbrechen fanden während der letzten siebzehn Jahre statt. Man hat ihre Größe nicht übertrieben und ist nur wenig von ihren einzelnen Umständen abgewichen – die angewendeten Mittel, selbst das, welches am weitesten hergeholt scheint (der vergiftete Ring), beruhen auf wahren Thatsachen. Auch habe ich die gesellschaftliche Stellung der Verbrecher nicht sehr verändert, noch im mindesten ihre Talente und Bildung überschätzt. In all den auffälligen Punkten, welche vielleicht am meisten das ungläubige Staunen des Lesers erregen müßten, erzähle ich eine Geschichte und erfinde keineswegs eine Dichtung. Diese Verbrecher waren indeß im wirklichen Leben nicht, wie in der Novelle, Vertraute und Mitschuldige. Ihre Verbrechen waren ähnlichen Charakters, ausgeführt durch ähnliche Hülfsmittel und zu solchen Zeiten begangen, daß die verschiedene schuldvolle Laufbahn Beider in die nämliche Periode fällt; gleichwohl habe ich keinen Grund, zu vermuthen, daß einer dem andern bekannt war. Bei solchen Punkten der Verwickelung, wo zwei verschiedene Geschichten verwebt sind, wird der Leser daher zwischen der Wahrheit der einzelnen Thatsachen und der Erfindung der Bindeglieder, die für die Erzählung nothwendig sind, unterscheiden. ( Anm.d.Verf.) Alles Romantische, was unsere eigene Zeit bietet, ist nicht mehr das Romantische, als vielmehr die Philosophie der Zeit. Die Tragödie verläßt die Welt nie – sie umgibt uns allenthalben. Wir brauchen nur wach und munter umzuschauen, und vom Zeitalter Pelops Siehe Anm. 112. bis zu dem Borgia's werden dieselben Verbrechen, nur unter verschiedenen Gewändern, auf unsern Pfaden wandeln. Jedes Zeitalter umfaßt in sich selbst Beispiele von jeder Tugend und jedem Laster, welches jemals unsere Liebe erweckt oder unsern Abscheu erregt hat.

London, 1. November 1846.

Erster Theil.



 << zurück weiter >>