Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Eilftes Kapitel.

Unterredung zwischen Lady Erpingham und Konstanze. – Weitere Angaben über Godolphin's Familie.

Lady Erpingham war Wittwe; ihr Leibgedinge – denn sie war eine Erbin und eines Herzogs Tochter – war bedeutend, und das vornehme Gut der vielen Besitzungen, welche der reichen und mächtigen Familie Erpingham gehörten, ihr von dem verstorbenen Lord zum Wittwensitz angewiesen worden. Dorthin begab sie sich regelmäßig jeden ersten August, und kam regelmäßig jeden achten Januar zurück.

Es war einige Jahre nach Godolphin's Abreise von England, und in dem Sommer des Jahres, in welchem Konstanze in Gesellschaften eingeführt worden war, und nach einem so glänzenden Debut, daß selbst jetzt, so viele Jahre nach diesem Ereignis, der dadurch veranlaßte Eindruck nicht bloß nicht vergessen ist, sondern noch besprochen wird, als Konstanze trotz dem Triumphe ihrer Eitelkeit sich mit Freude dazu anschickte, eine Zuflucht, selbst vor der Bewunderung, in dem Schatten von Wendover-Castle zu suchen

– Wann, sagte sie eines Morgens, als sie mit Lady Erpingham auf einer Terrasse unter den Fenstern des Schlosses spazieren ging, von wo man die Gegend meilenweit übersehen konnte, wann wollen Sie, meine theure Lady Erpingham, mit mir gehen, die Ruinen sehen, von denen ich so viel habe reden hören, und zu deren Besuch ich Sie nicht bewegen kann? Blicken Sie auf! Der Himmel ist so klar, daß wir ihre Umrisse sehen können – dort rechts von jener Kirche! Es kann nicht sehr weit von Wendover seyn.

– Die Godolphin Priorei ist zwölf Meilen von hier, sagte Lady Erpingham, aber es mag näher scheinen, weil sie auf dem höchsten Punkte der Grafschaft liegt. Der arme Godolphin! Er ist vor Kurzem gestorben. – Lady Erpingham seufzte.

– Ich habe Sie nie früher von ihm sprechen hören.

– Ich hatte wohl Grund, zu schweigen, Konstanze. Von allen Männern, die mir vorkamen, als ich in Ihrem Alter war, erschien mir keiner reizender. Und doch war ich nicht verliebt in ihn, Konstanze, auch gab er mir keinen Anlaß, es aus Erkenntlichkeit für eine Zuneigung von seiner Seite zu werden. Es war ein Jugendtraum, kurz und nichtig – nichts mehr.

– Und der junge Godolphin – der sich in so frühem Alter durch sein excentrisches Leben auf dem festen Lande bekannt gemacht hat?

– Das ist sein Sohn, der gegenwärtige Eigenthümer dieser Ruinen, und ich fürchte, daß das sein ganzes Eigenthum ist, wenn man die Überbleibsel eines ihm von einem Verwandten hinterlassenen Legates abrechnet.

– So war sein Vater auch ein Verschwender?

– Durchaus nicht. Sein Vater aber war über die Gränzen eines bereits verschuldeten Besitzthums hinausgegangen, und hatte dasselbe sehr heruntergebracht. Alles Land, was wir dort sehen, jene Dörfer und Wälder, alles gehörte einst den Godolphin's. Sie waren die älteste und mächtigste Familie in diesem Theile Englands, aber mit jedem Geschlecht schwand das Vermögen, und als Arthur Godolphin – mein Godolphin – die Erbschaft antrat, blieb ihm nur die Wahl zwischen drei Übeln – einem Brod-Studium, dunkler Zurückgezogenheit, oder einer reichen Heirath. Mein Vater, der mich längst für Lord Erpingham bestimmt hatte, ließ sich merken, daß Herr Godolphin in mir nur das letzterwähnte Mittel, sich aufzuhelfen, sehe, und daß dies mein einziger Reiz in seinen Augen sey. Ich habe einigen Grund zu glauben, daß er dem Herzog einen Antrag machte, gegen mich schwieg er, obgleich er hier vielleicht weniger eine abschlägige Antwort zu erwarten gehabt hätte.

– Wie ging es ihm zuletzt?

