Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Sechszehntes Kapitel.

Gewalt der Zeit und der Liebe. – Konstanze schwach und gedemüthigt.

Um diese Zeit begann der zarte Körper Lady Erpinghams die Folgen eines Lebens zu empfinden, welches, müßig und geschäftig zugleich, am meisten die Kräfte erschöpft. Sie litt an keiner eigentlichen Krankheit, sie hatte keine wirklichen Schmerzen, aber Nachts überfiel sie ein Fieber, dem am folgenden Tag eine matte Schwäche folgte. Sie war melancholisch und niedergeschlagen; die Thränen kamen ihr oft in die Augen, ohne daß sie einen Grund dafür wußte; bei einem plötzlichen Lärm fuhr sie zusammen, ihre Nerven waren angegriffen; eine schreckliche Mahnung, daß die Jugend uns verlassen hat.

In Krankheiten erkennen wir, in wie weit wir auf andere rechnen können, besonders wenn das Unwohlseyn jenen unbestimmten und gefährlichen Karakter trägt, wo unsere Umgebung nicht aus Scham oder Schreck zu unserer Pflege getrieben wird, wo die Sorge und die Wartung eine Folge der Sympathie sind, welche wahre tiefe Liebe allein erfüllt. Dieser Gedanke regte sich in Konstanze, als sie eines Morgens allein und in einer Stimmung saß, wo weder Bücher, Musik, noch Vergnügungen die düstern Bilder einer schmerzlichen Erinnerung und eines entmuthigten Daseyns zerstreuen oder erheitern. Ihr gegenüber hing das Bild ihres Vaters, das bereits seit längerer Zeit von Wendover-Castle nach London gebracht worden war, da Konstanze es immer vor Augen haben wollte. Ach, dachte sie, auf das stolze geistvolle Gesicht blickend, welches ihr zugekehrt war, ach, obgleich in einem andern Kreise, ist Dein Loos, Vater, doch auch das meinige geworden: unbelohntes Mühen, verletzte Gefühle, vergessene Opfer; ja, mein Loos ist zum Theil noch härter gewesen, denn Dir ward doch wenigstens in Deiner thätigen, glänzenden Laufbahn ewige Anerkennung und fortdauernder Triumph. Aber ich, ein Weib, das seines Geschlechtes wegen aus dem Kampfe und dem Siege ausgeschlossen ist, habe nur die undankbare Arbeit, über die Belohnungen zu sinnen, welche andere ärndten sollen. Für die erbärmliche Ränke, die elenden Intrigen, das Treiben und Streben, habe ich keine Ehre, für die Demüthigung keine Rache; und doch habe ich für Deine Sache gearbeitet, und könntest Du in mein Herz sehen, so würdest Du mich bemitleiden und mich loben.

Als Konstanze ihre Blicke abwendete, sah sie in einen Spiegel, welcher das Bild ihrer erhabenen, aber schon getrübten, schwindenden Schönheit zurückwarf; die matten Augen, die magern Wangen, einige Furchen, verriethen den Lauf der Jahre. Es gibt Momente, wo die Zeit, welche wir vergessen haben, ihre Wirkung uns plötzlich vor Augen hält, wo die Veränderung, die wir nicht beachteten, gespenstisch vor uns auftaucht, und wo wir glauben möchten, diese Furchen hätten sich erst vor einer Stunde in unsere Züge gegraben. Ein solcher Moment kam jetzt für Konstanze; sie erschrak vor ihrem Bild und wendete sich unwillkührlich von dem zu wahren Spiegel ab. Neben ihr auf dem Tische lag ein Medaillon, das Godolphin ihr kurz vor seiner Heirath mit seinen Haaren geschenkt hatte: seine Einfachheit fiel unter den vielen Kostbarkeiten und Juwelen auf, unter denen es lag. Als sie es ansah, flog ihr Herz zu dem Tage zurück, an welchem er, ewige Liebe schwörend, in ihren Armen lag. Ach, ihr glücklichen Tage, seufzte die Verlassene, werdet ihr je zurückkehren! Und sie nahm das Medaillon, küßte es und weinte, von unzähligen Erinnerungen der Vergangenheit erweicht, still vor sich hin. Und doch, sagte sie, nach einer Weile sich die Thränen trocknend, und doch ist diese Schwäche meiner unwürdig. Allein, schwermüthig, krank, an Körper und Geist zerfallen, wie ich bin, nähert er sich mir doch nicht; ich bin ihm nichts, nichts der ganze weiten Welt. Mein Herz, mein Herz, finde Dich in Dein Geschick! Was Du von der Wiege gewesen bist, sollst Du auch bis zum Grabe seyn. Ich habe nicht einmal die Zärtlichkeit eines Kindes zu hoffen, die Zukunft ist nur eine öde Leere.