– Er heirathete eine Lady, die man für eine Erbin hielt, aber er hatte ihr Vermögen noch kein Jahr in Händen, als es zu einem Prozeß Anlaß gab. Er verlor Prozeß und Mitgift, und was schlimmer war, die Kosten für das Gericht, und die Summe, welche er zurückzahlen mußte, versetzten ihn in eine Lage, die für einen Mann seines Ranges als Armuth gelten konnte. Dies Ereignis bekümmerte und erbitterte ihn tief; er zog sich in jene Ruinen, oder vielmehr in das kleine, anstoßende Haus zurück, und lebte dort bis an sein Ende, jede Gesellschaft vermeidend, und gewiß sein Einkommen nicht überschreitend.

– Ich verstehe, er wurde geizig.

– So sehr, daß seine Nachbarn ihn einen Knicker nannten.

– Und sein Weib?

– Die arme Frau! Es war eine recht schöne Dame, und sie starb, glaube ich, an demselben Kummer, der, wenn auch nicht das Leben, doch das Herz ihres Gatten zerfraß.

– Hatten sie nur den Einen Sohn?

– Bloß den jetzigen Eigenthümer – Percy, glaube ich. Richtig, Percy, nach dem Namen seiner Mutter – Percy Godolphin.

– Und wie kam es, daß der arme Knabe so früh in die Welt gestoßen wurde? Entzweite er sich mit Herrn Godolphin?

– Ich glaube nicht; aber da Percy ungefähr fünfzehn Jahre alt war, verließ er die ärmliche Schule, in der er erzogen wurde, und wohnte eine Zeitlang bei einem Verwandten, August Saville. Er blieb nur ein Jahr bei ihm in London, und ging trotz seiner Jugend überall mit ihm. Sein Benehmen war, so viel ich mich erinnere, sicher und selbstständig. Ein Verwandter vermachte ihm ein kleines Legat, und darauf ging er allein auf Reisen.

– Aber die Ruinen! Der verstorbene Herr Godolphin hinderte doch, trotz seiner Abgeschiedenheit, seine Nachbarn nicht, ihre Neugierde zu befriedigen?

– Nein; er war stolz auf das Interesse, welches die Trümmer seines Erbsitzes so allgemein erregten, stolz darauf, sie in Reisebüchern bezeichnet und in Bilderladen gemalt zu wissen; er selbst aber ließ sich nie blicken. Das Häuschen, in welchem er lebte, war, obgleich es an die Ruinen angränzte, natürlich vor jedem Zudrang geschützt, und ist so ummauert, daß der große Genuß Englischer Reisender, an sehenswürdigen Orten durch die Fenster zu blicken, ihnen ganz abgeschnitten war. Bei allem dem hatte ich, so lange Herr Godolphin lebte, den Muth nicht, einen Platz zu besuchen, der in mir nur eine melancholische Erinnerung geweckt haben würde: jetzt dürfte der Schmerz etwas schwächer seyn, und wenn Sie es wünschen, so wollen wir morgen hinüberfahren und die Ruinen besuchen. Überdies ist das der allgemein bestimmte Tag dazu.

– Nein, theuerste Lady Erpingham, wenn es Ihnen das geringste Leid verursacht –

– Mein liebes Mädchen, unterbrach sie Lady Erpingham, als ein Diener sich näherte und die Ankunft von Gästen auf dem Schlosse meldete.

– Wollen Sie nicht in den Saal gehen, Konstanze? sagte die Lady, und begab sich, den Kopf voll von Liebe und Arthur Godolphin, nach ihrem Ankleidezimmer, um frische Schminke aufzulegen.

Es wäre ein artiger Spaß für einen der geringeren Teufel gewesen, wenn er, während der ersten Schwärmerei der Lady Erpingham für Arthur Godolphin, ihr die Stunde vorhergesagt hätte, wo sie Arthur Godolphin's Tod als Geizhals erzählen, und fünf Minuten darauf zur Toilette treten würde, um ihre alternden Wangen für das gleichgültige Auge einer gewöhnlichen Bekanntschaft zu schmücken. So geht es in der Welt! Ich für meinen Theil wollte mich verbindlich machen, eine bessere Welt in dem Krähengeniste meinem Fenster gegenüber zu finden.


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