Konstanze kämpfte noch mit diesen Gedanken, als Stainforth Radclyffe, den sie nie abweisen ließ, ihr plötzlich gemeldet wurde. Die Zeit, welche früher oder später die Ausdauer, obwohl mit einer trügerischen Münze lohnt, hatte Radclyffe ein Aufgeld auf künftige Ehre gegeben. Sein Name stand hoch in der Literatur und wurde allgemein geachtet, er war ein Mann, dem Alles eine glänzende Zukunft versprach. Er saß allerdings noch nicht im Parlament, dem großen Kampfplatze, wo in England der Ruf errungen wird, aber nur, weil er sich geweigert hatte, unter den Auspizien irgend eines Gönners einzutreten und seine tiefen, politischen Kenntnisse und sein kühner, ehrgeiziger, hochstrebender Geist fand darum nicht weniger Anerkennung. Die Freundschaft zwischen ihm und Konstanze hatte noch an Innigkeit zugenommen, um so mehr, da sie in ihren politischen Ansichten übereinstimmten, obgleich sie aus verschiedenen Quellen, die ihren aus Leidenschaft, die seinen aus Überlegung entsprangen.

Konstanze trocknete schnell ihre Thränen, als Radclyffe sich näherte, und wühlte in den vor ihr liegenden Papieren, um ihre Bewegung zu verbergen. – Sie kommen – sagte sie mit erzwungener Laune – zur guten Stunde, mich in meiner Einsamkeit etwas zu erheitern. Ich habe eben Briefe durchgesehen, die schon so viele Jahre alt sind, daß ich mich wohl erinnern mußte, wie bald ich nicht mehr junge seyn werde: ein Gedanke, der keiner Frau angenehm ist.

– Ich kann Ihnen kein Kompliment darauf erwidern – antwortete Radclyffe – aber Lady Erpingham verdient Strafe, daß sie es nur für möglich hält, sei könnte je weniger reizend seyn, als sie ist.

– Ach – sagte Konstanze ernst – wie wenig bleibt den Frauen außer dem Triumph der Jugend und Schönheit! Wie ist unser Ehrgeiz in allen andern höheren Gegenständen so gänzlich beschränkt und gefesselt. Der menschliche Geist muß ein Ziel für sein Streben haben; wie kann uns Ihr Geschlecht daher unsere Frivolität vorwerfen, da nur das frivole Streben uns von der Gesellschaft eingeräumt wird?

– Und ist Liebe Frivolität? Ist die Herrschaft des Herzens nichts?

– Ja – sagte Konstanze energisch – denn diese Herrschaft dauert nicht. Aber wir sind die Sklaven dieser Herrschaft, die wir gründen wollen; wir möchten geliebt seyn und lieben selbst zu sehr. Wir legen unser Alles, unsere Gedanken, Hoffnungen, Gefühle, alle Schläge unseres Herzens an einen Punkt und wenn wir uns aus den Sorgen und Täuschungen des Lebens zurückziehen möchten, so finden wir das Heiligthum uns verschlossen; wir lieben, werden aber nicht mehr geliebt.

Konstanze hatte in dem Drang ihrer Empfindung ihr Gesicht aufgerichtet; und ihre thränenfeuchten Augen, ihre glühenden Wangen, und ihre bebenden Lippen erschütterten Radclyffe auf das Tiefste. Er stand unwillkürlich auf; er näherte sich bewegt Konstanze, bezwang aber plötzlich seine Aufregung und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Nein – sagte Konstanze schmerzlich, kaum auf ihn hörend – umsonst sind wir ehrgeizig. Wir täuschen uns nur, wir sind nicht hart, nicht spröde genug für die Leidenschaft. Man wende sich an unser Gefühl und sogleich tritt unsere Schwäche hervor und ich – ich – wollte Gott, ich wäre eine arme Bäurin und nicht, was ich bin.

Konstanze sank, von ihrem bittern Gefühle überwältigt, auf ihren Stuhl zurück und bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen. Konnte ein Mann dies sehen und sich nicht bewegt fühlen? Konnte Radclyffe diesen Mund über dem Mangel an Liebe klagen hören, und nicht die Liebe gestehen, die in seinem eigenen Herzen loderte? Lange, still und kräftig hatte er gegen seine Leidenschaft für Konstanze angekämpft, welche sein häufiger Umgang mit ihr genährt hatte, und welche aus dem Bewußtseyn entsprungen war, daß sie das einzige Weib sey, welches seinem Karakter entspreche und jetzt weinte eben dieses stolze Weib verlassen, vernachlässigt, schmerzvoll über ihre liebloses Schicksal, und er lag nicht zu ihren Füßen! Er sprach nicht, rührte sich nicht, aber seine Brust hob sich schwer, und sein Gesicht war bleich wie der Tod. Es gelang ihm, sich zu beherrschen. Alles in Radclyffe gehorchte dem Idol, das er, schon vor Konstanze, angebetet hatte, alles Gefühl in ihm war, wenn auch feurig, doch auch edel, hochherzig. Die Schärfe seines Verstandes erlaubte ihm keine egoistischen Sophismen; und er hätte eher sein Haupt auf den Block gelegt, als ein Wort von der Liebe verrathen, welche, einmal gestanden, Konstanzens und seiner unwürdig seyn mußte.

Es entstand eine Pause. Lady Erpingham erholte sich, beschämt über ihre eigene Schwäche, langsam und schweigend. Endlich nahm Radclyffe das Wort, und seine anfangs zitternde, unsichere Stimme wurde bald bestimmter, ernster.

– Nie, Konstanze, werde ich das Geständnis vergessen, welches Ihre Aufregung meiner – meiner Freundschaft anvertraut hat. Ich suche es zu verdienen. Vergessen Sie nicht, meine theure Freundin – daß das Leben zu kurz für Mißverständnisse ist, bei welchen unser Glück betheiligt ist. Sie glauben, daß – daß Godolphin Ihre Neigung zu ihm nicht erwidre. Seyn Sie mir nicht bös, theure Lady Erpingham, ich fühle, daß es unzart ist, diesen Gegenstand zu berühren, aber meine Theilnahme für Sie macht mich kühn. Ich kenne Godolphins Herz; er mag leichtsinnig, unaufmerksam seyn, aber er liebt Sie so heiß als je, er liebt Sie von ganzem Herzen.

Konstanze hörte, so gedemüthigt sie war, ihn mit athemloser Erwartung an; ihre Wangen waren mit glühender Röthe überzogen, und diese Röthe war für Radclyffe zugleich eine Marter und eine Belohnung.

– In diesem Augenblicke – fuhr er mit erzwungener Ruhe fort – in diesem Augenblicke klagt er über eben diese Kälte bei Ihnen, welche Sie ihm vorwerfen. Verzeihen Sie mir, Lady Erpingham: Godolphins Natur ist ungewöhnlich, anspruchsvoll, wunderlich. Haben Sie sie auch hinreichend ergründet, erwogen? Nehmen Sie Rücksicht darauf, suchen Sie ihr zu genügen, und wenn seine Liebe Ihnen lohnen kann, so werden Sie diesen Lohn erhalten. Gott segne Sie, theuerste Lady Erpingham!

Radclyffe eilte aus dem Zimmer.


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